eJournals motorik 48/1

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2025.art02d
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2025
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Forum Psychomotorik: Ergebnisse der QuEP-Studie 2024: Psychomotorische Praxis&Forschung in Deutschland und Europa

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2025
J. Lemmer Schmid
In diesem Beitrag werden die zentralen Forschungsergebnisse der QuEP-Studie 2024 des Europäischen Forums für Psychomotorik (EFP) vorgestellt. Mittels einer Onlinebefragung wurden in 14 Ländern psychomotorische Arbeitskontexte, Praxisansätze und Forschungsaktivitäten erhoben und auf länderspezifische Besonderheiten und Gemeinsamkeiten untersucht. Im Hinblick auf eine hier postulierte lavierende »Psychomotorik-Krise« wird eine international koordinierte Forschungsstrategie skizziert, wie langfristig die allgemeine Anerkennung der Psychomotorik als eigenständige Berufsgruppe in Gesundheits- und Bildungssystemen national und international etabliert werden könnte.
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Zusammenfassung In diesem Beitrag werden die zentralen Forschungsergebnisse der QuEP-Studie 2024 des Europäischen Forums für Psychomotorik (EFP) vorgestellt. Mittels einer Onlinebefragung wurden in 14 Ländern psychomotorische Arbeitskontexte, Praxisansätze und Forschungsaktivitäten erhoben und auf länderspezifische Besonderheiten und Gemeinsamkeiten untersucht. Im Hinblick auf eine hier postulierte lavierende »Psychomotorik-Krise« wird eine international koordinierte Forschungsstrategie skizziert, wie langfristig die allgemeine Anerkennung der Psychomotorik als eigenständige Berufsgruppe in Gesundheits- und Bildungssystemen national und international etabliert werden könnte. Schlüsselbegriffe: Europäische Psychomotorik, Forschungsstrategie, Anerkennung, Wirksamkeitsstudien, Ansatzdiskussion Results of the QuEP Study 2024: Psychomotor Practice & Research in Germany and Europe Stumbling blocks & milestones of recognition This article presents the key research findings of the 2024 QuEP study conducted by the European Forum for Psychomotricity (EFP). Through an online survey across 14 countries, data on psychomotor working fields, practice approaches, and research activities were collected and analyzed for country-specific differences and commonalities. Considering a proposed »psychomotricity crisis«, an internationally coordinated research strategy is outlined to establish the long-term recognition of psychomotricity as a distinct professional field within national and international health and education systems. Keywords: European psychomotricity, research strategy, recognition, efficacy studies, approach discussion [ 4 ] 1 | 2025 motorik, 48. Jg., 4-11, DOI 10.2378 / mot2025.art02d © Ernst Reinhardt Verlag [ Forum Psychomotorik ] Ergebnisse der QuEP-Studie 2024: Psychomotorische Praxis & Forschung in Deutschland und Europa stolper- & meilensteine der Anerkennung J. Lemmer schmid Die Praxis und das Wissenschaftsgebiet der »Psychomotorik« ist weltweit, jedoch vor allem in Europa und Lateinamerika stark verbreitet. Es existieren deutliche Unterschiede, nicht nur in den Arbeitsmethoden und Förderzielen, sondern auch in der länderspezifischen Anerkennung dieses Berufsfelds. Diese sind auf die jeweiligen Entwicklungsgeschichten, Ausbildungsformate, berufspolitische Organisation sowie geleistete Forschungsaktivität zur wissenschaftlichen Fundierung zurückzuführen. In Deutschland führte die in den 70er-Jahren aufkommende Begeisterung, Psychomotorik verbreiten und lehrbar zu machen, zur Gründung verschiedener Ausbildungseinrichtungen, Studiengänge, Fortbildungs- und Fördervereine sowie später zu Berufsverbänden und der wissenschaftlichen Vereinigung für Psychomotorik und Motologie (WVPM). Im Jahr 2006 wurden diese verschiedenen Sektionen zur Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik zusammengeschlossen. Ziel dieses Dachverbandes ist die Psychomotorik in Praxis, Lehre und Forschung weiter zu etablieren (DGfPM 2024). Während in der Schweiz und in Belgien nahezu jede Kita und Grundschule eine festangestellte Psychomotorikerin oder Psychomotoriker hat und in Frankreich dieses Berufsbild fest im Stellenplan von Krankenhäusern verankert [ 5 ] Schmid • Ergebnisse der QuEP-Studie 2024: Psychomotorische Praxis & Forschung 1 | 2025 ist, müssen in Deutschland noch immer Schulleitungen und Chefärzt: innen über Psychomotorik aufgeklärt werden. Reaktionen wie »Das ist ja spannend! « haben nach einer 50-jährigen Entwicklungsgeschichte mittlerweile einen bitteren Beigeschmack. Bereits vor der Corona-Pandemie meldeten Fortbildungseinrichtungen einen rückläufigen Trend der Anmeldezahlen, die Ausbildung zum staatlich anerkannten Motopäden / zur Motopädin ist mittlerweile nur noch in Nordrhein-Westfalen möglich und zentrale Psychomotorik Professuren wie in Dortmund, Osnabrück oder Köln wurden nicht nachbesetzt. Während auf Gedenkfeiern für Pionier: innen und Verabschiedungsreden für die in den Ruhestand gehende zweite Generation Respekt und Dankbarkeit ausgesprochen wird, scheinen sich zeitgleich Fortbildungsvereine, Motopädieschulen und Psychomotorik vermittelnde Hochschulstudiengänge in ihre jeweiligen Nischen zurückzuziehen und den expansiven Traum einer bundesweiten Anerkennung der Psychomotorik in Bildungssystem und Abrechnungsverfahren gegen die Wahrung eines Status Quo einzutauschen. Was könnten mögliche Ursachen für die hier postulierte Psychomotorik-Krise sein und mit welcher Offensivstrategie wären grundlegende berufspolitische Veränderung doch noch möglich? Vor dem Hintergrund dieser Fragestellungen werden im Folgenden ausgewählte Ergebnisse einer Umfragestudie des Europäischen Forums für Psychomotorik (EFP) zur Praxis und Forschung in Deutschland und Europa vorgestellt. Abschließend wird auf den Aspekt fehlender Wirksamkeitsnachweise mittels einer grob skizzierten internationalen Forschungsstrategie eingegangen. Ergebnisse der QuEP-Umfragestudie 2024 Das Europäische Forum für Psychomotorik wurde 1996 in Marburg gegründet, mit dem Ziel die Weiterentwicklung sowie Etablierung der Psychomotorik durch internationale Zusammenarbeit voranzutreiben. In jährlich stattfindenden Generalversammlungen werden konkrete Maßnahmen geplant und der aktuelle Stand sogenannter »Task-Groups« besprochen. Im Jahr 2019 wurde in Paris die Arbeitsgruppe »Science & Research« beauftragt, mittels einer Online-Umfragestudie in allen Mitgliedsländern die unterschiedlichen Arbeitskontexte, Praxisansätze und Forschungsaktivitäten im Feld der Psychomotorik zu erfassen. Über den Entwicklungs- und Validierungsprozess der QuEP-Studie (Questionnaire on European Psychomotricity) sowie die Datenerhebung und methodische Aufbereitung der 1.427 Antworten aus 14 Ländern wurde bereits berichtet (Schmid / Muzler / Nideröst 2024). Der gesamte Datensatz inklusive einer Ergebnisauswertung für alle Länder wurde vom EFP über die Open-Access-Plattform OSF zur freien Nutzung veröffentlicht (QuEP 2024). Stichprobe Die im Folgenden präsentierten Durchschnittswerte für Deutschland basieren auf den Antworten von 198 Psychomotoriker: innen aus Praxis, Lehre und Forschung. Das Durchschnittsalter lag bei 46 Jahren (SD=12) und die durchschnittliche Berufserfahrung bei 14 Jahren (SD=11). Von den deutschen Befragungsteilnehmenden definierten sich 87 % als Frauen. Dies entspricht dem internationalem Durchschnitt von 90 %. Die benannten Qualifizierungswege waren entweder ein Master (31 %) bzw. Bachelor (3 %) in ›Motologie‹, eine in Vollzeit einjährige (20 %) oder eine in Teilzeit zwei- (18 %) bzw. dreijährige (7 %) staatlich anerkannte Ausbildung zur bzw. zum »Motopäd: in«. Insgesamt benannten 13 % Workshops und eigene praktische Erfahrungen als ihre »Psychomotorik«-Qualifizierung, 8 % machten keine Angaben. International verteilten sich die Qualifikationen zu jeweils einem Drittel auf Master, Bachelor und 1 bis 2-jährige Ausbildungen auf. Die Fortbildungskultur in Form von Zusatzqualifikationen durch mehrheitlich Wochenendseminaren, kann bis auf vereinzelte QuEP ist eine Umfrage des EFPs und steht für »Questionnaire on European Psychomotricity« [ 6 ] 1 | 2025 Forum Psychomotorik Ausnahmen als deutschland- und österreichspezifisch angesehen werden. Arbeitskontexte In Deutschland lag der Durchschnitt psychomotorischer Tätigkeit bei 16 Stunden (SD=12) pro Woche. Während in Frankreich 75 % oder in Portugal 56 % der Befragungsteilnehmenden in Vollzeit (mehr als 30 Stunden pro Woche) arbeiteten, waren es in Deutschland nur 15 %. Es besteht bei 74 % der Befragten in Deutschland ein Anstellungsverhältnis, nur 12 % waren ausschließlich freiberuflich tätig. Dabei wird zu zwei Dritteln (68 %) in Kleingruppen mit durchschnittlich sieben Teilnehmenden gearbeitet. In der Schweiz, Frankreich oder bspw. in den Niederlanden besteht mit 70 bis 80 % ein deutlich größerer Anteil an Einzelförderung. In Abbildung 1 sind die relativen Häufigkeiten psychomotorischer Alterszielgruppen für Europa dargestellt. Diese entsprechen auch der Verteilung in Deutschland, bei der Psychomotorik am häufigsten in Kindergärten und bei Grundschulkindern, hier in Rot hervorgehoben, praktiziert wird. Eine separierte Betrachtung zeigt jedoch, dass in manchen Ländern wie z. B. in den Niederlanden primär mit Erwachsenen gearbeitet wird oder in Frankreich bspw. alle Altersgruppen gleichermaßen adressiert werden. Analog zu den Alterszielgruppen, ist aus Abbildung 2 zu entnehmen, dass sich die häufigsten Arbeitsfelder für Psychomotoriker: innen in Deutschland in pädagogischen und Frühen Bildungskontexten finden lassen. Der zweite große Block in Blau gekennzeichnet umfasst Bildungs- und Erziehungsangebote, Lehrtätigkeit, Inklusion & Partizipation, psychische Gesundheit. Dazu zählt auch die Angabe, dass 27 % der Befragten ebenfalls in angrenzenden Bereichen wie Körperpsychotherapie, Tanz- & Bewegungstherapie oder Somatics und Embodiment tätig sind. Der dritte Block in Gelb zeigt, dass die psychomotorische Arbeit mit Erwachsenen und Senior: innen in psychiatrischen und gesundheitsfördernden Kontexten im internationalen Durchschnitt deutlich weniger etabliert ist. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich für die Psychomotorik derzeit noch wenig etablierte, jedoch bereits theoretisch begründete Arbeitsfelder, wie z. B. die betriebliche Gesundheitsförderung, weiter ausbauen lassen. Auch für Themen der Mensch-Umwelt-Interaktion, wie z. B. Krisenintervention oder die Förderung von Nachhaltigkeitsbewusstsein, wurden erste Ansätze bereits vorgestellt (Vetter 2023, Schmid 2023). Unabhängig von den nationalen Unterschieden in den dominierenden Arbeitskontexten zeigen sich hohe Übereinstimmungen in den zentralen Themenschwerpunkten und Interventionszielen der psychomotorischen Praxis. In Abbildung 3 werden emotionale Kompetenz im Sinne von Selbstregulationsfähigkeit, (Körper-) Wahrnehmung und die Förderung eines positiven Selbstkonzepts als die zentralen Ziele psychomotorische Arbeit hervorgehoben. Abb. 1: relative Häufigkeiten psychomotorischer Alterszielgruppen für Europa (N=1171) Abb. 2: Häufigkeitsverteilung psychomotorischer Arbeitsfelder in Deutschland (N=174) [ 7 ] [ 7 ] Schmid • Ergebnisse der QuEP-Studie 2024: Psychomotorische Praxis & Forschung 1 | 2025 Die nächsthäufigen Themenfelder, hier in blau, variieren in ihrer Bedeutsamkeit je nach EFP-Mitgliedsland. In Deutschland z. B. wird dem Ziel der Persönlichkeitsentfaltung eine deutlich größere Bedeutung zugemessen als dem Einsatz von Verhaltenstrainings. Forschung International gaben 169 Psychomotoriker: innen an, aktiv Forschung zur Psychomotorik zu betreiben. Bei der Abfrage von Forschungsdesideraten zeigte sich, wie in Abbildung 4 dargestellt, eine hohe Übereinstimmung zwischen den Einschätzungen von Praktiker: innen und denen der Forschenden. An erster Stelle wurde der Bedarf an wissenschaftlichen Studien genannt, die die Bedeutung von Psychomotorik in interdisziplinären Behandlungsansätzen stärken sollen. An zweiter Stelle stand die Notwendigkeit von Wirksamkeitsstudien für spezifische Indikationsgruppen. In der Auswertung der freien Antwortformate wurden hierzu insbesondere Themen wie ADHS, Adipositas, Parkinson oder Körperschemastörungen sowie auch Handlungsfelder wie z. B. Migration oder inklusive Schulpädagogik explizit benannt. Forschende, hier in Rot eingefügt, maßen Grundlagenforschung, der Weiterentwicklung diagnostischer Verfahren sowie der Wirksamkeitsforschung bzgl. spezifischer Ansätze eine signifikant höhere Bedeutungen zu. Letztere stellten eine besondere Herausforderung bei der Entwicklung des QuEP-Fragebogens dar: Nach einer Reihe von Expert: inneninterviews mit Vertreter: innen der einzelnen Mitgliedsländer und insgesamt drei Validierungs-Schleifen, konnte der in Abbildung 5 dargestellten Differenzierung psychomotorischer Ansätze auf der EFP Generalversammlung 2023 in Brüssel zugestimmt werden. Die Prozentwerte der Anwendungshäufigkeit sowie die daraus resultierende Rangfolge müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Es bleibt unklar, inwiefern die ausgewählten Bezeichnungen in den jeweiligen Ländern mit den gleichen Bezugstheorien und Implikationen für die Praxis in Verbindung gebracht werden. Aufgrund der Komplexität und Bedeutsamkeit dieser Ansatz- Abb. 3: Praxisthemen und Interventionsziele psychomotorischen Arbeitens (N=1385) Abb. 4: relative Häufigkeit notwendiger Forschungsthemen in der Psychomotorik für Europa Abb. 5: europäische Durchschnittswerte der relativen Anwendungshäufigkeit psychomotorischer Ansätze (N=1132) [ 8 ] 1 | 2025 Forum Psychomotorik diskussion, muss dieses Thema an einer anderen Stelle gesondert aufgegriffen werden. Eines der zentralen Ziele der QuEP-Studie war es, länderspezifische Forschungsthemen und methodische Expertisen sichtbarer zu machen, um auf diese Weise die internationale Forschungsvernetzung zu fördern. In Abbildung 6 und 7 sind die Anwendungshäufigkeiten spezifischer Forschungsdesigns und -methoden dargestellt. Der vorläufig positive Eindruck einer methodisch und inhaltlich umfangreichen psychomotorischen Forschungslandschaft relativiert sich bei Betrachtung der individuellen Publikationszahlen: In der internationalen Stichprobe forschungsaktiver Psychomotoriker: innen lag die individuelle Gesamtveröffentlichungszahl im Schnitt bei 6 (SD=7), wobei davon nur 3 (SD=4) ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hatten. Dies entspricht in anderen Disziplinen wie Psychologie oder Medizin dem zu erwartenden Jahres-Output. Das Problem der geringen Anzahl psychomotorischer Studien und die damit verbundene fehlende Sichtbarkeit in angrenzenden Fachdiskursen verschärfen sich angesichts des hohen Durchschnittsalters der aktiv Forschenden: So liegt das Durchschnittsalter der bereits promovierten jedoch noch nicht das Rentenalter überschrittenen Forschenden in Deutschland bei 52 Jahren (n=10, SD=6,3). Zusammenfassend lassen sich durch die Ergebnisse der QuEP-Studie vor allem bereits vermutete nationale und internationale Sachverhalte zur psychomotorischen Praxis und Forschung empirisch untermauern. Das Ausbleiben überraschender Ergebnisse kann auf der einen Seite ermüdend wirken, auf der anderen Seite könnte die hier deutlich vor Augen geführte Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach mehr Anerkennung psychomotorischer Praxis durch wissenschaftliche Fundierung, im Kontrast mit der tatsächlich geleisteten Wirksamkeitsforschung, auch als alarmierender Weckruf wahrgenommen werden. Stolpersteine der deutschen Psychomotorik Rückblickend lässt sich konstatieren, dass es schlichtweg verschlafen wurde, den Begriff »Psychomotorik« als eigenständige Berufsbezeichnung zu sichern. Dies lässt sich vermutlich auch nicht mehr nachholen, da psychomotorisches Arbeiten bereits ein fester Bestandteil des Methodenrepertoires von Ergo- und Physiotherapie sowie Sportpädagogik geworden ist. Die Tatsache, dass heute auch ohne der fundierten Ausbildung zum / zur Motopäd: in oder Motolog: in alle sich als »Psychomotoriker: in« bezeichnen können, verschleiert das tatsächlich vorhandene Qualifikationsniveau und die damit verbundene Professionalität. Die Vorstellung bundesweit in Rückbesinnung auf Schilling (1981, 187) sich auf die ausschließliche Nutzung der Berufsbezeich- Abb. 6: relative Häufigkeit genutzter Untersuchungsdesigns europäischer Psychomotorikforschung (N=162) Abb. 7: relative Häufigkeit eingesetzter Methoden europäischer Psychomotorikforschung (N=158) [ 9 ] [ 9 ] Schmid • Ergebnisse der QuEP-Studie 2024: Psychomotorische Praxis & Forschung 1 | 2025 nungen Motopäd: in und Mototherapeut: in zu einigen, wird vermutlich ähnliche Widerstände hervorrufen, wie die Forderung nach einer Vereinheitlichung von Qualifikationswegen und Abschlussbezeichnungen. Die Unterscheidungen zwischen Motopädie, Motologie, Psychomotorik oder auch Bewegungstherapie ist nicht nur für Außenstehende zunehmend verwirrend. Vermutlich erschwert genau diese begriffliche Unschärfe eine effektive Lobbyarbeit in der Gesundheits- und Bildungspolitik. Dabei wäre es gerade jetzt in Zeiten des Fachkräftemangels eine große Chance mit gemeinsamer Stimme und Vokabular »Hier! « zu schreien. Doch selbst für den Fall, dass derartige Reformen gemeinsam beschlossen und umgesetzt werden könnten, lässt sich die schwerwiegendere Stagnationsursache wie vielfach hingewiesen in dem Ausbleiben von Wirksamkeitsstudien vermuten (z. B. Hölter 2013; Richter-Mackenstein 2017; Vetter 2019). Die in dem psychomotorischen Fachdiskurs dominierenden Einzelfallberichte, Posthoc-Untersuchungen und philosophischen Reflexionen z. B. über den Leibbegriff besitzen trotz ihres wissenschaftlichen Mehrwerts in einem Anerkennungsverfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nur ein geringes bis gar kein Gewicht. Doch vermutlich sind es eher inhaltlich begründete Bedenken, welche einer indikationsspezifischen und manualisierten Evidenzforschung entgegenwirken und Vorstöße wie das SPES-Evaluationsprojekt (System Psychomotorischer Effektsicherung) von Klein et al. (2006) scheitern lassen. Lässt sich die Forschungslogik einer evidenzbasierten Medizin wirklich nicht mit der ressourcen-, prozess- und beziehungsorientierten Psychomotorik und ihrem ganzheitlichen Menschenbild vereinbaren? Meilensteine einer psychomotorischen Forschungsstrategie Wenn an dem vorherrschendem Wunsch, die Psychomotorik in ihrer gesellschaftlichen Anerkennung mittels Wirksamkeitsstudien stärken zu wollen, festgehalten werden soll (vgl. Abb. 4), braucht es eine explizite Entschlossenheit, sich der Herausforderung einer systematischen und langfristig geplanten Wirksamkeitsforschung anzunehmen. Im gleichen Jahr der Ablehnung eines 330 RCT-Studien umfassenden Antrags auf Zulassung der Humanistischen Psychotherapie, wurde die Systemische Therapie vom G-BA für das Kostenerstattungsverfahren zur Behandlung von Angst, Depression und Essstörungen zugelassen. Der wesentliche Unterschied bestand darin, dass die im zweiten Antrag eingereichten Studien sich auf wenigere Störungsbilder konzentrierten, welche mit klarer definierten Therapiemethoden behandelt wurden (G-BA, 2018). Im Folgenden werden mögliche Meilensteine einer international vereinten psychomotorischen Forschungsstrategie exemplarisch ausformuliert: 1. Nationaler Beschluss: Nach einer ergebnisoffenen Reflexion und Diskussion mit allen beteiligten Sektionen der DGfPM, könnte ein Entschluss für die gemeinsame Entwicklung und Umsetzung eines konkreten Aktionsplans gefasst werden. 2. Unterstützungszusagen aus der Praxis: Für die Durchführung von Wirksamkeitsstudien braucht es vor allem die Akzeptanz und Mitwirkung aus der Praxis. Um den tatsächlichen Rückhalt von der Basis zu überprüfen, könnten psychomotorische Privatpraxen, Fördervereine und sonstige Institutionen aufgerufen werden, sich in eine Unterstützer: innen-Liste einzuschreiben. Eine umfangreiche Datenbank psychomotorischer Einrichtungen findet sich beim niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe 2024). 3. Internationale Kooperation: Mit der Unterstützung des EFP könnten Förderanträge für internationale Verbundforschungsprojekte initiiert und koordiniert werden. Hierdurch könnten Eine evidenzbasierte Anerkennung der PM braucht den Schulterschluss aller Sektionen. [ 10 ] 1 | 2025 Forum Psychomotorik Promotionsstellen und wissenschaftliche Mitarbeitende für eine gemeinsame Forschungsstrategie finanziert werden. 4. Synchronisierung von Forschungsthemen, Interventions- und Untersuchungsmethoden: Trotz diverser Unterschiede besteht international ein gemeinsamer Kern bzgl. Praxisthemen und Interventionsziele (vgl. Abb. 3). Analog zum Anerkennungsverfahren der Systemischen Therapie erscheint es zielführend sich international auf einen gemeinsamen Körper von Untersuchungsmethoden, Interventionsansätzen und Indikationsgruppen zu verständigen. Höchstes Evidenzniveau besitzen Meta-Analysen, welche ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit der aufgenommen Studien voraussetzen. Eine international zusammengesetzte Expert: innenkommission könnte konkrete Empfehlungen hierzu aussprechen. 5. Erweiterung bestehender Lehr- und Forschungskultur: In der Psychologie ist es gängige Praxis, engmaschig betreute Qualifikationsarbeiten in laufende Promotions- und sonstige Forschungsprojekte als zentrale Datenerhebungsquelle einzubinden. Durch die so gewonnenen Einblicke in anwendungsorientierte Forschung in der Psychomotorik oder auch z. B. durch Preisverleihungen für Qualifikationsarbeiten auf Psychomotorik-Kongressen, könnte das Interesse an einer akademischen Laufbahn angeregt werden. 6. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Mittels internationaler Promotionsprogramme und Forschungskolloquien, könnte die Möglichkeit geboten werden, an verschiedenen europäischen Standorten von bestehenden Expertisen und Ressourcen im Rahmen von Studienaufenthalten profitieren zu können. In Sommerschools könnten Weiterbildungen in Forschungsmethoden oder auch Unterstützung bei der Entwicklung von Fragestellungen angeboten werden. Zudem sollte die Beantragung von Forschungsstipendien gefördert werden. Eine entsprechende Übersichtsdatei findet sich auf der WVPM Homepage (2024). 7. Motodiagnostik als Kernkompetenz ausbauen: Neben Weiterentwicklungen zur Gestaltung standardisierbarer Erfahrungssituationen, welche im Sinne einer Förderdiagnostik ebenfalls den Mehrwert der Klient: innen berücksichtigen und gleichzeitig zur Datenerhebung eingesetzt werden können, braucht es in einem ersten Schritt Validierungsstudien von Übersetzungen der durch die Kommission vorgeschlagenen Messinstrumente in die jeweiligen Landessprachen. 8. Nutzung neuer Technologien: Für die (internationale) Kommunikation in Lehr- und Forschungsprojekten müssen neue Standards zur online-Kollaboration und digitalisierten Datenerhebung implementiert werden. So ist es heute z. B. möglich über mobile Assessments sowohl qualitative als auch »harte« Daten mit wenig Aufwand zu erfassen. Was früher in akribischer Handarbeit installiert, transkribiert und kodiert werden musste, kann heute über KI-gesteuerte adaptive Interviews am persönlichem Handy durch Sprachaufnahmen erfasst, auf ein datenschutzkonformes Portal hochgeladen und mit wenigen Klicks für spezifische Interventionsgruppen in mehreren Sprachen gleichzeitig ausgewertet werden. Wirklich vielversprechend ist dabei die Möglichkeit Beobachtungswerte und subjektives Erleben mit physiologischen Messwerten, wie z. B. Herzratenvariabilitäten über Stimmfrequenzanalyse, zu korrelieren. Fazit Auf der Grundlage der aktuellen EFP-Umfragestudie zum Stand psychomotorischer Praxis und Forschung in Europa wurden konkrete Meilensteine einer möglichen Forschungsstrategie als Diskussionsgrundlage ausformuliert. Wird es gelingen für eine derartig arbeitsaufwendige und langfristig angelegte Vision erneut die notwendige Aufbruchsstimmung in der gesamten Psychomotorik-Szene zu erzeugen? Um sich diesem großen Thema gemeinsam diskur- Eine intentionale Synchronisierung von Forschungsparadigmen und -Themen ist notwendig. [ 11 ] [ 11 ] Schmid • Ergebnisse der QuEP-Studie 2024: Psychomotorische Praxis & Forschung 1 | 2025 siv anzunähern, wird explizit dazu aufgerufen, Zustimmungen, Gegenreden oder Alternativvorschläge in Form von eigenen Fachbeiträgen oder Leser: innenbriefen einzureichen oder auch nur eine spontane Reaktion mittels Handy über den unten abgebildeten QR-Code zu hinterlassen. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, nochmal auf die Snooze-Taste zu drücken und von einer bundesweit anerkannten Psychomotorik wohlwollend weiter zu träumen. Literatur DGfPM (2024): Organisation der Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik e. V. In: www.dgfpm. com / index.php / organisation, 15.09.2024 Gemeinsamer Bundesausschuss (2018): Nutzen und medizinische Notwendigkeit der systemischen Therapie anerkannt. In: www.g-ba.de / presse / pressemitteilungen-meldungen / 775 / , 15.09.2024 Hölter, G. (2013): Psychomotorik in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts. Lücken und Tücken eines Erfolgsmodells. motorik 36(1), 9-17, http: / / dx.doi.org/ 10.2378/ motorik2013.art01d Klein, J., Knab, E., Fischer, K. (2006): Evaluation und Qualitätsentwicklung im Bereich psychomotorischer Förderung und Therapie. SPES- - das System Psychomotorischer Effekte Sicherung. motorik 29(4), 168-178 Nifbe (2024): Datenbank für Psychomotorik. In: www. nifbe.de/ psychomotorik/ institution_informationen.php? projekt=1&Gruppe%5B1%5D=0&bundes land=0&staat=0&language=de, 15.09.2024 Richter-Mackenstein, J. (2017): Status-quo und Megatrends. Von Errungenschaften, zwingenden Notwendigkeiten und zukünftigen Herausforderungen für Psychomotorik und Motologie. In: Richter-Mackenstein, J., Blos, K. (Hrsg.): Megatrends und Werte. 1. Aufl. WVPM-Verlag, Kiel, 15-38 Schmid, J. L. (2023): Leib- und bewegungsorientierte Reflexionsmethoden- - motologische Ansätze zur Förderung von Verantwortungsbereitschaft. In: Studer, J. Sotoudeh, S., Abplanalp, E. (Hrsg): Förderung der Persönlichkeitsentwicklung in Hochschulausbildungen. Reflexionsprozesse verstehen und begleiten, 1. Aufl. Hep Verlag, Bern, 83-98 Schmid, J. L., Muzler, S., Nideröst, M. (2024): Psychomotorische Ausbildung, Praxis & Forschung in Europa. QuEP- - Ein Online-Fragebogen des Europäischen Forums für Psychomotorik. motorik 47(3), 158-160 QuEP (2024). EFP Questionnaire on European Psychomotricity. In: www.osf.io / w6uap / ? view_only=ee6 ab1b01b4a412e9798067dc05826e6 Vetter, M. (2019): Receptions of Efficacy in Research of Psychomotricity. European Psychomotricity Journal 11(1), 3-18 Vetter, M. (2023): Keynote World Congress of Psychomotricity (Verona / I): Psychomotricity: Is there a professional contribution in times of war and crisis? WVPM (2024): Übersicht möglicher Promotionsförderungen. In: www.wvpm.org / fileadmin / user_ upload / Uebersicht_Promotionsfoerderung.pdf, 15.09.2024 Die Schriftleitung und der Verlag freuen sich über Ihr Feedback zu diesem Artikel unter journals@reinhardt-verlag.de Der Autor Prof. Dr. J. Lemmer Schmid Dipl. Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, Motologe und Supervisor Anschrift J. Lemmer Schmid FB Soziale Arbeit und Gesundheit Constantiaplatz 4 26723 Emden j.lemmer.schmid@hs-emden-leer.de - Anzeige - Nächstes Grundlagenseminar Psychomotorische Praxis Aucouturier Herbst 2025, 8 Wochenendseminare, Plüderhausen bei Stuttgart Spielraum für Bewegung - Einführung in die Psychomotorische Praxis Aucouturier im pädagogisch-präventiven Bereich (Alternativtermine! ! ) • 17./ 18.01.2025 Christine Hausch, Plüderhausen • 21./ 22.03.2025 Stefan Cohn, Biberach/ Riß • 17./ 18.01.2025 Christine Hausch, Plüderhausen Beweg-Gründe - Einführung in die Psychomotorische Praxis Aucouturier in Prävention und Therapie • 29.-31.08.2025 Marion Esser, Bonn Information und Anmeldung: ZAPPA • Professor-Neu-Allee 6 • 53225 Bonn Fon 0228 - 479 76 13 • info@zappa-bonn.de www.zappa-bonn.de Zentrum für Aus- und Fortbildung in Psychomotorischer Praxis Aucouturier