Motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Forum Psychomotorik: Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung in Baden-Württemberg – Einblicke und Fragen
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Mone Welsche
Die Ergebnisse einer Fragebogenerhebung, welche mit in der Frühförderung tätigen HeilpädagogInnen in Baden-Württemberg zur Frage der Bedeutung von Bewegung durchgeführt wurden, zeigen u. a., dass psychomotorische Konzepte im Vergleich mit anderen bewegungsorientierten Methoden besonders oft genannt und auch in Ausbildung und Studium zur Heilpädagogik vermittelt werden. Neben der weiten Verbreitung der Psychomotorik ergaben sich bei der Auswertung interessante Fragen für die Theorie und Praxis der Psychomotorik. In diesem Text werden nach einer kurzen Einführung zur Relevanz von Bewegung als Medium in der Heilpädagogik und Frühförderung die zentralen Ergebnisse der Erhebung mit Bezug zur Psychomotorik vorgestellt und diese Fragen diskutiert.
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Zusammenfassung Die Ergebnisse einer Fragebogenerhebung, welche mit in der Frühförderung tätigen HeilpädagogInnen in Baden-Württemberg zur Frage der Bedeutung von Bewegung durchgeführt wurden, zeigen u. a., dass psychomotorische Konzepte im Vergleich mit anderen bewegungsorientierten Methoden besonders oft genannt und auch in Ausbildung und Studium zur Heilpädagogik vermittelt werden. Neben der weiten Verbreitung der Psychomotorik ergaben sich bei der Auswertung interessante Fragen für die Theorie und Praxis der Psychomotorik. In diesem Text werden nach einer kurzen Einführung zur Relevanz von Bewegung als Medium in der Heilpädagogik und Frühförderung die zentralen Ergebnisse der Erhebung mit Bezug zur Psychomotorik vorgestellt und diese Fragen diskutiert. Schlüsselbegriffe: Frühförderung, Heilpädagogik, psychomotorische Konzepte, Fragebogenerhebung, Bewegung Psychomotricity as a method in curative early intervention in Baden-Württemberg-- insights and questions The results of a questionnaire survey on the importance of movement with early intervention teachers in Baden-Württemberg show that psychomotor concepts are mentioned particularly often. In addition to the widespread use of psychomotricity, the evaluation raised a variety of questions. After a brief introduction to the relevance of movement as a medium in early childhood interventions and education, this text presents the central results of the questionnaire survey with reference to psychomotricity and discusses these questions. Keywords: early intervention, curative education, psychomotor concepts, questionnaire survey, movement [ 112 ] 3 | 2024 motorik, 47. Jg., 112-120, DOI 10.2378 / mot2024.art21d © Ernst Reinhardt Verlag [ Forum Psychomotorik ] Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung in Baden-Württemberg-- Einblicke und Fragen mone Welsche Einleitung Bewegung wurde in der Heilpädagogik schon früh als Medium eingesetzt (siehe u. a. Frostig 1975; Brunner-Danuser 1984). Auch heute gehören bewegungsorientierte Konzepte in der Heilpädagogik zum Methodenrepertoire (in diesem Text werden die Begriffe Methode, Konzepte und Verfahren synonym verwendet), um insbesondere Kinder ressourcenorientiert und altersangemessen zu fördern (vgl. u. a. Reichenbach 2023, Wüllenweber / Theunissen 2020). Auf die Psychomotorik, hier verstanden als Überbegriff für alle aus der Kiphardschen Psychomotorischen Übungsbehandlung heraus entstandenen Methoden, wird in der Heilpädagogik besonders häufig Bezug genommen. Mit Verweis auf Gröschke (1997) benennen Renner und Fischer (2015, 233) »die psychomotorische Entwicklungsförderung als zentrales […] und universales Handlungskonzept« in der heilpädagogischen Praxis. Ein Tätigkeitsfeld heilpädagogischer Fachkräfte mit Schwerpunkt in der Förderung von Kindern, die in ihrer Entwicklung gefährdet oder beeinträchtigt sind, ist die Frühförderung. Diese kann ambulant in heilpädagogischen Praxen oder interdisziplinären Frühförderstellen, als [ 113 ] Welsche • Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung 3 | 2024 auch im häuslichen Umfeld oder in Kindertageseinrichtungen durchgeführt werden (Thurmair / Naggl 2010). Um einen Einblick zu bekommen, welche Bedeutung Bewegung in der Frühförderung aus Sicht heilpädagogischer Fachkräfte zugeschrieben wird, wurde 2022 / 2023 eine Fragebogenerhebung in Baden-Württemberg durchgeführt. Mit Fokus auf die Psychomotorik zeigen die Ergebnisse, dass psychomotorische Konzepte im Vergleich zu anderen bewegungsorientierten Verfahren am häufigsten eingesetzt und in den Ausbildungen oder im Studium besonders häufig vermittelt wurden. Bei der Auswertung ergab sich für mich eine Reihe von Fragen mit Bezug zur Psychomotorik, die ich in diesem Beitrag aufgreife und meine Überlegungen dazu zur Diskussion stelle. Vorausgehend wird ein kurzer Abriss zum Stellenwert des Gegenstandes ‚Bewegung‘ und der Psychomotorik in der Frühförderung gegeben, sowie relevante Ergebnisse der Erhebung werden dargestellt, um die entstandenen Fragen und Überlegungen in den Theorie- Praxis Kontext einordnen zu können. Bewegung als Medium in der Frühförderung In der Literatur zur Heilpädagogik und Frühförderung wird neben dem Begriff ‚Bewegung‘ vielfach auch die Bezeichnung ‚Motorik‘ verwendet. Sowohl Kuhlenkamp (2022) als auch Reichenbach (2016) weisen darauf hin, dass beide Begriffe in pädagogischen Kontexten häufig synonym genutzt werden. Allerdings lassen sich Unterschiede darstellen, welche nicht nur aus theoretischer Perspektive bedeutsam sind. Für die Praxis der Heilpädagogik und der Frühförderung sind sie relevant, da aus dem jeweiligen Verständnis andere Ziele abgeleitet und Behandlungs- und Förderansätze ausgewählt werden können. Zur Klärung der Begriffe sowie deren Verhältnis zueinander existieren unterschiedliche Definitionen und Modelle (Bös / Mechling 2003). In diesem Beitrag folge ich der Unterscheidung zwischen ‚Bewegung‘ und ‚Motorik‘ anhand der naturwissenschaftlich-physiologischen und der anthropologisch-phänomenologischen Betrachtungsebene (vgl. Fischer 2019, Kuhlenkamp 2022, Bös / Mechling 2003). Im naturwissenschaftlich-physiologischen Verständnis beschreibt der Begriff ‚Motorik‘ grob gefasst innere Prozesse der neuromuskulären Steuerung, welche die Grundlage und Voraussetzung für die sichtbare Veränderung des Körpers bzw. einzelner Körperteile in Raum und Zeit darstellen. Im phänomenologischen Verständnis ist Bewegung eine anthropologische Grundkategorie (Merleau-Ponty 1966). Bewegung ist damit die Grundlage der Beziehungsgestaltung zu sich selbst, zur personalen und materialen Umwelt und als solche auch für Prozesse von Weltaneignung und Weltverstehen. Auch Gröschke (1997) und Fischer und Renner (2015), die sich eingehend mit dem Medium Bewegung in der Heilpädagogik befassen, legen ihren Ausführungen ein anthropologisch-phänomenologisches Verständnis zugrunde. Mit diesem wird Bewegung zu dem der Motorik übergeordneten Begriff, da unter Bewegung mehr verstanden wird als die motorische »Seite des Geschehens« (Fischer / Renner 2015, 227). Eine Differenzierung zwischen den Begriffen und dem jeweiligen Gegenstandsbereich ist für die Heilpädagogik wie für die Frühförderung hoch bedeutsam. Dabei kann sie nicht im Sinne eines »Entweder-oder« gesehen, sondern muss als »Sowohl-als-auch« eingeordnet werden. Abhängig von den individuellen Unterstützungsbedarfen der Kinder, die in der Frühförderung begleitet werden, kann mit einem bewegungsorientierten Setting ein breites Spektrum an Zielen verfolgt werden. Diese können in der Förderung der motorischen Entwicklung und der motorischen Kompetenzen als eine zentrale Grundlage für verschiedenste Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und Lernprozesse im Bereich Wahrnehmung, Sprache, Kognition und der emotional-sozialen Entwicklung, als auch in der Förderung der Selbstwahrnehmung und des In-Beziehung-tretens liegen. Für die heilpädagogische Arbeit mit Kindern begründen Fischer und Renner (2015) den Wert von Bewegung als Medium vor allem darin, dass Erfahrungen der Selbstwahrnehmung, der Selbstwirksamkeit, der Leistungsfähigkeit und [ 114 ] 3 | 2024 Forum Psychomotorik der Kooperation und Kommunikation in besonderer Weise gefördert werden können. Durch die Möglichkeit der Selbsterfahrung und der Gestaltung von Begegnungen wird für Fischer und Renner (2015) Bewegung auch zum Medium zur Bewältigung von Lebenserschwernissen. Das Potenzial von Bewegung wird darüber hinaus vor allem mit Bezug zu spezifischen bewegungsorientierten Konzepten, die im heilpädagogischen Methodenkanon verankert sind, wie z. B. Konzepte der Psychomotorik, die heilpädagogische Rhythmik, die Beziehungsorientierte Bewegungspädagogik nach Sherborne oder auch das Ringen und Raufen (Reichenbach 2023), verdeutlicht. Abhängig von der theoretischen Fundierung und Ausrichtung, den AdressatInnen im Spektrum der heilpädagogischen Klientel sowie den spezifischen Inhalten der jeweiligen Konzepte bildet sich eine Vielzahl möglicher Zielsetzungen ab, die mit dem Zugang über Bewegung und bewegungsorientierten Aktivitäten verfolgt werden können. Diese adressieren, bei z. T. unterschiedlicher Gewichtung, alle sowohl funktional-motorische Parameter als auch darüber hinausgehende Ziele, wie z. B. die Förderung von Selbstwirksamkeit, Selbstwahrnehmung, Selbstvertrauen, Kommunikationsfähigkeit und emotional-sozialer Kompetenzen. In der Literatur zur Frühförderung dominiert die Verwendung des Motorikbegriffs verknüpft mit der Förderung von Fein- und Grobmotorik bzw. motorischen Kompetenzen (Sarimski 2022, Pretis 2020, Thurmair / Naggl 2010) als Entwicklungsbereiche im Kleinkindalter. Psychomotorik gilt als etablierte Methode der Frühförderung (u. a. Sarimski 2022, Pretis 2020, Gebhard / Kuhlenkamp 2012, Fischer 2011), die im Spektrum Bewegung / Motorik allerdings unterschiedlich eingeordnet wird. Sarimski (2022) nennt sie lediglich als Konzept zur Behandlung motorischer Entwicklungsstörungen und ordnet sie der Ergo- oder Physiotherapie zu. Auch Pretis (2020) setzt psychomotorische Konzepte unter die Überschrift ‚motorische Ansätze‘, wenngleich er auf das psychomotorischen Konzepten zugrunde liegende ganzheitliche Verständnis von Entwicklung und die Verbindung zwischen »kindlichem Spiel, Freude, Interaktion, Bewegung und aktiver Transaktionsgestaltung« (Pretis 2020, 66) hinweist. Damit deutet er an, dass sich mit passenden bewegungsorientierten Interventionen mehr fördern lässt als ‚nur‘ Fein- und Grobmotorik. Thurmair und Naggl (2010) schreiben der Psychomotorik gleichfalls eine Schwerpunktsetzung im Bereich der Motorik zu. Allerdings nutzen sie den Bewegungsbegriff und sehen »Handeln in Bewegung und Entfaltung von Bewegungskompetenzen im erlebnisorientierten Tun« (Thurmair / Naggl 2010, 187) als Kernthema der psychomotorischen Förderung. Dabei merken sie an, dass im gemeinsamen Bewegen auch Spaß, Motivation und soziale Kompetenzen gefördert werden können. Von Gebhard und Kuhlenkamp (2012, 219), Fachfrauen mit ausgewiesener Expertise im Bereich Psychomotorik und Frühförderung, wird, unter Verweis auf Fischer (2011), die »ressourcen- und kompetenzorientierte Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung« als zentrales Ziel psychomotorischer Ansätze in der Frühförderung angeführt, welche als methodische Bausteine in Heilpädagogik, Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie verankert sind. Damit verdeutlichen sie, dass mit diesen Konzepten verknüpfte Förderziele weit über die motorisch-funktionale Ebene hinausreichen. Psychomotorik in der Frühförderung in BaWü-- zentrale Ergebnisse Zur Befragung von in Baden-Württemberg in der Frühförderung tätigen HeilpädagogInnen wurde ein Online-Fragebogen im Mixed-Method-Design Ja eher Ja eher Nein Nein k. A. 17,4 % 30,2% 4,7 % 47,7% Abb. 1: Frage: ‚Arbeiten Sie bewegungsorientiert? ‘ (n=86) [ 115 ] Welsche • Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung 3 | 2024 [ 115 ] Welsche • Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung 3 | 2024 durchgeführt (Welsche / Theil 2023, im Druck). Es wurden 257 Fragebogenlinks an Praxen und Frühförderstellen versendet. 86 gültige Antworten gingen in die Auswertung ein. Da es durch das Anschreiben von Praxen und Interdisziplinären Frühförderstellen, in welchen häufig mehrere Fachkräfte tätig sind, keine definierte Anzahl der FragebogenteilnehmerInnen gab, muss die errechnete Rücklaufquote von 27,1 % unter Vorbehalt gesehen werden. Von den befragten Heilpädagoginnen, es nahmen nur Frauen an der Erhebung teil, gaben 2 / 3 in einer ordinal skalierten Frage an, bewegungsorientiert zu arbeiten (ja / eher ja), 30 % beantworteten die Frage mit eher nein, niemand verneinte (Abb. 1). Von den bewegungsorientiert arbeitenden Heilpädagoginnen (ja / eher ja) wurden im Durchschnitt fünf Ziele formuliert, welche Tab. 1: Zielsetzungen bewegungsorientierten Arbeitens Zielsetzung Anzahl (n=57) Mehrfachantworten (n=283) Selbstbewusstsein / -vertrauen / -wert 59,6 % Körperwahrnehmung 40,4 % Soziale Kompetenzen / Beziehungsgestaltung 29,8 % (Bewegungs-)Freude 28,1 % Koordination 24,6 % Ausdruck/ Wahrnehmung / Regulation von Gefühlen 22,8 % Konzentration / Aufmerksamkeit 22,8 % Handlungsplanung 19,3 % Selbstkonzept/ -wahrnehmung 19,3 % Selbst- / Impulskontrolle 17,5 % Raumerfahrung / Wahrnehmung 17,5 % Beziehungsaufbau 15,8 % Sprachförderung 15,8 % Tonusregulation / An- und Entspannung 15,8 % Wahrnehmung allgemein 14,0 % Abbau von Frust/ Stress 12,3 % Lernen durch / in Bewegung 12,3 % Erweiterung Bewegungsrepertoire 10,5 % Selbstwirksamkeit 10,5 % Aktivierung 8,8 % Sonstiges: je 4x: Ausdauer, ganzheitliche Förderung, Gleichgewicht, Kraftdosierung, Motivation, Sicherheit; 3x: Merkfähigkeit; je 2x: Stärkung der Gruppe, Bewegungsmangel entgegenwirken, Kräftigung, allg. motorischen Kompetenzen; je 1x: Selbstständigkeit, Körperhaltung, Ankommen in der Stunde, Lungenvolumen stärken, Ausgleich, Serielle Funktionen, Abbau motorischer Unruhe, Eigenreflexion, unterschiedliche Materialerfahrung fördern, Sensibilisierung des Gefahrenbewusstseins [ 116 ] 3 | 2024 Forum Psychomotorik sie mit dem Einsatz von Bewegung verfolgen (Tab. 1). Die Förderung des Selbstvertrauens und des Selbstwertes wurde am häufigsten genannt. Weitere Ziele lagen in der Verbesserung der Körperwahrnehmung (40,4 %), der sozialen Kompetenzen und der Fähigkeit, Beziehungen angemessen gestalten zu können (ca. 30 %), gefolgt von der Vermittlung von Freude durch und in Bewegung (ca. 28 %). Heilpädagoginnen, die die vorausgegangene Frage mit ‚eher nein‘ oder ‚keine Angabe‘ beantwortet hatten, benannten bis auf eine Ausnahme keine Ziele. Insgesamt 60 % der Befragten gaben an, im Laufe des Studiums oder der Ausbildung bewegungsorientierte Konzepte kennengelernt zu haben und nannten min. 1 und max. 5 Konzepte (Tab. 2). (Eine differenzierte Auswertung dieser Ergebnisse ergab keine Korrelation zwischen dem Qualifikationsweg und der Vermittlung von Konzepten.) Psychomotorische Konzepte haben auf die Gesamtheit der befragten Heilpädagoginnen gerechnet knapp 35 % im Rahmen ihrer Ausbildung oder ihres Studiums kennengelernt. Von den 56 Heilpädagoginnen, die bewegungsorientiert arbeiten (ja / eher ja), gaben weniger als 50 % an, sich an spezifischen Konzepten zu orientieren (Abb. 2) und nannten in einer folgenden Frage, mit einer Ausnahme, mindestens eines (Tab. 3). Die Psychomotorik wurde auch hier am häufigsten genannt, dabei wurde sowohl auf spezifische Ansätze Bezug genommen, z. B. nach Zimmer (2019) oder Kiphard (2009), als auch der Überbegriff Psychomotorik genutzt. In einer den Fragebogen abschließenden offenen Frage nach Anmerkungen zum Thema der Befragung wurde die Bedeutung von Bewegung für die Frühförderung hervorgehoben, als auch darauf hingewiesen, dass passende Räume und Materialien fehlen würden, es eine Überschnei- Tab. 2: Vermittlung von Konzepten in Ausbildung / Studium Konzept Anzahl (n=52) Mehrfachantworten (n=71) Psychomotorik (u. a. Kuhlenkamp 2017) 57,6% Rhythmik (u. a. Weiss 2020) 17,3% Sensorische Integration (SI) (Ayres 2016) 13,5% Ringen & Raufen (Beudels / Anders 2014) 13,5% Beziehungsorientierte Bewegungspädagogik nach Sherborne (Welsche 2018) 11,5% Bewegungslehre Laban (Kennedy 2010) 3,8% Erlebnispädagogik (u. a. Michl 2020) 3,8% Sonstige: je 1x Bewegungsbaustelle (Miedzinski / Fischer 2014), Bobath (Biewald 2004), Hengstenberg (Fuchs 2017), Kinderyoga (Stück 2011), Lifekinetik (Lutz 2022), Psychomotorik Aucouturier (Esser 2020), Trampolin, Zirkuspädagogik (Ballreich et al. 2007) Abb. 2: Orientierung an Konzepten (n=56) Ja eher Ja eher Nein Nein 19,6 % 46,4 % 10,7 % 23,3 % [ 117 ] Welsche • Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung 3 | 2024 [ 117 ] Welsche • Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung 3 | 2024 dung zum Arbeitsbereich der Ergo- und Physiotherapie gebe und passende bewegungsorientierte Konzepte wie Fortbildungen gewünscht werden (Tab. 4). Zusammenfassung, Fragen und Überlegungen Die Ergebnisse der Fragebogenerhebung zeigen, dass psychomotorische Konzepte bei den befragten Heilpädagoginnen mit Abstand am häufigsten in Ausbildung oder Studium vermittelt und, passend zu diesem Ergebnis, auch von den Befragten am häufigsten in der Frühförderung eingesetzt werden. Dies deckt sich mit der Einschätzung in der Literatur, dass die Psychomotorik als etablierte Methode in der Frühförderung gilt. Eine weitere Auswertung der Fragebogenergebnisse mit Blick auf die Psychomotorik, zeigt aber auch, dass ■ 18 % der bewegungsorientiert arbeitenden Heilpädagoginnen, die angeben, Psychomotorik in Ausbildung oder Studium kennengelernt zu haben, sich nicht an diesem oder anderen Konzepten explizit orientieren, ■ 20 % aller befragten Heilpädagoginnen, die Psychomotorik in Ausbildung / Studium kennengelernt haben, in der Frühförderung nicht oder eher nicht bewegungsorientiert arbeiten, ■ 16 % der Befragten ohne eine in Ausbildung oder Studium vermittelte Grundlage bewegungsorientiert arbeiten. Über diese Ergebnisse bin ich in der Auswertung gestolpert. Im Folgenden formuliere ich meine Überlegungen zur Frage, was hinter diesen Tab. 3: Konzepte, an welchen sich Heilpädgoginnen (n=24) orientierten Konzept Anzahl (n=24) Mehrfachantworten (n=46) Psychomotorik (u. a. Kuhlenkamp 2017) 83,0% Sensorische Integration (SI) (Ayres 2016) 12,5% Beziehungsorientierte Bewegungspädagogik nach Sherborne (Welsche 2018) 12,5% Ringen & Raufen (Beudels / Anders 2014) 12,0% Bobath (Biewald 2004) 8,0% Hengstenberg (Fuchs 2017) 8,0% Kinderyoga (Stück 2011) 8,0% Pikler (Pikler / Tardos 2001) 8,0% Psychomotorik nach Aucouturier (Esser 2020) 8,0% Rhythmik (Weiss 2020) 8,0% Sonstige je 1x benannte: Kindertanz (Frege 2005), Lifekinetik (Lutz 2022), Schreibtanz (Oussoren- Voors 1999), Zirkuspädagogik (Ballreich et al. 2007) Tab. 4: Anmerkungen Anmerkungen (n=30) Bewegung in der FF und für die Entwicklung sehr wichtig 14x Raum- und Materialprobleme 9x Ergänzung / Abgrenzung Physio- und Ergotherapie 5x Bewegung kommt in der FF zu kurz 4x Konzepte und Fortbildungen fehlen 4x [ 118 ] 3 | 2024 Forum Psychomotorik Ergebnissen stehen könnte. Als Überlegungen sind sie meiner Meinung nach auch ohne Veri- oder Falsifizierung insbesondere für alle KollegInnen, die in der Ausbildung und Lehre der Psychomotorik tätig sind, interessant. Sie bieten die Impulse, die eigene Lehrpraxis kritisch zu reflektieren und auch zu schauen, wie sich die wissenschaftliche Community der Psychomotorik und Motologie an den Schnittstellen zu relevanten Handlungsfeldern und ihren zugehörigen Fachwissenschaften (z. B. Kindheits-, Heil- und Sozialpädagogik) verortet. Warum werden psychomotorische Konzepte nicht als Handlungsorientierung im bewegungsorientierten Arbeiten herangezogen, obwohl sie gelernt wurden? Fehlt es möglicherweise am Transfer vom Gruppenin das Einzelsetting und aus Turnhallen mit psychomotorischer Materialausstattung in kleine Förderräume? In der Literatur zu psychomotorischen Konzepten wird an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, dass die Arbeit in Gruppen die zentrale Sozialform darstellt und auch die psychomotorische Praxis zeigt, dass vor allem im Gruppensetting gearbeitet wird. Ebenso erfolgt die Vermittlung psychomotorischer Konzepte in Theorie und Praxis an Hoch- und Fachschulen in der Studierendengruppe. Dazu finden Seminare und Unterricht zur psychomotorischen Förderung in der Ausbildung in großen Bewegungsräumen oder Turnhallen mit entsprechender Materialausstattung statt und auch in der Mehrzahl der praxisorientierten psychomotorischen Fachliteratur scheint die Möglichkeit, einen psychomotorisch ausgestatteten großen Raum oder eine Turnhalle nutzen zu können, eine Voraussetzung zu sein, um eine psychomotorische Einheit zu gestalten. In der Frühförderung hingegen wird, u. a. aus Abrechnungsgründen, vor allem im Einzelsetting gearbeitet und weder die Raumnoch die Materialausstattung wird in den meisten Frühförderstellen mit den Ausbildungsbedingungen vergleichbar sein. Nun stellt sich mir die Frage, ob in der Vermittlung in Hoch- und Fachschule der Transfer zur Arbeit im Einzelsetting und in kleine Förderräume ausreichend erfolgt und Beispiele gegeben oder erarbeitet werden, wie unter diesen suboptimalen Bedingungen psychomotorisch gearbeitet werden kann, damit AbsolventInnen nicht aufgrund dieser Bedingungen (und vielleicht auch fehlender Kreativität oder Mut, etwas Neues auszuprobieren? ) psychomotorische Konzepte als ungeeignet einordnen. Warum arbeiten vergleichsweise viele Heilpädagoginnen, die während ihres Studiums / ihrer Ausbildung psychomotorische Konzepte kennengelernt haben, eher nicht oder gar nicht bewegungsorientiert? Eingangs habe ich mit der Begriffsklärung verdeutlicht, dass ‚Bewegung‘ und ‚Motorik‘ häufig in der Fachliteratur synonym verwendet werden. Hieraus könnte sich das Problem ergeben, dass HeilpädagogInnen, die in der Frühförderung tätig sind, ‚Bewegung‘ als ‚Motorik‘ verstehen und demzufolge nicht bewegungsorientiert arbeiten, da die Förderung motorischer Kompetenzen in der Frühförderung häufig bei der Ergo- oder Physiotherapie liegt. Haben heilpädagogische Fachkräfte im Rahmen ihres Studiums / ihrer Ausbildung allerdings an einem Seminar oder Unterricht zur Psychomotorik teilgenommen, dann sollte spätestens dort (aber auch in Veranstaltungen z. B. zur Entwicklungs- und Pädagogischen Psychologie) die Relevanz des Mediums Bewegung und der Bewegungsentwicklung für die grundsätzliche Entwicklung von Kindern und die Gestaltung von Lernprozessen vermittelt worden sein. Oder ist das eine optimistische Annahme meinerseits? Für mich ergibt sich aus diesem Ergebnis, das auch im Zusammenhang zur ersten Überlegung diskutiert werden kann, die Frage, wie HeilpädagogInnen, ob mit oder ohne Seminar zu psychomotorischen Konzepten, den Bewegungsbegriff konstruieren und welche Relevanz sie einer ‚eher ja‘ bewegungsorientiert gestalteten Förderung der Kinder zuschreiben. Warum geben vergleichsweise viele der befragten Heilpädagoginnen an, weder psychomotorische noch andere bewegungspädagogische Konzepte im Studium oder Fachschule kennengelernt zu haben? [ 119 ] Welsche • Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung 3 | 2024 [ 119 ] Welsche • Psychomotorik als Methode in der heilpädagogischen Frühförderung 3 | 2024 Davon ausgehend, dass sich die befragten Fachkräfte noch an die in Studium / Ausbildung vermittelten Inhalte erinnern, stellt sich mir erstmal die Frage, ob und wenn ja wie bewegungsorientierte Konzepte in den Curricula verankert sind. Sind sie überhaupt verankert oder ‚nur‘ als Wahlveranstaltungen zu belegen? Eine Folge dieser Ergebnisse ist eine aktuell laufende Untersuchung dieser Fragestellung im Rahmen einer Qualifikationsarbeit. Weiterführend komme ich als Mitglied der Wissenschaftlichen Vereinigung Psychomotorik und Motologie (WVPM e. V.) zu der Überlegung, ob wir ausreichend über unseren Tellerrand hinausschauen und -arbeiten. Viele von uns sind in Nachbardisziplinen, wie der Kindheits-, Heil- oder Sozialpädagogik, als Lehrende tätig, aber sind wir mit unserer Publikations- und Forschungstätigkeit in diesen Disziplinen, in welchen Psychomotorik vor allem als Methode und weniger als Profession gesehen wird, auch ausreichend präsent und vernetzt? Nur wenn wir das sind-- und es klingt vielleicht schon durch: meiner Meinung nach könnten wir deutlich aktiver sein-- und nur wenn wir das Wissen, die Expertise, die wir haben in diese Kontexte einbringen, übrigens auch durch die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, welcher irgendwann vielleicht als Lehrende in Studiengänge dieser Nachbardisziplinen geht, kann es, z. B. in der curricularen Entwicklung von Studiengängen, aufgegriffen werden. Literatur Ayres, A. J. (2016): Bausteine der kindlichen Entwicklung. Sensorische Integration verstehen und anwenden. Das Original in moderner Neuauflage. 6. Aufl. Springer, Berlin / Heidelberg, https: / / doi. org / 10.1007 / 978-3-662-52891-4 Ballreich, R., Lang, T., Grabowiecki, U. von (Hrsg.) (2007): Zirkus spielen. Ein Handbuch für Zirkuspädagogik, Artistik und Clownerie. 3. Aufl. Hirzel, Stuttgart Beudels, W., Anders, W. (2014): Wo rohe Kräfte sinnvoll walten. Handbuch zum Ringen, Rangeln und Raufen in Pädagogik und Therapie. Borgmann, Dortmund Biewald, F. (Hrsg.) (2004): Das Bobath-Konzept. Wurzeln, Entwicklungen, neue Aspekte. München. Urban und Fischer, Jena Bös, K., Mechling, H. (2003): Bewegung. In: Röthig,-P., Prohl, R., Carl, K., Kayser, D., Krüger, M. F., Scheid,- V. (Hrsg.): Sportwissenschaftliches Lexikon. Hofmann, Schorndorf, 82-84 Brunner-Danuser, F. (1984): Mimi Scheiblauer: Musik und Bewegung. Atlantis-Musikbuch Verlag, Zürich Esser, M. (2020): Beweg-Gründe. Psychomotorik nach Bernard Aucouturier. 5. Aufl. Ernst Reinhardt, München / Basel Fischer, H., Renner, M. (2015): Heilpädagogik. Heilpädagogische Handlungskonzepte in der Praxis. 2. Aufl. Lambertus, Freiburg Fischer, K. (2011): Konzept und Wirksamkeit der Psychomotorik in der Frühförderung. In: Frühförderung interdisziplinär, 30 (2011) 1, 2-16, http: / / dx.doi. org / 10.2378 / fi2011.art01d Fischer, K. (2019): Einführung in die Psychomotorik. 4. Aufl. Ernst Reinhardt, München / Basel, https: / / doi.org / 10.36198 / 9783838548029 Frege, J. (2005): Kreativer Kindertanz. Grundlagen, Methodik, Ziele. Henschel, Berlin Frostig, M. (1975): Bewegungs-Erziehung: neue Wege der Heilpädagogik. 2. Aufl. Ernst Reinhardt, München / Basel Fuchs, M. P. (2017): Hengstenberg Spiel und Bewegungspädagogik. Herder, Freiburg Gebhard, B., Kuhlenkamp, S. (2012): Psychomotorik in der Frühförderung. In: Dawal, B., Henning, B., Leyendecker, C. (Hrsg.): Interdisziplinäre Frühförderung. exklusiv-- kooperativ-- inklusiv. Kohlhammer, Stuttgart, 219-232 Gröschke, D. (1997): Praxiskonzepte der Heilpädagogik. 2. Aufl. Ernst Reinhardt, München / Basel Kiphard, E. J. (2009): Motopädagogik. 10. Aufl. verlag modernes lernen, Dortmund Kuhlenkamp, S. (2017): Lehrbuch Psychomotorik. Ernst Reinhardt, München / Basel, https: / / doi. org / 10.36198 / 9783838587172 Kuhlenkamp, S. (2022): Lehrbuch Psychomotorik. 2. Aufl. Ernst Reinhardt, München / Basel, https: / / doi.org / 10.36198 / 9783838588209 Lutz, H. (2022): Life Kinetik. Bewegung macht Hirn. 2. Aufl. Meyer & Meyer, Aachen Merleau-Ponty, M. (1966): Phänomenologie der Wahrnehmung. Walter de Gruyter & Co., Berlin Oussoren-Voors, R. (1999): Schreibtanz. verlag modernes lernen, Dortmund Pikler. E., Tardos, A. (Hrsg.) (2001): Laßt mir Zeit. Die selbständige Bewegungsentwicklung des Kindes bis zum freien Gehen. Pflaum, München Pretis, M. (2020): Frühförderung und Frühe Hilfen. Einführung in die Theorie und Praxis. Ernst Reinhardt, München / Basel Reichenbach, C. (2023): Handbuch heilpädagogischer Konzepte und Verfahren. Kohlhammer, Stuttgart. Reichenbach, C., Thiemann, H. (2023): Lehrbuch diagnostischer Grundlagen der Heil- und Sonderpädagogik. 3. Aufl. verlag modernes lernen, Dortmund Reichenbach, C. (2016): Bewegungsdiagnostik in Theorie und Praxis. Bewegungsdiagnostische Verfahren und Modelle. Bedeutung für Praxis und Qualifizierung. Borgmann, Dortmund Sarimski, K. (2022): Handbuch interdisziplinäre Frühförderung. 2. Aufl. Ernst Reinhardt, München / Basel Stück, M. (2011): Wissenschaftliche Grundlagen zum Yoga mit Kindern und Jugendlichen. Schibri-Verlag, Berlin [ 120 ] 3 | 2024 Forum Psychomotorik Thurmair, M., Naggl, M. (2010): Praxis der Frühförderung. Einführung in ein interdisziplinäres Arbeitsfeld. Ernst Reinhardt, München / Basel, https: / / doi. org / 10.36198 / 9783838521718 Weiss, G. (2020): Heilpädagogische Rhythmik. Ein Angebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. In: Wüllenweber, E., Theunissen, G. (Hrsg.): Zwischen Tradition und Innovation. Methoden und Handlungskonzepte in der Heilpädagogik und Behindertenhilfe. Lebenshilfe-Verlag, Marburg, 89-94 Welsche, M., Theil, F. (im Druck): Bewegung als diagnostische Dimension in der Frühförderung- - Befragung von Heilpädagog*innen in BaWü. In: Zeitschrift heilpädagogik.de Welsche, M., Theil, F. (2023): Bewegung als Medium in der Frühförderung- - Ergebnisse einer Fragebogenerhebung in Baden-Württemberg. In: Frühförderung interdisziplinär 42 (3), 122-134, http: / / dx.doi.org / 10.2378 / fi2023.art15d Welsche, M. (2018): Beziehungsorientierte Bewegungspädagogik. Ernst Reinhardt, München / Basel Wüllenweber, E., Theunissen, G. (Hrsg.) (2020): Zwischen Tradition und Innovation. Methoden und Handlungskonzepte in der Heilpädagogik und Behindertenhilfe. Ein Lehrbuch und Kompendium für die Arbeit mit geistig behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. 4. Aufl. Lebenshilfe-Verlag, Marburg Zimmer, R. (2019): Handbuch Psychomotorik. Theorie und Praxis der psychomotorischen Förderung von Kindern. Herder, Freiburg Die Schriftleitung und der Verlag freuen sich über Ihr Feedback zu diesem Artikel unter journals@reinhardt-verlag.de Die Autorin Prof.in Dr. Mone Welsche Professorin für Entwicklungsförderung im Kindes- und Jugendalter an der KH Freiburg, Schwerpunkt bewegungsorientierte Methoden und Konzepte in Heilpädagogik und Sozialer Arbeit Kontakt Katholische Hochschule Freiburg Karlstraße 63 79104 Freiburg mone.welsche@kh-freiburg.de Kann das Spiel draußen die Motorik fördern und zu mehr Selbstbewusstsein führen? Regt die Natur nicht nur die psychische, sondern auch die physische Entwicklung an? Dieses Buch widmet sich diesen Fragen und bietet viele Spielideen, welche die Natur als Lebensraum für Kinder erfahrbar machen. Der Praxisteil umfasst zahlreiche Bewegungs- und Wahrnehmungsspiele, die sowohl in und mit der Natur stattfinden, als auch verschiedene Materialien nutzen. Viele altbekannte Spiele aus der Turnhalle lassen sich draußen perfekt durchführen. 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