eJournals motorik 44/1

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2021
441

Bericht: Das hat mich sehr nachhaltig beeindruckt. Erleben von Virtual Reality – ein Thema für die Psychomotorik?

11
2021
Kim Lipinski
Dorina Rohse
Caterina Schäfer
Alles Mögliche wird digitalisiert. An vielen Orten im alltäglichen privaten und auch beruflichen Leben begegnen uns immer mehr digitale Möglichkeiten und Anforderungen. Wie schön ist es da, den Bewegungsraum frei von Smartphone, Tablet und Co zu betreten. In der Psychomotorik befinden wir uns im Hier und Jetzt. Im Raum. Im Körper. Im Miteinander. Und das kann nur so bleiben. Oder?. [...]
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[ 42 ] 1 | 2021 Aktuelles / Kurz berichtet Berichte Das hat mich sehr nachhaltig beeindruckt. Erleben von Virtual Reality-- ein Thema für die Psychomotorik? Alles Mögliche wird digitalisiert. An vielen Orten im alltäglichen privaten und auch beruflichen Leben begegnen uns immer mehr digitale Möglichkeiten und Anforderungen. Wie schön ist es da, den Bewegungsraum frei von Smartphone, Tablet und Co zu betreten. In der Psychomotorik befinden wir uns im Hier und Jetzt. Im Raum. Im Körper. Im Miteinander. Und das kann nur so bleiben. Oder? Bedingt durch gesellschaftliche Transformationsprozesse steht auch die Psychomotorik in der Verantwortung sich mit den aktuellen digitalen Medien auseinanderzusetzen, wenn auch vorerst zurückhaltend und kritisch, und zumindest eine fragende Haltung einzunehmen. Ein dabei relevant werdendes Medium ist die Virtual Reality (VR), da hier Wahrnehmung und Bewegung eine besondere Rolle spielen. Im Mittelpunkt dieser Technologie steht das Eintauchen- - das »being there«-- in eine simulierte Welt, welche durch die technischen Endgeräte parallel zur real-wahrgenommenen Welt existiert. Um diese Immersion zu ermöglichen, bedarf es folgender Komponenten der VR-Apparatur: eine VR- Brille auf dem Kopf, zwei Controller in den Händen und ein Trackingsystem mit zwei Sensoren, welche eine Bewegungsfläche im Raum von max. 25m² erfassen. Die Bewegungen von Controller und VR-Brille auf dieser Fläche werden aufgezeichnet, in die virtuelle Welt übertragen und simultan über die VR- Brille erlebbar. Die hohe Ähnlichkeit zwischen der virtuellen und der realen Welt sowie die flüssige Bildwiedergabe und das umfassende Sichtfeld verstärken neben den Interaktionsmöglichkeiten mit den Elementen innerhalb der virtuellen Welt den immersiven Effekt. Inwiefern wird diese Technologie nun zum Anknüpfungspunkt für die körperlich-leibliche Psychomotorik? Erste Überlegungen zu dieser Thematik werden im folgend dargestellten Lehrprojekt angestellt. Kooperatives Lehrprojekt »Virtual Reality Moves-- Bewegung im digitalen Lernlabor« Die Konzeption des Seminars »Virtual Reality Moves- - Bewegung im digitalen Lernlabor« greift die aktuellen Herausforderungen der Digitalen Bildung, Teilhabe und Diversität in der LehrerInnenbildung auf. Das Lehrteam um Kim Lipinski, Anna-Carolin Weber und Dr. David Wiesche (alle Ruhr-Universität Bochum) und Dr. Caterina Schäfer (TU Dortmund) entwickelte im Rahmen eines von MERCUR geförderten kooperativen Lehrprojektes die studiengangsübergreifende Lernumgebung. Im Rahmen dieses Seminars entwickeln Studierende aus den Studiengängen BSc / BA Sportwissenschaft und Informatik mit Studierenden des BA Lehramt für sonderpädagogische Förderung gemeinsam eigene Forschungsprojekte im Virtual-Reality Labor. VR wird hier mit dem Fokus auf Bewegung und Kommunikation zum Medium des Lernens und Lehrens (Lipinski et al. 2020, 207), indem die Studierenden in neue, digitale Welten eintauchen und sich diese auf explorative Weise erfahrbar machen (Abb.-1). Über theoretisch vermittelte Inhalte werden die neuen Erfahrungen eingeordnet Abb. 1: Erforschen von virtuellen Räumen (Fotos: Martina Hengesbach) [ 43 ] Machens • Der Einfluss von Bewegungskindergärten auf die motorische Entwicklung 1 | 2021 [ 43 ] Aktuelles / Kurz berichtet 1 | 2021 und im weiteren Verlauf des Seminars integriert. Die Seminargestaltung zeichnet sich durch ihre facettenreiche und interdisziplinäre Zusammenarbeit auf dozierender, studierender und inhaltlicher Ebene aus. Dabei wird das Ziel verfolgt, eine kritische und forschende Haltung der Studierenden sowie das Aktivwerden im Rahmen des »Forschenden Lernen« zu erschaffen (Redecker 2020). Neben dem methodenvielfältig vermittelten theoretischen Input entwickeln Studierende eigene Forschungsprojekte zum Thema VR und Bewegung aus motorisch-didaktischer, bewegungspädagogischer oder künstlerisch-ästhetischer Perspektive (Lipinski et al. 2020). Unabhängig vom Studiengang erweitern Studierende somit ihren Erfahrungshorizont sowie die eigenen Interessen und entwickeln ihre Kompetenzen im Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens. Eine Begleitforschung des Lehrteams geht der Frage nach, inwiefern das studiengangsübergreifende Lehrkonzept Virtual Reality Moves einen Beitrag zur Entwicklung einer forschenden Haltung in der LehrerInnenbildung leisten kann. Die Erhebung fand mittels leitfadengeleiteter Interviews und Online-Fragebögen u. a. im Kontrollgruppen Design von 06/ 2019- 10/ 2020 statt. Bewegungspädagogische Sicht auf Virtual Reality Aus bewegungspädagogischer Sicht haben die Studierenden hier die Möglichkeit, im hybriden Raum der VR- Apparatur eine hoch immersive und selbstwirksame Situation zu erleben und gestalten (Lipinski et al. 2020, 221). So kann beispielsweise mittels der Anwendung »Tilt Brush« im dreidimensionalen Raum gezeichnet werden und so die körperliche Bewegung, etwa ein Schwung der Arme und Hände, dargestellt werden. Die anwendende Person erstellt mit den Controllern ein individuelles Gebilde, das sie aktiv verschieben, unter dem sie herlaufen oder in das sie hineinsteigen kann. Sie kreiert sich einen eigenen Raum, den sie nach eigenen Vorstellungen und Wünschen verändern, kontrollieren und in dem sie sich frei und in eigenem Tempo bewegen kann. Außergewöhnliche Bewegungserfahrungen Im digitalen Lernlabor scheinen die Nutzung der Controller sowie die freie Bewegung im Raum mit zunehmender Erfahrung der Studierenden intuitiver und immersiver zu werden. In den ersten Interviews der Begleitforschung werden etwa Aussagen getätigt wie: »Also mein, ich glaube das war meine zweite VR Erfahrung die war sehr beeindruckend, daran erinnere ich mich gerade, da war ich in der Unterwasserwelt und da kam der Wal auf mich zu geschwommen und dann hat man sich selber halt im Maßstab zu diesem Wal und das kann man ja in der Realität so gar nicht erleben und das hat mich sehr sehr nachhaltig beeindruckt« (Interview E, Turn 32). Durch das hier beschriebene Eintauchen in die Szenerie können leibliche Erfahrungen gemacht werden, die Anlass zur Reflexion der eigenen Wahrnehmung in verschiedenen Räumen bieten (Schäfer 2019, 61). Digitaler Bewegungs- und Spielraum Der neuartige und in diesem Fall digitale Zugang zu Bewegung über das Medium VR bietet demnach einen Bewegungs- und Spielraum (Abb.- 2), der in ähnlicher Form in psychomotorischen Kontexten bereits beschrieben wird. So sieht Keßel (2019) einen Zusammenhang von Spiel, Flow-Erleben und tätigkeitszentrierter Motivation in der psychomotorischen Entwicklungsförderung von Kindern. Insbesondere die intrinsische Motivation wird hier als eine zentrale Stärke angesehen (Keßel 2019, 71). Im beschriebenen digitalen Setting erleben die Lernenden scheinbar eine solche Verknüpfung von spie- Abb. 2: Bewegen, Spielen und Kreieren in der VR [ 44 ] 1 | 2021 Aktuelles / Kurz berichtet lerischem Handeln, Eintauchen in eine eigene Welt mit hohem Grad von Involviertheit. So kommt eine teilnehmende Person zu der Aussage: »währenddessen kam dann eben eine intrinsische Motivation auf, da zu Ergebnissen zu kommen« (Interview C, Turn 20). Eine umfangreiche Auswertung und Diskussion der erhobenen Daten werden zurzeit vorbereitet. Ausblick Die ersten Ergebnisse der Begleitforschung lassen die Notwendigkeit einer psychomotorischen Auseinandersetzung mit VR erahnen. Da das Medium VR im Rahmen von vielfältigen Anwendungen (virtuelle Welten) eine Erweiterung der körperlich-leiblichen Erfahrungsmöglichkeiten bieten kann, zeigen sich hier erste Anknüpfungspunkte wie Fragen nach dem haptischen Erleben sowie dem Erleben von Gruppenprozessen. Die Kombination mit einer Reflexion der erst in der virtuellen Welt realisierbaren Wahrnehmungen offenbart dann schlussendlich das inhärente Forschungspotenzial aus psychomotorischer Perspektive. Und dann sind wir wieder im Raum. Im Hier und im Jetzt. Aber digital. Und das wird kommen. Oder? Literatur Keßel, P. (2019). Intrinsische Motivation. Eine zentrale Stärke der psychomotorischen Entwicklungsförderung. motorik 42 (2), 71-76, https: / / doi. org/ 10.2378/ mot2019.art13d Lipinski, K., Schäfer, C., Weber, A., Wiesche, D. (2020): Virtual Reality Moves-- Interdisziplinäre Lehrkonzeption zur Entwicklung einer forschenden Haltung mittels Bewegung in, mit und durch Virtual Reality. In: Fischer, B., Paul, A. (Hrsg.): Lehren und Lernen mit und in digitalen Medien im Sport. Grundlagen, Konzepte und Praxisbeispiele zur Sportlehrerbildung. Springer, Wiesbaden, 207-229, https: / / doi. org/ 10.1007/ 978-3-658-25524-4_11 Redecker, A. (2020): Professionalisierung durch Selbstreflexion. Vom forschenden Habitus zur bildungsrelevanten Lehrer/ innenbildung. In: Basten, M., Mertens, C., Schöning, A., Wolf, E. (Hrsg.): Forschendes Lernen in der Lehrer/ innenbildung. Implikationen für Wissenschaft und Praxis. Waxmann, Münster, 237-276 Schäfer, M. (2019): Selbstreflexion und achtsame Körperwahrnehmung für psychomotorische Fachkräfte. motorik 42 (2), 58-63, https: / / doi.org/ 10. 2378/ mot2019.art11d Kontakte Internetseite zum Projekt: http: / / www.sportwissenschaft. rub.de/ spopaed/ vrm.html.de Kim Lipinski kim.lipinski@rub.de Dorina Rohse Dorina.rohse@tu-dortmund.de Dr. Caterina Schäfer caterina.schaefer@tu-dortmund.de C E R TI F ICAT E P R O G RAM IN L A B A N / B A R T E N I E F F M O V E M E N T S T U D I E S Director: Antja Kennedy Phone: +49 30 52282446 info@eurolab-programs.com www.eurolab-programs.com Intensive Format in English 2021 in Berlin Start: July Anzeige