körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Integrative Leib- und Bewegungstherapie (IBT)
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Martin J. Waibel
Die Integrative Leib- und Bewegungstherapie (IBT) wird als klinisches Verfahren mit einer kleinen Auswahl von Grundkonzepten vorgestellt. Anschauliche Kurzbeispiele aus der bewegungstherapeutischen Arbeit veranschaulichen die theoretischen Grundlagen dieser Methode.
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21 körper - tanz - bewegung 1. Jg., S. 21-28 (2013) DOI 10.2378 / ktb2013.art03d © Ernst Reinhardt Verlag Forum: Aus der Praxis I m Therapiealltag, in der Aus- und Weiterbildung, im Austausch mit KollegInnen sowie von Patienten- und Klientenseite werden wir immer wieder gefragt: Woher kommt diese Methode, und was ist das Besondere der IBT? Nachfolgend will ich versuchen, eine kleine Auswahl von Grundkonzepten illustriert an kleinen Beispielen zu erläutern. Wie entstand diese Methode? Die Integrative Leib- und Bewegungstherapie, kurz IBT genannt, hat ihren Ursprung Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Paris, wo Hilarion G. Petzold und Johanna Sieper daran arbeiteten, verschiedene Psychotherapie-, Kreativ- und Körpertherapiever- Integrative Leib- und Bewegungstherapie (IBT) Eine kleine Auswahl von Grundkonzepten, erläutert an Beispielen Martin J. Waibel Die Integrative Leib- und Bewegungstherapie (IBT) wird als klinisches Verfahren mit einer kleinen Auswahl von Grundkonzepten vorgestellt. Anschauliche Kurzbeispiele aus der bewegungstherapeutischen Arbeit veranschaulichen die theoretischen Grundlagen dieser Methode. Schlüsselbegriffe Integrative Bewegungstherapie, Menschenbild, Wissenschaftstheoretisches Modell, Intersubjektive Ko-respondenz, Eigenleibliches Spüren, Gefährtenschaft Integrative body and movement therapy (IBT) A small selection of basic concepts with small examples The integrative body and movement therapy (IBT) is presented as a clinical procedure with a small selection of basic concepts. Examples of movement therapeutic work illustrate the theoretical basis of this method. Key words integrative movement therapy, movement therapy, idea of man, intersubjective Co-respondence, own corporeal feeling, working arrangements 22 1 | 2013 Martin J. Waibel fahren auf gemeinsame und unterschiedliche Wirkfaktoren hin zu untersuchen. Hieraus entstand ein neues Therapieverfahren, das ausgehend von philosophischer Anthropologie (Marcel; Merleau-Ponty), von psychophysiologischer und neuropsychologischer Grundlagenforschung (Lurija; Bernšteijn) wirkkräftige Elemente verschiedener Therapierichtungen wie die ungarische Psychoanalyse (Ferenczi; Balint; Iljine), den humanistisch-psychologischen Ansätzen des Psychodramas (Moreno) und der Gestalttherapie (Perls; Goodman), der Bewegungs- und Leibtherapie (Gindler; Ehrenfried; Råknes: Budo- / Wushu-Kampfkünste, Petzold / Bloem; Moget) sowie der Verhaltenstherapie (Kanfer) unter einer systemischen Sicht verband: die Integrative Therapie (Petzold 2004). Von Beginn an war die Integrative Leib- und Bewegungstherapie als spezifische Methode zentraler Bestandteil der Integrativen Therapie. Mit Rückgriff auf die neurowissenschaftliche, klinisch-psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung wurde gerade in der IBT eine sehr breite, innovative Praxeologie entwickelt (Hausmann / Neddermeyer 1995; Höhmann-Kost 2002; Waibel/ Jakob-Krieger 2009). Die IBT verstand sich immer als eine bio-psycho-(öko)-soziale Methode. Was ist das Besondere der IBT? Menschenbild Therapieformen haben in der Regel ein Menschenbild, jedoch bleibt das bei vielen Richtungen und Schulen implizit, obgleich die therapeutischen „Wege zum Menschen“ - und so kann man Bewegungs-, Körper- und Psychotherapien verstehen - zumeist durch ihr implizites oder explizites Bild vom Menschen bestimmt sind. Abb. 1: Der Einsatz von Elementen aus den Budo-Künsten hat in der IBT eine lange Tradition. Foto: Martin J. Waibel Integrative Leib- und Bewegungstherapie 1 | 2013 23 „Der Mensch - Mann und Frau - wird im Integrativen Ansatz als Körper 1 -Seele 2 -Geist 3 -Wesen gesehen, d. h. als Leib 4 , als Leibsubjekt 5 , das eingebettet ist in die Lebenswelt 6 , in ein ökologisches 7 und soziales 8 Kontext / Kontinuum 9 , in dem es mit seinen Mitmenschen 10 seine Hominität verwirklicht.“ (Petzold 2004, 409) Die Körperdimension (1) erfordert körperorientierte Therapie, die Dimension des Seelischen (2) Psychotherapie, die des Geistigen (3) meditative, sinnorientierte Wege. Das alles umfasst der Begriff „Leib“ (4), der als Leib- Selbst durch Subjektivität und Personalität (5) gekennzeichnet ist, deshalb Leibtherapie als Therapie der Persönlichkeit (sie umfasst Selbst, Ich, Identität). Menschen leben in der Lebenswelt, d. h. der persönlich wahrgenommen Welt ihres Lebens (6), die deshalb auch Thema der Therapie werden muss: als ökologische Umfeld (7) - Wohnverhältnisse, Quartier, Landschaft sind da zu beachten, und natürlich auch das soziale Umfeld (8), das ggf. Familien- und Netzwerktherapie erfordert. All diese Dimensionen und Kontexte stehen in der Zeit, im Kontinuum (9) von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, was in der Therapie berücksichtigt werden muss. Keine Dimension, auch nicht die prospektive, darf vernachlässigt werden. Sein Menschenwesen, seine Hominität, gewinnt man durch die Mitmenschen (10). Deshalb ist Therapie ein eminent zwischenmenschliches Geschehen, wirkt durch Beziehung und wirkt in Beziehungen. Ich will die komplexe und oft von vielen KollegenInnen als schwierig empfundene Theorie an einigen kleinen Beispielen beschreiben. Zu Beginn der Therapiestunde arbeiten wir mit einem dicken Seil als Aufnahme- und Abschiedsritual. Einer der Mitpatienten macht einen Knoten in das Seil, manchmal helfen ihm die anderen dabei. Dann wird der Seilkreis ausgelegt. Die Patienten, die in der Gruppe sind, nehmen das Seil in den Rücken, stellen sich im Kreis auf und lehnen an: Halten und Gehalten werden. Dann kommen die neuen Patienten und schließlich diejenigen, die den Kreis verlassen. Alle erleben dort den Beginn, das Verweilen und das Ende von Therapie in leiblicher Bezogenheit. Man braucht den Anderen, die Anderen, lebt in sozialen Netzwerken als Weggeleit/ Konvoi. Auch der Therapeut und die Therapiegruppe gehören neben Familie, Freunden, KollegInnen ins Netzwerk, was in Therapien berücksichtigt werden muss. Denn dann gibt es keine „Einzeltherapie“, weil virtuell die relevanten Netzwerkpersonen immer wieder ins Spiel kommen - als Belastungen und Ressourcen. Es wird deutlich, welche Wirkungen und Konsequenzen ein integratives Menschenbild für die Therapie hat. Ziel einer umfassenden Therapie ist es, die o. g. Dimensionen in der IBT bereitzustellen. Wissenschaftstheoretisches Modell Die IBT orientiert sich an einem wissenschaftstheoretischen Modell, dem so genannten „Tree of Science“. Dieser gliedert sich in vier wissenschaftsstrukturelle Ebenen: Metatheorien, Klinische (realexplikative) Theorien, Praxeologie und Praxis. Metatheorien (Theorien über Theorien) haben eine große Reichweite: Sie beschäftigen sich mit Theorien z. B. aus der Anthropologie, der Ethik, mit vielen weiteren disziplinären Theorien wie auch mit Erkenntnistheorien. Klinische (realexplikative) Theorien haben eine mittlere Reichweite. Hierzu gehören insbesondere die Entwicklungstheorie, Persönlichkeitstheorie, Gesundheits- und Krankheitslehre, als auch Ergebnisse der Psychotherapieforschung. Dieses Wissen ist von erheblicher Bedeutung für die Praxis, z. B. für die Indikationsstellung, Interventions- und Methodenauswahl. 24 1 | 2013 Martin J. Waibel Praxeologie ist die Lehre von der Umsetzung theoretischer Konzepte in die Praxis bzw. von der Theorie methodisch-praktischer Maßnahmen. Zur Praxeologie gehören Prozesstheorien, Interventionslehre, Theorien zu Settings, Fokal-, Kurzzeit- und Langzeittherapie sowie die Lehre von den Techniken, Methoden, Stilen. Wir arbeiten z. B. mit ausdauertherapeutischen Ansätzen, für die inzwischen eine gute evidenzbasierte Absicherung vorhanden ist. Wiedergewinnung von körperlicher Fitness aus biologischer Sicht, Emotionsregulierung aus psychologischer Sicht und das Erleben „gemeinsamen Gehens“ als Gefährtenschaft aus sozialer Sicht sind hierbei zentrale Elemente. Die Praxis ist die konkrete Umsetzung von Theorie- und Erfahrungswissen in die therapeutische Arbeit. Hieraus wählt der Praktiker seine Interventionen. Diese sind wesentlich beeinflusst von den durch den Patienten / Klienten hervorgerufenen Resonanzen beim Therapeuten. Das praktische Handeln gründet sich stets in intersubjektiver Bezogenheit. Selbstregulationstechniken aus den Bereichen Entspannung, Atmung, Bewegung sowie emotionale und kognitive Regulationstechniken werden für das Erleben von Selbstwirksamkeit vermittelt. Hierbei müssen individuelle Zugänge zum Leib gefunden werden. Motivationsaufbau zum Selbst-Üben in intersubjektiver Bezogenheit ist ein sehr individueller Prozess und kann nicht als allgemeingültige Technik vermittelt werden. Intersubjektive Ko-respondenz Die IBT ist strikt intersubjektiv konzipiert: „Sein ist Mit-Sein“. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das sich in Prozessen gemeinsamer Erzählungen und gemeinschaftlichen Verstehens und Handelns verwirklicht. Mensch wird man durch den Mitmenschen in Zwischenleiblichkeit und Mitbewegung (Komotilität). Säuglinge haben mit ihren Müttern oder primären Bezugspersonen ständig bezogene Mitbewegungen. Dies stellt ein Grundkonzept Integrativer Leib- und Bewegungstherapie bereit: Bewegung ist Mitbewegung! Intersubjektivität bedeutet die Zugehörigkeit zwischen Menschen in wechselseitigem Respekt ihrer Würde. Das beinhaltet das bewusste Anerkennen der „Andersheit des Anderen“, dass der Andere anders wahrnimmt, denkt, fühlt, bewertet als ich und möglicherweise auch etwas anderes will. Auf dem Boden einer solchen inneren Haltung von gegenseitiger Wertschätzung kann für alle Beteiligten entwicklungsfördernde, sinnstiftende Begegnung und ein Austausch, ein Lernen von- und miteinander stattfinden. Das ist Ko-respondenz. Abb. 2: H. Petzold hat bereits Mitte der 90er Jahre die herausragende Bedeutung von „Running-Therapy“ (Ausdauertherapie) bei seelischen Erkrankungen wissenschaftlich fundiert herausgearbeitet. Foto: Martin J. Waibel Integrative Leib- und Bewegungstherapie 1 | 2013 25 Eigenleibliches Spüren Ein zentraler Zugang zum eigenen Leib ist das Spüren. Man könnte ihn auch als den „Königsweg“ zu eigenleiblicher Bewusstheit (awareness) bezeichnen. Spüren heißt, sich den Regungen des Leibes zu öffnen, denn das eröffnet dem Menschen einen Zugang zu sich selbst und zur Welt. In der therapeutischen Arbeit ist bei den Patienten / Klienten häufig der erhebliche Verlust an eigenleiblichem Spüren, eine Minderung körperlicher Wachheit (Vigilanz) und affektiver Berührtheit zu beobachten. Hier ist die Leib- und Bewegungsarbeit oft schwierig, weil gerade Patienten mit Spür- und Erfahrungsangeboten zunächst nichts anfangen können. Fragen und Aussagen wie: „Was soll ich spüren? “, „Ich kann damit nichts anfangen“, „Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen“ usw. zeugen von der Not eines entfremdeten Leibes. Das eigenleibliche Spüren wird in der IBT gefördert durch ● das Fokussieren auf den eigenen Körper, u. a. mit Hilfe von kreativen Medien, ● das Experimentieren mit Haltung, Mimik, Gestik, Atem und Bewegung sowie ● die systematische Exploration des Körpers des Patienten durch den Patienten selbst, mit Mitpatienten und / oder durch den Therapeuten. Modalitäten in der Therapie Sehr bekannt geworden sind die verschiedenen „Modalitäten“ der IBT: übungszentriert, erlebniszentriert und konfliktzentriert. Die übungszentrierte Modalität zielt auf das Üben bzw. Einüben neuer oder anderer Verhaltensmuster ab. So ist es beispielsweise für viele Patienten / Klienten sehr schwer, eine gute Grenze in ihrem Lebensalltag zu finden - z. B. rechtzeitig Stopp zu sagen, wenn ihnen etwas unangenehm ist. Das Üben von „Stopps“ und „Neins“ in einer Gruppe muss wiederholt werden. Veränderung bedarf häufiger Wiederholung - eben der Übung, weshalb der Transferarbeit in den Alltag und so genannten „Hausaufgaben“ große Bedeutung zukommt, etwa bei Themen wie: „Wo muss ich mich besser schützen“, „Wen darf ich nicht so nah an mich heranlassen“. Abb. 3: Eigenleibliches Spüren als Weg zur Selbstexploration des Leibes, als Zentrierungshilfe und zur Wiedergewinnung einer guten Leiblichkeit ist Bestandteil jeder IBT-Stunde. Foto: Martin J. Waibel 26 1 | 2013 Martin J. Waibel Die Um- und Neuorganisation neuronaler Bahnungen, Netze und neuronaler Landkarten bedarf bei vielen Patienten mit eingeschliffenen Handlungsschemata und Lebensstilen, die „in Fleisch und Blut übergegangen“ sind und die sich zum Teil in komplexen Störungen äußern, einer sehr differenzierten Vorgehensweise: „Nehme ich überhaupt wahr, wenn jemand meine Grenzen überschreitet? “, „Kann ich es dem anderen sagen, wenn ich ihn als grenzübertretend erlebe, oder fürchte ich mich vor den Konsequenzen? “ Das sind nur einige Aspekte, die bei einer so scheinbar einfachen Übung wie „Stopp-Sagen“ auftreten und einer zunehmenden kognitiven, emotionalen, volitiven, also leiblichen Differenzierungsarbeit bedürfen. Dabei wird der „Alltag zur Übung“, wie es Dürckheim schon 1964 formulierte, um die feinen Nuancen zwischen eigenleiblichem Wohlbefinden und Grenzziehung zur sozialen Umwelt zu finden (Dürckheim 1966, 33). Es geht also nicht nur um das Umlernen einzelner Verhaltensweisen. Lernen hat viel mit Veränderungswillen zu tun. Nicht selten müssen bei Patienten „volitionale Stile“ des Entscheidens und des Durchtragens selbst verändert werden, so z. B. bei langer Arbeitslosigkeit, bei chronischer Erkrankung, bei schweren Depressionen etc. In der erlebniszentrierten / erlebnisaktivierenden Modalität soll in der IBT das „totale Sinnesorgan Leib“ mit allen seinen Sinnen angesprochen werden. Besonders Patienten / Klienten, die sehr kognitiv strukturiert sind oder in ihrer Erlebnisfähigkeit Einschränkungen haben oder unter einem gestörten Körperbezug leiden bzw. ihren Körper ablehnen und / oder sich ihrem Körper ausgeliefert fühlen (z. B. durch Schmerz / Funktionseinbußen), profitieren von Erlebnisaktivierung. Auf diesem Wege können mittels alternativer Erfahrungen kognitiver, emotionaler, volitiver Art, die für den Erlebenden bedeutsam sind, dysfunktionale Verhaltensmuster gehemmt werden. Das neue Erleben und Verhalten wird damit stark gebahnt, das problematische geschwächt, weil das Gehirn seine Muster und Schemata je nach Erfahrung und Aktivierung weiterentwickelt oder rückbildet. Die erlebniszentriert-aktivierende Modalität nutzt diese Abb. 4: Üben von Stopp mit Hilfe von Bottom-up- und Top- Down-Techniken Foto: Martin J. Waibel Integrative Leib- und Bewegungstherapie 1 | 2013 27 neurobiologischen Möglichkeiten und kann so Verhaltensänderungen und Symptomreduzierungen erreichen. Wir setzen in dieser Modalität eine multisensorische und multiexpressive Praxis ein mit Bewegung, Berührung, Atmung, kreativen Medien, Naturerfahrungen und Visualisierung auf Basis der „multiplen Stimulierung“. Konfliktzentriert-aufdeckende Modalität Da in den „Archiven des Leibes“ die Lebenserfahrungen aufgenommen und gespeichert wurden und der Leib in unserem Verständnis daher ein „informierter“ ist, ist er eben Ort archivierter Konflikte, Entbehrungen, Belastungen und kritischer Lebensereignisse, aber natürlich auch aller positiven, protektiven, salutogenen Erfahrungen. Beide Erfahrungsströme zeigen Wirkung im psychophysiologischen Funktionieren, den neurohumoralen Prozessen und den durch sie ausgelösten seelischen und geistigen Regungen - etwa in somatoformen Störungen, psychosomatischen Reaktionsbildungen oder somatischen Manifestationen von als psychisch gekennzeichneten Störungen. Bei Depressionen findet sich immer auch ein „depressiver Leib“ mit fehlreguliertem Tonus, beeinträchtigter Atmung, Konditionsschwäche usw. In der konfliktzentrierten Arbeit kommen Szenen aus der Lebensgeschichte ins Bewusstsein, werden „leibhaftig“ erlebt, durchlebt und ermöglichen durch die stützende und schützende Präsenz des Therapeuten „korrigierende Erfahrungen“. Diese sehr effektive Vorgehensweise kann jederzeit durch die vorangehend beschriebenen Modalitäten unterstützt oder ergänzt werden. Sie führt zu Veränderungen auf allen Leibebenen und in den verschiedenen Persönlichkeitsbereichen und ergänzt damit ein rein kognitives Vorgehen. Abschließend eine Passage von Hilarion Petzold (2004, 978), des Begründers der IBT, die unser bewegtes Denken in einfachen, klaren Worten skizziert: „Die Menschen haben die Tendenz, sich an gut ausgezeichnete, gradlinige Straßen zu halten. Die Schönheiten abgelegener Routen, verborgener Pfade gehen ihnen dabei verloren. Integrative Leib- und Bewegungstherapie vertritt eine Lebenshaltung, die bewußt auf ‚Trassen ohne Abfahrten‘ und mit festlegenden Ausschilderungen verzichtet. Gewißheit muß auf andere Weise gewonnen werden: durch die Erfahrung, daß man gehen kann und daß man nicht alleine gehen muß - meistens zumindest. Und sollte es einmal einsame Strecken geben, so wandern in Gedanken Menschen mit, mit denen wir so manches Stück Abb. 5: Naturerfahrungen intensivieren das Spüren und Fühlen am eigenen Körper und sind ein gutes Mittel gegen die Entfremdung des eigenen Leibes. Foto: Martin J. Waibel 28 1 | 2013 Martin J. Waibel Wegs gegangen sind - in ihren und in unseren Erinnerungen. Verirrungen, Verlassenheiten, Verlorensein, dem können wir durch Weggenossen begegnen. Die Sicherheit, die Wege beschreiten zu können, die Gewißheit, Rastplätze zu finden, die Gefährtenschaft auf dem Lebensweg mit seinen zuweilen gradlinigen, zuweilen verschlungenen Pfaden - das alles bietet die Chance, daß wir uns nicht in die vermeintlichen Schutzräume starrer Umfriedungen flüchten. Sie erweisen sich in der Regel dem Fluß der Zeit nicht gewachsenen. Nichts ist festzuhalten! Der Versuch etwas, sich oder andere zu fixieren, wird mit Erstarrung teuer bezahlt: mit dem Verlust der Lebendigkeit, der Verhinderung der Bewegung in das eigene Innere, die Tiefen des ‚homo absconditus‘, des unauslotbaren Menschen, mit der Blockierung der Bewegungen in die Tiefe des anderen durch Begegnung, Beziehung, Bindung (und dies sind - betrachtet man die eingeschlossenen Verben - Formen bewegten Miteinanders). Der Preis der ‚Sicherheit durch Fixierung‘ ist der Verlust der Bewegung in den sozialen Raum und in die Weiten der Lebenswelt, ist letztlich der Verlust von Lebendigkeit, denn nochmals: ‚Leben ist Bewegung.‘“ Ich hoffe, mit dieser kurzen Einführung in einige Konzepte der IBT den LeserInnen einen ersten Einblick gegeben zu haben, wie wir arbeiten. Wer an mehr interessiert ist, dem empfehle ich: Informationen und Literatur zur IBT Für die Integrative Leib- und Bewegungstherapie stehen zahlreiche Publikationen frei im Netz. Über die Seite der Deutschen Gesellschaft für Integrative Leib- und Bewegungstherapie (www.dgib.net) gelangt man in ein umfangreiches, frei zugängliches Onlinearchiv von Publikationen zur praktischen Arbeit. Mannigfache theoretische und praktische Beiträge zur Integrativen Therapie und Integrativen Bewegungstherapie sind unter www.fpipublikation.de/ polyloge zu finden. Mehr über Aus- und Weiterbildungen: FPI / EAG (www.eag-fpi.com) Und wer dann doch mehr Sympathie für Bücher hat, dem seien die folgenden empfohlen. Literatur Dürckheim G. K. (1966): Der Alltag als Übung. 2. Aufl. Huber, Bern Höhmann-Kost, A. (2002): Bewegung ist Leben. Integrative Leib- und Bewegungstherapie - eine Einführung. Huber, Bern Hausmann B., Neddermeyer, R. (1995): Bewegt Sein. Integrative Leib- und Bewegungstherapie in der Praxis. Junfermann, Paderborn Petzold, H., (2004): Integrative Therapie. 3 Bände. 2.-Aufl. Junfermann, Paderborn Waibel, M. J., Jakob-Krieger, C. (Hrsg.) (2009): Integrative Leib- und Bewegungstherapie. Störungsspezifische und ressourcenorientierte Praxis. Schattauer, Stuttgart Der Autor Martin J. Waibel Ltnd. klinischer Bewegungstherapeut an einer Akutklinik für Internistische Psychosomatik und Psychotherapie, Integrativer Bewegungstherapeut, Dipl. Sozialarbeiter, Dipl. Supervisor, Lehrtherapeut an der EAG / FPI. Tätig als Dozent an Fachschulen und Hochschulen und in eigener Praxis für Körpertherapie (HPG). ✉ Martin J. Waibel Im Obstgarten 6 | D-88326 Aulendorf info@mjwaibel.de
