körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Das verkörperte Selbst: Empathie und Embodiment
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Jörg Clauer
Forschungen zum Embodiment und andere Forschungen zeigen, wie bedeutsam das implizite, körperliche Erleben für eine erfolgreiche Psychotherapie ist. Körperpsychotherapie kann die neuronale Integration sensorischer Wahrnehmungen verbessern und so den Kern des Selbsterlebens stärken. Empathie und Affektabstimmung werden dabei als ein leib-seelischer Resonanzprozess verstanden. Patienten benötigen für ihre Entwicklung eine gelingende Affektabstimmung und die Erfahrung körperlicher Zusammenarbeit (Kooperation). Die Dekonstruktion der Erlebensweisen von Patient und Therapeut kann bei Unterbrechungen dieser Formen des Miteinander-Seins aus psychotherapeutischen Sackgassen führen.
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13 körper - tanz - bewegung 1. Jg., S. 13-20 (2013) DOI 10.2378 / ktb2013.art02d © Ernst Reinhardt Verlag Fachbeitrag Das verkörperte Selbst: Empathie und Embodiment Eine körperpsychotherapeutische Standortbestimmung Jörg Clauer Forschungen zum Embodiment und andere Forschungen zeigen, wie bedeutsam das implizite, körperliche Erleben für eine erfolgreiche Psychotherapie ist. Körperpsychotherapie kann die neuronale Integration sensorischer Wahrnehmungen verbessern und so den Kern des Selbsterlebens stärken. Empathie und Affektabstimmung werden dabei als ein leib-seelischer Resonanzprozess verstanden. Patienten benötigen für ihre Entwicklung eine gelingende Affektabstimmung und die Erfahrung körperlicher Zusammenarbeit (Kooperation). Die Dekonstruktion der Erlebensweisen von Patient und Therapeut kann bei Unterbrechungen dieser Formen des Miteinander-Seins aus psychotherapeutischen Sackgassen führen. Schlüsselbegriffe Körperpsychotherapie, Bodyfulness, Dekonstruktion, Embodiment, Empathie, Kooperation (-sfähigkeit), Primäres Dreieck, Sensorische Integration The Bodily Self: Empathy and embodiment Determining the position of body psychotherapy The embodiment paradigm and other research show the implicit embodied self experience as important for psychotherapy to be effective. Body psychotherapy can strengthen the integration of the different sensoric maps in the brain that is the basis of our embodied self. Empathy and affect attunement are seen as a bodily-mental resonance process. The therapy process of a patient is dependent on mutual affect-attunement that succeeds most of the time and needs the experience of collaboration as well. Deconstruction of the experience of patient and therapist will help to restore the attunement and promote the change process after breaks in collaboration or affect-attunement have happened. Key words body psychotherapy, bodyfulness, deconstruction, embodiment, empathy, collaboration, primary triangle, sensoric integration 14 1 | 2013 Jörg Clauer Einleitung: Mentales Verstehen und körperliches Erleben D ie psychodynamisch orientierten Psychotherapiemethoden waren mit S. Freud aufgebrochen, um Erleben und Verhalten von Patienten zu erforschen und möglichst objektiv zu verstehen, so ähnlich wie Naturforscher dies mit ihrem Forschungsgegenstand auch tun. Eine solche distanziert-objektbezogene Betrachtungsweise findet sich in unserer „Distanzkultur“ (Clauer 2003a) auch im Umgang mit dem Säugling wieder, der bei uns eher selten direkt am Körper getragen wird. In den zurückliegenden 20-30 Jahren vollzog sich jedoch eine sogenannte „relationale / intersubjektive Wende“ in der Psychotherapielandschaft. Die therapeutische Beziehung wurde von der Selbstpsychologie und ihren Weiterentwicklungen, z. B. Relationale und Intersubjektive Psychotherapie, zunehmend als wechselseitiges (mutuelles) Geschehen konzeptionalisiert. Für die Praxis der tiefenpsychologischen Psychotherapien sind seither nicht mehr nur Objektbeziehungen, Übertragungen und Gegenübertragungen bedeutsam, sondern das Geschehen findet danach in einer besonderen, aber realen therapeutischen Beziehung statt (z. B. Orange et al. 2001). Dennoch standen Selbstpsychologie und andere Richtungen der Psychotherapie dem Körper, den körperpsychotherapeutischen und bewegungstherapeutischen Methoden mit einer gewissen Fremdheit gegenüber. Die Nutzung des eigenen Körpererlebens und der wechselseitigen körperlichen Resonanz (Heinrich- Clauer 2008; Clauer 2003b), der „Intercorporeality“ von Merleau-Ponty (zit. nach Reis 2009) löste Befremden aus. Angeregt u. a. durch die Ergebnisse der Säuglingsforschung (Videoaufnahmen) und die bildgebenden neurobiologischen Forschungen entwickelte sich ein Umdenken in Psychoanalyse und „kognitiver“ Verhaltenstherapie. So zeichnet sich nun eine weitere Wende hin zu einer stärkeren Beachtung des körperlichen Geschehens in der Psychotherapie ab. In Artikeln der psychodynamischen Psychotherapien wird das körperliche Geschehen häufig unter dem Begriff des Enactment (z. B. Reis 2009; Streeck 2000) aufgeführt; und akademische Forschungen nutzen meist das Label des Embodiment, also des verkörperten Geschehens (z. B. Tschacher/ Bergomi 2012). Dabei bleibt das reiche Erfahrungswissen und Schrifttum der Körperpsychotherapien bis dato häufig unerwähnt. Für die verbal arbeitenden Therapieformen liegt eine Chance darin, sich mit den Kenntnissen der Körpertherapien über implizite, prozedurale, nicht-verbale, rechtshirnige Beziehungsprozesse zu befassen und Konzepte wie Empathie und Selbst neu zu begreifen. Diese kurze Übersicht soll Anregungen geben, dem Körpererleben und der Bewegung ihrer Bedeutung entsprechend mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Vom Verstehen zum Begreifen - Verkörperte Beziehungswelten Selbstpsychologische Konzepte Die Entwicklung des Selbst(-erlebens) war bei Freud von dem Schicksal der Triebe des Säuglings abhängig. Die von Bowlby (1995) angeregte Bindungsforschung betrachtet die affektiven Abstimmungsprozesse zwischen Mutter und Säugling als Basis einer sicheren Bindung und damit als Grundlage für die weitere Entwicklung des Kindes. Kohut (1973) als Begründer der Selbstpsychologie betonte die empathischen Abstimmungsprozesse mit dem (mütterlichen) Selbstobjekt und deren Störungen als Grundlage „früher struktureller Störungen“. Neben der Introspektion sah er Empathie, also eine stellvertretende, mitfühlende Introspektion, als die Methode, um Daten und Erklärungen über das Selbsterleben des Patienten zu gewinnen. Der Körper blieb dabei wie in der Verhaltenstherapie weitgehend eine „Black-Box“. Das verkörperte Selbst 1 | 2013 15 Körperpsychotherapeuten haben Empathie hingegen als körperliches Mitschwingen, als körperlich-seelischen Resonanzprozess begriffen (Clauer 2003b; Heinrich-Clauer 2008). Neurowissenschaftler fanden in den Spiegelneuronen wohl ein „neuroanatomisches Substrat“ für die verkörperten Resonanzprozesse und damit eine neuronale Entsprechung der Empathie. Die Spiegelneuronen, die dann zum Konzept der verkörperten Simulation (Gallese 2009) führten, sind bisher für motorische, sensorische und affektive zerebrale Felder im Gehirn von Primaten nachgewiesen (Bastiaansen et al. 2009). Das Selbst(erleben) als tiefenpsychologisches Konzept der Selbstpsychologie, das Selbstempfinden, die Selbstbewusstheit und die Selbstwirksamkeit, wurden vorwiegend als symbolische, mental-kognitive Repräsentationen einer mehr oder weniger gelingenden Regulation von Affekten, z. B. zwischen Mutter und Säugling, gesehen. Es handelt sich zwar um die Regulation körperlich erlebter Affektzustände, doch der Körper wurde wie in den Sichtweisen zur Empathie meist zu einem Übermittler oder Medium dieser Interaktionen reduziert, dessen Funktionen einfach vorausgesetzt werden. Körper und Gehirn sind dabei eine Art Hardware, in der die seelisch-affektiven und mentalen Austausch- und Regulationsvorgänge ablaufen. Das Selbst wird so nicht als leibhaftige Präsenz in Verbundenheit mit der Umgebung verstanden, sondern als Summe organisierender Prinzipien der affektiven und mentalen Prozesse. Schwere seelische Störungen werden dabei als Fragmentierung oder als Devitalisierung der organisierenden Funktionen des Selbst(-erlebens) angesehen. Das „Selbst“ erscheint auf diese Weise wie ein nicht begreifbares „virtuelles“ Funktionsprinzip, das nur an seinen Wirkungen fassbar wird. Sensorische Integration und Empathie Der Begriff des Selbst wurde bereits von Winnicott (1974) verwendet. Er prägte ihn aber in einer anderen Weise: „Das wahre Selbst kommt von der Lebendigkeit der Körpergewebe und dem Wirken von Körperfunktionen (…) Es erscheint, sobald es auch nur irgendeine psychische Organisation des Individuums gibt, und es bedeutet wenig mehr als die Gesamtheit der sensomotorischen Lebendigkeit.“ (193 f) Hier wird die Verankerung des Selbst in den unbewussten, implizit ablaufenden Wahrnehmungen des Körpers benannt. Diese Wahrnehmungen setzen sich im Wesentlichen aus der kinästhetischen Tiefensensibilität (Proprioception), Eingeweidewahrnehmungen (Interoception) und dem Gleichgewichtssinn als Sinneswahrnehmung (Exteroception) zusammen. Diese verschiedenen sensorischen Stimuli finden in den neuronalen Netzwerken des Gehirns zu einem Gesamtempfinden zusammen (= sensorische Integration wie in der Kindesentwicklung, Ayres 2002), so ähnlich wie wir die einzelnen Ornamente eines Mandalas bei der Betrachtung zu einem Gesamtbild zusammenfügen (Clauer 2009). Die Bedeutung der sensorischen Integration und die enormen Herausforderungen dabei zeigen sich z. B. bei der Aufrichtung des Babys zum Stehen und dem Lernen des Gehens (Winkler 2011). Das Gesamtempfinden der „sensomotorischen Lebendigkeit“ ist für uns mit Gefühlen von unterschiedlicher Kontur sowie Dynamik/ Vitalität oder Energie verbunden. Schon durch das Anregen einer zusammengesunkenen Körperhaltung entwickelte sich in Versuchen bei Probanden eine depressiv verschobene Gefühlslage, ohne dass die Probanden von der Fragestellung wussten (Niedenthal et al. 2005). Solche körperlichen Variablen reichen also völlig aus, ohne dass es „Denkfehler“ geben muss, wie sie z. B. die kognitive 16 1 | 2013 Jörg Clauer Verhaltenstherapie nach Beck (1999) voraussetzt. Körperpsychotherapeuten wissen zudem, dass sich solche Gefühle und Haltungen über die körperlichen Resonanzprozesse und unbewusst spiegelnde Imitationen übertragen. Besonders wenn wir achtsam sind, begreifen wir auf diese Weise, wie es dem Anderen geht, wie er sich fühlt (Heinrich-Clauer 2008; Ammaniti / Trentini 2009). Körperliche Achtsamkeit Die Therapierichtung der „Mindfulness“ arbeitet mit der „meditativen“ Schulung der Achtsamkeit, um z. B. das Selbstbewusstsein zu verbessern (Germer et al. 2005). Oft fungiert dabei der Atem, also der zentrale rhythmische Prozess des Körpers, als Anker. Achtsamkeit ist aus Sicht von Körperpsychotherapeuten ein integraler Bestandteil jeder Körperpsychotherapie. Es bietet sich daher an, die Schulung der körperlichen Achtsamkeit z. B. für die Förderung des Selbstbewusstseins zu nutzen. Caldwell (2012) hat dafür den Begriff der „Bodyfulness“ verwendet. Neurobiologische Forschungen zu künstlichen Erweiterungen des Körpers zeigen zudem: Selbstbewusstsein und -gefühl beginnen beim Sinn und der Achtsamkeit für das Körpererleben (z. B. Metzinger 2009). Abstimmung und Dekonstruktion unseres Erlebens Die Säuglingsforschung (Stern 1992; Beebe / Lachmann 2004) zeigt den Neugeborenen als ein Wesen, das bei all seiner Abhängigkeit bereits mit vielfältigen Kompetenzen in der Wahrnehmung der Bezugsperson, in der Spiegelung von Affekten sowie den Fähigkeiten zur lebensnotwendigen körperlichen Kooperation zur Welt kommt. Bereits im Mutterleib erfolgen viele somatosensorische Entwicklungs- und Integrationsprozesse von Gleichgewichtsorgan, propriozeptiv-kinästhetischer Sensibilität, Berührungsempfinden und Gehör. Dabei erfolgen frühe unbewusste Prägungen, z. B. von Gehör, Geruchs- / Geschmacksempfinden. Die Entwicklung des Neugeborenen ist zudem geprägt von Rhythmen körperlicher Zusammenarbeit und geteilter Aufmerksamkeit, von Trevarthen (2009) als Protokonversationen bezeichnet, sowie der ebenfalls bei der Geburt nachweisbaren mimischen Affektabstimmung. Deren Entwicklung ist von einer hinreichenden Einfühlung von Mutter oder Vater abhängig. Sowohl die mangelhafte Abstimmung wie die übersensible „perfekte“ Abstimmung beeinträchtigen die Entwicklung der Selbststrukturen. Unterbrechungen der Abstimmung von Rhythmen und Affekten sind unvermeidlich, entscheidend ist die häufig genug gelingende Wiederherstellung der Abstimmung (Beebe / Lachmann 2004). Eine solche Wiederherstellung der Abstimmung ist auch in Psychotherapien nötig. Dabei ist der Prozess der Dekonstruktion der Perspektive von Patient und Therapeut hilfreich. Bei Brüchen in ihrer Abstimmung stehen sich die Sichtweisen von Patient und Therapeut unvereinbar gegenüber. Um das Erleben des Patienten erneut zu verstehen, ist ein Suchprozess des Therapeuten mit viel Achtsamkeit nötig, um die Welt aus der Sicht oder von der körperlichen Erlebensweise des Patienten her neu zu begreifen. Dies ist mit der Entwicklung eines neuen gemeinsamen Verständnisses und damit veränderten Erfahrungshintergrundes verbunden (Beucke 2008; Clauer 2003b, 2009). Die Dekonstruktion der Perspektiven beider Beteiligten kann sowohl auf der Ebene des affektiven Austausches wie auf der Ebene der körperlichen Interaktion erfolgen. Das verkörperte Selbst 1 | 2013 17 Kooperation, Primäres Dreieck und „Ödipuskomplex“ Familienkooperation im Primären Dreieck (= Triade) Bisher wurden meist dyadische Beziehungen betrachtet. In der Kindesentwicklung wird der Vater dann oft in einer Funktion als der notwendige Dritte für die Ablösung aus der „symbiotischen Mutterbindung“ angesehen; also für die Entwicklung von Identität und Autonomie - und dabei der Integration positiver und negativer mütterlicher Objektrepräsentanzen und entsprechender Selbstrepräsentanzen. Die Forschungen über das primäre Dreieck von Säugling, Mutter und Vater zeigen nun, wie die Vorstellungen der Eltern über die künftige gemeinsame Fürsorge ihre spätere reale Zusammenarbeit prägen. Ihre Vorstellungen lassen bereits vor der Geburt Aussagen über die Entwicklungsschicksale des Kindes zu (Klitzing 2002), so ähnlich, wie das Orakel von Delphi Ödipus sein Schicksal voraussagte (Clauer 2011). Die Forschungen zeigen auch, dass Säuglinge aktiv versuchen, die Zusammenarbeit zwischen und mit den Eltern herzustellen. Eine gelingende Kooperation der Eltern untereinander und mit dem Säugling ist von Anfang an besonders entwicklungsförderlich. Die unterschiedlichen kooperativen Fähigkeiten der Eltern führen bereits im dritten Säuglingsmonat zu unterscheidbaren familiären Beziehungsmustern, den sogenannten „Familienallianzen“. Deren Störungsmuster sind recht stabil während des ersten Lebensjahres und können bis hin zu desorganisierten Kommunikationsmustern und zu charakteristischen Entwicklungsstörungen führen. Hierarchie der körperlichen Organisationsmuster Der Säugling hat also bereits ein aktives Interesse an dyadischen und triadischen (oder kollektiven) zwischenmenschlichen Beziehungen. Säuglinge brauchen die dyadischen Affektabstimmungen zur Unterstützung ihrer emotionalen Selbstregulation, genauso wie sie nach der kooperativen Wegbegleitung durch rhythmisch abgestimmte Körperbewegungen suchen. Beide Bereiche tragen gleichermaßen zur Intersubjektivität der Entwicklung des Säuglings bei. Das Gelingen der Familienkooperation wird sichtbar anhand der unbewusst/ implizit erfolgenden körperlichen Abstimmungsmuster (Clauer 2009; Fivaz-Depeursinge / Carboz-Warnery 2001): 1. Becken = Beteiligung: Die Ausrichtung der Unterkörper zueinander ist grundlegend und entscheidend dafür, ob alle drei Beziehungspartner an dem Spiel beteiligt werden (basale Verwurzelung der sozialen Interaktionen = Hinwendung). 2. Oberkörper = Organisation: Der Bezug der Oberkörper (Schultern) zueinander zeigt, ob jeder Partner seine Rolle wahrnimmt (sich in der angemessenen Distanz dem anderen zuwendet = Zuwendung). 3. Augen = Aufmerksamkeitsfokus: Die Kopfhaltung (Blickrichtung) zeigt, ob alle drei Partner einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus herstellen können. 4. Gesicht + Mimik + Stimme = Affektiver Kontakt: Das Ausdrucksverhalten zeigt (analog zum dyadischen Spiel), ob jeder Partner mit dem anderen einen affektiven Kontakt und damit emotionale Intimität herstellen, entwickeln und aufrechterhalten kann. Einer Entwicklungspyramide gleich ist die höchste Stufe der affektiven Resonanz nicht ohne die vorhergehenden Stufen körperlicher Abstimmung denkbar. Auch in der Triade muss bei Fehlkoordination die Kooperation und (Affekt-)Abstimmung wiederhergestellt werden, damit ein „freudiges Miteinander“ möglich wird. Dazu ist ein Interesse an der Beteiligung des Anderen nötig, damit Organisation und Ablauf des gemeinsamen Spiels und die Regulation der Affekte gelingen kann. Diese 18 1 | 2013 Jörg Clauer Beteiligung der Spielteilnehmer hängt zuerst von der körperlichen Ausrichtung von Becken und Beinen zueinander ab. Mit der Beteiligung = Hinwendung zum Anderen beginnt die Abstimmung, setzt sich über die Oberkörper = Zuwendung zur richtigen Distanz fort, hin zur Abstimmung der Blickrichtung = Aufmerksamkeit, so dass schließlich die mimischaffektive Resonanz / Empathie möglich wird. Die beschriebenen körperlichen Organisationsmuster in der Triade sind daher anzusehen als Basis des Zusammenspiels der Bereiche körperlicher Zusammenarbeit/ Kooperation einschließlich der geteilten Aufmerksamkeit (feststellbar anhand der Blickrichtungen) mit der mimisch-affektiven Abstimmung und den darauf aufbauenden psychischen Organisationsmustern und mentalen Funktionen, wie wir sie aus der Dyade kennen. Primäres Dreieck und Ödipuskomplex In unseren frühen intersubjektiven Erfahrungen finden sich somit durchgängige Muster von triadischen neben dyadischen Beziehungen. Kindliche triadische Fähigkeiten und Beziehungserfahrungen gehen dem Auftreten des „Ödipus-Komplexes“ voraus, statt eine Folge von ihm zu sein (Fivaz-Depeursinge et al. 2010). Nicht die (prä-ödipalen) Phantasien des Kindes, sondern die Vorstellungen und Fähigkeiten der Eltern hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit und der Beziehung mit dem Kind sind ein wesentlicher Faktor in dessen Entwicklung und auch seiner Trieb-Schicksale. Fehlende Kompetenzen in der Elternkooperation führen zu einem Zerfall der primären Triade in Dyaden oder Monaden und können zu Störungen der Säuglingsentwicklung führen, welche sich in aggressivem und externalisierendem Verhalten beim Kinde zeigen. Das Selbsterleben in der Körperpsychotherapie Ein Resümee Die Beachtung des Körpererlebens und körperpsychotherapeutische Zugänge können von verschiedenen Ansatzpunkten her zu einer wesentliche Erweiterung z. B. relationaler/ intersubjektiver Sichtweisen und Behandlungsmöglichkeiten führen: Die Abstimmung in menschlichen Beziehungen hängt von dem körperlichen „Miteinandersein“ und der geteilten Aufmerksamkeit ab. Leib-seelische Zusammenarbeit setzt die Beteiligung der Partner und in der Regel eine abgestimmte Rollenverteilung voraus, sonst kann weder Kooperation noch Affektabstimmung gelingen. Das in unserer Entwicklung erworbene Wissen von körperlichem Zusammenwirken (Kooperation) sowie geteilter Aufmerksamkeit und Mimik bildet den gemeinsamen Erfahrungshintergrund („Common Ground“) als Grundlage menschlicher Bewusstheit, von Gesten, Symbolisierungen, Sprache und Kultur (Tomasello 2009). Der Bereich des körperlichen Zusammenwirkens ist daher grundlegend, wird aber in seiner Bedeutung oft vernachlässigt. Für die Psychotherapie bedeutete dies, nicht nur an seelisch-mentalen Konfliktmustern zu arbeiten, sondern ebenso nach der Kooperationsfähigkeit zu suchen - d. h. in der Regel, den Zerfall oder das Fehlen der Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu untersuchen und an ihrer Wiederherstellung zu arbeiten. Ein Beispiel dafür ist die Klärung von Dissonanzen und Brüchen in der Interaktion von Patient und Therapeut, die Dekonstruktion ihrer Perspektiven. Patienten mit schweren Störungen des Selbsterlebens, mit Fragmentierungen, benötigen oft neben der seelischen Einfühlung eine neue Erfahrung körperlicher Zusammenarbeit. Ein Beispiel sind Patienten mit persistierenden Jaktationen (rhythmische Schaukelbewegungen nach Verlassenheitstraumen), Das verkörperte Selbst 1 | 2013 19 die von der gemeinsamen Bewegungserfahrung, z. B. auf dem Pezziball, profitieren. Um die Entwicklung von Selbsterleben und Selbstbewusstsein anzuregen, ist z. B. bei der Behandlung von Patienten mit Störungen von Körperbild und Körperschema ein Verständnis von Störungen der neuronalen Formung des Selbstbildes im Gehirn hilfreich. Körpertherapeutische Interventionen, wie z. B. das Do-In, eine Form der Selbstmassage der Körperoberfläche und der Gelenke (Clauer 2009), fördern die sensorische Integration und Selbst-Bewusstheit und sind auch ein Training von körperlicher Achtsamkeit („Bodyfulness“) (Clauer 2009). Empathie als Einfühlung in das Gegenüber verstehen wir als körperlichen, leiblich-seelischen Resonanzprozess. Dies ist vergleichbar mit dem Mit-Schwingen, der Resonanz musikalischer Instrumente. Das Mit-Schwingen ist umso klarer und deutlicher, je besser das Instrument gebaut und gestimmt ist (Heinrich-Clauer 2008). Ein gut ausgebildeter Resonanz-Körper ist daher eine wesentliche Voraussetzung der Nutzung unserer Empathie. Die Untersuchung von Störungen solch körperlicher Abstimmung kann in der Psychotherapie z. B. psychosomatischer oder posttraumatischer Störungen bedeutsam sein (Clauer 2008). Für die Interpretation des vom Therapeuten erfahrenen Mit-Schwingens mit dem Patienten sind nicht nur die seelischen organisierenden Prinzipien, das mentale empathische Wissen und Rollenverständnis wichtig, sondern ebenso sein Erfahrungswissen um die körperlich organisierenden Prinzipien (Clauer 2009). Eine differenzierte und effiziente Therapie besonders von frühen Störungen könnte daher wesentlich von der Integration der Erfahrung der Körpertherapien in das Wissen der verbalen Psychotherapieverfahren profitieren. Literatur Ammaniti, M., Trentini, C. (2009): How New Knowledge About Parenting Reveals the Neurobiological Implications of Intersubjectivity: A Conceptual Synthesis of Recent Research. Psychoanalytic Dialogues 19 (5), 537-555 Ayres, A. J. (2002): Bausteine der kindlichen Entwicklung. 4. Aufl. Springer, Berlin Bastiaansen, J. A. C. J., Thioux, M., Keysers, C. (2009): Evidence for Mirror Systems in Emotions. Phil. Trans. R. Soc. B. 364, 2391-2404 Beck, A. T. (1999): Kognitive Therapie der Depression. Weinheim, Beltz Beebe, B., Lachmann, F. M. (2004): Säuglingsforschung und die Psychotherapie Erwachsener. Klett-Cotta, Stuttgart Beucke, H. (2008): Dekonstruktion der Perspektiven von Patient und Therapeut. Forum der Psychoanalyse 24 (1), 3-15 Bowlby, J. (1995): Mutterliebe und kindliche Entwicklung (6. Aufl. 2010 unter dem Titel: Frühe Bindung und kindliche Entwicklung). Ernst Reinhardt, München Caldwell, C. (2012): Mindfulness & Bodyfulness: A Research-Based Synthesis of the Role of Consciousness & Movement in Healing and Intelligence. Keynote Address, Heidelberger Herbstakademie 2012 Clauer, J. (2003a): Some Developmental Aspects of Body and Identity. Analytic-Imaginery Body Psychotherapy. European Journal of Bioenergetic Analysis and Psychotherapy 1 (1), 16-31 Clauer, J. (2003b): Von der projektiven Identifikation zur verkörperten Gegenübertragung: Eine Psychotherapie mit Leib und Seele. Psychotherapie Forum 11 (2), 92-100 Clauer, J. (2008): Verkörpertes (leiblich-seelisches) Begreifen: Die Behandlung psychosomatischer Erkrankungen in der Bioenergetischen Analyse. In: Heinrich-Clauer, V. (Hg): Handbuch Bioenergetische Analyse. Psychosozial, Gießen, 383-409 Clauer, J. (2009): Zum Grounding-Konzept der Bioenergetischen Analyse: Neurobiologische und entwicklungspsychologische Grundlagen. Psychoanalyse & Körper 15(2), 79-102 Clauer, J. (2011): Kooperation in der Entwicklung des Menschen 1+2. Forum Bioenergetische Analyse (1), 42-89 Fivaz-Depeursinge, E., Corboz-Warnery, A. (2001): Das primäre Dreieck. Carl-Auer, Heidelberg 20 1 | 2013 Jörg Clauer Fivaz-Depeursinge, E., Lavanchy-Scaiola, C., Favez, N. (2010): The Young Infant’s Triangular Communication in the Family: Access to Threesome Intersubjectivity? Conceptual Considerations and Case Illustrations. Psychoanalytic Dialogues 20 (2), 125-140 Gallese, V. (2009): Mirror Neurons, Embodied Simulation, and the Neural Basis of Social Identification. Psychoanalytic Dialogues 19 (5), 519-536 Germer, C. K., Siegel, R. D., Fulton, P. R. (Eds.) (2005): Mindfulness & Psychotherapy. Guilford Press, New York City Heinrich-Clauer, V. (2008): Therapeuten als Resonanzkörper: Welche Saiten geraten in Schwingung. In: Heinrich-Clauer, V. (Hrsg.): Handbuch Bioenergetische Analyse. Psychosozial, Gießen, 161-178 Klitzing, K. von (2002): Frühe Entwicklung im Längsschnitt: Von der Beziehungswelt der Eltern zur Vorstellungswelt des Kindes. Psyche - Z Psychoanal 56 (9 / 10), 863-887 Kohut, H. (1973): Narzißmus. Suhrkamp, Frankfurt / M. Metzinger, T. (2009): Der Ego Tunnel. Berlin Verlag, Berlin Niedenthal, P. M., Barsalou, L. W., Winkielman, P., Kraut-Gruber, S., Ric, F. (2005): Embodiment in Attitudes, Social Perception and Emotion. 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Psychoanalytic Dialogues 19 (5), 507-518 Tschacher, W., Bergomi C. (2012): The Implications of Embodiment. Imprint-Academic, Exeter Winkler, S. (2011): Das Grounding - Überlegungen zu seiner Bedeutung für die Selbstentwicklung. Forum Bioenergetische Analyse (1), 90-103 Winnicott, D. W. (1974): Reifungsprozesse und fördernde Umwelt. Fischer, Frankfurt / M. Der Autor Dr. med. Jörg Clauer Jg. 1951, Dipl. Biochemiker, Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie-Psychoanalyse, Psychiatrie und Psychotherapie, Allgemeinmedizin, Rehabilitationswesen. Nach langjähriger Tätigkeit als leitender Arzt in psychosomatischen Fachkliniken seit 1999 in eigener Praxis tätig. Dozent, Lehrtherapeut und Supervisor in den Bereichen Psychotherapie, Psychoanalyse (DPG, DGPT, IARPP) und Bioenergetische Analyse (IIBA), Psychodrama, Ehe, Familien- und Lebensberatung, Organisationsberatung und Coaching. Diverse Veröffentlichungen im Bereich der Körperpsychotherapie, Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift: Forum Bioenergetische Analyse. ✉ Dr. med. Jörg Clauer Facharztpraxis Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalyse Krahnstr. 17 | D-49074 Osnabrück Tel. + Fax: 00 49-(0)5 41-202 31 00 joerg.clauer@osnanet.de
