motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2024.art26d
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Auf den Punkt gebracht: Wissen kompakt: Bodyshaming
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Sandra Mirbek
Frank Francesco Birk
Unter Bodyshaming (deutsch: körperliche Diskriminierung) sind unterschiedliche Diskriminierungspraktiken rund um den Körper zu verstehen (Birk / Mirbek 2021). Diese körperbezogenen Diskriminierungspraktiken können aufgrund einer Behinderung / Beeinträchtigung (z. B. fehlende Körperteile, Einschränkung der Mobilität), eines Migrationshintergrundes (z. B. Hautfarbe, Augenform, Haarstruktur, Gesichtszüge), der Religion, des Geschlechts (sexuelle Identität, Orientierung), des Alters (u. a. verringerte leistungsfähig, verändertes Erscheinungsbild) oder des Gesundheitszustands entstehen (ebd.).
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[ 148 ] 3 | 2024 motorik, 47. Jg., 148-150, DOI 10.2378 / mot2024.art26d © Ernst Reinhardt Verlag [ AUF DEN PUNKT GEBRACHT ] Wissen kompakt: Bodyshaming Sandra Mirbek, Frank Francesco Birk Unter Bodyshaming (deutsch: körperliche Diskriminierung) sind unterschiedliche Diskriminierungspraktiken rund um den Körper zu verstehen (Birk/ Mirbek 2021). Diese körperbezogenen Diskriminierungspraktiken können aufgrund einer Behinderung / Beeinträchtigung (z. B. fehlende Körperteile, Einschränkung der Mobilität), eines Migrationshintergrundes (z. B. Hautfarbe, Augenform, Haarstruktur, Gesichtszüge), der Religion, des Geschlechts (sexuelle Identität, Orientierung), des Alters (u. a. verringerte leistungsfähig, verändertes Erscheinungsbild) oder des Gesundheitszustands entstehen (ebd.). Hierdurch wird deutlich, dass der Körper eine bedeutsame Rolle im Hinblick auf Diskriminierungsgründe sowie die Stellung, welche Personen in der Gesellschaft innehaben, einnimmt (Apraku et al. 2018). Bodyshaming kann dabei auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen: ■ öffentliches Bodyshaming (z. B. über die sozialen Medien, Mobbing / Diskriminierung im öffentlichen Raum wie in der Schule oder in Bus und Bahn), ■ äußeres (fremdbezogenes) Bodyshaming: Diskriminierung aufgrund der Körperlichkeit durch eine andere Person (z. B. in der Schule, Freizeiteinrichtung) und / oder ■ inneres (selbstbezogenes) Bodyshaming: eigene Abwertung des Körpers, meistens auf Grundlage von körperlichen Diskriminierungserfahrungen in Folge von öffentlichen oder äußeren (fremdbezogenen) Bodyshamings. Diskriminierung aufgrund der Körperlichkeit existiert seit Anbeginn der Menschheit, wobei sich die Problematik durch die sozialen Medien verstärkt hat (Birk/ Mirbek 2021). Soziale Medien wie Instagram, TikTok oder Youtube bieten- - v. a. für Jugendliche- - einen Raum der Selbstinszenierung und des (körperlichen) Vergleichs mit anderen, der ihnen u. a. durch die Nutzung des Smartphones fast unbegrenzt zugänglich ist. Gerade während der Identitätsbildung im Jugendalter wird der Körper inszeniert, denn: „Nicht nur Gang, Blick und Haltung haben ‚cool‘ zu sein- - es geht auch um sichtbare Spuren am Körper, beispielsweise durch Piercing oder Tätowierung. In diesen Praktiken, die alle mit dem Aushalten von Schmerzen verbunden sind, ist ihre Abkunft von Initiationsriten traditioneller Kulturen erkennbar“ (Seewald 2007, 74). Seewald stellt analoge Formen der Indizierung dar. Dieser Bezug zu Schmerz, welcher in Challenges verkörpert wird, beinhaltet beispielsweise Praktiken wie Thigh Gap (Oberschenkellücke: Lücke zwischen den Oberschenkelinnenseiten), Size 0 (Runterhungern), Ab Crack (Spalte, welche vom Bauchnabel aufwärts verläuft und die Muskulatur der Bauchdecke unterteilt), die über die sozialen Medien ausgetragen werden. Neben dieser Challenge sind insbesondere auch Foto- und Videobearbeitungen (u. a. Filter) stark im Trend, mit denen der Körper auf dem Bild verändert und dem Idealbild angenähert werden kann. [ 149 ] Mirbek, Birk • Wissen kompakt: Bodyshaming 3 | 2024 Im psychomotorisch-motologischen Fachdiskurs existieren nur wenige Publikationen (u. a. Birk/ Mirbek 2020, Birk/ Mirbek 2022b) in Praxis und Theorie, welche sich explizit mit dem Phänomen Bodyshaming bzw. körperlicher Diskriminierung auseinandersetzen. Jessel (2010), Zeus (2005) sowie Huster & Wendler (2023) sind bislang die einzigen in der Psychomotorik bzw. Motologie, welche Diskriminierung aufgrund der Körperlichkeit über das Thema Körperkapital miteinbeziehen. Körperkapital stellt ein Konstrukt der Habitus-Theorie (u. a. Bourdieu 1982; 1983) dar, welches von dem Soziologen Bourdieu neben dem Kulturellen, dem Ökonomischen, dem Sozialen und dem Symbolischen Kapital in wenigen Texten als übergreifende Kapitalform definiert wurde. Dabei haben die Ressourcen in den verschiedenen Kapitalarten einen entscheidenden Einfluss auf die „individuelle Platzierung der AkteurInnen im sozialen Raum“ (Birk/ Mirbek 2022a, 47), also die gesellschaftliche Stellung und Anerkennung. Das Körperkapital umfasst dabei neben der körperlichen Leistungsfähigkeit und dem Aussehen des Körpers auch Bewegungsgewohnheiten und die Selbstdarstellung des Körpers durch Mimik, Gestik, Kleidung, Schmuck und Schminke. Dabei ist nicht nur der äußerlich sichtbare Ist- Stand des Körpers entscheidend, sondern auch das eigene Selbstkonzept und das damit verbundene Auftreten bzw. den Umgang mit möglichen (körperlichen) Diskriminierungserfahrungen. Huster und Wendler (2023) gehen davon aus, dass körperliche sowie sensomotorische Erfahrungen zu einer Modifikation führen können, welche zur Inklusion sozial ausgegrenzter Personen beitragen können. In der psychomotorisch-motologischen Praxis kann Bodyshaming bearbeitet werden, indem beispielweise am Selbstkonzept gearbeitet wird, welches nach Eggert und Reichenbach (2021) aus den folgenden fünf Dimensionen besteht: Selbsteinschätzung, Körperkonzept, Fähigkeitskonzept, Selbstbewertung und Selbstbild. Dazu können Inhalte umgesetzt werden, die beispielsweise das Selbstwertgefühl oder die Selbstwertschätzung fördern oder die Entwicklung des Körperschemas und -gefühls. Auch eine Auseinandersetzung mit dem Fähigkeitskonzept sowie ein Abgleich von Real- und Idealselbst bilden eine wichtige Grundlage für ein gutes Selbstkonzept und somit einen guten Umgang mit körperlichen Diskriminierungserfahrungen bzw. Bodyshaming (Birk/ Mirbek 2022b). In Zukunft sollte der Fachdiskurs vermehrt dem Thema Diskriminierung aufgrund der Körperlichkeit Bedeutung widmen. Insbesondere für das Jugendalter hat die Psychomotorik bzw. Motologie noch ein großes Potenzial im Hinblick auf spezifische Angebote für Jugendliche im Allgemeinen sowie Anti-Bodyshaming-Maßnahmen im Speziellen. Literatur Apraku, J., Bönkost, J., Lücke, M., Marzinka, B. (2018): Handreichung für das übergreifende Thema Bildung zur Akzeptanz von Vielfalt (Diversität). Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM), Ludwigsfelde-Struveshof Birk, F. F., Mirbek, S. (2020): Bodyshaming-- der diskriminierte Körper- - Diskriminierungssensible Die AutorInnen Prof.in. Dr. Sandra Mirbek Professorin für Heilpädagogik und Inklusionspädagogik und Studiengangsleitung für den Studiengang Sozialpädagogik und Inklusion an der IU Internationale Hochschule (IU), Motologin M.A., Heilpädagogin B.A, Straßenpädagogik DAS und Systemische Beraterin Prof. Dr. Frank Francesco Birk Professor für Soziale Arbeit und Studiengangsleiter für den Studiengang Soziale Arbeit - Menschen mit Behinderung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Villingen-Schwenningen, Motologe M. A., Kindheitspädagoge B.A., Straßenpädagoge DAS, Motopäde sowie Systemischer Berater Anschrift Prof.in Dr. Sandra Mirbek IU Internationale Hochschule Juri-Gagarin-Ring 152 99084 Erfurt sandra.mirbek@iu.org [ 150 ] 3 | 2024 Auf den Punkt gebracht Arbeit als ein Thema der Psychomotorik. Praxis der Psychomotorik. 45 (3), 172-175 Birk, F. F., Mirbek, S. (2021): Bodyshaming, Bodypositivity, Bodyneutrality und Bodydiversity: Körperlichkeit als zentrale (Anti-) Diskriminierungsthematik. körper- - tanz- - bewegung. 9 (3), 142-150, https: / / doi.org / 10.2378 / ktb2021.art19d Birk, F. F., Mirbek, S. (2022a): Körperkapital. körper-- tanz-- bewegung. 10 (2), 46-55, https: / / doi. org / 10.2378 / ktb2022.art09d Birk, F. F., Mirbek, S. (2022b): No Body is perfect: Anti-Bodyshaming-Maßnahmen in der Psychomotorik/ Motologie. Praxis der Psychomotorik. 47 (4), 222-226 Bourdieu, P. (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp, Frankfurt am Main Bourdieu, P. (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, R. (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt. Schwartz, Göttingen, 183-198 Eggert, D., Reichenbach, C. (2021): Diagnostische Inventare: Motorik (DMB), auditive Wahrnehmung (DIAS), Raum-Zeit-Wahrnehmung (RZI), Selbstkonzept (SKI). borgmann, Dortmund Huster, E.-U., Wendler, M. (2023): Der Körper als Kapital(-Ressource)- - eine notwendige und perspektivreiche Erweiterung psychomotorischer / motologischer Theoriebildung. motorik 46 (4), 199- 205, https: / / doi.org / 10.2378 / mot2023.art37d Jessel, H. (2010): Leiblichkeit- - Identität- - Gewalt. Der mehrperspektivische Ansatz der psychomotorischen Gewaltprävention. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, https: / / doi. org / 10.1007 / 978-3-531-92468-7_4 Seewald, J. (2007): Der Verstehende Ansatz in Psychomotorik und Motologie. München: Reinhardt Zeus, A. (2005): Leibliche Zugänge zur Verinnerlichung gesellschaftlicher Strukturen- - am Beispiel bewegungsorientierter Erfahrungsangebote in Deutschland und Südafrika. Unveröffentlichte Dissertation, Philipps-Universität Marburg Was ist über die Entwicklung von Kindern mit Beeinträchtigungen in den unterschiedlichen Entwicklungsbereichen bekannt? Wie wirken sich biologische und soziale Risiken auf die Entwicklung aus? Das Handbuch zur Frühförderung gibt Antwort auf all diese Fragen und bietet so eine Grundlage für alle, die in der Frühförderung von Kindern mit einer kognitiven, sprachlichen oder motorischen Beeinträchtigung, einer Hör- oder Sehschädigung, einer sozial-emotionalen Entwicklungsstörung oder einer schweren Mehrfachbehinderung tätig sind. Praktiker: innen erhalten so einen umfassenden Überblick über das Arbeitsfeld und Leitlinien für die Praxis der Frühförderung. Früh fördern a w 2., aktualisierte Auflage 2022. 481 Seiten. 22 Abb. 10 Tab. (978-3-497-03157-3) kt
