eJournals motorik 45/3

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2022.art21d
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»Aus dem Bauch raus« - Psychomotorische Gesundheits­förderung für Frauen am Beispiel der ganzheitlichen Beckenbodenarbeit

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2022
Gisela Schlesinger
Psychomotorische Gesundheitsförderung für Frauen zielt darauf, Frauen ihren Becken-, Bauch- und Atemraum als Kraft- und Energieraum kennenlernen zu lassen. Über leicht erlernbare Embodimenttechniken können Frauen Kraft und psychisches Wohlbefinden erfahren, Belastungs- und Schutzfaktoren für sich erkennen und abbauen.
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Zusammenfassung / Abstract Psychomotorische Gesundheitsförderung für Frauen zielt darauf, Frauen ihren Becken-, Bauch- und Atemraum als Kraft- und Energieraum kennenlernen zu lassen. Über leicht erlernbare Embodimenttechniken können Frauen Kraft und psychisches Wohlbefinden erfahren, Belastungs- und Schutzfaktoren für sich erkennen und abbauen. Schlüsselbegriffe: Psychomotorische Frauengesundheitsförderung, Embodimenttechniken, Schutzfaktoren »Out of the belly«-- Psychomotor health promotion for women using the example of holistic pelvic floor work Psychomotor health promotion for women aims to let women get to know their pelvic, abdominal and breathing space as a power and energy space. Through movement and body awareness, women can experience strength and psychological well-being, recognize and reduce stress and protective factors. Keywords: Psychomotor health promotion for women, Embodiment techniques, protective factors [ 112 ] 3 | 2022 motorik, 45. Jg., 112-117, DOI 10.2378 / mot2022.art21d © Ernst Reinhardt Verlag [ FORUM PSYCHOMOTORIK ] »Aus dem Bauch raus«-- Psychomotorische Gesundheitsförderung für Frauen am Beispiel der ganzheitlichen Beckenbodenarbeit Gisela Schlesinger Der Ausspruch »Aus dem Bauch raus« wird in diesem Beitrag als Leitbild für psychomotorische Frauengesundheitsförderung betrachtet, denn hier geht es darum, dass Frauen ihren Bauch bzw. den eigenen Leib als Kraft- und Energieraum erfahren und erleben und sich eine individuelle Schutzfaktorenschatzkiste aufbauen. Die Ausgangssituation: Frauen-- Selbst- und Fremdbild in unserer Gesellschaft Das Selbst- und Fremdbild von Frauen in verschiedenen Lebensphasen ist vielen Einflussfaktoren unterworfen und hat verschiedene Bedeutungen für Mädchen und Frauen in ihren unterschiedlichen Lebenslagen. Die gesellschaftlichen Anforderungen an Frauen sind hoch. Rollenerwartungen als begehrenswerte Frau, Mutter, erfolgreiche Frau im Beruf, Fürsorgerin für Eltern und Verwandte können oft nicht miteinander vereinbart werden. Auch im Beruf erleben Frauen Rollenkonflikte. In Folge dieser Stressoren können Überforderung, Befindlichkeitsstörungen und Krankheiten auftreten (Frevert 2009). Es entsteht eine Schieflage zwischen Wahrnehmung, Rollenerwartung, subjektivem Befinden und Leistung. Traumatisierende Erfahrungen durch beispielsweise sexuelle Handlungen oder Geburten üben zusätzlich Einfluss auf das Selbstbild und Wohlbefinden von Frauen aus (Tanzberger et al. 2019). Eine Erklärung, wie hier Körper und Seele aufeinander wirken, liefert die Embodimentforschung (Stelzhammer 2018). [ 113 ] Schlesinger • Psychomotorische Gesundheitsförderung für Frauen 3 | 2022 Ruhe und Achtsamkeit geübt werden, damit das entsprechende neuronale Netz im Gehirn wieder positiv gebahnt wird. Embodimenttechniken zu erlernen ist daher eines der Ziele der psychomotorischen Frauengesundheitsförderung. Ziele und Bereiche einer psychomotorischen Frauengesundheitsförderung Die Embodiment-Sichtweise zeigt, dass durch geeignete Körperarbeit dauerhafte Veränderungen sowohl in der Kognition, in der Hormontätigkeit als auch im sensomotorischen Zusammenspiel und damit in der leibseelischen Balance möglich sind. Um in dieses Gleichgewicht zu kommen, kann der Fokus der Bewegungsarbeit, wie in diesem Beitrag exemplarisch gezeigt, auf dem Bauchraum und seinen vielfältigen Muskelverflechtungen liegen und so einen Beitrag zur Förderung weiblicher Gesundheit und Wohlbefinden leisten. Gesundheitsförderung als Paradigma der Psychomotorik betont dabei die enge Verflechtung von Gesundheit, Bewegung und Leiblichkeit (Kuhlenkamp 2017). »Gesundheitsförderung ist ein Prozess, der Menschen befähigen soll, mehr Kontrolle über ihre Gesundheit zu erlangen und sie zu verbessern« (WHO 1997). Gesundheitsförderung folgt den Grundideen der Salutogenese, die sich damit beschäftigt, was Menschen gesund erhält bzw. gesunden lässt. Als Ziel einer psychomotorischen Frauengesundheitsförderung gilt daher, dass Frauen eine Akzeptanz ihres Körpers finden oder wiederfinden und Möglichkeiten erfahren, sich gesund zu erhalten und Bewegung freudvoll und nach ihren eigenen Bedürfnissen in ihren Lebensalltag einbauen zu können. So erleben sie Stärke und Zuversicht und können ihr Selbstbild weiterentwickeln. Schutzfaktoren-- Schatzkiste einrichten Mit der psychomotorischen Gesundheitsförderung können also Frauen eine Schatzkiste mit einer Reihe von Schutzfaktoren aufbauen, die sie bei Bedarf öffnen und nutzen können (vgl. Abb. 1). So besteht für die Frauen die Möglichkeit, sich Embodimentperspektive Wenn Menschen denken, fühlen und handeln tun sie es immer mit dem ganzen Körper. Das ist die Grundannahme der Embodimentperspektive (Storch 2017). Der Körper braucht eine Psyche und die Psyche braucht einen Körper. Negative psychische Erfahrungen und gedrückte Stimmungen zeigen sich in der Körperhaltung und in der Verspannung der Muskulatur sowie Wahrnehmungsstörungen, besonders im weiblichen Beckenraum (Cantieni 2017). Ergebnisse in der Embodimentforschung zeigen, dass jede Emotion mit einer charakteristischen Veränderung körperlicher Prozesse einhergeht, die aus neuromuskulären, hormonellen und biochemischen Komponenten besteht. Bodyfeedback fasst die Rückmeldesysteme des ganzen Körpers zusammen, die das psychische System aus dem Körper erhält (Hüther 2017). Konsistenz ist das Ausmaß, in dem Inhalte des psychischen und körperlichen Systems zueinander passen. Konsistenzalarm entsteht, wenn Körperausdruck und Körperbefindlichkeit und das, was das psychische System beschäftigt, nicht zusammenpassen (Storch 2017). So lässt sich verstehen, dass Befinden, Affekte und Gefühle ohne die Veränderung des Körpers nicht dauerhaft positiv verändert werden können. Der Spielraum des Körpers hat also entscheidenden Einfluss auf das psychische Geschehen (Storch 2017). Der Körper ist die Bühne der Gefühle, wie auch Antonio Damasio (2021) mit seiner Theorie der somatischen Marker verdeutlicht. Diese Marker repräsentieren das Körpergedächtnis. Haben Frauen z. B. negative Erinnerungen an Bewegung und Sport in ihrer Kindheit und Jugend gesammelt, manifestieren sich diese in den somatischen Markern. Aber auch Erlebnisse wie Menstruationsschmerzen, Geburtswehen oder negative und schmerzhafte sexuelle Erlebnisse werden hier gespeichert. Diese zeigen sich dann in Verspannungen des gesamten Bauchraums einschließlich der Atmung. Das Körpergedächtnis hält diese Erlebnisse fest (Stelzhammer 2018). Ebenso können aber negative somatische Marker mit geeigneten Embodimenttechniken wieder durch positive ersetzt werden. Die Entwicklung eines positiven Embodiments muss in [ 114 ] 3 | 2022 Forum Psychomotorik ihrer Resilienzfaktoren wieder bewusst zu werden, ihr Befinden in Einklang mit ihrem weiblichen Rollenbild zu bringen und auch positive Sozialbeziehungen aufzubauen. Sie lernen eine Entfremdung vom eigenen Leib zu überwinden, die aus chronischen, nicht zu kontrollierenden Situationen in eine Art Hilflosigkeit geführt haben. Mit einer verbesserten Körperwahrnehmung achten sie auf Signale, wann das eigene Befinden und Gleichgewicht wieder bedroht erscheint. Sie wissen dann, wie sie intervenieren, regulieren und Wohlbefinden erlangen können. Frauen, im Dialog mit anderen Frauen in psychomotorischen Gruppen, sind in der Lage, neue Sozialkontakte aufzubauen, verlorengegangene körperliche Ressourcen wieder aufzufinden und zu stärken und neue Netzwerke zu gründen. Sie helfen sich gegenseitig neues Wissen aufzubauen und von gegenseitigen Erfahrungen zu lernen. Geeignete Embodimenttechniken, Entspannungs- und Bewegungsübungen im Rahmen einer freudvollen Bewegungsarbeit zeigen ihnen neue Wege auf. Abbildung 1: Schutzfaktorenschatzkiste (Alle Abb.: Reinhard Schlesinger) Die in der Psychomotorik etablierten Förderbereiche der Ichbzw. Körper-, Sach- und Sozialerfahrung eignen sich zur Strukturierung der Frauengesundheitsförderung. Ichbzw. Körpererfahrung ■ gesundheitsfördernde Maßnahmen erfahren ■ lustvolle Bewegung erleben ■ Wohlbefinden und Entspannung finden ■ Selbstbild akzeptieren oder verändern Sacherfahrung (im Sinne von Sachwissen) ■ Wissen über ganzheitliche Gesundheit aneignen 1 Abbildung 1 ■ anatomische und physiologische Kenntnisse erwerben ■ sinnvolles Bewegungstraining kennenlernen ■ Sozialraum erforschen ■ Kennenlernen von Institutionen zur Weiterbildung Sozialerfahrung ■ gegenseitige Akzeptanz im geschützten Rahmen einer Frauengruppe spüren ■ gegenseitiges Unterstützen und gegenseitigen Respekt erleben ■ mit Frauen aus verschiedenen Kulturen die Bereicherung einer gemeinsamen Bewegungsarbeit erfahren ■ neue Netzwerke gestalten Ganzheitliches-Beckenbodentraining als-Beispiel-für-psychomotorische Frauengesundheitsförderung Bei einfachen körperlichen, nicht zu anstrengenden Tätigkeiten wird das Stresshormon Cortisol abgebaut, sodass eine entspannte Arbeitsatmosphäre zur Körperarbeit entstehen kann. Die Körperarbeit mit Frauen mit besonderer Fokussierung auf den Bauchraum kann mit speziellen Übungen, Atemtechniken, angenehmen Visualisierungen und freudvollen Spürübungen, ergänzt von Meditationen und Entspannungstechniken, verbesserte physische und psychische Gesundheit bewirken (Mosen 2007). Durch diese spezielle, sinnlich ansprechende Arbeit können Frauen neue Schutzfaktoren aufbauen, körperliche Ressourcen stärken, hormonelle Regulation und Regeneration in die Wege leiten. Die nachfolgend skizzierten Erkenntnisse der Neurobiologie bilden in Kombination mit der Embodimentperspektive die Basis für eine ganzheitliche Beckenbodenarbeit. Beckenboden, Iliopsoas und Zwerchfell-- drei ziemlich beste Freunde Diese drei Muskelgruppen bilden zusammen mit Bauchmuskulatur und Rückenmuskeln die sogenannte Core Stabilität. Sie bilden ein Netz- Abbildung 2: Becken als Kraft- und Energieraum [ 115 ] Schlesinger • Psychomotorische Gesundheitsförderung für Frauen 3 | 2022 [ 115 ] Schlesinger • Psychomotorische Gesundheitsförderung für Frauen 3 | 2022 ■ anatomische und physiologische Kenntnisse erwerben ■ sinnvolles Bewegungstraining kennenlernen ■ Sozialraum erforschen ■ Kennenlernen von Institutionen zur Weiterbildung Sozialerfahrung ■ gegenseitige Akzeptanz im geschützten Rahmen einer Frauengruppe spüren ■ gegenseitiges Unterstützen und gegenseitigen Respekt erleben ■ mit Frauen aus verschiedenen Kulturen die Bereicherung einer gemeinsamen Bewegungsarbeit erfahren ■ neue Netzwerke gestalten Ganzheitliches-Beckenbodentraining als-Beispiel-für-psychomotorische Frauengesundheitsförderung Bei einfachen körperlichen, nicht zu anstrengenden Tätigkeiten wird das Stresshormon Cortisol abgebaut, sodass eine entspannte Arbeitsatmosphäre zur Körperarbeit entstehen kann. Die Körperarbeit mit Frauen mit besonderer Fokussierung auf den Bauchraum kann mit speziellen Übungen, Atemtechniken, angenehmen Visualisierungen und freudvollen Spürübungen, ergänzt von Meditationen und Entspannungstechniken, verbesserte physische und psychische Gesundheit bewirken (Mosen 2007). Durch diese spezielle, sinnlich ansprechende Arbeit können Frauen neue Schutzfaktoren aufbauen, körperliche Ressourcen stärken, hormonelle Regulation und Regeneration in die Wege leiten. Die nachfolgend skizzierten Erkenntnisse der Neurobiologie bilden in Kombination mit der Embodimentperspektive die Basis für eine ganzheitliche Beckenbodenarbeit. Beckenboden, Iliopsoas und Zwerchfell-- drei ziemlich beste Freunde Diese drei Muskelgruppen bilden zusammen mit Bauchmuskulatur und Rückenmuskeln die sogenannte Core Stabilität. Sie bilden ein Netz- Abbildung 2: Becken als Kraft- und Energieraum werk, stimmen ihre Funktionen aufeinander ab und sorgen für ein beschwerdefreies und bewegliches Leben. Sie verhelfen zu aufrechtem Gang, sind verantwortlich für Drehen, Dehnen, Strecken und Beugen. Der Iliopsoas wird daher auch als Schlüsselmuskel bezeichnet (Froböse 2017). Er verbindet Oben und Unten, Hinten und Vorne und auch Innen und Außen. Durch seine Lage hat er eine besondere Verknüpfung mit dem Nervensystem. Das ist auch der Grund, weshalb er oft Seelenmuskel genannt wird. Über Faszien ist er mit Zwerchfell und Beckenboden verbunden und beeinflusst so auch die Atmung. Durch eine mögliche Daueranspannung, verursacht von zu langem Sitzen und mangelnder Bewegung, kann er zu körperlichen, geistigen und seelischen Verspannungen führen (Froböse 2017). Der Iliopsoas ist der längste Muskel des Körpers, tief im Körperinnern zieht er sich von der Lendenwirbelsäule durch den Beckenraum und hat seinen Ansatz an den Oberschenkelknochen. Sein Gegenmuskel ist der große Gesäßmuskel. Im Zusammenspiel erlauben diese beiden Kraftpakete eine gute posturale Stabilität, ein sicheres Auftreten, ein nach außen getragenes Selbstbewusstsein. Ein unbewusst angespannter Iliopsoas sendet eine Stressmeldung an das Gehirn. Umgekehrt warnt das Gehirn bei Stress, Angst und psychischem Druck den Iliopsoas und dieser reagiert mit einem erhöhten Tonus (Staugaard- Jones 2014). Eine besondere Stellung in der Core Stabilität nimmt auch der Beckenboden ein. Das dreilagige Muskelgeflecht des Beckenbodens aus quergestreifter und glatter Muskulatur, das den Bauchraum nach unten abschließt, hat einen großen Einfluss auf die Gesundheit von Frauen (Schreiber 2007). Sie können lernen, diese Muskelpforte bewusst zu öffnen oder zu schließen und werden so gleichsam zur »Wächterin« dieses Privatraums. Das Betätigen dieser Muskulatur kann auch Kreislauf- und Venenpumpe sein und auf Durchblutung, Neurotransmitter, Muskelbotenstoffe (Myokine) und Hormone Einfluss nehmen (Hüther 2017). Aber nicht nur der Beckenboden, sondern auch der gesamte untere Beckenraum mit seinen vielfältigen Muskelverbindungen sollte in der praktischen Arbeit Beachtung finden. Frauen können sich die Verflechtung von Zwerchfell, Beckenboden, Bauch und Rückenmuskulatur in einer Visualisierung als Korb oder Vase vorstellen und in diesem Raum neue Kraft und Energie entstehen lassen. Alle Muskeln des Beckens, des Bauchraums, der Hüften, der Beine und des Beckenbodens spielen zusammen, kein Muskel bewegt sich isoliert. Nicht alle dieser Muskeln werden immer bewusst wahrgenommen, dies geschieht nur bei starker Bewegung und Anspannung oder bei Schmerz. Die Sensoren in den Sehnen und in den Muskelspindeln leiten über Bewegung die Reize weiter über Neuronen zum Gehirn. Gedanken, Vorstellungen und Emotionen wiederum lösen Muskelkontraktionen aus. So entsteht ein ständiges Zusammenspiel von Körper und Gehirn über die afferenten und efferenten neuronalen Netzwerke. Im Gehirn werden so Bilder repräsentiert oder verändert (Spitzer 2006). Wenn eine Wahrnehmung gleichzeitig über mehrere Sinneskanäle zum Gehirn weitergeleitet wird (z. B. über Seh-, Geruchs- und Bewegungssinn), entsteht in den assoziativen Bereichen der Hirnrinde ein synchrones Erregungsmuster (Hüther 2017). Die Sichtweisen der Neurobiologie bieten damit die Basis für eine ganzheitliche Beckenbodenarbeit und zeigen auf, dass Veränderungen sowohl im Denken als auch im Körperbefinden möglich sind. Wahrnehmung über verschiedene Sinneskanäle erleichtert das Auf- [ 116 ] 3 | 2022 Forum Psychomotorik rufen gelernter, positiver und negativer Erlebnisse und kann aber auch einen Veränderungsweg initiieren. Durch synchrone Erregungsmuster werden ganze Erlebnisketten mit all ihren motorischen, sensorischen, affektiven und kognitiven Anteilen abgespeichert. Oft genügt ein kleiner Reiz, um das ganze neuronale Netzwerk zu stimulieren, ein Geruch, eine Körperhaltung, eine Bewegung, eine belanglose Bemerkung, eine Berührung oder ein Schmerz. »Cells that fire together, wire together« (Hüther 2017, 90). Didaktischer-Rahmen-psychomotorischer Frauengesundheitsförderung Der Bewegungs-, Spiel- und Dialograum für die Arbeit mit Frauen findet im Gruppensetting statt. Er folgt einer sozialkonstruktivistischen Didaktik (Reich 2019). Ermöglichungsdidaktik heißt in diesem Zusammenhang, einen inneren und äußeren Rahmen bereitzustellen, in dem Lernen und Entwicklung gelingen können, ohne einen bestimmenden Lehrstil zu verfolgen. Die folgen- Beispiel: Die »Drei Freunde Übung« Wie beschrieben wirken Beckenboden, Iliopsoas und Zwerchfell in einer symbiotischen Beziehung. Durch eine einfache Körpertechnik lässt sich dieses Zusammenspiel fördern und sowohl zur Entspannung sowie zur Belebung beitragen. Sie nimmt ebenso Einfluss auf das vegetative Nervensystem. Die Übung kann im Stehen, Sitzen oder Liegen ausgeführt werden. Die Hände werden unterhalb des Nabels auf den Bauch gelegt und eine tiefe Bauchatmung begonnen. Beim Einatmen wölbt sich der Bauch nach vorne, der Kopf wird in den Nacken gelegt und man geht in ein »Hohlkreuz«. Beim Ausatmen zieht sich der Bauch ein, der untere Rücken rundet sich, der Kopf geht Richtung Kinn und der Beckenboden wird kontrahiert. Die Übung kann so lange ausgeführt werden, wie es angenehm ist. Sie wirkt belebend und beruhigend zugleich und hält den Iliopsoas flexibel, verbessert Atmung und Kreislauf. den Aspekte verstehen sich daher als Ermöglichungsrahmen. Das Ansprechen der Teilnehmerinnen sollte auf einer unverbindlichen Ebene bleiben, ein »Du« von den Teilnehmerinnen ausgehen. Untereinander sollte ein respektvoller Ton beibehalten sowie Bewegungs- und Verhaltensweisen nicht bewertet werden. Übungsanleitungen werden als Vorschläge zum Kennenlernen und Ausprobieren angeboten. Aufbau einer Übungseinheit Die praktische Arbeit findet in Frauengruppen mit maximal zwölf Teilnehmerinnen in einem geschützten Raum und unter fachlicher Anleitung statt. Sie beginnt mit Aufwärmübungen, Tänzen und Warm-Ups mit Musik, Schütteln, Kreisen und Schwingen des ganzen Körpers oder einzelner Körperbereiche. Daran schließen sich Übungen zur Ansteuerung des Beckenbodens, Atem- und Bewegungsübungen im Stehen, Sitzen, Knien und Liegen an. Bildhafte Vergleiche der Beckenbodenbewegung mit positiven Bildern erleichtern das Erspüren des Muskelgeflechts. Visualisierungen mit Blüten, Seidentüchern, Muscheln tragen dazu bei, innere Bilder bei den Teilnehmerinnen entstehen zu lassen. Neben der Praxisarbeit soll auch Raum gefunden werden, um theoretisches Wissen zu erwerben. Dies schließt Wissenserwerb über die Sensomotorik, auch aus der Embodimentperspektive, mit ein und fördert das Verständnis für leib-seelische Zusammenhänge. Auch Kenntnisse über Einrichtungen im umgebenden Sozialraum, die weitere Unterstützung anbieten, können erworben werden. Ambiente und äußerer Rahmen Ein geeignetes Ambiente in einem ästhetisch gestalteten, warmen Raum mit angenehmer Beleuchtung erleichtert die Arbeit und schafft Wohlbefinden und Vertrauen. In der Mitte des Raumes können Gegenstände und Dekorationen liegen. Düfte und Musik vermitteln eine sinnliche Atmosphäre. Die praktischen Übungen werden immer wieder von Austauschrunden unterbrochen, in denen die Teilnehmerinnen sich [ 117 ] Schlesinger • Psychomotorische Gesundheitsförderung für Frauen 3 | 2022 [ 117 ] Schlesinger • Psychomotorische Gesundheitsförderung für Frauen 3 | 2022 mitteilen können und in denen auch die kognitiven Inhalte mit geeigneten Materialien vermittelt werden. Geeignet ist eine Kreisaufstellung, um alle Teilnehmerinnen im Blick zu haben und untereinander in Kontakt zu treten. Dabei sollten die Teilnehmerinnen subtil beobachtet werden, inwieweit und in welcher Form ein Austausch erwünscht wird, zumindest in den ersten Stunden. Auch kleinere Selbsthilfegruppen können angeregt und initiiert werden, um den Frauen Übungsmöglichkeiten in eigenen Gruppen zu ermöglichen. Dabei können sich Frauen auch mit ihren jeweiligen kulturellen Hintergründen, mit ihren jeweiligen Ressourcen und Kenntnissen einbringen, denn psychomotorische Angebote für Frauen sind rar. Der Abschluss eines Treffens oder einer Anleitungsstunde wird nach den Wünschen der Frauen gestaltet und kann mit Gesprächen, Essen, Trinken und Tanzen enden. Es bietet sich an mit einer Einführungsveranstaltung Frauen zu informieren, sie auf Inhalte und Arbeitsweise einer psychomotorischen Frauengesundheitsarbeit einzustimmen. Als Anleiterinnen können Sport- und Gymnastiklehrerinnen, Übungsleiterinnen, Yogalehrerinnen, Mototherapeutinnen, Rehabilitationspädagoginnen, Heilpraktikerinnen, Sozialpädagoginnen mit einer Psychomotorik-Zusatzqualifikation oder einer Ausbildung in ganzheitlicher Beckenbodenarbeit fungieren. Literatur Cantieni, B. (2017): Wie gesundes Embodiment selbst gemacht wird. In: Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher, W. (Hrsg.): Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. 3. Aufl. Hogrefe, Bern, 99-126, https: / / doi. org/ 10.1024/ 85816-000 Damasio, A. (2021): Wie wir denken, wie wir fühlen. Die Ursprünge unseres Bewusstseins. Carl Hanser, München Frevert, P. E. (2009): Psychosomatische Aspekte der Gynäkologie und Geburtshilfe. In: https: / / www.pierre-frevert.de/ pdf/ Scriptx09-05-Gyn.pdf, 06.03.2022 Froböse, I. (2017): Das neue Psoas-Training. Schmerzfrei, leistungsfähig und beweglich: Die besten Übungen für den großen Lendenmuskel. Südwest Verlag, München Hüther, G. (2017): Wie Embodiment neurobiologisch erklärt werden kann. In: Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher, W. (Hrsg.): Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. 3. Aufl. Hogrefe, Bern, 73-97, https: / / doi.org/ 10.1024/ 85816-000 Kuhlenkamp, S. (2017): Lehrbuch Psychomotorik. Ernst Reinhardt, München, https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838587172 Mosen, S. (2007): Spannendes und Entspannendes zum Thema Beckenboden. clio 65/ 2007, In: https: / / www.praxis-frauenbewegung.de/ downl/ S.Mosen- Clio65-2007-BB-S4-7.pdf, 4-7, 06.03.2022 Reich, K. (2019): Konstruktivistische und inklusive Didaktik in der frühen Kindheit. In: Schenker, I. (Hrsg.): Didaktik in Kindertageseinrichtungen. Eine systemisch-konstruktivistische Perspektive. 2. aktual. Aufl. Beltz Juventa, Weinheim / Basel, 12-33 Schreiber, B. (2007): Das Kraftzentrum Beckenboden als Heilungsbasis. In: Lachesis 36 (7), 45-48 Spitzer, M. (2006): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Staugaard-Jones, J. A. (2014): Psoas-Training. Der große Lendenmuskel als Schlüssel zu körperlichem, seelischem und emotionalem Wohlbefinden. Stiebner / Copress, Grünwald Stelzhammer, C. (2018): »Hilfe ich spür mich nicht! « Wahrnehmungsstörungen im Bereich des Beckenbodens. Journal für Urologie und Urogynäkologie 25 (1), 15-18, https: / / doi.org/ 10.1007/ s41972-018-0033-3 Storch, M. (2017): Wie Embodiment in der Psychologie erforscht wurde. In: Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher, W. (Hrsg.): Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. 3. Aufl. Hogrefe, Bern 35-72, https: / / doi.org/ 10.1024/ 85816-000 Tanzberger, R., Baumgartner, U., Kuhn, A., Möbs, G. (2019): Der Beckenboden- - Funktion, Anpassung und Therapie. Das Tanzberger Konzept®. 4. Aufl. Verlag Urban & Fischer, München Weltgesundheitsorganisation (WHO) (1997): Die Jakarta Erklärung zur Gesundheitsförderung für das 21.-Jahrhundert.In: www.who.int/ healthpromotion/ conferences/ previous/ jakarta/ en/ hpr_jakarta_de claration_german.pdf, 16.02.2022 Die Autorin Gisela Schlesinger Sportphilologin (Sport und Sozialkunde), Ausbildung zur Kursleiterin für ganzheitliche Beckenbodenarbeit bei Bali Schreiber, langjährige Bewegungsarbeit mit Kindern und Frauen im Kinderhaus Nikodemus in Nürnberg Anschrift Gisela Schlesinger Rednitzstr. 44c 90449 Nürnberg gisela.schlesinger@t-online.de