Motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2023
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Forum Psychomotorik: Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse
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2023
Joachim Küchenhoff
Der Beitrag ist in zwei Teile untergliedert. Im ersten Teil wird das Körperbild definiert, vom Körperschema unterschieden und die Merkmale Bewusstseinsnähe oder -ferne, Verbindung zur Sprache, Einbettung in Beziehungserfahrung und Flexibilität werden untersucht. Im zweiten Teil wird dargestellt, wie das Körperbild empirisch erfasst werden kann. Auf der Grundlage der psychodynamischen Diagnostik werden die »Körperbild-Liste« und die Skala »Körperselbst« aus OPD-3 vorgestellt.
7_046_2023_002_0060
Zusammenfassung / Abstract Der Beitrag ist in zwei Teile untergliedert. Im ersten Teil wird das Körperbild definiert, vom Körperschema unterschieden und die Merkmale Bewusstseinsnähe oder -ferne, Verbindung zur Sprache, Einbettung in Beziehungserfahrung und Flexibilität werden untersucht. Im zweiten Teil wird dargestellt, wie das Körperbild empirisch erfasst werden kann. Auf der Grundlage der psychodynamischen Diagnostik werden die »Körperbild-Liste« und die Skala »Körperselbst« aus OPD-3 vorgestellt. Schlüsselbegriffe: Körperbild, Körperschema, Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik, Körperbild-Liste The body image: concept and empirical analysis The article is divided into two parts. In the first part, the body image is defined, distinguished from the body schema and characterized by four features, proximity or distance of consciousness, connection to language, embedding in relationships and flexibility. The second part shows how body image can be empirically evaluated. On the basis of psychodynamic diagnostics, the »body image list« and the scale »body self« in OPD-3 are presented. Keywords: body image, body schema, operationalized psychodynamic diagnostics, body image list [ 60 ] 2 | 2023 motorik, 46. Jg., 60-68, DOI 10.2378 / mot2023.art12d © Ernst Reinhardt Verlag [ FORUM PSYCHOMOTORIK ] Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse Joachim Küchenhoff geschichte s. Küchenhoff 2012, 15-40). Wörtlich verstanden ist der Begriff treffsicher; er beschreibt das Bild, die Imago des Körpers, die imaginäre Repräsentation körperlicher Zustände im Selbsterleben. Sobald er aber suggeriert, dass das Körperbild eine abgegrenzte psychische Lokalität darstellt, geht der Begriff in die Irre. Das Körperbild ist keine materiell fassbare Wesenheit; mit dem Begriff beschreiben wir vielmehr eine Perspektive auf das menschliche Erleben, die beim Körper ihren Anfangs- und Endpunkt hat. Es ist vom Körperschema abzugrenzen. Beide Begriffe, Körperschema und Körperbild, beschreiben Repräsentationen des Körpers, mentale Widerspiegelungen des eigenen Körpers. Unter Körperschema verstehen wir die neuropsychologische Repräsentation des Körpers, d. h. die aus den Sinneseindrücken des Körpers zusammengesetzte Figuration des Körpers. Dabei spielen sensorische und sensible Afferenzen eine Rolle, die Tiefensensibilität, also der Lage- und Gewichtssinn, das Gleichgewichtsorgan, die afferenten Rückkoppelungen der aktiven Muskelgruppen. Aus all diesen wechselnden Zuströmen setzt sich ein recht konstantes Bewusstsein für die Beschaffenheit des eigenen Körpers in Ruhe und Aktion zusammen, das allerdings nicht als objektive Repräsentation der Körperfunktionen angesehen werden kann. Das Körperbild hingegen ist die imaginäre Repräsentation des eigenen Körpers, die wegen ihrer fantasieabhängigen Qualität dynamisch und Das Körperbild: Definition, Psychodynamik, Verhältnis zur Sprache Definition Der Begriff des Körperbildes hat sich seit Paul Schilders bahnbrechenden Arbeiten durchgesetzt (Schilder 1950). Er entstammt einer psychodynamischen Tradition, die entscheidende theoretische und empirische Beiträge zum Körpererleben geliefert hat (zur Wissenschafts- [ 61 ] Küchenhoff • Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse 2 | 2023 sein kann. Ist es bewusst oder bewusstseinsfähig, dann ist es assoziativ mit anderen Vorstellungen verbunden. Je weniger das Körpererleben mit anderen Erfahrungsbereichen verbunden werden kann, um so unheimlicher können die Körperbilder werden. Bei allem auf Sinnverstehen ausgerichtetem Versuch, die Körpersprache zu übersetzen, bleibt ein Bereich von Unverfügbarkeit körperlicher Erfahrungen bestehen. Wir haben ein Bild von unserem Körper, das Erleben des eigenen Körpers indes geht über die psychische Repräsentation des Körpers auch immer hinaus, das Körperbild findet seine Grenze an der jeder Abbildung sich widersetzenden körperlichen Empfindung oder dem körperlichen Grundgefühl. So ist das Körperbild von der Bildlosigkeit des Körpers gleichsam umgeben, die mentale Reflexion darüber, wer ich selbst bin und wie ich mich körperlich erlebe, wird immer wieder gebrochen durch Körpergefühle, deren Sprache es immer erst nachträglich zu entziffern gilt. Körpererleben ist daher immer auch Grenzerfahrung, es ist nur entlang dieser Grenzerfahrung verstehbar; der Körper wird notwendig angeeignet und er bleibt doch ebenso notwendig unverfügbar. Diese Unverfügbarkeit des Körpers macht den Reichtum körperlicher Erfahrungen aus, aber sie kann auch Angst machen. ■ Die Einbettung des Körpererlebens in Beziehungserfahrungen Bereits Schilder hat betont, dass das Körperbild eine soziale Dimension umfasst (Schilder 1950). Dass die Grenzen des realen Körpers nicht die Grenzen des Körperschemas darstellen müssen, darüber belehrt die alltägliche Körpererfahrung, z. B. die Integration von Schmuckstücken oder von Zahnimplantaten ins Körperbild. Die soziale Dimension bezieht sich nicht nur auf den Umfang des Körperbildes und natürlich nicht nur auf die unbelebte Umwelt, sondern vornehmlich auf die menschliche Umwelt; entscheidend ist dabei, dass das Körperbild intersubjektiv konstituiert ist, wie die psychoanalytische Entwicklungspsychologie zeigt. Nicht die Selbstbeobachtung bildet den Ausgangspunkt für das Körpererleben, sondern die Interaktionserfahrung. Nicht nur weil der Begriff sprechend und wandelbar ist. Das Körperbild verändert sich im Verlauf der Entwicklung des Menschen. Wesentlich ist, dass das Körperbild keine Monade ist und nicht monadisch entsteht, nur aus intrinsischen Faktoren. Vielmehr entwickelt es sich aus Beziehungserfahrungen und ist deren Niederschlag (Kestenberg 1956; Küchenhoff / Argawalla 2013, 18 f.). Psychodynamische Dimensionen des Körperbildes Das im Körperbild zusammengefasste Körpererleben ist aus psychodynamischer Sicht durch folgende Dimensionen charakterisierbar: ■ Die Nähe oder Ferne zum Bewusstsein Körperbezogene Fantasien können bewusst oder vorbewusst, andererseits aber auch unbewusst geprägt sein (Dolto 1985). Die bewussten und die unbewussten Aspekte des Körperbildes stehen nebeneinander, gehen ineinander über oder widersprechen einander. Der schlanke Körper kann im bewussten Erleben einer Anorexiepatientin vielleicht verzerrt und als zu dick erscheinen, während der fantasmatische unbewusste Körper von einem gierigen Schlund beherrscht ist, der den unendlich dehnbaren Magen niemals zu füllen vermag- -- eine Verkörperung unbeherrschbarer Gier. ■ Die Verbindung zu sprachlichen Vorstellungen Wie sind sprachliche Vorstellungen und Körperbild miteinander verbunden? Im Folgenden wird ein weit gefasster Sprach- oder Zeichenbegriff benutzt, der auch komplexe Zeichenfunktionen, selbst die sensomotorischen Einschreibungen ins Körperbild, zu erfassen erlaubt und damit auch präverbale und körperliche sowie soziale Interaktionszusammenhänge und die szenischen Phänomene des »Enactments« in eine Sprache der Zeichen einbezieht. Sprachliche und präverbale Zeichensysteme, die auch körperliche Zeichen umfassen, können prinzipiell ineinander übersetzt werden, allerdings keineswegs erschöpfend. Zunächst ist es wichtig, die Konsequenzen aus dieser Übersetzbarkeit zu ziehen, ohne den Punkt zu vernachlässigen, dass das Körperbild mehr oder weniger bewusst [ 62 ] 2 | 2023 Forum Psychomotorik schön, sondern auch weil das mit ihm bezeichnete Konzept wichtig ist, lohnt es, den Begriff der »Zwischenleiblichkeit« zu nutzen, eine Wortschöpfung, die wir dem französischen Leibphilosophen Maurice Merleau-Ponty (1986, 185 ff.) verdanken, intercorporéité im französischen Original. Zwischenleiblich sind wir miteinander verbunden. Wir stimmen uns rasch und schnell, bevor wir überhaupt nachdenken, leiblich aufeinander ab. Die Sprache der Haltung, der Mimik, der physischen Reaktionen ist schneller als jede Reflexion. Wenn Merleau-Ponty sagt: »Durch meine Sprache und meinen Leib bin ich an andere gewöhnt« (Merleau-Ponty 1984, 41), so betont diese sehr verdichtete Aussage die funktionelle Äquivalenz von Leib und Sprache, beide verbinden mich und andere von vornherein- -- das meint hier das Wort »gewöhnt«- -, ich bin durch beide mit anderen in einem artikulierten Geschehen, das also längst angefangen hat, bevor ich den Mund aufmache. Aufgabe der Psychotherapie bleibt es, diesem zwischenleiblichen Geschehen Worte zu verleihen und ihnen im eigenen Leben einen Stellenwert geben oder einräumen, zuordnen zu können, wie auch umgekehrt es zulassen zu können, dass sich Lebensformen und Ausdrucksgehalte ganz leiblich-infralinguistisch artikulieren. ■ Dynamik oder Flexibilität des Körperbildes Das Körpererleben ist äußerst variabel, darauf hat die phänomenologische Erforschung des Körpererlebens immer wieder hingewiesen. Der Körper kann ebenso selbsthaltig (im Deutschen sprechen wir von Leiberfahrung) wie objekthaft erlebt werden. Das Erleben kann sich zentrieren auf die im Körper stattfindenden Erfahrungen, aber auch auf den »Außenleib« (Wulff 1958), also auf die körperliche Verbindung zur Umwelt. Der Körper kann ganzheitlich, aber auch »zerstückelt« (Sell/ Küchenhoff 2015) erlebt werden. Nicht die einzelnen Zustände sind auffallend oder erreichen Krankheitswert, sondern nur ihre Verabsolutierung. Körpererfahrung oszilliert oder fluktuiert; sie kann zurückgreifen auf ontogenetische »Schichtungen«, auf unterschiedliche Stufen des Erlebens, die einander überlagen, ohne dass die eine die andere überflüssig macht; denken wir nur an die ungeheure Bedeutung des Lagesinns in der frühesten Kindheitsentwicklung, die sich später relativiert, ohne aber zu verschwinden. Zur empirischen Analyse des Körperbildes Die psychodynamischen Dimensionen des Körperbildes, die vorstehend beschrieben worden sind, weisen darauf hin, wie komplex das Konstrukt ist. Es ist verständlich, dass empirische Forschung es nicht leicht hatte und hat, auf eine valide und reliable Weise das Körpererleben zu bestimmen. Drei Wege können prinzipiell unterschieden werden: Die Befragung durch normierte und erprobte Fragebögen, die kreative Darstellung von Körperbildern mit verschiedenen Materialien und das in einem Fremdrating ausgewertete Interview. Fragebögen Vermutlich sind Fragebögen am weitesten verbreitet, in denen die Einstellung zum eigenen Körper mit vorformulierten Fragen erfasst wird. Fragebögen beruhen als normative Ansätze auf der Annahme, mittels festgelegter allgemeingültiger Skalen auch individuelles Körpererleben darstellen zu können. Darin liegt ihr erstes zentrales Problem. Sie messen sicher wertvolle globale Dimensionen, aber sie erlauben es nicht, die individuellen Prägungen des Körperbildes zu erfassen. Sie sind hilfreich für eine orientierende Untersuchung, um zu erfassen, wo das Körpererleben in die Symptome und Beschwerden einbezogen ist. Sie können aber vor- oder unbewusste Bedeutungszusammenhänge nicht abbilden. Somit können wichtige Bereiche der Subjektivität des Körpererlebens bzw. Körperbildes nicht erfasst werden. Aus diesen Gründen sollte eine vertiefte individuelle Untersuchung des Körperbildes multimodal erfolgen und durch Wir stimmen uns, bevor wir überhaupt nachdenken, leiblich aufeinander ein. [ 63 ] Küchenhoff • Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse 2 | 2023 [ 63 ] Küchenhoff • Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse 2 | 2023 narrative Elemente ergänzt werden, um der Komplexität und Variabilität des Körperbildes im Einzelfall gerecht zu werden. Dies ist mit Hilfe von kreativen Verfahren und semistrukturierten oder offenen Interviews möglich. Kreative Verfahren Frühzeitig hat die Psychoanalytikerin G. Pankow in ihrem Wunsch, psychotisch erlebende Menschen zu behandeln, eine Modelliertechnik entwickelt, die eine dynamische Strukturierung des Körperbildes erlaubt (Pankow, 1974). Die Modelliertechnik nutzt die spontane Fähigkeit der PatientInnen, die eigene fantasmatische Leiberfahrung, also ihr Körperbild, auf selbstgeschaffene Gegenstände, zum Beispiel Tonplastiken, zu projizieren. Die TherapeutIn versteht und benennt die entstehenden Plastiken als kreative Kommentare zur affektiv-leiblichen Beziehung zwischen sich und den PatientInnen. Der Vergleich mit Spieltherapien aus der Schule von Melanie Klein (Klein 1962, 12 ff ) liegt nahe; Voraussetzung aller kreativen Verfahren ist die Fähigkeit der PatientIn zu projizieren und zu introjizieren. Als moderne Weiterführung dieser kreativen projektiven Verfahren, die mit dem Gespräch über die Produktionen wesentlich verbunden sind, lässt sich der »Körperskulptur Test« verstehen. Auch hier wird mit Ton ein Körper geformt, der allerdings nicht dem eigenen Körper entsprechen muss; die Aufforderung zu modellieren richtet sich allgemeiner auf einen Körper (von Arnim et al. 2007). Entscheidend ist auch hier, dass die Gestaltung eingelassen ist in ein Gespräch, denn nachträglich wird die geschaffene Körperbildskulptur besprochen, das plastisch Dargestellte wird mit eigenen Worten kommentiert und die persönlichen Erfahrungen im Entstehungsprozess mit der Skulptur geschildert. Das Körpererleben in der psychodynamischen Diagnostik Empirische Evaluationen des Körperbildes müssen der Komplexität der Erlebnisdimension Körperbild gerecht werden. Zu ihnen gehört, wie bereits beschrieben, die Einbettung des Körperbildes in Beziehungserfahrungen. Das Körperbild zu erfassen, setzt demnach voraus, das körperliche Selbst, das körperbezogene Selbsterleben, in seiner Beziehung zum anderen zu verstehen. Weiterhin ist ein Maß für die Flexibilität im Umgang mit dem eigenen Körper wichtig. Schließlich muss untersucht werden, wie vernetzt das Körperbild mit anderen Formen seelischer Repräsentationen ist, wie sehr also Körper und Sprache auseinanderfallen oder wie sehr seelische Vorstellungen und Körpererfahrungen integriert sind. Diese Dimensionen gehören zu den strukturellen Aspekten der Persönlichkeit. Nun lassen sich allgemeine Strukturmerkmale der Persönlichkeit recht gut und empirisch abgesichert mit der Strukturachse der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik OPD (Arbeitskreis OPD 2009) abbilden. Die OPD untersucht das Selbst und seine Beziehungen zu den wichtigen Bezugspersonen, den Objekten, und bestimmt Strukturniveaus anhand der Verfügbarkeit, somit auch der Flexibilität der beschriebenen Strukturmerkmale. Die OPD ist also grundsätzlich geeignet. Allerdings wurde das Körpererleben im OPD-2, der zweiten Revision der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik, kaum erfasst, es war lediglich in die Dimension der Selbstwahrnehmung eingeschlossen, als Bestandteil des Selbstbildes. Damit ist kaum eine differenzierte Aussage zum Körperbild möglich, das OPD-2 wurde der Komplexität körperlichen Erlebens nicht gerecht. Hier springt die »Körperbild-Liste« KBL (Küchenhoff / Agarwalla 2013) ein. Sie folgt der Logik der OPD, beschränkt aber die Analyse des Körperbilds nicht auf eine Dimension der Struktur, sondern findet Aspekte des Körpererlebens ebenso in vielen anderen Dimension von OPD-2. Auf die KBL soll nachfolgend ausführlich eingegangen werden. Nun ist in der Zwischenzeit die dritte Revision der OPD, OPD-3, erarbeitet worden, die im Frühjahr 2023 veröffentlicht wird. Das Körperbild zu erfassen, setzt voraus, das körperliche Selbst in seiner Beziehung zum anderen zu verstehen. [ 64 ] 2 | 2023 Forum Psychomotorik Die Körperbild-Liste Die Körperbild-Liste (Küchenhoff/ Agarwalla 2013) beschreibt das Körperbild in vier Hauptdimensionen, die sich dem Ansatz, den Körper in der Beziehung zu anderen zu beschreiben, verdanken. Dem Wahrnehmen und Erleben des eigenen Körpers folgen daher das Wahrnehmen und Erleben der Bezugspersonen in ihrer Körperlichkeit. Selbst- und Objektaspekte werden in der Hauptdimension »Körperliche Kommunikation« zusammengeführt. Etwas aus der Reihe fällt die vierte, »Inanspruchnahme des Körpers zur psychischen Regulation« genannt, die wegen ihres besonderen klinischen Gewichts gebildet worden ist. Die Hauptdimensionen werden jeweils differenziert in einer unterschiedlichen Anzahl von Unterkategorien. Alle werden in Bezug auf das Strukturniveau (gut---mäßig---gering---desintegriert) definiert und anhand eines Ankerbeispiels beurteilt. Im Folgenden werden die Dimensionen ausführlich beschrieben, weil sie das Körpererleben anschaulich beschreiben und nicht nur für die Forschung, sondern auch für die klinische Praxis nützlich sind. Hauptdimension Wahrnehmen und Erleben des eigenen Körpers Diese Hauptdimension umfasst sieben zentrale Dimensionen der Selbstwahrnehmung bzw. des Selbsterlebens, die auf das Körpererleben bezogen formuliert sind. Die kognitive Reflexion der eigenen Körperlichkeit ist die Fähigkeit, sich den eigenen körperlichen Zustand zu vergegenwärtigen und davon auch wieder Abstand zu nehmen. Sich nicht ausreichend körperlich zu pflegen und das gar nicht zu reflektieren, könnte einer mäßigen Einschränkung entsprechen unter der Voraussetzung, dass es im (therapeutischen) Gespräch möglich ist, auf die Selbstvernachlässigung aufmerksam zu werden. Wenn krankheitsbedingte Veränderungen im Körper dauerhaft verleugnet werden, spricht dies für eine geringe Integration kognitiver Selbstwahrnehmung. Wenn die an Anorexie leidende Patientin den abgemagerten Körper gar nicht wahrnehmen kann (Anosognosie), ist die Selbstreflexion in Bezug auf den Körper desintegriert. Selbstreflexivität in Bezug auf den Körper schließt die Fähigkeit ein, vom Körper wieder abzusehen; ständig über den eigenen Körper nachzudenken führt zu einer hypochondrischen Einstellung in unterschiedlichem Ausprägungsgrad. Das körperbezogene Selbstbild beschreibt die Fähigkeit, ein dynamisches Körperselbst aufzubauen und zu spüren, sich körperlich lebendig zu fühlen und sich ganzheitlich zu erleben. Dass es nicht selbstverständlich, sondern voraussetzungsreich ist, den Körper als eigen und nicht als fremd zu erleben, wird klinisch bei Depersonalisationserlebnissen deutlich. Erlebnisse körperlicher Fremdsteuerung, wie sie in psychotischen Beeinflussungswahnideen vorkommen, gehören zum desintegrativen Niveau. Momentane und situative Entfremdungen, die in ambivalent erlebten Situationen auftreten können, entsprechen einer mäßigen Integration. Eine Körperidentität, eine Identität im Körperbild aufrechtzuerhalten, bedeutet, eine stabile Vorstellung von der eigenen körperlichen Existenz bewahren zu können, über eine längere Zeitspanne hinweg, auch wenn Körperempfindungen situativ variieren, schnell wechseln oder widersprüchlich sein können oder wenn der Körper sich durch das Älterwerden oder durch Krankheit verändert. Toleranz für körperbezogene Affekte beschreibt, wie gut körperbezogene Affekte verarbeitet, verdaut oder integriert werden können. Dabei müssen zwei Perspektiven unterschieden werden: Wenn der Körper sich z. B. durch Krankheit verändert, kann dies heftige Affekte provozieren (somato-psychische Wirkrichtung). Umgekehrt können Affekte von Körperreaktionen begleitet sein, die ihrerseits wiederum toleriert werden müssen (psycho-somatische Wirkrichtung). Wer Angst hat und infolgedessen Schwindel erlebt, kann unter Umständen wiederum von dem Schwindel geängstigt sein, so dass sich die Angst in einem psychosomatisch-somatopsychischen circulus vitiosus steigert. Die Körperbild-Liste setzt den Ansatz, den Körper in der Beziehung zu anderen zu beschreiben, empirisch um. [ 65 ] Küchenhoff • Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse 2 | 2023 [ 65 ] Küchenhoff • Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse 2 | 2023 Intentionalität, Impulsivität und Triebhaftigkeit werden körpernah erlebt. Bei der Steuerung von Triebhaftigkeit und Handlungsfähigkeit ist zu unterscheiden, ob es überhaupt ein Aktivitätsbewusstsein in Bezug auf den eigenen Körper gibt und ob es akzeptiert und bejaht ist. Bei psychotischen Krankheitsbildern kann es ganz fehlen, etwa wenn Beeinflussungserlebnisse überwiegen. Werden Triebhaftigkeit und Intentionen als zur eigenen Person in ihrer körperlichen Existenz gehörend erlebt, können sie in unterschiedlichem Ausmaß akzeptiert und in die eigenen Handlungsvollzüge integriert werden. Die Antizipation körperlicher Veränderungen beschreibt die Möglichkeit, die Folgen körperlicher Veränderungen oder körperlicher Manipulationen einschätzen zu können, dazu gehört auch die Fähigkeit, sich auf Gesundheitsrisiken oder plötzliche Veränderungen von Körperzuständen einzustellen. Menschen, die unter schubförmig verlaufenden chronischen Krankheiten leiden, benötigen diese Fähigkeit besonders stark. Unter Internalisierung verstehen wir die Möglichkeit, Vorstellungen von anderen zu verinnerlichen und im eigenen Erfahrungsschatz stabil zu verankern. Sie wirkt sich stark auf den Umgang mit dem eigenen Körper aus (Internalisierung guter Objekte für den Umgang mit dem eigenen Körper). Während auf gutem Strukturniveau auch unter Belastung auf ein konstruktives Gesundheitsverhalten zurückgegriffen werden kann, ist dies auf mäßigem Strukturniveau nur noch eingeschränkt möglich, da die inneren, durch wichtige Bezugspersonen vermittelten Bilder (Objektrepräsentanzen) nicht oder nicht genügend konstruktiv sind. Wer im Verlauf der Entwicklung sich nie auf ein »genügend« gutes Objekt, das die Entwicklung solcher Möglichkeiten unterstützt und gefördert hätte, verlassen konnte, hat es schwer, mit sich selbst fürsorglich umzugehen. Hauptdimension Wahrnehmen und Erleben der Bezugspersonen in ihrer Körperlichkeit Zunächst geht es um die Frage, ob das Erleben des eigenen Körpers getrennt vom Körper eines anderen möglich ist (Differenzierung von Körperselbst und Objekt). Zu beachten ist besonders die Variante eines unvollkommenen Getrenntseins als klinisch wichtige Konstellation, in welcher der Körper wie ein Objekt behandelt wird. Gemeint ist damit, dass der eigene Körper oder Körperteile in der unbewussten Fantasie so behandelt werden wie Objekte, etwa indem an die Stelle des physischen Angriffs auf verhasste andere der Schnitt in die eigene Unterarmhaut tritt. Zweitens geht es um die Frage, ob der eigene Körper manipuliert wird, um Grenzerfahrung physisch zu ermöglichen. Sich selbst verletzen kann dazu dienen, die Grenze zwischen sich und anderen wieder erleben zu können. Die Fähigkeit, sich in die Körperlichkeit der anderen einzufühlen (Realistische Wahrnehmung des Objektes in seiner Körperlichkeit), ist voraussetzungsreich. Bei guter Struktur kann das eigene Körperempfinden als Gradmesser des Körperempfindens der anderen genommen werden. Im intimen Zusammenleben ist es wichtig, sich in das sexuelle Erleben der PartnerIn einfühlen zu können. Dies ist aber nur möglich, wenn auch der eigene Körper realistisch wahrgenommen werden kann. Schließlich gehört zur Empathie in den körperlichen Zustand des anderen die Möglichkeit, Unterschiede festzustellen und zu ertragen. Dies ist vor allem bei Krankheit und Behinderung bedeutsam. Objektbezogene Affekte beschreiben die Qualität körperbezogener Gefühle im Verhältnis zum Objekt, charakterisieren also die Qualität der physischen Interaktion, z. B. die Freude am körperlichen Austausch mit den oder die Angst vor der physischen Präsenz der anderen (Affekte und Triebwünsche in Bezug auf den Körper des anderen). Wenn Triebwünsche bewusst und bejaht sind, kann der andere oder die andere begehrt werden; andernfalls müssen die Objektbesetzungen abgewehrt werden, vielleicht sogar überhaupt ein Begehren, so dass die eigene Triebhaftigkeit insgesamt bekämpft wird. Die körperliche Beziehung zum Objekt schützen gelingt, wenn die physische Integrität des Gegenübers respektiert werden kann. Andernfalls wird der Körper der anderen funktionalisiert, einem eigenen Begehren unterworfen. Körperliche Funktionalisierung als Unterwerfung [ 66 ] 2 | 2023 Forum Psychomotorik des Körpers des anderen unter die eigenen Interessen kann zu sexuellem Missbrauch und zu physischer Gewalt führen und kann die Vorstellung erzeugen, dass der anderen gar keine körperliche Eigenheitssphäre eingeräumt werden muss, bei geringem oder desintegriertem Strukturniveau. Hauptdimension Körperliche Kommunikation Es bedarf einer Fähigkeit, Affekte über Körpersignale zu vermitteln (Mitteilen eigener Affekte über Körpersignale), ebenso wie Körpersignale, die andere aussenden, zu verstehen und zu respektieren (Verstehen fremder Körpersignale). Weiter geht die Fähigkeit, körperliche Unterstützung, die andere anbieten, annehmen und für sich nutzen zu können und umgekehrt anderen auch gewähren zu können (Körperliche Unterstützung annehmen und geben können). Schließlich stimmen eigene körperliche Bedürfnisse mit denen anderer nicht ohne weiteres überein, körperliche Kommunikation im Sinne der KBL schließt demnach die Fähigkeit ein, eigene körperliche Bedürfnisse zu erkennen und zu berücksichtigen, ohne die Bedürfnisse anderer zu übersehen (Eigene körperliche Bedürfnisse aufrechterhalten unter Wahrung der körperlichen Interessen von anderen). Hauptdimension Inanspruchnahme des Körpers zur psychischen Regulation Die beiden Subdimensionen, die als Inanspruchnahme des Körpers zur psychischen Regulation zusammengefasst werden, sind für die Psychotherapie hochbedeutsam. Loslösungen bzw. Trennungen können nur adäquat erlebt und vollzogen werden, wenn der Körper auch als eigen erlebt werden kann. Ebenso ist das Erleben der eigenen Kontrolle bedeutsam, um die Selbstwertregulation effektiv einsetzen zu können. Wird der Körper als fremdbestimmt erlebt, kann die Orientierung fehlen und die Entwicklung des Selbstwertregulationsprozesses blockiert oder fehlgeleitet werden. Selbstwertregulation durch den Körper fragt nach dem Ausmaß, in dem Körperlichkeit für die Selbstwertregulation in Anspruch genommen wird, also nach der Instrumentalisierung des Körpers zur Selbstwertstabilisierung. Sie kann den »sozialen Körper« betreffen, sich also im Umgang mit sozialen Körperattributen oder an der Inanspruchnahme der Sexualität für die Selbstwertregulation zeigen. Aber auch der »physische Körper« kann instrumentalisiert werden, v. a. Selbstwertkrisen können versuchsweise durch körperliche Manipulationen, z. B. durch Essanfälle oder Selbstverletzungen, abgefangen werden. Die Loslösung unter Verzicht auf destruktive körperliche Prozesse zu erkennen ist für körperbezogene seelische Störungen besonders wichtig. Hier geht es um das Ausmaß, indem der Körper für Prozesse der Bindung oder der Loslösung funktionalisiert wird. Der Körper kann z. B. in Anspruch genommen bzw. manipuliert werden, wenn Trauerprozesse nach Trennungen als zu bedrohlich erfahren werden. An die Stelle des seelischen Schmerzes tritt etwa der Schmerz der Selbstverletzung oder der Essanfall mit einer übermäßigen Nahrungsaufnahme ersetzt den Verlust des anderen in der Ablösung oder nach anderen Trennungserfahrungen. Die Körperbild-Liste liegt, ergänzt durch Ankerbeispiele, als Ratingbogen dem Buch »Körperbild und Persönlichkeit« (Küchenhoff / Agarwalla 2013) bei. Das »Körperselbst« In der dritten Revision der OPD (Arbeitskreis OPD 2023) wurde eine eigene Skala »Körperselbst« (Abb. 1) gebildet, die nachfolgend mit der KBL verglichen wird. Unschwer zu erkennen ist die recht gute Übereinstimmung mit einigen Unterdimensionen der Dimension »Wahrnehmung und Erleben des eigenen Körpers« der Körperbildliste. So beschreibt die Dimension »Kognitive Reflexion der eigenen Körperlichkeit« auch die Fähigkeit, ein dynamisches (lebendiges, ganzheitliches) Körperselbst aufzubauen, zu spüren und als zu sich gehörig zu erleben, also sowohl die Kriterien »Vitalität« und »Ganzheitlichkeit«. Was in der KBL »Körperidentität« heißt, wird 1 Gut 1,5 2 Mäßig 2,5 3 Gering 3,5 4 Desintegriert 3 . 3 K ö r p e r s e l b s t Der eigene Körper wird als belebt, positiv sowie als Ganzheit und zu sich gehörig erlebt. Die Aufmerksamkeit auf den Körper wechselt situationsadäquat und es besteht ein angemessen selbstfürsorglicher Umgang mit dem eigenen Körper. Unter Druck wird der Körper gelegentlich als unlebendig erlebt; das Gefühl der Ganzheit und Verbundenheit mit dem Körper bleiben bestehen. Situativ kann sich die Aufmerksamkeit auf den Körper fixieren, überwiegend ist der Umgang mit dem eigenen Körper von angemessener Selbstfürsorge geprägt. Der Körper kann manchmal als wenig belebt und als Last empfunden werden. Dabei wird er als Ganzheit erlebt, es kann jedoch kurzfristig ein Fremdheitserleben auftreten. Die Aufmerksamkeitsfokussierung auf körperliche Prozesse kann längere Zeit anhalten. Gelegentlich wird der Körper vernachlässigt. Außerhalb stabilisierender Bedingungen ist das Körpererleben immer wieder wenig lebendig oder fremd und kann belastend oder bedrohlich werden. Das Erleben des Körpers als Ganzheit geht phasenweise verloren. Es kann über längere Zeit eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf körperliche (Dys-) Funktionen bestehen. Der Körper wird gelegentlich vernachlässigt oder geschädigt. Der Körper wird immer wieder als eingefroren, belastend, fragmentiert oder fremd erlebt; das Körpererleben kann aber auch überhöht lebendig sein. Leicht entstehen Fixierungen auf körperliche Dysfunktionen bis hin zur Verdinglichung eines entfremdeten Körpers. Der Körper wird vernachlässigt oder---oft schädigend---zum Gegenstand diverser Manipulationen gemacht. Der Körper wird immer wieder als abgestorben, fragmentiert oder auch getrennt von der Psyche erlebt. Die sensible Wahrnehmung des Körpers kann zeitweise verändert sein. Die Aufmerksamkeit auf körperliche Dysfunktionen fixiert sich und wird von Panik und Verzweiflung begleitet. Der Körper wird massiv vernachlässigt oder durch übertriebene und entstellende Maßnahmen dauerhaft geschädigt. Der Körper wird überwiegend als abgestorben, fragmentiert und / oder fremdbeeinflusst empfunden. Es besteht eine oft starre Aufmerksamkeitsfokussierung auf veränderte, oft negative Körperaspekte. Die Verbindung zwischen Psyche und Soma scheint weitgehend verloren gegangen. Der Körper kann direkt massiv geschädigt oder vernachlässigt werden, wofür oft jegliche Wahrnehmung fehlt. K e r n s ä t z e Gute Integration Bei Einschränkung zunehmende(s) … Vitalität Lebendiges und bejahendes Leibgefühl. Gefühl der Starrheit und der Last. Ganzheitlichkeit Integriertes (verbundenes) Körperbild. Fragmentierung des Körperbildes. Selbstgefühl Integration des Körpers ins Selbstbild. Entfremdung des Körpererlebens. Aufmerksamkeitsfokussierung Flexibilität in der Zuwendung zum eigenen Körper. Fixierung in der Beobachtung des eigenen Körpers. Selbstfürsorge Fähigkeit, sich körperlich zu pflegen. Vernachlässigung und Schädigung des Körpers. Abb. 1: Skala »Körperselbst« der Strukturachse in OPD-3 [ 67 ] Küchenhoff • Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse 2 | 2023 [ 67 ] Küchenhoff • Das Körperbild: Konzept und empirische Analyse 2 | 2023 die Selbstwertregulation in Anspruch genommen wird, also nach der Instrumentalisierung des Körpers zur Selbstwertstabilisierung. Sie kann den »sozialen Körper« betreffen, sich also im Umgang mit sozialen Körperattributen oder an der Inanspruchnahme der Sexualität für die Selbstwertregulation zeigen. Aber auch der »physische Körper« kann instrumentalisiert werden, v. a. Selbstwertkrisen können versuchsweise durch körperliche Manipulationen, z. B. durch Essanfälle oder Selbstverletzungen, abgefangen werden. Die Loslösung unter Verzicht auf destruktive körperliche Prozesse zu erkennen ist für körperbezogene seelische Störungen besonders wichtig. Hier geht es um das Ausmaß, indem der Körper für Prozesse der Bindung oder der Loslösung funktionalisiert wird. Der Körper kann z. B. in Anspruch genommen bzw. manipuliert werden, wenn Trauerprozesse nach Trennungen als zu bedrohlich erfahren werden. An die Stelle des seelischen Schmerzes tritt etwa der Schmerz der Selbstverletzung oder der Essanfall mit einer übermäßigen Nahrungsaufnahme ersetzt den Verlust des anderen in der Ablösung oder nach anderen Trennungserfahrungen. Die Körperbild-Liste liegt, ergänzt durch Ankerbeispiele, als Ratingbogen dem Buch »Körperbild und Persönlichkeit« (Küchenhoff / Agarwalla 2013) bei. Das »Körperselbst« In der dritten Revision der OPD (Arbeitskreis OPD 2023) wurde eine eigene Skala »Körperselbst« (Abb. 1) gebildet, die nachfolgend mit der KBL verglichen wird. Unschwer zu erkennen ist die recht gute Übereinstimmung mit einigen Unterdimensionen der Dimension »Wahrnehmung und Erleben des eigenen Körpers« der Körperbildliste. So beschreibt die Dimension »Kognitive Reflexion der eigenen Körperlichkeit« auch die Fähigkeit, ein dynamisches (lebendiges, ganzheitliches) Körperselbst aufzubauen, zu spüren und als zu sich gehörig zu erleben, also sowohl die Kriterien »Vitalität« und »Ganzheitlichkeit«. Was in der KBL »Körperidentität« heißt, wird 1 Gut 1,5 2 Mäßig 2,5 3 Gering 3,5 4 Desintegriert 3 . 3 K ö r p e r s e l b s t Der eigene Körper wird als belebt, positiv sowie als Ganzheit und zu sich gehörig erlebt. Die Aufmerksamkeit auf den Körper wechselt situationsadäquat und es besteht ein angemessen selbstfürsorglicher Umgang mit dem eigenen Körper. Unter Druck wird der Körper gelegentlich als unlebendig erlebt; das Gefühl der Ganzheit und Verbundenheit mit dem Körper bleiben bestehen. Situativ kann sich die Aufmerksamkeit auf den Körper fixieren, überwiegend ist der Umgang mit dem eigenen Körper von angemessener Selbstfürsorge geprägt. Der Körper kann manchmal als wenig belebt und als Last empfunden werden. Dabei wird er als Ganzheit erlebt, es kann jedoch kurzfristig ein Fremdheitserleben auftreten. Die Aufmerksamkeitsfokussierung auf körperliche Prozesse kann längere Zeit anhalten. Gelegentlich wird der Körper vernachlässigt. Außerhalb stabilisierender Bedingungen ist das Körpererleben immer wieder wenig lebendig oder fremd und kann belastend oder bedrohlich werden. Das Erleben des Körpers als Ganzheit geht phasenweise verloren. Es kann über längere Zeit eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf körperliche (Dys-) Funktionen bestehen. Der Körper wird gelegentlich vernachlässigt oder geschädigt. Der Körper wird immer wieder als eingefroren, belastend, fragmentiert oder fremd erlebt; das Körpererleben kann aber auch überhöht lebendig sein. Leicht entstehen Fixierungen auf körperliche Dysfunktionen bis hin zur Verdinglichung eines entfremdeten Körpers. Der Körper wird vernachlässigt oder---oft schädigend---zum Gegenstand diverser Manipulationen gemacht. Der Körper wird immer wieder als abgestorben, fragmentiert oder auch getrennt von der Psyche erlebt. Die sensible Wahrnehmung des Körpers kann zeitweise verändert sein. Die Aufmerksamkeit auf körperliche Dysfunktionen fixiert sich und wird von Panik und Verzweiflung begleitet. Der Körper wird massiv vernachlässigt oder durch übertriebene und entstellende Maßnahmen dauerhaft geschädigt. Der Körper wird überwiegend als abgestorben, fragmentiert und / oder fremdbeeinflusst empfunden. Es besteht eine oft starre Aufmerksamkeitsfokussierung auf veränderte, oft negative Körperaspekte. Die Verbindung zwischen Psyche und Soma scheint weitgehend verloren gegangen. Der Körper kann direkt massiv geschädigt oder vernachlässigt werden, wofür oft jegliche Wahrnehmung fehlt. K e r n s ä t z e Gute Integration Bei Einschränkung zunehmende(s) … Vitalität Lebendiges und bejahendes Leibgefühl. Gefühl der Starrheit und der Last. Ganzheitlichkeit Integriertes (verbundenes) Körperbild. Fragmentierung des Körperbildes. Selbstgefühl Integration des Körpers ins Selbstbild. Entfremdung des Körpererlebens. Aufmerksamkeitsfokussierung Flexibilität in der Zuwendung zum eigenen Körper. Fixierung in der Beobachtung des eigenen Körpers. Selbstfürsorge Fähigkeit, sich körperlich zu pflegen. Vernachlässigung und Schädigung des Körpers. Abb. 1: Skala »Körperselbst« der Strukturachse in OPD-3 [ 68 ] 2 | 2023 Forum Psychomotorik im OPD-3 als »Selbstgefühl« klassifiziert, aber auch als Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf den Körper zu richten und wieder loszulassen (»Aufmerksamkeitsfokussierung«). Die Unterdimension »Internalisierung guter Objekte für den Umgang mit dem eigenen Körper« führt zur Fähigkeit, für sich selbst körperlich adäquat zu sorgen, also zu »Selbstfürsorge« in der OPD-3. Fazit Die OPD-3 stellt einen großen Schritt vorwärts dar, insofern als das Körperselbst als Strukturmerkmal nun eine eigene Skala erhalten hat. Sie liest sich als eine Zusammenfassung der ersten Hauptdimension der KBL, der Körperselbstwahrnehmung und widerspricht ihr nicht. Die KBL aber ist breiter angelegt, widmet sich bereits der Selbstwahrnehmung im Körperlichen viel differenzierter und fügt noch die erwähnten drei anderen Dimensionen hinzu, das auf den anderen gerichtete »Wahrnehmen und Erleben der Bezugspersonen in ihrer Körperlichkeit«, die kommunikativen Aspekte körperlicher Interaktion (»Körperliche Kommunikation«) und schließlich die für das Verständnis mancher körperbezogener psychischer Störungen wegleitende Dimension »Inanspruchnahme des Körpers zur psychischen Regulation« hinzu. Das Prinzip des Ratings hingegen ist bei beiden identisch. Die KBL ist aus dem OPD-2 heraus entwickelt worden. Die Merkmale wurden schon im OPD-2 gemäß ihrer strukturellen Verfügbarkeit bzw. den Fähigkeiten, sie einzusetzen, in vier Integrationsniveaus (gut, mäßig, gering, desintegriert) beschrieben. Diese Differenzierung ist im OPD-3 erhalten geblieben und in die KBL integriert worden. Es bietet sich nunmehr an, die beiden verwandten Ratinginstrumente differenziert einzusetzen, wenn auf Körperbild und das Körpererleben speziell geachtet werden soll. Die Skala »Körpererleben« kann zunächst gut als Screening-Instrument benutzt werden. Die KBL dient dann der Vertiefung und Erweiterung der Analyse im klinischen Einzelfall und in der Forschung. Literatur Arbeitskreis OPD (2009): OPD-2- -- Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. Hogrefe, Göttingen Arbeitskreis OPD (2023): OPD-3- -- Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. Hogrefe, Göttingen Dolto, F. (1985): Das unbewußte Bild des Körpers. Quadriga, Weinheim Klein, M. (1991): Das Seelenleben des Kleinkindes. Klett-Cotta, Stuttgart Küchenhoff, J. (2012): Körper und Sprache. Psychosozial, Gießen Küchenhoff, J., Agarwalla, P. (2013): Körperbild und Persönlichkeitsstörung. Die klinische Evaluation des Körpererlebens mit der Körperbildliste. 2.-Aufl. Springer, Berlin / Heidelberg Merleau-Ponty, M. (1984): Das Auge und der Geist. Philosophische Essays. Meiner, Hamburg Merleau-Ponty, M. (1986): Das Sichtbare und das Unsichtbare. Fink, München Pankow, G. (1974): Die gesprengten Fesseln der Psychose. Kindler, München Schilder, P. (1950): The Image and Appearance of the Human Body: Studies in the Constructive Energies of the Psyche. International Universities Press, New York Sell, M., Küchenhoff, J. (2015): »In Stücke zerrissen«: Der fragmentierte Körper. Phantasma, Lustobjekt und Erkenntnistheorie. Psyche---Z Psychoanal 69: 1007-1032 Von Arnim, A., Joraschky, P., Lausberg, H. (2007): Körperbild-Diagnostik. In: Geissler, O., Heisterkamp, G. (Hrsg.): Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Springer Verlag, Wien, https: / / doi. org/ 10.1007/ 978-3-211-48609-2_7 Wulff, E. (1958): Der Hypochonder und sein Leib. Nervenarzt 29, 60-71, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3- 662-42634-0_2 Der Autor Prof. Dr. Joachim Küchenhoff Psychiater, Psychosomatiker und Psychoanalytiker (IPA; SGPsa, DPV) in freier Praxis, Prof.em. der Universität Basel, Gastprofessur und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin Anschrift Prof. Dr. Joachim Küchenhoff Hohe Winde Straße 112 CH 4059 Basel Joachim.Kuechenhoff@unibas.ch
