motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2021
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Insight – Erfahrungen aus der Praxis: Das motologische Wirkungsfeld der Kinder- und Jugendpsychiatrie – Teil 1
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2021
Alexander Hetke
Der erste Beitrag der neuen Berichtreihe stellt gleich einen besonderen dar, da er den Auftakt eines literarischen Duetts bildet. Das Wirkungsfeld der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird aus zwei unterschiedlichen und doch ähnlichen Perspektiven beschrieben. Der Beitrag in diesem Heft stammt aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamm (LWL-Universitätsklinik Hamm), wo ich, Alexander Hetke, die Leitungsposition der psychomotorischen Abteilung innehabe. Daran anschließend folgt in der nächsten Ausgabe der Beitrag aus der deutlich kleineren Kinder- und Jugendpsychiatrie in Holzminden (Albert-Schweitzer-Therapeutikum), in der Damian Badners nun über 10 Jahre als Motologe beschäftigt ist. Ziel dieser doppelten Vorstellung ist es, kontextuelle wie auch individuelle Unterschiede im gleichen Arbeitsfeld aufzuzeigen und dabei gleichzeitig die Gemeinsamkeiten hervorzuheben, um das Originäre der motologischen Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie deutlich werden zu lassen.
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[ 185 ] Insight - Erfahrungen aus der Praxis 4 | 2021 [ INSIGHT - ERFAHRUNGEN AUS DER PRAXIS ] Das motologische Wirkungsfeld der Kinder- und Jugendpsychiatrie-- Teil 1 Der erste Beitrag der neuen Berichtreihe stellt gleich einen besonderen dar, da er den Auftakt eines literarischen Duetts bildet. Das Wirkungsfeld der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird aus zwei unterschiedlichen und doch ähnlichen Perspektiven beschrieben. Der Beitrag in diesem Heft stammt aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamm (LWL-Universitätsklinik Hamm), wo ich, Alexander Hetke, die Leitungsposition der psychomotorischen Abteilung innehabe. Daran anschließend folgt in der nächsten Ausgabe der Beitrag aus der deutlich kleineren Kinder- und Jugendpsychiatrie in Holzminden (Albert-Schweitzer-Therapeutikum), in der Damian Badners nun über 10 Jahre als Motologe beschäftigt ist. Ziel dieser doppelten Vorstellung ist es, kontextuelle wie auch individuelle Unterschiede im gleichen Arbeitsfeld aufzuzeigen und dabei gleichzeitig die Gemeinsamkeiten hervorzuheben, um das Originäre der motologischen Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie deutlich werden zu lassen. Mein Setting Die LWL-Universitätsklinik Hamm ist eine der größten Fachkliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland. Unter der Trägerschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe als Teil des LWL-PsychatrieVerbundes, behandeln wir Kinder und Jugendliche mit psychiatrischen Problemen, starken Verhaltensauffälligkeiten oder psychosomatischen Symptomen im Alter von fünf bis 18 Jahren. Über 110 stationäre und 12 tagesklinische Behandlungsplätze sowie 20 Plätze für die Rehabilitation junger Drogenabhängiger stehen zur Verfügung. In Hamm eilt uns der Ruf voraus, eine der wenigen Städte Deutschlands zu sein, in der Menschen bei den angrenzenden AnwohnerInnen der Klinik nachfragen können, wo es zur Psychomotorik geht und nicht mit einem unwissenden Achselzucken und der Frage »Psycho…was? « abgewiegelt werden. Erklären lässt sich dies einerseits durch die große Vergangenheit, die ich hier als ausreichend bekannt voraussetze und der daraus resultierenden Wertschätzung und Manifestierung innerhalb der Region, Stadt und Klinik und andererseits der über vier Jahrzehnte fortgeführten und weiterentwickelten psychomotorischen Arbeit und Konzeption durch meinen Vorgänger Horst Göbel und die KollegInnen der Psychomotorik. Jenes zeigt sich außerdem an der räumlichen Dimension unserer Fachabteilung. Für unsere Patienten und Patientinnen stehen vier große Therapieräume in der Psychomotorik zur Verfügung, die allein vom Setting und der Materialausstattung her sprichwörtlich kein Psychomotorik Auge trocken lassen. Mein Team, bestehend aus vier MotopädInnen, einer Sportwissenschaftlerin M. A. und einem Diplom-Sportlehrer, bieten ein ergänzendes Therapieangebot innerhalb einer multimodalen Behandlungsstruktur an. Unsere fachlichen und beruflichen Bemühungen dienen der Erfüllung der Qualitätsziele der Klinik. Also im Kern das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen wiederherzustellen. Mein Berufsalltag Mein Berufsalltag beinhaltet zwei Aufgabenbereiche. Als praktizierender Motologe bin ich dafür verantwortlich, unter der Weisungsbindung des ärztlichen Direktors und den bereichsleitenden OberärztInnen, eine fachliche Durchführung und Koordination der psychomotorischen Angebote stationärer, teilstationärer und ambulanter Patienten und Patientinnen zu gewährleisten. In unserer Fachabteilung findet ein Großteil dieser Angebote gruppentherapeutisch an etwa 2-4 Terminen pro Woche, pro Station, für je 45 Minuten in unseren Räumlichkeiten statt. Die Gruppen werden im ZweitherapeutInnen Modell begleitet. An die Arbeit in der »Halle« schließt sich [ 186 ] 4 | 2021 Insight - Erfahrungen aus der Praxis die Verlaufsdokumentation sowie Erstellung von Abschlussberichten an. Die Indikation für eine psychomotorische / motologische Behandlung stellen die fallführenden TherapeutInnen und ÄrztInnen der jeweiligen Station. Die Aufnahme in eine passende Therapiegruppe erfolgt durch die FachtherapeutIn mit Hilfe eines digitalen Patientendokumentationssystems. Der multidisziplinäre fachliche Austausch wird neben der Dokumentation durch die Teilnahme an den Behandlungskonferenzen in den jeweiligen Bereichen (Stationen) gewährleistet. Die andere Seite meines Berufsalltages stellt der Aufgabenbereich als Fach- und Dienstvorgesetzter dar. Neben der Teamentwicklung, Führung und Motivation gehören u. a. die Gremienarbeit in und außerhalb der Klinik sowie die Vorbereitung und Durchführung von Kooperationsvereinbarungen mit Ausbildungsstätten und Universitäten zu meinen weiteren Aufgabenbereichen. Mein theoriegeleiteter Zugang Im Zentrum meiner Arbeit steht der Mensch. Die Ansätze und handlungsleitenden Konzepte, denen ich meine Arbeit zugrunde lege und die mir in meinem beruflichen Setting begegnen, sollen mich darin unterstützen, meine Praxis kritisch zu hinterfragen und theoretisch zu fundieren. Durch das Studium der Motologie eröffneten sich mir die Möglichkeiten, mich intensiv mit den unterschiedlichen Ansätzen und Konzepten der Psychomotorik und Motologie auseinanderzusetzen. Wahrscheinlich hängt es mit der Pluralisierung und Individualisierung unserer Lebenswelt zusammen, aber es vermag mir in meinem Berufsalltag im Kern nicht gelingen, mich einem spezifischen Ansatz zu verschreiben. Als zentralen Eckpfeiler einer gelingenden Therapie, die unabhängig von der Theorielandschaft existiert, erachte ich meine eigene psychomotorische Haltung. Künne / Schache (2012, 91) charakterisieren diese Haltung als Offenheit, Wertschätzung und Flexibilität, die sich prozesshaft durch den Kontakt mit meinem eigenen Selbst entwickelt. Die Therapeutenhaltung spielt auch innerhalb der Konzeption der »Klinischen Psychomotorischen Therapie« (KPT), die in meiner Fachabteilung vertreten wird, eine zentrale Rolle. Sie wurde durch Horst Göbel, Birgit Jarosch und Detlef Panten angelehnt an der »Psychomotorischen Übungsbehandlung« nach Kiphard (Hünnekens / Kiphard 1977) entwickelt und ist ein handlungs- und kindorientierter Ansatz. Handlungsleitend für die Fachabteilung ist bis heute neben der spiel- und bewegungspsychotherapeutischen sowie sporttherapeutischen Ausrichtung, das gruppenorientierte Vorgehen und ein mehrdimensionaler Ansatz. Übergeordnetes Ziel der »Klinischen Psychomotorischen Therapie« ist die psychische Stabilisierung, Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit und Förderung der Persönlichkeitsentwicklung unserer PatientInnen durch eine bewegungs- und körperorientierte Vorgehensweise, innerhalb einer therapeutisch wirksamen Kleingruppe, in einem ansprechenden materiellen und medialen Setting (Panten 2011). Meine Bedeutsamkeit »Ich liebe es hier! « Mit diesem Satz beendete ein sechsjähriges Mädchen ihren Diagnostik Termin bei mir in der Psychomotorik. Ungeachtet der Vorgeschichte des Mädchens, schafft es dieser Ausspruch, sehr viel darüber auszusagen, wie Kinder und Jugendliche die Psychomotorik in der KJP erleben und wie ich die Bedeutsamkeit dieser Arbeit sehe. Zudem zeigen die jährlich evaluierten PatientInnenbefragungen, dass die Psychomotorik gemeinsam mit den anderen Fachtherapien positiv von den Kindern und Jugendlichen wahrgenommen werden. Ressourcenorientiert und inhaltlich eine andere Form der Therapie im medizinisch / psychologischen Paradigma nimmt die Psychomotorik/ Motologie häufig gefühlt den »Druck« aus dem System. Die bewegungs- und körperorientierte, spielerische Auseinandersetzung mit ihren eigenen Themen, stellt das bereits Offensichtliche (Grund der Aufnahme) in den Hintergrund und eröffnet so die Möglichkeit der Herstellung einer guten PatientIn- FachtherapeutIn-Beziehung und einer gewinnbringenden Therapie. Literatur Hünnekens, H., Kiphard, E. (1977): Bewegung heilt. Psychomotorische Übungsbehandlung bei entwicklungsrückständigen Kindern. Flöttmann, Gütersloh Künne, T., Schache, S. (2012): Auf der Suche nach einer Haltung- … - Persönlichkeitstheorie und Psychomotorik. motorik 35 (2), 86-92 Panten, D. (2011): Klinische Psychomotorische Therapie: Konzeption, Evaluation und Wirkfaktoren. In: Jessel, H. (Hrsg.): Die Kunst mit der Vielfalt umzugehen- - 35 Jahre Aktionskreis Psychomotorik, Verlag Aktionskreis Psychomotorik, Lemgo, 97-117 DOI 10.2378 / mot2021.art34d Kontakt Alexander Hetke Erziehungs- und Bildungswissenschaftler (B. A.), Motologe (M. A.), seit September 2019 tätig als Leiter der Fachabteilung für Klinische Psychomotorische Therapie des LWL-Universitätsklinikum Hamm bvdm.hetke@motologie.net
