eJournals motorik 45/3

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2022.art29d
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2022
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Rezension: Klein, F. (2021): Bewegung, Spiel und Rhythmik. Drei unverzichtbare Elemente in der inklusiven Kita-Praxis.

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2022
Anika Krüger
In dem vorliegenden Buch erinnert Ferdinand Klein auf fachkundige und engagierte Weise an bedeutende reformpädagogische Erkenntnisse über die drei Urphänomene des Lebens: Bewegung, Spiel und Rhythmik
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[ 151 ] Jessel • Aktuelles Stichwort: Psychomotorik in (post-)pandemischen Zeiten 3 | 2022 [ 151 ] Medien & Materialien 3 | 2022 werden in die Diagnostik und Therapie nachvollziehbar integriert, da der Körper einen wesentlichen Wirkfaktor im Kontext psychischer Erkrankungen darstellt (Rüdiger Haas). Den sozialwissenschaftlichen Blick eröffnet Erich Huster, der die Bedeutung des Körpers in der staatlichen Gesundheitspolitik historisch skizziert und eine auf das Individuum ausgerichtete Betrachtung des Gesundheitsverhaltens unter Vernachlässigung der Verhältnisprävention kritisiert. Die Frage von sozialer Ungleichheit und Gesundheit wird im Beitrag von Johannes D. Schütte diskutiert. Der Körper als Produkt und Produzent der Gesellschaft spiegelt sich in der sozialen Ungleichheit in gesundheitlichen Fragen wider. Eine Konkretion im Feld der betrieblichen Gesundheitsförderung erfolgt in dem Beitrag von Jörg Schröder. Er zeigt die Gefahren der Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt auf. Der dritte Teil des Buches erweitert den multidisziplinären Blick auf Körper und Gesundheit um (Religions-)Soziologie, Gerontologie, Geschlechterforschung und Behindertenpädagogik. Der religionswissenschaftliche Beitrag benennt die spirituellen Elemente von Körpertherapien und -praktiken. Der Zusammenhang von Körper, Gesundheit und Religion wird im Prozess der (Wieder-)Entwicklung von Gesundheit hervorgehoben (Frederike Benthaus-Apel). Im Feld der Gerontologie dominieren Untersuchungen von körperlichen Alterungsprozessen in Medizin und Pflege. Es besteht ein deutliches Forschungsdesiderat bzgl. der Körperthematik in der Soziologie. Eine körperorientierte Gerontologie stellt das Entwicklungsthema einer reflektierten Leiblichkeit als Quelle der lebenslangen Identitätsentwicklung in den Mittelpunkt (Sabine Kühnert / Birgit Schumacher). Die Geschlechterforschung setzt sich bislang nur wenig mit dem Körper auseinander. Im Kontext von Gesundheitswissenschaft wird jedoch die Geschlechterperspektive differenziert bearbeitet. Es wird in diesem Beitrag die Bedeutung von Körper und Leib in der gesundheitsorientierten Geschlechterforschung dargelegt (Jocelyne Cathrin Leismann). Ein sozial- und gesellschaftswissenschaftlicher Begriff der Behinderung liegt dem Verständnis der Autorinnen Gwendolin Bartz und Kathrin Römisch zugrunde. Dies hat eine Abgrenzung von einem biomedizinisch geprägten Begriff der Behinderung unter Bezugnahme auf die UN-Behindertenkonvention zur Folge. Die Gesundheitsthematik wird als multidimensional betrachtet. Die Autorinnen konstatieren ein deutliches Forschungsdesiderat bzgl. der Körperthematik. Körperlich-leibliche Aktivität und Gesundheit stehen aus Sicht von Tobias Staiger in einer interaktiven Wechselbeziehung zur Umwelt. Insbesondere für Menschen mit depressiven Störungen stellt der Körper »eine soziale Gesundheitsressource« dar, da die leiblich-körperliche Symptomatik in enger Wechselbeziehung zur sozialen Teilhabe steht. Das hier besprochene Werk überschreitet fachdisziplinäre Grenzen und beleuchtet die Thematik von Körper und Gesundheit mit bemerkenswerter Tiefe in den einzelnen Beiträgen. Es wird der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert Körper und Gesundheit in den einzelnen Disziplinen und therapeutischen bzw. pädagogischen Zugängen erhalten. Eine sehr große Heterogenität bzgl. des Stellenwerts von Körper und Gesundheit wird aufgezeigt. Den Herausgebern ist es gelungen, einen sehr eindrücklichen Überblick zur Thematik zu geben. Der populärwissenschaftlich häufig konstatierten Verknüpfung von Körper und Gesundheit wird ein sehr differenziertes Bild gegenübergestellt. Ruth Haas DOI 10.2378 / mot2022.art28d Klein, F. (2021): Bewegung, Spiel und Rhythmik. Drei unverzichtbare Elemente in der inklusiven Kita-Praxis. Verlag modernes lernen, ISBN 978-3-8080-0901-7, 170 Seiten, 19,95 € In dem vorliegenden Buch erinnert Ferdinand Klein auf fachkundige und engagierte Weise an bedeutende reformpädagogische Erkenntnisse über die drei Urphänomene des Lebens: Bewegung, Spiel und Rhythmik. Rückbesinnend auf elementare kindliche Grundbedürfnisse und gesetzlich verankerte Kinderrechte zeigt er auf, wie eine verstehende, bedürfnisbasierte und beziehungsorientierte Frühpädagogik gelingen kann und fordert eine Pädagogik, die dem Kind (wieder) eine individuell ausgerichtete Leitung und Begleitung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit bietet. Das Buch liefert theoretische Fundierungen, aussagekräftige Fallbeispiele und sehr konkrete Handlungsvorschläge, Förderideen und Übungsbeispiele für eine [ 152 ] 3 | 2022 Medien & Materialien inklusive Kita-Praxis. Es wird aufgezeigt, wie die Gruppe als Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsraum durch situationsorientiertes Handeln und über Bewegung, Spiel und Rhythmik zu einem Ermöglichungsraum werden kann. Die für die Beziehungsarbeit bedeutsame humanistisch ausgerichtete verstehende Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk und wird in den einzelnen Kapiteln zum Umgang mit diversen Förderbedarfen immer wieder anschaulich beschrieben. Im ersten Kapitel beschreibt Klein die Grundaufträge für Bildung, Erziehung und Betreuung des Kindes und begründet anhand der Arbeiten von Janusz Korczak, wie bedeutsam eine fragende und bescheidende Haltung in der Wissenschaft ist, ähnlich einem heranwachsenden Kind. Ein emotional anrührendes Fallbeispiel zeigt anschaulich, wie bekannte Abwärtsspiralen durchbrochen und wie die Selbstwirksamkeitsüberzeugung auf Seiten des Kindes gefördert werden kann. Die Nähe des Autors zur Anthroposophie zeigt sich unter anderem in seiner Sprachwahl, wenn er den PädagogInnen empfiehlt, »Geheimnisse zu wahren, statt alles verstehen zu wollen«, »aufmerksam präsent zu sein, statt fürsorglich zu belagern« und »Mut zu haben, eigene Wege mit Versuch und Irrtum zu bestreiten und eine Fehlerfreundlichkeit zu pflegen«. Im zweiten Kapitel liefert der Autor Antworten auf die Fragen, was genau mit Verstehen eines Kindes gemeint ist und wie eine bedürfnisorientierte Pädagogik gelingen kann. Mit einer Hommage an die Schriftstellerin und Inhaberin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels Astrid Lindgren beschreibt er die dafür notwendige Gabe, mit den Augen des Kindes sehen zu können und die Bereitschaft, sich stets als lernende Persönlichkeit zu begreifen, welche die Kinder als LehrmeisterInnen anerkennt. Hier wie im gesamten Buch wird deutlich, dass Klein ein erfahrener Praktiker ist, der von den Kindern gelernt hat, wie sie geliebt, begleitet und geleitet werden wollen. In der Mitte des Buches finden die LeserInnen Ursachen, diagnostische Kriterien, Hilfen und Aufgabenfelder zu bekannten pädagogisch-therapeutischen Themen (ADHS, Armut, Fluchterfahrung und Traumatisierung, Trisomie- 21, Sinnesbehinderungen). Anhand mehrerer anschaulicher Fallbeispiele wird erneut auf die pädagogische Kompetenz des situationsorientierten Begleitens eingegangen. Es folgen drei vielschichtig ausgearbeitete Kapitel zu den Eckwerten Bewegung, Spiel und Rhythmik, in denen unter anderem Bausteine der kindlichen Entwicklung, bewegungspädagogische Grundlagen, Aspekte zur Spielkultur, Anregungen zur Spielpraxis, Wurzeln der Rhythmik sowie rhythmische Gestaltungsideen erörtert werden. In gewohnter praxisnaher Weise wird auch Bezug genommen auf die Arbeit mit schwer- und mehrfach behinderten und kommunikationsbeeinträchtigten Kindern. Danach stellt Klein die gestützte Kommunikation vor und spannt dann mit dem ganzheitlich ausgerichteten TEACCH-Ansatz sowie deren Abwandlungen wieder den Bogen zur Arbeit mit Menschen mit Autismus. Ganz in »Montessori-Manier« gibt’s zum Ende noch einmal eine Vielzahl an Ideen, wie Kinder mit »Kopf, Herz und Hand« über Musik, Rhythmik und Spiel zum Handeln eingeladen werden können. Abgeschlossen wird das Werk mit einer Thesenzusammenfassung, unterschiedlichen Hinweisen rund um die Behindertenpädagogik sowie Beurteilungskriterien für pädagogisch wertvolles Spielzeug. Insgesamt überzeugt das Buch durch seine Praxisnähe und die vielen Fallbeispiele. Es liest sich wie ein wohlwollender Aufruf zur Rückbesinnung auf altbekanntes Wissen reformpädagogischer Ikonen. Zum Teil wirken die Inhalte etwas dicht und holprig zusammengestellt, so dass nicht durchgängig klar wird, warum gerade dieser Inhalt an der Stelle auftaucht beziehungsweise bereits abgehandelt geglaubte Themen erneut aufgegriffen werden. Dies sollte jedoch angesichts der überzeugenden Aussagekraft und den schier unendlichen Praxisanregungen für NeueinsteigerInnen und erfahrene PsychomotorikerInnen gleichermaßen nicht weiter stören. Zwischen den Zeilen liest sich viel Herzblut und Emotionalität für die wichtigste Sache der Welt-- eine gute Beziehung mit gegenseitigem »Berührtwerden« statt »Resonanztaubheit«. Anika Krüger DOI 10.2378 / mot2022.art29d