eJournals Motorik 48/2

Motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2025.art17d
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2025
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Auf den Punkt gebracht: Psychomotorik und Politik im persönlichen Schnittfeld - ein Interview

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2025
Kimon Blos
Nicola Böcker-Giannini
Mit Nicola Böcker-Giannini begrüßen wir eine Persönlichkeit, die sowohl die PsychoMOTORIK als auch die Politik als berufliche Handlungsfelder kennt und deren Erfahrungen spannende Einblicke in deren potenzielle Schnittflächen versprechen. Das Interview führt Kimon Blos.
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[ 90 ] 2 | 2025 motorik, 48. Jg., 90-92, DOI 10.2378 / mot2025.art17d © Ernst Reinhardt Verlag [ AUF DEN PUNKT GEBRACHT ] Psychomotorik und Politik im persönlichen Schnittfeld-- ein Interview Kimon Blos, Nicola Böcker-Giannini Mit Nicola Böcker-Giannini begrüßen wir eine Persönlichkeit, die sowohl die Psychomotorik als auch die Politik als berufliche Handlungsfelder kennt und deren Erfahrungen spannende Einblicke in deren potenzielle Schnittflächen versprechen. Das Interview führt Kimon Blos. Liebe Nicola, du vereinigst psychomotorischen wie politischen Hintergrund. Könntest du beide Dimensionen deiner Biografie kurz skizzieren? Ich habe Sport in Köln studiert, dann eine Psychomotorikausbildung gemacht und viele Jahre im Kitabereich gearbeitet. Ich war Fachberaterin für Bewegungspädagogik und habe Aus- und Fortbildungen für frühpädagogische Fachkräfte geleitet. Mit meinem Umzug nach Berlin habe ich angefangen, mich politisch zu engagieren-- zuerst im Bezirksparlament, dann als Abgeordnete im Berliner Landesparlament und dann als Staatssekretärin für Sport. Derzeit bin ich ehrenamtliche Landesvorsitzende der Berliner SPD. Gibt es konkrete Schnittstellen, in denen sich deine Bewegungsexpertise auf politischer Ebene bzw. deine politische Expertise in deinem Tätigkeitsfeld der Bewegung ausgewirkt haben? Politisch sehe ich, wie die Kompromissbereitschaft innerhalb einzelner Parteien und in Koalitionen verschiedener Parteien abnimmt. Kompromisse sind aber der Wesenskern unserer Demokratie. Gehen diese verloren, gerät unser politisches System ins Wanken und das Vertrauen in die Intuitionen unserer Demokratie leidet. Hier liegt es für mich nahe, zu überlegen, welche Grundlagen in der frühen Kindheit gelegt werden können und welchen Wert Psychomotorik in Sachen Demokratiebildung haben kann. Im politischen Kontext ist es aber auch interessant, worüber wir im Umfeld Sport und Bewegung sprechen. Als Staatssekretärin für Sport gehörten die großen Sportstätten ebenso zu meinen Aufgaben, wie die großen Sportevents der Stadt, die Berliner Bäderbetriebe oder die Zusammenarbeit mit dem Landessportbund. Im Fokus stand zumeist der Leistungssport. Politisch ist das wohl der interessantere Bereich, weil er schöne Bilder liefert. Ich habe versucht, dem Breitensport mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ohne Breitensport gibt es keinen Leistungssport. Politik scheitert immer wieder an der Chancengerechtigkeit in der Bildung. Wie wäre diese zu erreichen und könnte unser Verständnis der Psychomotorik dabei eine Rolle spielen? Es ist Konsens in der Politik, dass alle Kinder die gleiche Chance auf eine gute Bildungskarriere haben sollen- - unabhängig von ihrer Herkunft. Lange Zeit hat man gedacht, dass es dafür ausreicht, mehr Geld ins System zu pumpen. Davon profitieren alle Schüler: innen, was eher Chancengleichheit als Chancengerechtigkeit bedeutet. So ermöglicht z. B. die Kostenfreiheit in der Bildung allen Kindern Zugang zu Kita und Schule und zwar unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Aus meiner sozialdemokratischen Sicht ist [ 91 ] Blos, Böcker-Giannini • Psychomotorik und Politik im persönlichen Schnittfeld 2 | 2025 das eine gute Sache. Leider ist aber die Qualität der Angebote in Kita, Schule und Uni nicht überall gleich. Deshalb stecken Eltern, die es sich leisten können, die gesparten Kita- und Hortbeiträge in zusätzliche Bildung. Sie zahlen Nachhilfe, Musik- und Bewegungsangebote oder melden ihre Kinder notfalls auch in Privatschulen an. Die Bildungsschere geht so immer weiter auseinander. Aus meiner Sicht müssten wir also die Qualität in unseren Bildungseinrichtungen verbessern: beim Material, den Inhalten oder der Raumgestaltung. Mehr Geld ist dafür meines Erachtens nicht nötig. Es muss stattdessen gezielt die Kinder unterstützen, die die schlechteren Startbedingungen haben. Das wäre dann echte Chancengerechtigkeit und deckt sich mit unserem psychomotorischen Ansatz. Welche Wert- und Zielperspektiven treiben dich an? Gibt es Ähnlichkeiten deiner Motivation für die Politik und für die Psychomotorik? In der Politik ist für mich die Förderung von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ein zentraler Antrieb. Politisches Handeln zielt für mich darauf ab, individuelle und gesellschaftliche Potenziale zu entfalten und ein Leben in Würde für alle zu ermöglichen. Das hat große Schnittmengen mit der Psychomotorik. Hier steht für mich die Förderung der Persönlichkeit und des individuellen Wachstums im Vordergrund. Durch Bewegung und Interaktion sollen dabei u. a. Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit und die soziale Integration gestärkt werden. Was bedeutet dir dabei das Partizipationsprinzip? Partizipation sollte eine Grundlage unserer Demokratie sein. Partizipation sollte aber auch in der frühkindlichen Bildung in der Kita und später in der Schule zentral sein. Sollte, weil es aus meiner Sicht leider nicht immer so ist. In der Politik gibt es teilweise große Ängste, Bürger: innen aktiv über Bürger: innenbeteiligungen einzubinden. In Kita und teilweise auch Schule gibt es viele Beispiele für gelungene Partizipation. Leider funktioniert es auch hier nicht flächendeckend gut. Sowohl in der Politik als auch in der kindlichen Bildung scheint hinsichtlich Partizipation noch Luft nach oben. Hier können wir ansetzen, wenn es um den Erhalt unserer Demokratie geht. Was gefährdet unseren Anspruch auf Teilhabe? Viel hängt m. E. an der Haltung der Fachkräfte oder Politiker: innen. Wir alle müssten den Kindern ebenso wie den Bürger: innen mehr zutrauen, dass sie gute Entscheidungen treffen können. Weltweit gerät die Demokratie unter Druck. Wie kann sie mit Kräften umgehen, die sich ihr nicht mehr verpflichtet fühlen? Und was kann die Politik hier vielleicht sogar von der Psychomotorik lernen? Politik muss Vertrauen vermitteln. Dinge, die versprochen sind, müssen gehalten werden. Dazu muss sich Politik wieder mehr erklären, klar sagen, was geht oder warum etwas nicht geht. Politik muss im Allgemeinen wieder mehr auf die Bedürfnisse der Bürger: innen blicken und ihre realen Probleme lösen. Wenn sich Bürger: innen nicht gehört fühlen oder meinen, dass sie keinen Einfluss mehr auf ihr Leben haben, dann verliert die Demokratie. Dann fühlen sich Menschen nicht mehr selbstwirksam und hören auf, sich für ihre Umwelt zu engagieren. So finden vermeintlich einfache Lösungen Zulauf. Vertrauen und Selbstwirksamkeit sind auch zwei Grundpfeiler der Psychomotorik, die wir mit unseren Angeboten vermitteln können. Welchen Stellenwert erfahren die Themenfelder Bewegung, Sport, Psychomotorik im politischen Alltag? Der Sport hat insbesondere mit dem Leistungssport einen hohen Stellenwert. Hier kann sich ein Land gut in der Öffentlichkeit präsentieren. Der Breitensport hat es etwas schwerer. Die Special Olympics World Games waren eine schöne Ausnahme für ein Sportevent, bei dem das Mitmachen im Mittelpunkt stand. Die Psychomotorik spielt im politischen Raum kaum eine Rolle. Sie wird bestenfalls unter Bewegung subsummiert. Politisches Handeln zielt für mich darauf ab, ein Leben in Würde für alle zu ermöglichen. [ 92 ] 2 | 2025 Auf den Punkt gebracht Eine Chance liegt derzeit vielleicht in der Debatte um Angebote der Demokratiebildung. Siehst du eine realistische Chance, das zu ändern? Schwierig. Studien, die den Wert der Bewegung für die Entwicklung belegen, liegen lange vor. Die Ergebnisse sind in der Politik auch Konsens. Aber die Übersetzung ins politische Handeln findet nur bedingt statt. Wir denken eben immer noch, dass wir nur mit Leistung weiterkommen und zwar mit der Leistung, die sich auf schulische Hauptfächer beschränkt. Lesen, Rechnen, Schreiben sind fraglos unabdingbar. Bewegung ist aber deren Grundlage. Das vergisst Politik spätestens im Angesicht der nächsten PISA-Ergebnisse oder des Haushalts, der Geld für »zusätzliche« Leistungen vorsieht. Wie siehst du gerade in diesem Zusammenhang unsere psychomotorischen Verbände aufgestellt? Dringen wir in der Meinungsbildung ausreichend durch? Ich fürchte nein. Zumindest für Berlin kann ich das so auf kommunaler wie auf Landesebene sagen. Auch auf Bundesebene wäre ich mir nicht sicher, ob alle Sportpolitiker: innen der Fraktionen wissen, was Psychomotorik ist. Was könnten wir deiner Meinung nach dort verbessern? Die Psychomotorik müsste mehr Lobbyarbeit betreiben: Politiker: innen über das Fachgebiet des Sports hinaus klarmachen, wozu es Psychomotorik und Bewegung bedarf. Eine Chance liegt derzeit vielleicht in der Debatte um Angebote der Demokratiebildung. Wahrscheinlich müssen Politiker: innen auf allen Ebenen noch mehr zu Kongressen und Veranstaltungen mit Schwerpunkt Psychomotorik/ Bewegung eingeladen werden. Vielleicht wäre ein parlamentarischer Abend in den Landesparlamenten und im Bundestag auch eine Idee.- Vielen Dank für das Gespräch und deine Einschätzungen! Kontakt Dr. Nicola Böcker-Giannini nicola@boecker-giannini.de Dr. Kimon Blos kimon.blos@phsz.ch