eJournals Motorik 45/2

Motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2022
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Qualifikationsarbeit: Ein Vergleich zweier möglicher Erhebungsverfahren zur Bestimmung des Selbstkonzepts bei Kindern in einem psychomotorischen Setting

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2022
Alina-Sophie Seyer
Ob ein Kind sich als schüchtern, sportlich, zurückhaltend, witzig oder ängstlich ansieht, ist abhängig von dem jeweiligen Selbstkonzept des Kindes. Das Selbstkonzept umfasst alle für das Individuum wichtigen Erfahrungen und Situationen, durch die es im Laufe des Lebens geprägt worden ist. Zentrale Fragestellungen dieser Qualifikationsarbeit sind, wie das Selbstkonzept von Kindern aufgebaut ist und welche Faktoren dieses beeinflussen. Zudem wird herausgestellt, wie das Selbstkonzept von Kindern erfasst werden kann. Dazu werden zwei Erhebungsverfahren miteinander verglichen und hinsichtlich der Anwendung und des Nutzens in einem psychomotorischen Setting überprüft (Tab. 1).
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[ 102 ] 2 | 2022 Aktuelles / Kurz berichtet Ob ein Kind sich als schüchtern, sportlich, zurückhaltend, witzig oder ängstlich ansieht, ist abhängig von dem jeweiligen Selbstkonzept des Kindes. Das Selbstkonzept umfasst alle für das Individuum wichtigen Erfahrungen und Situationen, durch die es im Laufe des Lebens geprägt worden ist. Zentrale Fragestellungen dieser Qualifikationsarbeit sind, wie das Selbstkonzept von Kindern aufgebaut ist und welche Faktoren dieses beeinflussen. Zudem wird herausgestellt, wie das Selbstkonzept von Kindern erfasst werden kann. Dazu werden zwei Erhebungsverfahren miteinander verglichen und hinsichtlich der Anwendung und des Nutzens in einem psychomotorischen Setting überprüft (Tab. 1). Für die Psychomotorik ist das Medium der Bewegung ein zentrales Mittel, um Kinder über Sozial-, Material- und Körpererfahrungen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung bestmöglich zu unterstützen. Die Bewegung wird dabei als eine Ressource angesehen, die auf die Resilienzen des Kindes einwirkt und sie dabei unterstützt, schwierige Situationen aus eigenen Kräften heraus zu bewältigen. Ein Ziel der Psychomotorik ist es, durch Schaffung einer anregenden Umgebung, Kinder in einem von Wertschätzung geprägten Setting in ihrem selbständigen Handeln zu unterstützen, die eigenen Kompetenzen bewusst zu machen, Situationen zu ermöglichen, in denen- Selbstwirksamkeitserfahrungen gesammelt werden können und die Eigenaktivität und Selbständigkeit zu fördern (Zimmer 2019; Fischer 2011; Neubauer 1976). Aufgrund der Komplexität und der noch nicht einheitlich geregelten Definition des Selbstkonzepts existieren diverse Auffassungen dessen (Ruploh et al. 2013). Das Selbstkonzeptmodell von Shavelson et al. (1976) gilt als das am weitesten verbreitete und akzeptierte Modell. Sie gehen von einem allgemeinen Konzept aus, welches sich in das leistungsbezogene und körperliche Selbstkonzept differenziert und sich innerhalb dessen in weitere Dimensionen aufteilt. Ein weiteres Selbstkonzeptmodell haben Eggert, Reichenbach und Bode (2003) aufgestellt. Nach diesem Modell besteht das Selbstkonzept aus der Selbsteinschätzung, dem Körperkonzept, dem Fähigkeitskonzept, der Selbstbewertung und dem Selbstbild. Selbstkonzeptinventar (SKI) nach Eggert, Reichenbach und Bode (2003) Auf Grundlage dieser Auffassung haben Eggert et al. (2003) ein Verfahren entwickelt, welches das Selbstkonzept von Kindern durch ein diagnostisches Inventar mithilfe verschiedener Aufgaben und Interpretationshilfen bestimmt. Das SKI (Selbstkonzeptinventar für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter) von Eggert et al. (2003) wird Qualifikationsarbeit Ein Vergleich zweier möglicher Erhebungsverfahren zur Bestimmung des Selbstkonzepts bei Kindern in einem psychomotorischen Setting aufgrund von verschiedenen Beobachtungssituationen und durch Befragung der Erziehungsberechtigten sowie der Fachpersonen, die mit dem Kind arbeiten, durchgeführt und nach Absprache mit anderen Fachpersonen ausgewertet. Die verschiedenen Auswertungsbögen, der Einbezug von Erziehungsberechtigten und anderen Fachpersonen wie auch die gewünschte interdisziplinäre Abstimmung im Team sind gute Mittel, um eine gute, auf das Kind abgestimmte Förderung und Unterstützung aufzustellen. Für eine qualifizierte Auswertung ist es von enormer Bedeutung, dass die beobachtenden Personen fundiertes Wissen und Erfahrung in der Beobachtung und Einschätzung von Kindern und ihrem Entwicklungsstand mitbringen. Selbstkonzeptfragebogen (SKF) von Engel (2015) Ein weiteres Verfahren für die Erhebung des Selbstkonzepts von Kindern ist der Selbstkonzeptfragebogen (SKF) von Engel (2015). Sie hat ein Verfahren auf Grundlage von psychometrischen Standards entwickelt, bei dem die Fragen direkt an das Kind gestellt und im Nachhinein ausgewertet werden können. Es existieren innerhalb des Verfahrens weitere Fragebögen zum Selbstkonzept des Kindes für Erziehungsberechtigte, ErzieherInnen oder LehrerInnen. Ein Manual für die Auswertung fehlt jedoch bislang, ebenso [ 103 ] Mayr • Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen im Wasser 2 | 2022 [ 103 ] Aktuelles / Kurz berichtet 2 | 2022 wie eine weitere Normierung an einer größeren Testgruppe. Nach Bereitstellung dessen, kann davon ausgegangen werden, dass das Selbstkonzept von Kindern grundlegend standardisiert erfasst werden kann. Nutzung der beiden Verfahren in einem psychomotorischen Setting Beide Verfahren eignen sich, um das Selbstkonzept von Kindern zu erfassen. Hinsichtlich der Durchführung und Auswertung sind diese Verfahren jedoch grundlegend unterschiedlich. Für eine erste Einschätzung des Selbstkonzepts sowie Spiel- und Beobachtungssituationen in der Psychomotorik eignet sich das Selbstkonzeptinventar von Eggert et al. (2003) besonders gut, da Aspekte, wie zum Beispiel das Umfeld des Kindes und Sichtweisen anderer Fachpersonen in die Diagnostik einbezogen werden. Jedoch finden viele der von Eggert et al. (2003) aufgestellten Aufgaben und Spiele auch in einem regulären psychomotorischen Setting Berücksichtigung. Eine gut ausgebildete Fachkraft kann das Selbstkonzept von Kindern in regulären Situationen bereits beobachten und einschätzen, womit das SKI von Eggert et al. (2003) lediglich als Anregung für weitere Überlegungen angesehen werden kann. Eine genaue Erfassung des Selbstkonzepts erscheint dann als sinnvoll, wenn das Kind Auffälligkeiten im sozial-emotionalen Entwicklungsbereich aufweist. An dieser Stelle könnte dann der standardisierte Selbstkonzeptfragebogen von Engel (2015), nach der noch ausstehenden Normierung, hinzugezogen werden. Eggert et al. (2003): Selbstkonzeptinventar für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter Engel (2015): Selbstkonzeptfragebogen für Kinder Testverfahren Diagnostisches Inventar Standardisiertes Diagnostikinstrument Altersgruppe Kinder von 5-11 Jahren Kinder von 4-10 Jahren Durchführende Personen verschiedene Fachkräfte und Teamaustausch verschiedene Fachkräfte Selbstkonzeptdimensionen Selbsteinschätzung, Körperkonzept, Fähigkeitskonzept, Selbstbewertung, Selbstbild Körperliches Selbstkonzept, fähigkeitsbezogenes Selbstkonzept, soziales Selbstkonzept Diagnostische Methode Beobachtung, mündliche Befragung, schriftliche Befragung, Arbeitsprodukte Fragebogen an Kinder (Kita, 1. + 2. Klasse, 3. + 4. Klasse, Fachkräfte, ErzieherInnen) Auswertung Beobachtung, Beschreibung und Bewertung des Verhaltens mit Hypothese und Gegenhypothese und Abstimmung im Team Auswertung durch einen standardisierten Fragebogen Psychometrische Qualität 1. Objektivität-- nicht gegeben 2. Reliabilität-- keine Daten 3. Validität-- keine Daten 1. Objektivität-- nicht gegeben-- Individualität der Kinder muss berücksichtigt werden (Auswertungsobjektivität ja, Interpretationsobjektivität nein, bisher kein Manual für die Auswertung) 2. Reliabilität-- gegeben 3. Validität-- gegeben Grenzen ■ die verschiedenen Aufgaben wirken teilweise willkürlich zusammengestellt ■ ist insgesamt sehr unübersichtlich gestaltet und bedarf langer Einarbeitungszeit ■ Verzicht auf Auswertung anhand von normativen Testgütekriterien ■ Repräsentativität des Selbstkonzeptfragebogens ist fraglich (Stichproben wurden hauptsächlich im süddeutschen Raum gesammelt) ■ zu geringe Fallzahlen bei der psychometrischen Analyse, die Normierung an großer Stichprobe steht noch aus Tabelle 1: Zwei Verfahren zur Erfassung des Selbstkonzepts bei Kindern im Vergleich [ 104 ] 2 | 2022 Aktuelles / Kurz berichtet Ausblick und Schlussfolgerung Die Ausarbeitung dieses Themas zeigt, dass die Forschung zur Erfassung des Selbstkonzepts von Kindern noch am Anfang steht. Für eine Untersuchung des generellen Selbstkonzepts fehlt es bislang an standardisierten Tests für den deutschsprachigen Raum. Zudem ist besonders für den Bereich der frühen Hilfen, der Frühförderung und anderen Berufen, die mit Kindern arbeiten, ein Grundwissen im Bereich der Selbstkonzeptentwicklung und -forschung unabdinglich für eine auf das Kind angepasste Förderung und Unterstützung. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass die Sichtweisen, Einschätzungen und Bedenken der Eltern und anderer Fachpersonen einbezogen werden, um einen umfassenden, interdisziplinär abgestimmten Förder- und Behandlungsplan aufzustellen. Weitere Ausgangspunkte für Forschungsaktivitäten wären die Entwicklung eines standardisierten, normierten Diagnostikbogens, welcher das Kind in seinem Lebenskontext berücksichtigt und Selbst- und Fremdeinschätzungen in die Diagnostik mit einbezieht. Eine Diagnostik, welche nicht den Abbau von Problemen in den Vordergrund stellt, sondern dabei hilft, den Aufbau von Ressourcen und Resilienz zu unterstützen, um das Kind ganzheitlich unterstützen und fördern zu können. Literatur Eggert, D., Reichenbach, C., Bode, S. (2003): Das Selbstkonzeptinventar (SKI) für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter: Theorie und Möglichkeiten der Diagnostik (2. Aufl.). Borgmann, Dortmund Engel, E.-M. (2015): Der Selbstkonzeptfragebogen für Kinder. FEL- - Forschung, Entwicklung, Lehre, Freiburg Fischer, K. (2011): Konzept und Wirksamkeit der Psychomotorik in der Frühförderung. Frühförderung Interdisziplinär, (1), 2-16, https: / / doi. org/ 10.2378/ fi2011.art01d Neubauer, W. (1976): Selbstkonzept und Identität im Kindes- und Jugendalter. Ernst Reinhardt Verlag, München / Basel Ruploh, B., Martzy, F., Bischoff, A., Matschulat, N. & Zimmer, R. (2013): Veränderungen im Selbstkonzept nach psychomotorischer Förderung. Eine Pilotstudie im Mixed-Methods-Design. motorik 36 (4), 180-189, https: / / doi. org/ 10.2378/ motorik2013.art13d Shavelson, R. H., Hubner, J. J., Stanton, G. C. (1976): Self-concept: Validation of construct interpretations. Review of Educational Research (46), 407-441, https: / / doi. org/ 10.3102/ 00346543046003407 Zimmer, R. (2019): Handbuch Psychomotorik. Theorie und Praxis der psychomotorischen Förderung von Kindern. Herder, Freiburg im Breisgau Kontakt Alina-Sophie Seyer E-Mail: a.seyer@spz-hamburg.de a w Jetzt in 4. Auflage! Das Fach Psychomotorik hat sich zu einer anerkannten Disziplin vor allem in Pädagogik, Psychologie und Therapie entwickelt. Es ist fester Bestandteil zahlreicher Ausbildungsgänge geworden. Diese Einführung gibt einen Überblick und erläutert Entwicklung, Schlüsselbegriffe, Theorien und Konzepte der Psychomotorik. Die 4. Auflage ist grundlegend überarbeitet; neu sind bspw. die Themen Kinderspiel, Embodiment, und Wirksamkeitsforschung. Klaus Fischer Einführung in die Psychomotorik 4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2019. 349 Seiten. 44 Abb. 13 Tab. utb-M (978-3-8252-4802-4) kt