motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2021.art36d
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2021
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Praxisimpuls: Kulturelle Vielfalt und interkulturelle Bewegungserziehung am Beispiel »Maskenspiel der Kulturen«
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Yoon Sun Huh
Das Maskenphänomen gibt es in fast allen Kulturen. Anfangs haben die Urmenschen Masken als Tarnung getragen, um sich Beutetieren bei der Jagd unbemerkt annähern zu können. Im Laufe der Zeit fanden »symbolische« Umformungen des Verwendungszwecks statt: Masken fanden Eingang in kulturelle Handlungen, Tanz, Feierlichkeiten, Zeremonien (z.B. zur Vertreibung des Winters und seiner Geister). Grundanlässe des Maskenspiels scheinen über die Kulturen hinweg allerdings ähnlich, vielleicht universell zu sein. Dargestellt werden in der Regel emotional geprägte menschliche Grundproblematiken und Themen wie »Macht und Ohnmacht«, »Angst und Mut«, »Freude und Trauer«, »Liebe und Hass«, »Gut und Böse«, »Selbstvertrauen und Kraft« (Schädler 1999, 280). In Korea wurden zahlreiche Maskenspiele überliefert. Sie bestehen aus den Elementen: Verkleidung, gespielte Geschichte, Musik und Tanz. Die Masken werden in Korea mit dem Wort »Tal« bezeichnet, was »falsches Gesicht« bedeutet. Wesentliche Themen waren und sind rituelle Tänze, aber auch satirische Kritik an der herrschenden Oberschicht und an religiösen Führern. Auch heutzutage handelt es sich bei diesem Maskenspiel/-tanz nicht nur um Schauspielvorstellungen oder Tanzaufführungen, sondern es wird vielmehr z.T. auf spielerische Weise auf aktuelle soziale Themen Bezug genommen (Choi 1988, 6ff). Auch in Europa sind verschiedene Maskenkulturen zu finden, z.B. beim Fastnachtsfest und zu Winterbeginn. Die Menschen tragen Schreckensmasken, z.B. von Dämonen, Teufeln und Hexen oder sonstigen Lebe- oder Phantasiewesen sowie Tiermasken, z.B. von Eseln, Hasen, Fledermäusen und vielen anderen Tieren. Ursprünglich standen die in der Fastnacht auftretenden Tiere nach dem Deutungsschema christlicher Allegorie für ein bestimmtes Laster (Metzger 2000).
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[ 190 ] 4 | 2021 Impulse für die Praxis Kulturelle Vielfalt und interkulturelle Bewegungserziehung am Beispiel »Maskenspiel der Kulturen« Das Maskenphänomen gibt es in fast allen Kulturen. Anfangs haben die Urmenschen Masken als Tarnung getragen, um sich Beutetieren bei der Jagd unbemerkt annähern zu können. Im Laufe der Zeit fanden »symbolische« Umformungen des Verwendungszwecks statt: Masken fanden Eingang in kulturelle Handlungen, Tanz, Feierlichkeiten, Zeremonien (z. B. zur Vertreibung des Winters und seiner Geister). Grundanlässe des Maskenspiels scheinen über die Kulturen hinweg allerdings ähnlich, vielleicht universell zu sein. Dargestellt werden in der Regel emotional geprägte menschliche Grundproblematiken und Themen wie »Macht und Ohnmacht«, »Angst und Mut«, »Freude und Trauer«, »Liebe und Hass«, »Gut und Böse«, »Selbstvertrauen und Kraft« (Schädler 1999, 280). In Korea wurden zahlreiche Maskenspiele überliefert. Sie bestehen aus den Elementen: Verkleidung, gespielte Geschichte, Musik und Tanz. Die Masken werden in Korea mit dem Wort »Tal« bezeichnet, was »falsches Gesicht« bedeutet. Wesentliche Themen waren und sind rituelle Tänze, aber auch satirische Kritik an der herrschenden Oberschicht und an religiösen Führern. Auch heutzutage handelt es sich bei diesem Maskenspiel/ -tanz nicht nur um Schauspielvorstellungen oder Tanzaufführungen, sondern es wird vielmehr z. T. auf spielerische Weise auf aktuelle soziale Themen Bezug genommen (Choi 1988, 6ff ). Auch in Europa sind verschiedene Maskenkulturen zu finden, z. B. beim Fastnachtsfest und zu Winterbeginn. Die Menschen tragen Schreckensmasken, z. B. von Dämonen, Teufeln und Hexen oder sonstigen Lebe- oder Phantasiewesen sowie Tiermasken, z. B. von Eseln, Hasen, Fledermäusen und vielen anderen Tieren. Ursprünglich standen die in der Fastnacht auftretenden Tiere nach dem Deutungsschema christlicher Allegorie für ein bestimmtes Laster (Metzger 2000). Maskenspiel: Schlüpfen in Rollen, ästhetisches Erleben, Bildung von Identität Die Thematik »Maskenspiel/ -tanz« birgt eine Reihe psychomotorisch und interkulturell bedeutsamer Entwicklungs- und Lernpotenziale. Sie ermöglicht identitätsförderndes, handelndes und interaktives Gestalten, bietet Erfahrungen im Darstellen und symbolischen Handeln, in der Anerkennung kultureller Unterschiede, aber auch übergreifender humaner Werte. Bedeutsames Element im Vermittlungsprozess ist- - über das reine Bewegen und praktische Tun in Verbindung mit Erleben hinaus-- auch das »Philosophieren« mit Kindern (Matthews 1993) im Hinblick auf Masken, Verkleidung sowie die Kultivierung von Emotionen im sozialen und interkulturellen Kontext (Huh 2010, 306ff ). Ein Vermittlungsbeispiel als Anregung zum weiteren und veränderten Ausgestalten Die folgenden Darstellungen zum Maskenspiel/ -tanz sind aus der praktischen Arbeit mit Schulkindern im Alter von 8-9 Jahren hervorgegangen. Die inhaltlichen Anregungen im Rahmen der dreiteiligen Struktur des Praxisbeispiels sind mit eigener Fantasie von anwendenden Fachkräften und unter Einbezug von Ideen von Kindern oder Eltern leicht zu modifizieren (detaillierte Darstellung dieses Modells: Huh 2010, 329ff ). A) Einstimmung-- Maskenherstellung-- freie Bewegungsgestaltung Zum Unterricht in der 3. Klasse ist eine Gastlehrerin aus Korea hinzugekommen. Diese hat eine Holzmaske aus ihrer Heimat (Abb. 1) sowie Bilder von weiteren Masken aus unterschiedlichen Kulturen mitgebracht (Abb. 2). Abb. 1-2: Maskenphänomene der Kulturen (Fotos: Yoon-Sun Huh) [ 191 ] Richard-Elsner • Aktuelles Stichwort: Aktionsraumqualität 4 | 2021 [ 191 ] Impulse für die Praxis 4 | 2021 Der Gast fragt die Kinder, was diese beim Betrachten der verschiedenen Masken empfinden (Fremdheit, Freude, Angst, Neugier etc.). Anschließend bittet sie darum, von eigenen Erfahrungen mit Masken aus ihrem Leben zu erzählen. So erzählten sie von Masken aus nahen und fernen Ländern, aus vergangenen Zeiten und aus der Gegenwart: Tiermasken, Masken aus Afrika, Pharaonenmasken, weiße Masken aus Japan, kunstvolle venezianische Masken und Faschingsmasken als Hexen oder Dämonen zu Halloween und Clownsmasken. Die Gastlehrerin berichtet, dass die mitgebrachte Maske in ihrem Herkunftsland zu Erntedankfesten- - ähnlich dem ursprünglichen Halloween- - bei Tanzspielen benutzt wird. Die Kinder basteln nun eigene Masken ihrer Fantasien: bunte, fröhliche, majestätische, Angst einflößende und Ängstlichkeit ausdrückende Masken. Ausgangsmaterial ist eine Halbkugel aus Pappmaché, gewonnen durch das Bekleben eines aufgeblasenen Luftballons mit in Leim getauchten Papierstreifen. Diese werden nun bemalt und bekommen dadurch ihren Charakter. Mit dem Öffnen von Augen, Nase und Mund sowie dem in seitlichen Löchern angeknoteten Halteband wird die Maskenherstellung beendet. Die Wirkung der Masken wird an Ort und Stelle gleich mit der NachbarIn ausprobiert. Unter den Masken verlassen Kinder sodann ihre Plätze, suchen neue MitspielerInnen auf und testen auch dort ihre Arbeit aus (Abb. 3-4): etwas zum Thema »Drohen« durch Vorstrecken des Gesichts und Stampfen mit den Füßen, »Freude« wird durch hüpfende, springende Bewegungen zum Ausdruck gebracht. B) Begegnung mit dem Fremden In einem zweiten Schritt möchte der Gast den Kindern »ihren« Maskentanz vorführen und diesen anschließend mit ihnen gemeinsam tanzen. Zuvor nimmt sie eines noch vorweg: der Tanz birgt eine Darstellungsform von »Freude«, die der zuvor von den Kindern dargestellten Ausdrucksform wohl ähnlich, aber doch ein wenig anders ist. Sie deutet durch kurzes Anheben der Schultern (ohne Arme) eine verkürzte Bewegung an: Bei ihr zu Hause, wie in Asien insgesamt, habe es eine Tradition, Gefühle nicht so offen zu zeigen, sie im Ausdruck zu kontrollieren, vielleicht bewusster mit Gefühlen umzugehen. Sie stimmt nun die Kinder auf den Grundrhythmus des Tanzes ein (Dong Dók Dong Dók Kung), den diese mitklatschen und -trommeln, setzt die Maske auf, und tanzt-- zunächst allein, dann mit den Kindern-- den koreanischen Maskentanz. Auch die Jungen, ansonsten eher Ballspielfans, sind »voll bei der Sache«, klatschen, trommeln, tanzen mit. C) Kulturverstehende und -schöpferische Akte In einem dritten Schritt reflektieren die Kinder den Tanz, die Ausdrucksweise sowie deren Bedeutung. Es werden auch kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten gesucht: Die Ausdrucksform beim koreanischen Maskentanz scheint den Kindern, mit den zuvor bei sich herausgearbeiteten Bewegungstypen ähnlich und doch ein wenig anders zu sein. Es schließt sich eine Übertragung des inszenierten Gegenstands ins Alltagsleben an: Wie sieht das mit Gefühlen wie Furcht, Angst, Wut, Trauer aus? Wo kommen diese her, wie geht man mit ihnen um? Ist das auch auf Umgangsweisen und Probleme von Menschen untereinander fremder Herkunft zu beziehen? Wie können wir wertschätzend friedvoll zusammenleben und lernen? Bewegungsspiele anderer Kulturen müssen nicht nur von der Lehrperson in den Vermittlungsprozess eingebracht werden. Die Kinder oder ihre Eltern können in die interkulturelle Spielerziehung mit einbezogen werden. Sie verfügen über originäre Erfahrungen aus ihrer kulturellen Herkunft. Literatur Choi, W.-I. (1988): Our life, our play. Korean Tradition Folk Culture. Dank-Kook University Verlag, Seoul Korea Huh, Y.-S. (2010): Interkulturelle Bewegungs- und Sporterziehung. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler Matthews, G. B. (1993): Philosophische Gespräche mit Kindern. 2. Aufl. Fresse, Berlin Metzger, W. (2000): Masken an Fastnacht, Fasching und Karneval. In: Schäffer, A., Wimmer, M. (Hrsg.): Masken und Maskierungen. Springer, Wiesbaden, 109-136, https: / / doi. org/ 10.1007/ 978-3-663-10752-1_6 Schädler, K.-F. (1999): Masken der Welt. Heyne, München. DOI 10.2378 / mot2021.art36d Kontakt Yoon-Sun Huh yoonsun.huh@tu-dortmund.de Abb. 3-4: Freie Bewegungsgestaltung mit Masken
