Motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Berichte: »Sport vor Ort« - Bewegungsorientierte Beiträge zur kommunalen Gesundheitsförderung im Kontext sozialer Ungleichheit Ein Praxisbeispiel
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Stefanie Kuhlenkamp
Aufbauend auf den theoretischen Überlegungen zur Verortung psychomotorischer Arbeit innerhalb der kommunalen Gesundheitsförderung zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit (vgl. Beitrag Kuhlenkamp in diesem Heft), wird nachfolgend anhand von »Sport vor Ort« skizziert, wie die Themen Bewegung, Spiel und Sport über den organisierten Sport Eingang in die kommunale Gesundheitsförderung der Stadt Dortmund gefunden haben.
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[ 98 ] 2 | 2025 Aktuelles / Kurz berichtet Berichte »Sport vor Ort«-- Bewegungsorientierte Beiträge zur kommunalen Gesundheitsförderung im Kontext sozialer Ungleichheit Ein Praxisbeispiel Stefanie Kuhlenkamp Aufbauend auf den theoretischen Überlegungen zur Verortung psychomotorischer Arbeit innerhalb der kommunalen Gesundheitsförderung zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit (vgl. Beitrag Kuhlenkamp in diesem Heft), wird nachfolgend anhand von »Sport vor Ort« skizziert, wie die Themen Bewegung, Spiel und Sport über den organisierten Sport Eingang in die kommunale Gesundheitsförderung der Stadt Dortmund gefunden haben. »Was tun, wenn im Quartier attraktive Spiel- und Sportmöglichkeiten fehlen, die Hürden für die Anmeldung im Sportverein zu hoch sind, viele Familien im Quartier Transferleistungen empfangen und nur eingeschränkt mobil sind und das Thema Gesundheit nicht so wichtig scheint? « (Havemann 2020, 105). Auf diese Fragen werden im Rahmen des Programms »Sport vor Ort« Antworten gesucht. Dabei verweist der Begriff »Sport« darauf, dass es sich um ein Programm handelt, das in den Strukturen des organisierten Sports verankert ist. Der Begriff »Sport« im Titel des Programms steht darüber hinaus für die Trias Bewegung, Spiel und Sport. Anlass für die Initiierung von »Sport vor Ort« sind sowohl Daten der Sozialraumanalysen als auch die der Schuleingangsuntersuchungen. So weisen die Daten der Sozialraumanalysen 13 Aktionsräume und zwei Aktionsquartiere aus, in denen in Dortmund soziale und gesundheitliche Belastungsfaktoren in einem hohen Maß kumulieren und gleichzeitig Ressourcen sowie Entlastungsfaktoren fehlen. Die Weiterentwicklung dieser Sozialräume wird im Rahmen einer integrierten städtischen Sozial(raum)planung unter dem Titel »Aktionsplan Soziale Stadt Dortmund« besonders fokussiert. Zusätzlich belegen die Daten der Schuleingangsuntersuchungen die negativen Auswirkungen prekärer Familiensituationen auf die kindliche Gesundheit, denn vor allem die Kinder in den o. g. Sozialräumen weisen einen schlechteren Gesundheitsstatus auf. Daher formulierte die Stadt Dortmund 2017 das kommunale Kindergesundheitsziel »Alle Kinder in Dortmund wachsen-- auch unter schwierigen Lebensbedingungen-- gesund auf.« (Stadt Dortmund o. J., o. S.). »Sport vor Ort« stellt einen Beitrag dar, um das Dortmunder Kindergesundheitsziel zu erreichen, indem ein niedrigschwelliges Bewegungs- und Sportangebot in den Sozialräumen des Aktionsplans Soziale Stadt (nachfolgend Aktionsräume) geschaffen wird, um die Teilhabe- und Verwirklichungschancen im Themenfeld Bewegung und Sport zu verbessern. Die Finanzierung erfolgt aus Sportfördermitteln sowie aus Mitteln des »Aktionsplan Soziale Stadt Dortmund« und der Präventionsfachstelle des Jugendamts. Die Koordination des Programms erfolgt durch den SSB (SSB o. J., o.S.). Gestartet ist das Programm im Jahr 2017 in einem ersten Aktionsraum. Bis 2024 konnte das Angebot auf sieben Aktionsräume ausgeweitet werden. Ausgangspunkt des Programms ist eine Analyse der im jeweiligen Aktionsraum bereits vorhandenen Strukturen, Institutionen, Angebote, Akteur: innen und Bedürfnisse. Auf dieser Basis werden neue Bewegungs- und Sportangebote entwickelt, vorhandene gestärkt oder übertragen und / oder ausgeweitet. So werden beispielsweise die ansässigen Sportvereine, soweit vorhanden, in ihrer Arbeit durch hauptamtliche Strukturen des SSB unterstützt, um das Vereinsangebot quantitativ und qualitativ auszuweiten und neue Mitglieder zu gewinnen. Exemplarisch für ein im Kontext von »Sport vor Ort« neu entwickeltes Bewegungsangebot, das Kindern und Jugendlichen in benachteiligten Quartieren wohnortnah mehr Bewegungsmöglichkeiten bietet, ist spiel- & sportMOBIL. Für dieses Angebot werden elektrisch betriebene Lastenräder mit Material für niederschwellige Spiel- und Sportanlässe eingesetzt (Abb. 1). Die Lastenräder werden von geschulten Übungsleiter: innen an mehreren Terminen in der Woche zu verschie- [ 99 ] [ 99 ] Aktuelles / Kurz berichtet 2 | 2025 denen Standorten in den Aktionsräumen gefahren. Im Anschluss an die Betreuungszeiten des Offenen Ganztags können die Kinder und Jugendliche hier freie und oder angeleitete Bewegungs- und Spielangebote kostenlos wahrnehmen. Als Standorte für spiel- & sportMOBIL werden Frei- und Wiesenflächen in der unmittelbaren Wohnumgebung der Kinder und Jugendlichen, z. B. in Parks oder Wohnsiedlungen genutzt. Getragen wird dieses Angebot durch eine Kooperation von Quartiermanagement, Partner: innen aus dem Quartier wie zum Beispiel lokalen Wohnungsunternehmen (u. a. Übernahme der Betriebskosten) und Sportvereinen, die mit dem spiel- & sportMOBIL auch Werbung für ihr eigenes Vereinsangebot machen können. Der SSB bildet die Übungsleiter: innen aus, koordiniert und evaluiert das Angebot. Zusätzlich zur Unterstützung der Sportvereine erfolgt eine lokale und intersektorale Vernetzung mit weiteren Akteur: innen im Bereich Sport, Bildung und Gesundheit. Im Sinne eines settingorientierten Vorgehens werden Kooperationen des Vereinssports mit den vor Ort tätigen Institutionen wie z. B. Kindertageseinrichtung, Schule, Jugendhilfe, Beratungsstellen, Begegnungsstätten vereinbart. Insgesamt werden bei diesem Vorgehen Strukturen für zusätzliche Bewegungs- und Sportangebote entwickelt, Teilnahmeschwellen gesenkt, die Informationsmöglichkeiten zu Bewegungs- und Sportangeboten ausgebaut und auch neue Bewegungs- und Ansprachekonzepte erprobt. Hierfür werden u. a. hauptamtliche Sportkoordinator: innen eingesetzt, die das Programm in den einzelnen Aktionsräumen koordinieren, evaluieren und weiterentwickeln. Durch die Sportkoordinator: innen werden Verantwortlichkeiten direkt im Sozialraum verankert, wodurch zum einen die Aktionsräume eine zusätzliche Stimme erhalten und zum anderen die Sportkoordinator: innen für die Menschen im Sozialraum das persönliche, lokale Gesicht von »Sport vor Ort« sind. Der Mehrwert von »Sport vor Ort« besteht darin, dass mit hauptamtlichen Mitabeiter: innen dort angesetzt wird, wo Sportvereine, Einrichtungen und Sozialräume mit ihren eigenen Ressourcen und Aufträgen an Grenzen stoßen. »Sport vor Ort« bildet eine inhaltliche, personelle und strukturelle Klammer, die es ermöglicht, dass Bewegungs- und Sportangebote über Alterssowie Institutionsgrenzen hinweg weiter ausgebaut und miteinander verzahnt werden können. Hierdurch kann »Sport vor Ort« den Weg bereiten für eine kommunale Sport- und Bewegungslandschaft, in der »Bewegungs- und Sporträume gezielt entwickelt, sozial herausfordernde Quartiere fokussiert und Sportvereine als wichtige zivilgesellschaftliche Akteure systematisch eingebunden werden« (Neuber/ Kehne 2024, 159). Literatur Havemann, D. (2020): Sport vor Ort. In: NIF- - Das Netzwerk-Magazin, 1 (1), 104-107 Kuhlenkamp, S. (2023): Sozialraumorientierte Psychomotorik. Ernst Reinhardt Verlag, München Neuber, N., Kehne, M. (2024): Freude an Bewegung und Sport früh verankern-- Perspektiven für die Entwicklung des Kinder- und Jugendsports. Forum Kinder- und Jugendsport (5), 156-164. https: / / doi.org / 10.1007 / s43594-024- 00138-y Stadt Dortmund (o. J.): Kindergesundheitsziel. https: / / www.dortmund.de/ themen/ gesundheit-und-pflege/ kinderund-jugendliche/ kindergesundheitsziel, 10.12.2024 StadtSportBund Dortmund (SSB) (o. J.): Sport vor Ort- - Wir bewegen alles! www.ssb-do.de/ startseite/ projekte/ sport_vor_ort, 20.11.2024 Die Autorin Prof.in Dr. Stefanie Kuhlenkamp, Fachhochschule Dortmund, Vorsitzende und Therapeutin des Fördervereins Bewegungsambulatorium an der Universität Dortmund e. V. Kontakt stefanie.kuhlenkamp@fh-dortmund.de Abb. 1: Lastenrad spiel- & sportMobiL
