eJournals motorik 46/2

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2023.art13d
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2023
462

Forum Psychomotorik: Leib-/Körpererleben und Gesellschaft - eine Wechselbeziehung

41
2023
Ruth Haas
In diesem Beitrag wird die Wechselbeziehung von Körper-/Leiberleben und gesellschaftlichen Einflüssen thematisiert. Diese Reziprozität wird exemplarisch anhand von Befunden zu medialen Körperdarstellungen, zum Körper-/Leiberleben und Gesundheit sowie Schönheitsidealen im höheren Lebensalter aufgezeigt.
7_046_2023_2_0004
Zusammenfassung / Abstract In diesem Beitrag wird die Wechselbeziehung von Körper- / Leiberleben und gesellschaftlichen Einflüssen thematisiert. Diese Reziprozität wird exemplarisch anhand von Befunden zu medialen Körperdarstellungen, zum Körper- / Leiberleben und Gesundheit sowie Schönheitsidealen im höheren Lebensalter aufgezeigt. Schlüsselbegriffe: Körpererleben, Körperzufriedenheit, Alter, mediale Körperdarstellungen, Leib Body image and society---a reciprocal relation This article addresses the reciprocity of body experience and social influences. Results of some specific studies to / about the reciprocity of body experience and medial body representation, health and ideals of beauty will be presented. Keywords: Body experience, body cathexis, old age, medial body representation [ 69 ] motorik, 46. Jg., 69-73, DOI 10.2378 / mot2023.art13d © Ernst Reinhardt Verlag 2 | 2023 [ FORUM PSYCHOMOTORIK ] Leib-/ Körpererleben und Gesellschaft---eine Wechselbeziehung Ruth Haas Funktionen eröffnen oder verschließen den Zugang zur Außenwelt (ebd., 2017, 9 f ). Kommunikation und Interaktion basieren auch im Zeitalter virtueller Begegnungen auf dem Leib / Körper. Besonders gesundheitlich bedeutsam sind zwischenmenschliche Berührungen. Auch Berührungserfahrungen sind gesellschaftlich und kulturell geprägt. Bei einer Berührung begegnen sich berührte und berührende Person in ihrer Zwischenleiblichkeit und mit ihrer Berührungsbiografie, die kulturell und gesellschaftlich eingebettet ist. Dies gilt auch für Selbst-, Tier- und Gegenstandsberührungen (Riedel 2022, 4). Zwischenmenschliche Berührungen geschehen alltäglich und unterliegen ritualisierten Abläufen wie z. B. Händeschütteln oder Umarmung bei Begrüßung und Die Wechselbeziehung Der Körper / Leib bildet die Basis des menschlichen Seins. Dennoch können sich Menschen von ihrem Körper gedanklich und emotional distanzieren, ihn bewerten, instrumentalisieren. Der Umgang mit dem Körper / Leib kann als soziales und kulturelles Phänomen betrachtet werden (Hubrich 2013, 11). Alle alltagsbezogenen und sportlichen Leib- / Körperpraktiken wie Körperpflege, Nahrungsaufnahme, (Fort-)Bewegung, Sitzen, Schreiben, Joggen, Tanzen etc. stehen immer in einem gesellschaftlichen Kontext (Gugutzer 2015). Bewegungen unterliegen einem kulturell beeinflussten Lernprozess und werden im Laufe der Körper- und Bewegungssozialisation zu Gewohnheiten (Klein 2022, 13). Im Medienzeitalter, das mit körperlicher Passivität und Bewegungsmangel verbunden ist, wird Bewegung zum gesundheitlich bedeutsamen Ausgleich (Klein 2022, 12). Körperinszenierungen und Körperschmuck, wie Tattoos oder Piercing, können als Ausdruck des Selbst- und Weltverständnisses betrachtet werden. Kleidung verhüllt oder betont die körperliche Erscheinung und wird von Modeströmungen beeinflusst. Mediale Körperdarstellungen vermitteln Körper- und Schönheitsideale. Zudem haben körperlich / leibliche Veränderungsprozesse Einfluss auf die individuelle Weltsicht (Gugutzer 2015, 11). Denn das, was wahrgenommen, gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt werden kann, vermittelt eine individuelle Perspektive auf die Umwelt. Motorische [ 70 ] 2 | 2023 Forum Psychomotorik Abschied (ebd., 5). Berührungspraxen dienen darüber hinaus dem Ausdruck von Macht, Kontrolle und Gewalt. Im Kontext von Liebe und Erotik oder von Sport, Tanz, Wellness, aber auch im Zusammenhang von Bildung, Pflege und Therapie beinhalten Berührungen individuelle und gesellschaftlich-kulturelle Bedeutungszuschreibungen und Bewertungen (ebd.). Der Körper / Leib spielt bei der Entwicklung und Gestaltung von Identität eine bedeutsame Rolle. Aspekte der körperlichen Erscheinung, wie Mimik, Gestik, Haltung, Bewegung und Kleidung helfen als leibliche Darstellungsformen die Identität sichtbar zu machen. Diese verdeutlichen kulturelle Prägungen und gesellschaftliche Einflüsse. In der Gesundheits-, Fitness- und Schönheitsdebatte treten diese explizit oder implizit zu Tage (Liebsch 2022, 54 f.). Die soziologische Identitätsforschung betont, dass das Individuum das eigene Selbstbild aus verschiedenen Teil-Selbstbildern aktiv zusammensetzen muss. Diese werden durch unterschiedliche Lebenswelten, in denen sich die Person befindet und durch unterschiedliche Rollenanforderungen beeinflusst (ebd.). Im Körper / Leib werden die Möglichkeiten der Selbstformierung durch Inszenierung immer wieder erneuert, wie z. B. durch Kleidung und Körpersprache. Die Körpersoziologie beschreibt den Körper / Leib einerseits als ErzeugerIn, andererseits als Erzeugnis der Gesellschaft (Gugutzer 2015). Das Körper- / Leiberleben der KlientInnen kann als »Kumulationspunkt« individueller und gesellschaftlich bestimmter Identität betrachtet werden (ebd., 41). Der Körper / Leib stellt sowohl Mittel als auch Objekt dieser Identitätskonstruktionen dar. Diese Verschränkung soll im Folgenden anhand von Befunden zur Wechselbeziehung von Körper- / Leiberleben und Medienkonsum, Körper- / Leiberleben und Gesundheit im höheren Lebensalter und Körper- / Leiberleben und Schönheitsidealen aufgezeigt werden. Kommunikation und Interaktion basieren auch im Zeitalter virtueller Begegnungen auf dem Leib / Körper. Schnittpunkte von Körpererleben und Gesellschaft Körper- / Leibdarstellungen im Fernsehen Schönheit liegt im Auge der BetrachterIn? ! Doch die Wahrnehmung dieses »Auges« beruht nicht auf einer allein persönlichen Wirklichkeitskonstruktion, sondern dieser liegen gesellschaftlich und kulturell definierte Schönheitsnormen zugrunde. Degele (2017, 114) fragt deshalb, »(…) was Gesellschaft mit schönen (oder weniger schönen) Körpern macht, ebenso auch, in welcher Weise Körper Gesellschaft konstruieren, steuern, modifizieren, beides auch und vor allem in Hinblick auf Geschlecht«. Diese Frage lässt einen Blick auf mediale Darstellungen des Körpers, insbesondere bei Frauen, werfen. In den unterschiedlichen Medien existiert eine große Bandbreite unterschiedlicher Arten von Körperdarstellungen, welche die Körperzufriedenheit von Personen beeinflussen können. Die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper kann als Teilaspekt des einstellungsbezogenen Körperbildes und als Abgleich zwischen körperbezogenen Ist- und Soll-Zuständen betrachtet werden. Die Ausprägung des Unterschiedes zwischen Ist und Soll kann als Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper gedeutet werden (ebd.,- 7). Körperzufriedenheit kann auch als subjektive Bewertung des eigenen Äußeren verstanden werden, die sowohl kognitive als auch emotionale Tönungen beinhaltet. Im Rahmen einer repräsentativen Studie von Cash und Henry aus dem Jahr 1995 wurden amerikanische Frauen bzgl. ihrer Körperzufriedenheit befragt. Es zeigte sich, dass 48 % der Befragten unzufrieden mit ihrem Körper waren (Cash / Henry 1995). Körperunzufriedenheit gilt als Vorläufer psychischer und körperlicher Problemlagen wie z. B. einem niedrigen Selbstwertgefühl, Depressionen und Essstörungen (Blake 2014, 2). Körperdarstellungen im Fernsehen, insbesondere bei weiblichen Protagonistinnen zeigen eine Dominanz von schlanken, jungen Personen in der Alterspanne zwischen 19 und 35 Jahren. Die Darstellung älterer Frauen im Alter über 60 Jahre fallen sehr selten aus und sichtbare Altersanzeichen werden in fernsehmedialen Körperdarstellungen eher ausgeklammert (Blake 2014, 18). [ 71 ] Haas • Leib- / Körpererleben und Gesellschaft---eine Wechselbeziehung 2 | 2023 [ 71 ] Haas • Leib- / Körpererleben und Gesellschaft---eine Wechselbeziehung 2 | 2023 Anders zeigt sich dies in Doku-Soaps, da dies im Widerspruch zum sog. Realitätsanspruchs dieses TV-Genres stehen würde. Menschen mit deutlichen Abweichungen vom Schönheitsideal werden in den Mittelpunkt gestellt und z. T. diskreditiert (ebd., 21). Im Gegensatz dazu können Casting-Shows als Brennpunkt idealisierter Körperdarstellungen bezeichnet werden. Ein möglicher Zusammenhang zwischen Körperunzufriedenheit und der Entwicklung von Essstörungen bei Mädchen und Frauen kann angenommen werden (Focus Online 2012 oder Maier 2006). Idealisierte mediale Körperdarstellungen können sich kurzals auch langfristig negativ auf die Körperzufriedenheit von Kindern und Jugendlichen auswirken (Blake 2014, 48). Besonders gefährdet sind weibliche Personen mit niedrigem Selbstwertgefühl, erhöhtem BMI und verinnerlichten idealisierten Schönheitsidealen (ebd., 61). Körper / Leiberleben und Wohlbefinden im Alter Die Psychologie unterscheidet bei der Betrachtung des Alters das 3. und 4. Lebensalter. Die zeitliche Abgrenzung dieser Phasen variiert zwischen dem 75. und dem 85. Lebensjahr (Heuft/ Kruse / Radebold 2015, 5). Das 3. Lebensalter ist dadurch gekennzeichnet, dass die meisten Menschen vorhandene Einschränkungen gut kompensieren können und über die erforderlichen Ressourcen verfügen, ihr Leben selbstbestimmt und zielorientiert zu gestalten. Das 4.- Lebensalter weist eine große interindividuelle Variabilität auf. Gemeinsam ist jedoch eine deutliche Erhöhung biologisch-organischer Gesundheitsrisiken. Dazu werden chronische körperliche Erkrankungen, Multimorbidität, aber auch der Verlust wichtiger Bezugspersonen gerechnet. Zusätzlich dazu tragen in dieser Lebensspanne sensorische und motorische Einschränkungen sowie hirnorganische Erkrankungen zu Hilfs- und / oder Pflegebedürftigkeit bei. Körperliche / leibliche Alterungsprozesse und damit verbundene Veränderungen in der Alltagsbewältigung und Selbstständigkeit lassen das Alter spürbar werden. Nicht mehr problemlos einsetzbare Körperfunktionen verlieren ihre Selbstverständlichkeit (Heuft et al. 2015, 5). Altersabhängige Einschränkungen haben nicht zwangsläufig negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden. Menschen können sich in hohem Maß an diese Veränderungen anpassen. Die psychische Bedeutung dieser einschränkenden Abbauveränderungen kann sich allerdings auch negativ auf das Wohlbefinden auswirken (Albani/ Gunzelmann / Brähler 2009, 237). Die Bewältigung von beeinträchtigenden, körperlichen Veränderungen wird als bedeutsame Entwicklungsaufgabe des höheren Lebensalters betrachtet (Heuft et al. 2015, 125). Albani et al. (2009) untersuchten einen möglichen Zusammenhang von Körperbild und körperlichen Beschwerden bei Menschen ab dem 60. Lebensjahr anhand der Kategorien einer akzeptierenden bzw. ablehnenden Einstellung gegenüber dem eigenen Körper und der Einschätzung u. a. von Energie, Stärke und Vitalität. Es zeigte sich, dass ein positives Körperbild bei jüngeren männlichen Älteren und in einer Partnerschaft lebenden Personen mit hoher sozialer Unterstützung am stärksten ausgeprägt ist. Dies ist verknüpft mit einem geringen Ausmaß an körperlichen Beschwerden und körperlichem Wohlbefinden. Alleinlebende, weibliche Personen im hohen Lebensalter mit geringer sozialer Unterstützung und einem hohen Ausmaß an körperlichen Beschwerden zeigten ein negatives Körperbild mit niedrigem körperlichem Wohlbefinden (ebd., 242). Ein negatives Körperbild wurde bei jüngeren Älteren mit geringer, sozialer Unterstützung trotz Partnerschaft benannt, auch wenn diese wenig unter Körperbeschwerden litten. Diese Studie zeigt auf, dass das Körperbild einen Einflussfaktor bzgl. des Erlebens von körperlichen Beschwerden darstellt (ebd.). Partnerschaft, soziale Unterstützung »Ein attraktives äußerliches Erscheinungsbild sowie das gemäß dem westlichen Schönheitsideal damit einhergehende schlanke und jugendliche Äußere ist unabhängig vom Programmgenre ein zentrales Selektionskriterium. Weniger attraktive, fülligere und ältere Frauen sind im Fernsehen unterrepräsentiert« (Blake 2014, 19). [ 72 ] 2 | 2023 Forum Psychomotorik und Geschlecht stellen gleichermaßen Risiko- oder Schutzfaktoren dar. Schönheitsideale und Körpererleben im Alter Eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, zwischen Außen- und Innensicht charakterisiert das Körper- und Leiberleben. Dies sei an einem Bericht einer 85 Jahre alten agilen Frau verdeutlicht, die danach gefragt wird, was für sie die größte Herausforderung im Alter sei: Im Jahr 2007 realisierte die Firma Unilever eine Werbekampagne zur Einführung der Pflegeprodukte »Dove pro Age« mit dem Slogan »Schönheit kennt kein Alter«. Es wurden Frauen im Alter von 53-65 Jahren unbekleidet fotografiert und ästhetisch ansprechend gezeigt. Ziel war es, das vorherrschende, unerreichbare Schönheitsideal mit makelloser Haut und idealen Körpermaßen zu erweitern und einen Diskurs zum Thema Schönheit zu initiieren. Es sollte ein positives Statement, das Altern als natürlich und schön beschreibt, als Gegenpol zum gängigen, negativ bewerteten Altersbild gesetzt werden (Mayer 2010). Dies kann durchaus als ambivalent betrachtet werden, da nur Frauen, die den gängigen Schönheitsidealen nahekamen, gezeigt und Männer gänzlich ausgeklammert wurden. Eine positive Bewertung der jungen, fitten älteren Menschen wird durch diese Fotografien transportiert. Es erfolgt ein Transfer von jugendlichen Merkmalen und Idealen auf die Lebensphase des Alters. Arbeit am Körper gehört zur Altersnorm der fitten Alten, die ihr Leben aktiv genießen. Die Legitimität eines von Einschränkungen betroffenen, alten Körpers / Leibes wird in Frage gestellt (Denninger 2018, 13). Sätze, wie »Du siehst gut aus für Dein Alter« oder »Du bist fit für Dein Alter« zeigen, dass das chronologische Alter bei der Betrachtung von Körper / Leib, Schönheit und Alter eine Rolle spielt. Es stellt sich die Frage, wie ältere Menschen mit den Anforderungen an Schönheit und Fitness umgehen und welche Auswirkungen dies auf deren Körpererleben haben kann. Dazu hat Denninger (2018) ältere Menschen beiderlei Geschlechts mittels qualitativen Interviews befragt. Es zeigt sich, dass einer äußeren Schönheit eine innere Schönheit gegenübergestellt wird. Die Befragten betonen die dualistische Perspektive eines jungen Geistes in einem alternden Körper / Leib (ebd., 186). Es wird jedoch das Betrachten von jungen, den Idealen nahen Körpern von den befragten Personen bevorzugt. Sichtbare Alterungsprozesse beeinflussen die Bewertung des eigenen Körpers maßgeblich. Dazu gehören sichtbare Merkmale wie Falten, schlafferes Gewebe und nicht funktionale Aspekte bzgl. der Verminderung der eigenen Leistungsfähigkeit. Diese Zeichen werden als »Age Marker« negativ bewertet (ebd., 183). Dies unterstreicht die Annahme, dass der Blick auf den eigenen Körper / Leib sich am gesellschaftlich vorgegebenen Blick ausrichtet. Alter und Jugend werden von den befragten Personen als konträr gegenübergestellt. Dabei wird Jugend grundsätzlich als schön eingeschätzt und Jugendlichkeit als Schönheitsideal benannt (ebd., 185). Dies beinhaltet nicht gleichzeitig Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, wenn Alterungsprozesse als normal in die Lebens- und Körper- / Leibbiografie integriert werden können. Kompetentes Altern beinhaltet einerseits die Akzeptanz von Verlust, andererseits freundschaftliche, leibliche Selbstsorge, u. a. auch durch Körper- / Leibarbeit und Bewegung. »Das ist ganz eindeutig der Unterschied zwischen meinem eigenen Gefühl und dem Eindruck, den ich aus optischen Gründen wohl nach außen vermittle. Ich fühle mich lebendig, frisch, kreativ und sehr lebensoffen! Schaue ich aber in den Spiegel, zeigt sich dort das Bild eines faltenreichen Gesichts mit grauen Haaren und auch anderen Zeichen eines gelebten Lebens. Und genau dieses Bild ist maßgeblich dafür, wie Menschen in meiner Umgebung mich einschätzen: als alten Menschen mit allen Defiziten, die man dieser Altersgruppe- -- übrigens oft sehr zu Unrecht---zuordnet (Blohm 2021, 8).« [ 73 ] Haas • Leib- / Körpererleben und Gesellschaft---eine Wechselbeziehung 2 | 2023 [ 73 ] Haas • Leib- / Körpererleben und Gesellschaft---eine Wechselbeziehung 2 | 2023 Implikationen für die Praxis Die wechselseitige Beeinflussung von körper- / leiblicher Identität und gesellschaftlichen Strömungen und Wertzuschreibungen werden in der Psychomotorik selten thematisiert, da sich eine traditionell individuumszentrierte Praxis etabliert hat. Auch aus systemisch-konstruktivistischer Sicht werden die möglichen gesellschaftlich bedingten Einflussfaktoren auf die Wirklichkeitskonstruktionen der KlientInnen und PsychomotorikerInnen kaum diskutiert. Ursachenzusammenhänge von Störungen im Körpererleben sind nicht allein der Körper- / Leibbiografie der Individuen zuzuschreiben, sondern verkörpern gesellschaftlich-kulturelle Werte und Praktiken im Umgang mit Körper / Leib. Die Analyse der Wechselseitigkeit von Körper- / Leiberleben und deren gesellschaftlichen Einflussfaktoren kann das psychomotorische Verstehen weiten. Dazu gehören sowohl die Auswirkung von medialen Körperdarstellungen als auch die Geschlechtszugehörigkeit, sexuelle Orientierungen und kulturelle Hintergründe. PsychomotorikerInnen sollten sich auch mit der eigenen Körper- / Leibbiografie selbstreflexiv im biografischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext auseinandersetzen. Welche Werte, Normen und Ideale werden bewusst oder unbewusst vertreten und leiblich weitergegeben? Wie erleben und bewerten PsychomotorikerInnen ihre persönlichen Alterungsprozesse vor dem Hintergrund von Idealen wie Fitness oder Jugendlichkeit? 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Springer, Wiesbaden, 9-14, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-658-33300-3_2 Die Autorin Prof.in Dr. Ruth Haas Sportpädagogin und Diplom- Motologin, Professorin für prozessorientierte Körper- und Bewegungstherapie an der Hochschule Emden / Leer Anschrift Prof.in Dr. Ruth Haas Hochschule Emden-Leer Constantiaplatz 4 D-26725 Emden ruth.haas@hs-emden-leer.de