eJournals motorik 44/3

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2021.art21d
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2021
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Forum Psychomotorik: Wer nicht spielt, verspielt sein Leben

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2021
Nicola Böcker-Giannini
Der Beitrag setzt sich mit der Entwicklung des Kinderspiels in unserer Gesellschaft auseinander. Der Zusammenhang zwischen Spiel und psychomotorischer Entwicklungsförderung wird dabei ebenso in den Blick genommen wie die Funktionalisierung und Ökonomisierung des Kinderspiels. Denn schon in der Kita machen Erwartungen von Eltern und Fachkräften das Spiel der Kinder zum Objekt ihrer Vorgaben. Aber genau dann, wenn Kinder spielen sollen, hören sie auf zu spielen. Demgegenüber steht das zweckfreie Spiel. Hier begreifen Kinder die Welt um sich herum, erwerben alle für sie notwendigen Fähigkeiten und entwickeln ihre Persönlichkeit.
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Zusammenfassung / Abstract Der Beitrag setzt sich mit der Entwicklung des Kinderspiels in unserer Gesellschaft auseinander. Der Zusammenhang zwischen Spiel und psychomotorischer Entwicklungsförderung wird dabei ebenso in den Blick genommen wie die Funktionalisierung und Ökonomisierung des Kinderspiels. Denn schon in der Kita machen Erwartungen von Eltern und Fachkräften das Spiel der Kinder zum Objekt ihrer Vorgaben. Aber genau dann, wenn Kinder spielen sollen, hören sie auf zu spielen. Demgegenüber steht das zweckfreie Spiel. Hier begreifen Kinder die Welt um sich herum, erwerben alle für sie notwendigen Fähigkeiten und entwickeln ihre Persönlichkeit. Schlüsselbegriffe: Spiel, Psychomotorik, Selbstorganisation, Selbsttätigkeit, Bildung, Ökonomisierung, Leistung The value of free play for (early childhood) education This article deals with the development of children’s play in our society. The connection between play and the promotion of psychomotor development is examined as well as the functionalization and economization of children’s play. Children’s play is often already influenced and disturbed by parents’ and professionals’ expectations during the nursery time. The opposite is free play, enabling children to understand their environment, acquire necessary skills and develop their personality. Key words: play, psychomotor education, self-organization, selfactivity, education, economization, achievement [ 110 ] 3 | 2021 motorik, 44. Jg., 110-114, DOI 10.2378 / mot2021.art21d © Ernst Reinhardt Verlag [ FORUM PSYCHOMOTORIK ] Wer nicht spielt, verspielt sein Leben Über den Wert des zweckfreien Spiels für die (frühkindliche) Bildung Nicola Böcker-Giannini ben von Menschen erfüllt hat« (Krenz 2010, 1). So ist es nicht verwunderlich, dass sich zahlreiche WissenschaftlerInnen und Gelehrte ihrer Zeit mit der Theorie des (Kinder-)Spiels auseinandergesetzt haben (Schiller 1793; Fröbel 1826; Huizinga 1938; Buytendijk 1933). Krenz formuliert daraus die Erkenntnis, »dass das Spiel in der Entwicklung des Kindes eine ganz zentrale Stellung einnimmt« (Krenz 2010, 5). Auch Fischer geht darauf ein, wenn er schreibt, dass das »Spiel […] als zentrale Tätigkeitsform des Kindes angesehen werden [kann]« (2015, 122). Nach Mogel gehört es zu den »fundamentalen Lebenssystemen des Menschen« (2008, 6). Der Wert des Spiels für die frühkindliche Entwicklung scheint somit unbestritten. Im wissenschaftlichen Diskurs ist das Spiel trotz seiner langen Geschichte nicht abschließend definiert. Stattdessen gibt es unterschiedliche Ansätze, die jedoch eine Gemeinsamkeit haben: Sie fokussieren die »freie Handlung« (Krenz 2010, 5) als Grundlage des Spiels. So stellen auch Beudels und Beins fest (2019, 212), dass »[…] eine gewisse Einigkeit darin besteht, das Spiel als elementare menschliche Fähigkeit und als schöpferische »Urtätigkeit« des Menschen zu sehen, und als ein nicht zweckdienliches Geschehen, das im Gegensatz zur Arbeit steht und weitgehend dem Zeitvertreib dient […]«. Beobachtet man ein Kind, welches in der Küche mit Schüsseln spielt, so ist das zweckfreie Spiel beim Erkunden dessen, was mit dem Material möglich ist, deutlich zu erkennen. Adolf Portmann formuliert den Wert dieses Spiels Menschen spielen wahrscheinlich so lange, wie es Menschen gibt. »Ob in der Steinzeit, der Antike, im Hochland von Mexiko oder im alten Ägypten, im Mittelalter, in sakralen Handlungen oder auf Hinterhöfen: Auf der ganzen Welt legen Aufzeichnungen, Dokumente und Berichte Zeugnis davon ab, dass das Spiel aus dem Leben des Menschen nicht wegzudenken war und es damit ganz offensichtlich eine wichtige Funktion im Le- [ 111 ] Böcker-Giannini • Wer nicht spielt, verspielt sein Leben 3 | 2021 für die frühkindliche Bildung folgendermaßen: »Spiel ist freier Umgang mit der Zeit, ist erfüllte Zeit; es schenkt sinnvolles Erleben jenseits aller Erhaltungswerte; es ist ein Tun mit Spannung und Lösung, ein Umgang mit einem Partner, der mit einem spielt- - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oder die Wand, welche dem Spielenden den elastischen Ball zurückwerfen« (1976, 60). Das Spiel psychomotorisch betrachtet Das Spiel fördert die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Dabei dient die Bewegung als Grundlage des kindlichen Spiels. »Das frühkindliche Spiel ist von Bewegung durchdrungen, durch diese werden Zeit und Raum erlebt und gestaltet sowie Gegenstandsbezüge zum eigenen Körper oder zu Gegenständen in der kindlichen Lebenswelt hergestellt« (Fischer 2015, 122). In Verbindung zwischen Spiel und Bewegung findet sich auch das Konzept der psychomotorischen Entwicklungsförderung wieder (Fischer 2015, 122). »Betrachten wir die Welt aus der Perspektive des Kindes, so geschieht die Welterschließung über den Körper und die Bewegung im spielerischen Kontext« (Fischer 2015, 128). Welche Bedingungen Kinder vorfinden müssen, damit sie zweckfrei spielen können, zeigt sich in der Betrachtung der von Keßel (2014) beschriebenen »Prinzipen psychomotorischer Entwicklungsförderung« sowie in den von Krenz (2010) benannten »Bedingungen zur Förderung des Spiels«. Während Keßel mit den »Prinzipen psychomotorischer Entwicklungsförderung« die Rolle der Fachkraft beschreibt (2014, 24ff ), zählt Krenz (2010, 14) mit den Merkmalen »Zeit«, »Platz«, »Materialien«, »MitspielerInnen«, »Entscheidungsfreiheit« und »Ruhe« wesentliche Spielbedingungen auf. In beiden Konzepten nimmt die Zweckfreiheit des Spiels einen großen Stellenwert ein. Sie findet sich sowohl in den von Keßel benannten Prinzipien »Echtheit und Wertschätzung«, »Dialog und Begleitung«, »Freiwilligkeit«, »Kind-«, »Handlungs-« und Prozessorientierung« als Grundlage der Handlung der Fachkräfte wieder als auch in der von Krenz beschriebenen Spielbedingung der »Entscheidungsfreiheit«. Krenz legt in seinen Ausführungen den Schwerpunkt darauf, dass Spiel ohne Reglementierung und »disziplinierende Maßnahmen« durch Erwachsene (2010, 16) erfolgt. Grundlage des Spiels ist es, als Spielende selbst aktiv zu werden und sich »den unbekannten Dingen des Lebens zuzuwenden und sich mit ihnen auseinander zu setzen« (Krenz 2010, 13). Keßel (2014, 25) formuliert die Aufgaben psychomotorisch orientierter Fachkräfte darauf aufbauend: »Die Kinder werden nicht gedrängt etwas zu tun oder unter Druck gesetzt. Ihr freier Wille ist zu akzeptieren, um sie nicht in ihrer Integrität zu verletzen«. Fachkräfte, die psychomotorisch agieren, sollten somit im Dialog mit Kindern als achtsame EntwicklungspartnerIn auftreten (Keßel 2014, 24) und es ihnen ermöglichen, selbsttätig ihre Lösungen zu finden. Ebenso, wie es Keßel in den Prinzipien »Bewertungsvermeidung« und »Prozessorientierung« für psychomotorisch orientierte Fachkräfte benennt, beschreibt Krenz in den Spielbedingungen der »Ruhe« und »Zeit«, dass Kinder »frei von äußeren Erwartungen oder Verpflichtungen« (2010, 15) spielen können und die Zeit dabei »für Kinder immer ausgefüllt« (Krenz 2010, 14) ist. Der Weg und nicht das vorgegebene Ergebnis ist somit Ziel des Spiels. Die begleitenden Erwachsenen müssen sich demnach mit ihren Ideen und Ratschlägen zurückhalten, denn sonst verläuft das Spiel nicht mehr nach der Idee des Kindes und es kann sich »[…] nicht mehr in sein Spiel fallen lassen« (Krenz 2010, 16). Als weitere Spielbedingungen formuliert Krenz »Platz« und »Material«. Je nach Alter und Entwicklungsstand nutzen Kinder ihren Raum in der näheren und weiteren Umgebung für ihr Spiel. Dabei gestalten sie den Raum mit den vorhandenen Spielmaterialien nach ihren eigenen Vorstellungen. Das Material ist dabei im besten Fall nicht vordefiniert und lässt verschiedenste Spielhandlungen zu. Es kann zweckentfremdet werden und provoziert die Entdeckerfreude der Kinder. Ähnliche Kriterien finden sich auch in den von Keßel (2014, 24f ) beschriebenen psychomotorischen Prinzipien der »Entwicklungs- und Erlebnisorientierung« sowie der [ 112 ] 3 | 2021 Forum Psychomotorik »Strukturierung«. Im Mittelpunkt steht hier die »vorbereitete Umgebung«, in der die Fachkraft anregendes Material zum Spiel bereitstellt, das erlebnisreiche und spannende Spielmöglichkeiten bietet. Das Spiel der Kinder ist auch von Kommunikation geprägt. Im Prinzip der »Kommunikationsorientierung« (Keßel 2014, 26) fokussiert Keßel dabei die Fachkraft und ihre Angebote, wenn er schreibt, dass »in der Psychomotorik durch eher offene Angebote und den Verzicht auf festgelegte Lösungswege Kommunikationsanlässe geschaffen [werden], die die Kinder zu verbaler und nonverbaler Kommunikation in vielfältigen Handlungszusammenhägen anregen« (Keßel 2014, 26). Einen ähnlichen Ansatz beschreibt Krenz (2010, 15) auf der Ebene der Spielbedingungen in seinem Merkmal »MitspielerInnen«. Hier ermöglicht es das Spiel selbst, »[…] der spielenden Person, entweder mit sich alleine und dem Spiel zu kommunizieren oder mit sich, dem Spiel und anderen Menschen […] zu interagieren« (Krenz 2010, 15). Grundbedingung dafür, dass Kinder zweckfrei spielen können, sind somit eine psychomotorische Haltung der Fachkraft, wie von Keßel beschrieben, und das Vorhandensein entsprechender »Spielbedingungen«, wie sie Krenz benennt. Doch was passiert, wenn Kinder diese Bedingungen nicht vorfinden und sie damit nicht zweckfrei spielen können? Welchen Wert haben das zweckfreie Spiel und die psychomotorisch geprägte Sichtweise heute in Kita, Hort und Schule? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der folgende Absatz des Artikels. Optimierung der Kindheit »Gelänge es Deutschland, die Schülerleistungen um 25 Pisa Punkte zu verbessern, könnten die Erträge der Deutschen Wirtschaft bis zum Jahr 2100 um 14 Billionen Euro steigen« (Burchard 2019). In diesem Zitat aus dem Tagesspiegel vom 03.12.2019 wird deutlich, in welcher Konkurrenz das zweckfreie Spiel in unserem Bildungssystem steht. Die Welt scheint sich an ökonomischen Vorstellungen und nicht am Wert des zweckfreien Spiels für die Selbstbildung der Kinder zu orientieren. Folgt man dem System, so müssen schon Kinder in der Kita Leistung bringen und funktionieren. In diesem Denkschema verliert das zweckfreie, selbstorganisierte Spiel an Wert und wird als überflüssig und nutzlos (Beudels / Beins 2019, 216) begriffen. Wie sehr sich dieser Gedanke bereits in der Kita festgesetzt hat, zeigt ein Blick in die Bildungspläne der Länder, in denen das Spiel als Mittel der Selbstbildung zu wenig im Fokus steht. Stattdessen wird bspw. im Bayrischen Bildungs- und Erziehungsplan (STMAS 2016) sowie in der Mecklenburgischen Bildungskonzeption (MBWK 2011) postuliert, dass das Spiel der Kinder von außen unterstützt werden muss. »Besonders dort, wo die Kita und ihre Mitarbeitenden in die Pflicht genommen und direkt oder indirekt unter Druck gesetzt werden (durch Bildungspläne, Eltern, Politik oder vermeintliche Fachleute), schulisches Wissen zu vermitteln, Sprachbildung zu gewährleisten usw., ist die Gefahr groß, dass Spielen und Spiel als durch das Kind selbstbestimmte und zweckfreie Tätigkeit aus dem pädagogischen Angebot verdrängt oder als getarnte und durch den Erwachsenen initiierte und gelenkte »spielerische Übung« bzw. »spielerisch angeleitetes Lernen« mit definierten und möglichst evaluierbaren Zielen instrumentalisiert werden« (Beudels / Beins 2019, 216f ). Dies konterkariert den zuvor beschriebenen Sinn des Spiels als Mittel der Selbstbildung. Auch im Bildungsbereich Bewegung wird in Bildungsplänen immer wieder ein zielorientiertes Vorgehen gefordert. Auch hier lautet die Aufgabe an Fachkräfte, Spielen und damit Lernen nach Programm zu organisieren und die Bewegungserfahrungen nicht mehr der Selbsttätigkeit des Kindes zu überlassen (Beudels / Beins 2019, 217). Vergessen wird dabei auch hier allzu oft, dass das Spiel der Kinder qua Definition zweckfrei sein sollte. Doch was passiert mit Kindern, die nicht mehr zweckfrei spielen können? Ein Blick zurück in unsere ersten Lebensjahre zeigt, wie elementar das Spiel für die Entwicklung und damit das selbstorganisierte Lernen der Kinder ist. Denn unsere ersten Lebensjahre sind geprägt durch die spielerische Aneignung der Welt. In dieser Phase des Lebens käme kaum jemand auf die [ 113 ] Böcker-Giannini • Wer nicht spielt, verspielt sein Leben 3 | 2021 [ 113 ] Böcker-Giannini • Wer nicht spielt, verspielt sein Leben 3 | 2021 Idee, einjährigen Kindern Unterricht im Greifen, Krabbeln und Laufen zu erteilen. Der Wert des zweckfreien Spiels ist hier scheinbar unbestritten. Es gilt als selbstverständlich, dass sich Kinder ihre Fähigkeiten spielerisch selbst aneignen. Auch beim Erlernen der Muttersprache wird in der Regel davon ausgegangen, dass Kinder diese selbsttätig begreifen. Spätestens danach jedoch schlägt die Ökonomisierung der Gesellschaft auch in der Kinderbetreuung zu und der Wert des zweckfreien Spiels sinkt. Der Leistungsdruck erhöht sich und Kinder müssen funktionieren. Das Spiel der Kinder gerät als Grundlage der frühkindlichen Bildung aus dem Fokus. Aus dem Betreuungsplan in der Kita wird ein ausgefeilter Lehrplan, in dessen Mittelpunkt nicht mehr das Spiel als »Beruf des Kindes« (Krenz 2010, 1) steht, sondern ein Lernen nach Programm. Die Zeit zum freien, selbstbestimmten und zweckfreien Spielen wird immer weniger. Der Erwachsene macht das Kind dabei zum Objekt seiner eigenen Handlungen und Ideen. Für Kinder wird es dann unmöglich, die Welt im eigenen Tempo selbsttätig zu entdecken. So war 2007 in einem Artikel im Spiegel Folgendes zu lesen: »Samstags um zehn steht für Tim seit ein paar Wochen Mathematik auf dem Programm. Für 25 Euro pro Stunde erläutert Pädagogin Ulrike Körsmeier ihm und seinen sechs Mitschülern die Grundlagen der Geometrie. Das Ungewöhnliche des Unterrichts in einer schicken Berliner Altbauwohnung: Tim ist erst zwei« (Koch 2007, 162). Verloren geht dabei die Zeit, in der Kinder mit ihrer angeborenen Neugierde und Entdeckerlust frei und selbsttätig ihre Umwelt erschließen können. Das gleiche Schicksal trifft die Bewegung in der Freizeit der Kinder und mit ihr die psychomotorische Entwicklungsförderung. Denn das »Bewegungsspiel als Tätigkeit ohne Leistungsnormierung erhält das Etikett des Unwichtigen und die »geheimen Orte«, an denen Kinder sich außerhalb der elterlichen Kontrolle aufhalten und bewegen können, nehmen ab« (Voss 2019, 132). Der Raum, in dem Spiel und Bewegung stattfindet, »[…] verlagert sich in Turnhallen, auf Spielplätze oder vor den Computer […]« (Voss 2019, 133) und ist damit für Kinder nicht mehr allein erreichbar. Sie sind für ihr Spiel und damit ihre Bewegung auf den elterlichen Shuttledienst und ein von außen organisiertes Spiel angewiesen. Auch die Digitalisierung des Kinderspiels schreitet voran. Dies galt schon, bevor COVID 19 die Arbeits- und Lebenswelt von Familien verändert hat. Corona hat diesen Prozess beschleunigt. Kreativität ist gefragt- - im Arbeitsleben, wie in Kita, Hort und Schule. Die Ausbreitung eines Virus, welches von uns verlangt, den körperlichen Kontakt mit Menschen einzuschränken, auf Distanz zu leben und Abstand zu halten, macht den Wert des Spiels und der Bewegung für die frühkindliche Bildung noch deutlicher. Denn durch die fortschreitende Digitalisierung auch unter dem Eindruck der COVID 19-Epidemie droht noch mehr als zuvor, die Zeit für zweckfreies Spiel und Bewegung verloren zu gehen. Die Konzentration auf auditive und visuelle Wahrnehmung tritt immer mehr in den Vordergrund und verdrängt weiter das zweckfreie Spiel und Spielen mit allen Sinnen. Kinder haben ein Recht auf Spiel Kinder haben ein Recht auf Spiel. Dieses Recht ist in Artikel 31 UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben. Aber, »in einer Welt, in der alles, was wir tun immer effizienter, wirtschaftlicher und zweckdienlicher sein muss, bleibt kein Raum mehr für das, was uns als Mensch ausmacht und was unsere Kinder mehr als alles andere für die Entfaltung der in ihnen angelegten Potentiale brauchen: das spielerische, kreative und phantasievolle Ausprobieren all dessen, was möglich ist und wie es funktioniert« (Hüther 2008). Spiel wird in unserem Leben also dringend gebraucht. Frei nach Renate Zimmers »Ihr müsst die Pfützen schützen« (Zimmer 2010) müsste es heute also heißen »Schützt das (zweckfreie) Spiel«. Denn wer nicht spielt, verspielt sein Leben. Oder wie Schützt das Spiel! Denn wer nicht spielt, verspielt sein Leben. [ 114 ] 3 | 2021 Forum Psychomotorik es Hüther (2015, 6) ausdrückt: »Wer spielt, konsumiert nicht. Wer spielt, gebraucht nicht. Wer spielt, begegnet dem Anderen als einem echten Gegenüber. Deshalb hat das Spiel in einer von der instrumentellen Vernunft des Ökonomismus beherrschten Welt eine subversive Kraft«. Diese Kraft des Spiels muss für die Bildung der Kinder erhalten bleiben. In Kita, Hort und Schule gilt es deshalb, einen Rahmen zu schaffen, in dem »freies« Spiel, wie es Krenz (2010) in seinen »Spielbedingungen« formuliert, gelingen kann. Dies bedeutet, dass genügend Zeit vorhanden sein muss und Innen- und Außenräume so gestalten sein sollten, dass das Spiel der Kinder in einer vorbereiteten Umgebung auch durch didaktisch nicht vorgegebenes Material, wie bspw. Alltags- und Naturmaterial angeregt wird. Zentral ist die Haltung der Fachkraft. Sie muss, wie Keßel es in seinen »Prinzipen psychomotorischer Entwicklungsförderung« ausdrückt, »achtsame EntwicklungsbegleiterIn« sein (2014, 24) und darf mit ihren Impulsen das Spiel der Kinder nicht von außen nach eigenen Vorstellungen lenken. Literatur Beudels, W., Beins, H. J. (2019): Spiel und Spielen: Bedeutungsvielfalt und Deutungsvielfalt. In: Voss, A. (Hrsg.): Bewegung und Sport in der Kindheitspädagogik. Kohlhammer, Stuttgart, 212- 222 Burchard, A. (2019): Was die deutsche Wirtschaft durch mittelmäßige schulische Leistungen verliert. In: Der Tagesspiegel, https: / / www.tagesspiegel. de/ wissen/ pisa-studie-2019-was-die-deutschewirtschaft-durch-mittelmaessige-schulische-leis tungen-verliert/ 25290390.html, 19.12.2020 Buytendijk, F. (1933): Wesen und Sinn des Spiels. Das Spielen des Menschen und der Tiere als Erscheinungsform der Lebenstriebe. Wolff, Berlin Fischer, K. (2015): Kinderspiel als Selbst- und Welterfahrung. motorik 38 (3), 122-133, https: / / doi. org/ 10.2378/ mot2015.art20d Fröbel, F. (1826): Die Menschenerziehung. Die Erziehungs-, Unterrichts- und Lehrkunst, angestrebt in der Allgemeinen Deutschen Erziehungsanstalt zu Keilhau. Band 1, Keilhau Huizinga, J. (1938): Homo Ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelementes der Kultur. Akademische Verlagsanstalt Pantheon, Basel Hüther, G. (2015): Damit es keinen Verlierer gibt: Plädoyer fürs Spielen. Humane Wirtschaft 46 (03), 4-6 Hüther, G. (2008): Deutsche Kinderhilfswerk im Interview mit Prof. Dr. Gerald Hüther. In: https: / / www. dkhw.de/ schwerpunkte/ spiel-und-bewegung/ jubilaeum-buendnis-recht-auf-spiel/ , 08.01.2021 Keßel, P. (2014): Prinzipien psychomotorischer Entwicklungsförderung. Überlegungen für die fachschulische Erzieherausbildung. motorik 37 (1), 23- 27, https: / / doi.org/ 10.2378/ mot2014.art05d Koch, C. (2007): Im Buggy zum Sprachkurs. In: Der Spiegel (19), 162, https: / / www.spiegel.de/ spiegel/ print/ d-51449049.html, 19.12.2020 Krenz, A. (2010): Das Spiel ist der Beruf jedes Kindes! Das kindliche Spiel als Selbsterfahrungsfeld und Bildungsmittelpunkt für Kinder. In: https: / / www. kindergartenpaedagogik.de/ fachartikel/ freispielspiele/ 2100, 21.12.2020 MBWK- - Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern (2011): Bildungskonzeption für 0bis 10-jährige Kinder in Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin Mogel, H. (2008): Psychologie des Kinderspiels. Von den frühsten Spielen bis zum Computerspiel. Springer Medizin Verlag, Heidelberg, https: / / doi. org/ 10.1007/ 978-3-540-46644-4 Portmann, A. (1976): Das Spiel als gestaltete Zeit. In: Bayerische Akademie der Schönen Künste (Hrsg.): Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt. Akademieverlag, München Schiller, F. (1793): Theoretische Schriften. Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, 1793-1794, 15. Brief STMAS, IFP- - Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialverordnung, Familie und Frauen, Staatsinstitut für Frühpädagogik (2016): Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Cornelsen, Berlin Voss, A. (2019): Bewegungskindheit? Gesellschaftliche Veränderungen und deren Auswirkungen auf kindliches Bewegungsverhalten. motorik 42 (3), 131-137, https: / / doi.org/ 10.2378/ mot2019.art22d Zimmer, R. (2010): Ihr müsst die Pfützen schützen. Vortrag 11. November 2010, Regionales Pädagogisches Zentrum, Aurich Die Autorin Dr. Nicola Böcker-Giannini Geschäftsführerin Giocando UG (haftungsbeschränkt), Expertin für frühkindliche Bildung, Trainerin, Coach, Psychomotorikerin, Achtsamkeitstrainerin, Stressmanagementtrainerin Anschrift Giocando UG (haftungsbeschränkt) Luisenweg 12 D-13407 Berlin www.giocando.de boecker@giocando.de