eJournals Motorik 45/2

Motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2022
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Forum Psychomotorik: Erlebnisorientierte und wertschätzende Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen im Wasser

41
2022
Roman Mayr
Das Medium Wasser hat in der Betreuung mit schwerstbetroffenen Menschen einen bedeutenden Stellenwert gefunden. Die Ausführungen in diesem Beitrag möchten einige Aspekte der Begleitung von Menschen mit schwersten Behinderungen im und am Wasser beleuchten. Dabei stehen neben Beispielen der konkreten Umsetzung besonders Notwendigkeiten und konkrete Beispiele zu einem würdevollen und angemessenen Umgang im Mittelpunkt.
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Zusammenfassung / Abstract Das Medium Wasser hat in der Betreuung mit schwerstbetroffenen Menschen einen bedeutenden Stellenwert gefunden. Die Ausführungen in diesem Beitrag möchten einige Aspekte der Begleitung von Menschen mit schwersten Behinderungen im und am Wasser beleuchten. Dabei stehen neben Beispielen der konkreten Umsetzung besonders Notwendigkeiten und konkrete Beispiele zu einem würdevollen und angemessenen Umgang im Mittelpunkt. Schlüsselbegriffe: Menschen mit schwersten Behinderungen, Schwimmbad, Psychomotorik im Wasser, partnerschaftliche Interaktion Experience-oriented and appreciative accompaniment of people with severe disabilities in the water The medium of water has found a significant place in the care with severely affected people. The explanations in this article would like to illuminate some aspects of the accompaniment of people with the most severe disabilities in and around water. In addition to examples of concrete implementation, the focus is particularly on necessities and concrete examples of dignified and appropriate handling. Key words: People with severe handicaps, swimming pool, designing and implementation of offers in the water, psychomotricity in water, interaction in partnership, examples [ 84 ] [ FORUM PSYCHOMOTORIK ] 2 | 2022 motorik, 45. Jg., 84-90, DOI 10.2378 / mot2022.art16d © Ernst Reinhardt Verlag Erlebnisorientierte und wertschätzende Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen im Wasser Roman Mayr Um die vielfältigen Möglichkeiten zu erfassen, welche das Medium Wasser für die Arbeit mit schwerbetroffenen Menschen bieten kann, ist es sinnvoll, die besonderen Bedingungen zu betrachten, die bei einem Aufenthalt im Wasser vorliegen. Diese ergeben sich letztlich aus den physikalischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten, denen Körper im Wasser unterliegen- - und deren Auswirkungen auf die Physiologie des Menschen (Abb.-1 und 2). Dies ist vielfach aufgelistet und beschrieben worden- - es sei in dem gegebenen Rahmen hier auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen (Cherek 1981/ 1998; Gillmann 1981; Innenmoser 1988; Mayr 1998/ 2000; McMillan 1978; Wilke 1981). Der Aufenthalt im Wasser-- ein Erlebnis Vielen der Menschen mit schwersten Behinderungen bleiben in ihrem Alltag für uns oft ganz banale Erlebnisse, Eindrücke verschlossen. Immer wieder sind sie nur selten oder mit viel Aufwand erlebbar. So wird z. B. für viele Personen im Rollstuhl das Erleben von engem Körperkontakt mit vielen anderen Menschen ein eher seltenes Erlebnis sein. Auch das Spüren von Regen auf der Haut oder das Erleben von Wellen kann ein seltenes Ereignis darstellen. Im Wasser ist es ohne großen Aufwand möglich, solche Erlebnisse zumindest in Teilen ihrer Dimensionen anzubieten. Diese beispielhaft angeführten Situationen verweisen auf eine Beteiligung der ganzen Persönlichkeit, die weit über die reine Körperlichkeit und physiologische Funktionen hinausgeht. Durch den Aufenthalt im Wasser können sich Erlebnisse und Eindrücke ergeben, die unterschiedliche Persönlichkeitsbereiche berühren. So kann z. B. für Menschen, die einen großen [ 85 ] Mayr • Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen im Wasser 2 | 2022 und um das Wasser (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung 2010). In der Begleitung von Menschen mit schwersten Behinderungen ist eine zentrale Aufgabe, die Begegnung mit der Welt so zu gestalten und zu bereiten, dass sie in der jeweiligen ganz persönlichen Befindlichkeit erlebt werden kann, der betroffene Mensch nach seinen persönlichen Möglichkeiten an der Welt teilhaben kann und eine Auseinandersetzung mit der Welt entsprechend den individuellen Möglichkeiten und Bedingungen ermöglicht wird (Pfeffer 1988, 19f ). Demzufolge müssen Angebote und Situationen um das Medium Wasser so gestaltet werden, dass sie von den betroffenen Menschen in den jeweiligen individuellen Befindlichkeiten und Möglichkeiten angenommen und verarbeitet werden können. Die Ermöglichung einer selbstbestimmenden, aktiven Teilhabe an den Angeboten ist anzustreben. Es ist zu vermeiden, dass die beteiligten Personen überfordert werden oder die Angebote an den Menschen »vorbeigehen«. Gelingt dies nicht, besteht die Gefahr, dass Unbehagen bis hin zu existenzieller Angst entsteht. Be-Handeln anstelle von ge- Abb.-1- - - - - - Der- menschliche- Körper-im- Wasser- Temperaturverhalten Höhere Wärmeleitfähigkeit  Beeinflussung von Herz-, Kreislaufverhalten  Mögliches Auskühlen - Beeinflussung der Befindlichkeit  Beeinflussung des Muskeltonus  Warmes Wasser - Erweiterte Möglichkeiten therapeutischer Angebote  … Druck Auswirkungen  Beeinflussung von Herz- Kreislaufverhalten  Veränderung des Herzschlagvolumens  Auch: Mögliche Gefährdung  Notwendig: Informationen über Personen im Wasser  Ausbildung Personal  Sicherheitsmaßnahmen  … Wasser bietet Widerstand  Abhängig von der Bewegungsrichtung: Erleichterung, Erschwerung von Bewegungen  Beeinflussung des Kreislaufverhaltens  Mögliche Gefährdung  Strömungen, Turbulenzen: Beeinflussung der Körperwahrnehmung  … Auftrieb erleichtert/ ermöglicht (Beispiel)  Verringerung des Gewichts  Entlastung von Stütz- und Bewegungsapparat  Einnehmen von Haltungen / Positionen  Kopf-, Rumpfkontrolle  Bewegungserleben bei eigener Aktivität  Handling  … Abb.1: Der menschliche Körper im Wasser Teil ihres Alltags im Sitzen oder Liegen verbringen, das Einnehmen der »Vertikalen« neben therapeutischen Möglichkeiten auch eine völlig veränderte Teilhabe an der Umwelt ermöglichen, neue Erfahrungen, veränderte Möglichkeiten der Kommunikation und Interaktion, welche die gesamte psychisch-emotionale Befindlichkeit betreffen können. Individuell ausgerichtete, erlebnisorientierte Angebote Vor dem geschilderten Hintergrund und aus der besonderen Befindlichkeit von Menschen mit schwersten mehrfachen Behinderungen ergibt sich basales, voraussetzungsfreies Erleben als Grundlage für die Betreuung und Förderung im Wasser. Gelingt es, durch und mit Erlebnissen die Welt in positiver Weise schwerstbetroffenen Menschen näher zu bringen, so kann deren Sinngestaltung, deren Grundbefindlichkeit in der Welt noch vor jedem bewussten Reflektieren ebenfalls positiv beeinflusst werden. Gelingt dies hingegen nicht, werden andere, z. B. therapeutische, pädagogische Angebote der Grundlage entbehren. Individuelles Erleben, erlebnisorientierte Gestaltung sind somit Grundlage für ganz unterschiedliche Ansätze zur Förderung, Unterstützung und Betreuung im Wasser. An den individuellen Bedürfnissen orientiert und an den konkreten Bedingungen sowie an den Erfordernissen des Alltags ausgerichtet, erweitern bewährte Ansätze die Möglichkeiten der Förderung und Betreuung im Wasser. Abbildung 3 verweist beispielhaft auf pädagogische und therapeutische Ansätze, die die Begleitung im Wasser erweitern und ergänzen können. Einseitige Beschränkungen der Angebote auf nur eine Blickrichtung wird den betreuten Personen und deren Bedürfnissen nicht gerecht. Um einem ganzheitlichen Anspruch in der Arbeit im Wasser gerecht zu werden, ist enger interdisziplinärer Austausch notwendig. Die Würde des Menschen ist unantastbar Aus Artikel 1 des Grundgesetzes ergibt sich die Leitmaxime für die Betreuung und Begleitung von Menschen mit Behinderungen- - auch im [ 86 ] 2 | 2022 Forum Psychomotorik meinsamem, interaktivem Handeln und Erleben ist die Folge. Daraus ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen für die konkrete Arbeit im Wasser, die in diesem Rahmen nur angedeutet werden können. Methodische Gestaltung der Angebote im und am Wasser Von vielen Menschen mit schwersten Behinderungen kann eine bewusste, reflektierende Auseinandersetzung mit Situationen und Angeboten nicht vorausgesetzt werden (Pfeffer 1988, 7f ). Es kann ebenso wenig vorausgesetzt werden, dass diese Menschen die Situationen, die ihnen angeboten werden, überschauen und einordnen können. Damit die Angebote im Umfeld des Mediums Wasser von den betreuten Personen auch adäquat und in positiver Weise erlebt und erfahren werden können, ist bei der Gestaltung eine Orientierung an den individuellen Befindlichkeiten notwendig. Situationen sind in dem Maße zu gestalten, dass sie von den betroffenen Menschen verarbeitet werden können. Zu viele unterschiedliche Elemente können die Begegnung und Auseinandersetzung mit den Angeboten ungünstig beeinflussen. Hier hat sich eine Reduzierung, Vereinfachung der Situationen, ein bewusstes Gestalten von Angeboten bewährt. Dies soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden: Material/ Medien: Die Angebote müssen auf einfache, klare Reize reduziert werden, um Reizüberflutung zu vermeiden. Gleiches gilt für Dauerberieselung mit Musik. Die akustisch völlig andere Situation in einer Schwimmhalle ist generell zu beachten. Strukturierte, ritualisierte Abläufe: Wie in anderen pädagogischen Bereichen, so sind auch im und um das Wasser strukturierte und ritualisierte Abläufe und Redewendungen eine unverzichtbare Voraussetzung. Solche immer wiederkehrenden, immer gleich ablaufenden Situationen bieten die Chance, sich nach den individuellen Möglichkeiten auf diese Situationen einzustellen und so letztlich auch daran teilhaben zu können. Dies gilt in gleichem Maße für individuelle Angebote wie auch für Angebote in der Gruppe. Gleichberechtigte Kommunikation, Interaktion: Auch in der Betreuung im Wasser sind eine gleichberechtigte, emanzipierte Kommunikation und Interaktion zwischen den betreuten Personen und den Begleiterinnen und Begleitern unverzichtbar. Daraus ergeben sich für die konkrete Arbeit im Wasser unmittelbare Konsequenzen: Die Planung und Umsetzung von Inhalten und Methoden muss sich an den Menschen mit schwersten Behinderungen orientieren. Letztlich haben betreuende Personen nicht das Recht- - seien die Motive noch so ehrenwert- -, die betroffenen Partnerinnen und Partner zu etwas zu zwingen, wozu sie nicht ihr Einverständnis geben. Die Signale der betreuten Menschen sind unbedingt zu beachten (z. B. Lautäußerungen, Atemfrequenz, Tonusveränderungen). Von den Begleiterinnen und Begleitern erfordert dies ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Teilnahme, damit die schwierige Ba- Abb.-2- - - - - - Der-menschliche- Körper-im- Wasser- Auswirkungen in der Umsetzung im Wasser:  Physiologische Befindlichkeiten  Psycho-emotionale Befindlichkeiten  Erweiterte therapeutische, pädagogische Möglichkeiten  Erleben von Haltungen, Positionen  Bewegungserleben  Erleben von Eigenaktivität  Unmittelbarer Körperkontakt  Soziales Erleben  ... Abb.-2: Mögliche Auswirkungen in der Praxis Abb.-2: - - - Pädagogische Ansätze  Basale Stimulation  Leibhaftes Lernen  Snoezelen  Psychomotorik  Unterstützende Kommunikation  ... Medizinischtherapeutische Ansätze  Physiotherapie  Ergotherapie  Sensorische Integration  Rehabilitationstherapien  Halliwick-Methode  ... Individuell ausgerichtete, erlebnisorientierte Förderung und Betreuung im Wasser Abb.-3: Bewährte Ansätze erweitern die individuelle Begleitung im Wasser [ 87 ] Mayr • Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen im Wasser 2 | 2022 [ 87 ] Mayr • Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen im Wasser 2 | 2022 lance zwischen notwendiger Aktivierung und Zwang gelingt. Ein ständiges Ausgerichtet-Sein auf Partnerin oder Partner ist notwendig, um die evtl. feinen sensiblen Signale und Zeichen aufnehmen und darauf reagieren zu können. Ermöglichung von aktiver Teilhabe Die Beachtung der Persönlichkeiten der betreuten Partnerinnen und Partner zeigt sich im Besonderen in der Art und Weise des zwischenmenschlichen Umgangs: Die Art und Weise des Duschens oder der Umgang mit »Macht« seien nur als Beispiele erwähnt. Hier zeigt sich die gleichberechtigte und sensible Interaktion und Kommunikation als unersetzlich. Daneben beinhaltet der Begriff Handling in diesem Kontext auch eine eher technische Dimension des Haltens im Wasser. Neben fachlich korrektem Halten steht im Hintergrund das Bemühen, im und am Wasser die Unterstützung zu geben, die notwendig ist, aber der Partnerin bzw. dem Partner auch die Freiheit zu eigener Aktivität zu lassen: Wird ein schwerstbetroffener Mensch immer in engem Halt mit der betreuenden Person im Wasser gehalten, so erhält er nicht die Gelegenheit, vielleicht auch nur für kurze Zeit, z. B. den Kopf selbst zu halten und somit in ganz anderem Maße eigenaktiv zu sein. Auch beim Umkleiden und Duschen ergeben sich viele Situationen und Notwendigkeiten für eigene Aktivität und aktive Teilhabe: Anheben der Schulter, Teilbewegungen beim Drehen auf der Liege, Creme auftragen (Abb.-4) usw. Abb.-4: Ich kann helfen, Creme aufzutragen. Um diesen Ansprüchen zu genügen, haben sich eine ganze Reihe von Techniken und Vorgehensweisen bewährt. Orientierung an der individuellen Befindlichkeit: In der Praxis erweisen sich die Befindlichkeiten der angesprochenen Menschen als wenig konstant. Bedingt durch gesundheitliche, körperliche und andere, immer wieder wechselnde individuelle Gegebenheiten, erweist sich eine große Flexibilität durch die Begleiterinnen und Begleiter als notwendig, um den betroffenen Personen gerecht zu werden. Besonders zu beachten sind in diesem Zusammenhang die häufig wechselnde körperliche Belastbarkeit (z. B. Kreislaufverhalten, Schmerzen, Frieren) und eine immer wieder wenig konstante psychischemotionale Befindlichkeit. Einbindung in den Alltag der betreuten Personen: Die Betreuung von Angeboten im Wasser geschieht nicht losgelöst vom Lebensalltag von Menschen mit schwersten Behinderungen. So wird das Geschehen rund um das Medium Wasser von der allgemeinen Lebenssituation der betroffenen Menschen ebenso beeinflusst wie von momentanen Befindlichkeiten. Neben diesen eher allgemeinen Bedingungen des Lebensalltags zeigen aber auch ganz konkrete Umstände Einfluss auf die Angebote um das Arbeitsfeld Wasser. Medizinische Vorgaben, pädagogische und therapeutische Absprachen haben im Arbeitsfeld des Wassers genauso ihre Gültigkeit wie Förderabsprachen, Förderpläne usw. Alltägliche Abläufe und gewohnte Rituale können ihren Niederschlag in den Abläufen um die Arbeit im Wasser ebenso finden wie auch besondere, hervorgehobene Situationen im Jahreskreis. Zur praktischen Umsetzung von Angeboten Im Weiteren sollen nun Hinweise, Erfahrungen und Möglichkeiten zur Umsetzung und Gestaltung von konkreten Angeboten um das Medium Wasser dargestellt werden. Es kann hier nur angedeutet werden, wie Ideen gesammelt, Anregungen für konkrete Angebote im und am Wasser aufgegriffen und adaptiert werden können. Dies kann hier natürlich nur als Anregung verstanden werden, um zu zeigen, wie Angebotsformen entstehen können- - ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit. [ 88 ] 2 | 2022 Forum Psychomotorik Aktionen zu Alltagssituationen und vertrauten Themenbereichen Aus vielen Situationen des Alltagslebens lassen sich Anregungen zu Angeboten im Wasser herleiten. So lässt sich z. B. die morgendliche Wäsche oder die Busfahrt im Schwimmbecken neu erleben. Vertraute Bereiche aus dem Alltagsleben lassen sich als Basis für Angebote im Wasser integrieren: ■ Waschmaschine (Mayr 1998); ■ Garten, Natur (Gießen, Blumen sind klein, sie wachsen usw.); ■ Wetter (der Wind weht leicht- - es stürmt, es regnet ganz leicht-- ein Wolkenbruch usw.); ■ Besuch auf dem Fußballplatz (McMillan 1978) (Gedränge beim Stadiontor; Jubel usw.); ■ Südseereise (Abb.-5). Einsatz von Musik Wie in anderen Bereichen der Betreuung von Menschen mit schwersten Behinderungen kommt dem Einsatz von Musik auch im und am Wasser ein großer Stellenwert zu. Ohne großen Aufwand kann sie einen wichtigen Beitrag zur Erlebnisqualität von Angeboten leisten; Voraussetzung ist dabei ein sach- und fachgerechter Einsatz. Ein automatisierter Einsatz von Musik zur permanenten Hintergrunduntermalung erscheint wenig zweckmäßig. Eine wichtige Möglichkeit der möglichen Angebotsformen im / am Wasser nehmen Lieder, Tänze ein. Dabei haben sich Bewegungslieder ebenso bewährt wie Lieder zu bestimmten Anlässen (z. B. Begrüßungslied). Bei entsprechendem Handling lässt sich Bewegung und Bewegtwerden zu Musik im Wasser ohne großen Aufwand gestalten-- vom einfachen Bewegen zu Musik bis hin zu aufwendigerer Erarbeitung von choreografierten Tanzformen. Feste, Feiern Feste haben einen wichtigen Platz im menschlichen Miteinander. Die Forderung nach erlebnishafter Gestaltung der Angebote am / im Wasser drängt förmlich danach, auch im Schwimmbad Feste und Feiern zu gestalten. Dies kann eine Geburtstagsfeier im Wasser sein (Abb.- 6) (Teelichter auf einem Schwimmbrett, Getränke, Lieder), eine Party mit »Bar« oder eine Disco-Veranstaltung. Auch die Feiern des Jahreskreises lassen sich im Wasser begehen: Martinszug (Teelichter in Plastikbechern auf Schwimmbrettern), Adventsfeier (der Adventskranz schwimmt mit-- auf Reifen und Schwimmbrett), Kleiderschwimmen im Karneval, »Oktoberfest« (Ausgestaltung in unterschiedlicher Form- - vom Begleiten mit Musik, Singen von Liedern, Schunkeln bis zum Angebot von Getränken im Pappbecher; Keinesfalls: Glas in der Schwimmhalle). Bei all diesen Anlässen muss neben den Befindlichkeiten der betreuten Personen natürlich auf örtliche Gegebenheiten und auf die Einrichtungen (Wasserqualität, Verhindern von Verunreinigungen) größte Rücksicht genommen werden. Angebote an unterschiedlichen Orten im Bereich einer Schwimmhalle Der Besuch und der Aufenthalt im Bereich eines Schwimmbades beinhaltet eine Fülle von Möglichkeiten, die weit über den reinen Aufenthalt im Schwimmbecken selbst hinausgehen. Angebote in Umkleideräumen und Dusche: Die Situationen in Dusche und Umkleide sind von besonderer Bedeutung für das gesamte Erleben der Angebote im Wasser. Ist das Umkleiden von Stress und Hektik geprägt, wird durch unsensibles, nicht fachgerechtes Duschen Angst, Erschrecken und Unwohlsein hervorgerufen, so hat dies unweigerlich Auswirkungen auf alle weiteren und zukünftigen Angebote. Zugleich beinhalten diese Situationen eine Viel- Abb.-4- - - - - - Südseereise  »Anreise im Flugzeug«: »Schlange« zu passender Musik  »Übersetzen auf eine Insel«: Lagerungen auf Matten - passende Musik (»Yellow Submarine«) - Überfahrt mit Schaukeln, Schwanken usw.  Begrüßung auf der Insel: Begrüßungslied, »Südseemusik«  »Brandungssurfen«: Lagerungen auf Noodles, Matten - starke Bewegungen (»Surfin’ USA«)  »Gleiten über das endlose Meer«: Ganz ruhiges Bewegen im Wasser - ruhige Musik (»Albatros«, »Watermark«)  »Abend in der Inselhütte«: Abgespanntes Schwungtuch, leichte »Windbewegungen« des Tuchs, Getränke, Musik Abb.-5: Südseereise [ 89 ] Mayr • Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen im Wasser 2 | 2022 [ 89 ] Mayr • Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen im Wasser 2 | 2022 zahl von Möglichkeiten, die für die Betreuung von Menschen mit schwersten Behinderungen genützt werden können: ■ Selbständigkeit (z. B. aktive Partizipation auch in Teilbereichen beim An-/ Auskleiden oder Waschen); ■ körperorientierte Angebote (»basale« Angebote, Körperwahrnehmung); ■ »Förderpflege«; ■ Kommunikation. Gelingt es den Begleiterinnen und Begleitern, sich auf diese Möglichkeiten »einzulassen«, können die ohne Zweifel anstrengenden und belastenden Situationen auch als eine Chance und Bereicherung empfunden werden. Weiter können besonders die Duschräume für eigenständige Angebote genutzt werden, welche die Angebote im Wasser ergänzen und bereichern können, z. B. durch: Massagen (Abb.- 7), das »Duschen unter dem Regenschirm« oder den Einsatz von farbigen Seifen. Angebote in der Schwimmhalle: Auch die Schwimmhalle selbst bietet sich als Raum für Angebote an. Ein Kennenlernen und Erfahren der Schwimmhalle, ihrer Einrichtung und Örtlichkeiten kann zu einer zunehmenden Vertrautheit beitragen. In vielen Schwimmbädern / Erlebnisbädern ist es eine Selbstverständlichkeit, sich neben dem Aufenthalt im Wasser in der Schwimmhalle auszuruhen, sich zu entspannen und »Wellness-Angebote« zu genießen. Es liegt nahe, diese Möglichkeiten auch in die Betreuung schwerstbetroffener Menschen am / im Wasser einzubeziehen, zumal es in der Regel in Einrichtungen und Zuhause wenig Räume geben dürfte, die ähnliche Temperaturen aufweisen. Vorbereitung und Nachklang Vorbereitung von Angeboten bereits im Vorfeld: Um Menschen mit schwersten Behinderungen ein Einordnen, positives Erwarten zu ermöglichen, haben sich vorbereitende Angebote bewährt (regelmäßiges, gemeinsames Herrichten der Badekleidung, Fühlen, Riechen an Handtüchern, Duschmitteln, ein immer gleicher Weg zur Schwimmhalle usw.). Angebote zum Ausklingen: Um für die Situationen im Kontext des Mediums Wasser ein positives Gesamterleben zu erreichen und somit auch Bereitschaft für kommende Angebote zu erwecken, stellen »abrundende«, abschließende Angebote nach den eigentlichen Einheiten in Schwimmhalle und Dusche eine bewährte Form dar, z. B. eine gemeinsame Ruhephase für betreute Personen wie für Begleiterinnen und Begleiter oder gemeinsames Tee-/ Kaffeetrinken nach dem Ankleiden. Duschen: Unvorbereitetes Konfrontieren der behinderten Partnerinnen und Partner mit einem scharfen, nicht adäquat temperierten Duschstrahl kann Erschrecken bis hin zu Panik ähnlichen Zuständen führen; ein Annehmen weiterer Angebote ist u. U. bereits hier gefährdet. Wird der Duschvorgang vorbereitet, indem z. B. erst vorsichtig mit der Hand begonnen wird und wird auf die Reaktionen eingegangen, wird Abb.-7: Eine Handmassage als ergänzendes Angebot im Duschraum Abb.-6: Geburtstagsfeier im Wasser [ 90 ] 2 | 2022 Forum Psychomotorik es Menschen mit schwersten Behinderungen erleichtert, sich auf die gesamte Situation des Duschens einzustellen. Situationen im Schwimmbecken: Auch hier erfordert die Achtung vor den behinderten Partnerinnen und Partnern, dass einzelne Angebote nicht »überfallartig« durchgeführt werden, sondern durch kleine Gesten, Andeutungen, etc. erlebbar angekündigt werden. Soll z. B. eine Person in die Rückenlage gebracht werden, so ist es nicht angemessen, dies einfach ohne Ankündigung auszuführen. Ein Ankündigen durch vorhergehendes Andeuten, durch vorsichtiges Ändern der Halteposition, Verändern von stützenden Armhaltungen- - in Verbindung von teilnehmender Beobachtung der betreuten Partnerinnen und Partner erleichtert diesen, sich auf Kommendes einzustellen. Sicherheit Die vorausgegangenen Betrachtungen zur Betreuung von Menschen mit schwersten Behinderungen im und am Wasser haben sich dem Gesichtspunkt der Sicherheit und der Gesundheit der anvertrauten Personen unterzuordnen. Diese haben Vorrang vor allen anderen Belangen. So müssen medizinische Belange abgeklärt und Begleiterinnen und Begleiter eingewiesen bzw. ausgebildet sein. Nur so können Gefährdungen vermieden, andererseits aber unnötige Ausschlüsse vermieden werden (z. B. bei Anfallsleiden). Die Aufsicht in Schwimmhalle, Umkleide etc. muss professionell geregelt, Rettungsketten organisiert und abgesprochen sein. Dazu gehört unverzichtbar eine- - auf die situativen Bedingungen abgestimmte- - Qualifizierung des Personals im Bereich der Wasserrettung. Literatur Cherek, R. (1998): Säuglings- und Kleinkinderschwimmen. Verlag modernes lernen, Dortmund Cherek, R. (1981): Babyschwimmen als Entwicklungsanregung bei unbehinderten und behinderten Kindern. motorik 4 (4), 150-159 Gillmann H. (1981): Physikalische Therapie. Sport Thieme, Stuttgart Innenmoser, J. (1988): Schwimmspass für Behinderte. Sport Thieme, Stuttgart Mayr, R. (2000): Erleben, Spüren, Bewegen im Wasser- - Erleben, Erlebnis als Aspekte der Arbeit im / am Wasser. Wendler, M., Irmischer, T., Hammer, R. (Hrsg.): Psychomotorik im Wandel. Verlag Aktionskreis Psychomotorik, Lemgo, 173-179 Mayr, R. (1998): Erleben, Spüren, Bewegen im Wasser. Praxis der Psychomotorik 23 (3), 8 McMillan, J. (1978): The Role of Water in Rehabilitation; Fysioterapeuten 45, 87-90 Pfeffer, W. (1988): Förderung schwer geistig Behinderter. edition bentheim, Würzburg Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (2010) (Hrsg.): Unterricht und Förderung von Schülern mit schwerer und mehrfacher Behinderung, Ernst/ Reinhardt, München / Basel Wilke, K. (1981): Anfängerschwimmen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg Der Autor Roman Mayr Sonderschulkonrektor i. R. Vorstandsmitglied Stiftung Wohnstätten für Menschen mit Behinderung; Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung. Lehraufträge an diversen Hochschulen und Fortbildungen im Bereich Psychomotorik für Menschen mit Behinderungen. Anschrift Oberer Geisberg 2 D-97234 Reichenberg Mayr-ro@web.de