körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Der Körper als Speicher und als Kompass
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Alfred J. Köth
Der Autor stellt im zweiten Teil des Artikels ein Forschungsdesign und das empirische Material vor, mit dem er die Technik der Standort-Aufstellung im Rahmen seiner Dissertation erforscht hat. Er schildert und illustriert an einem Beispiel diagnostische Aspekte und technische Überlegungen sowie Veränderungen, die bei einem Klienten durch die Aufstellung im Verlaufe von drei Jahren angestoßen wurden.
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120 körper - tanz - bewegung 1. Jg., S. 120-126 (2013) DOI 10.2378 / ktb2013.art11d © Ernst Reinhardt Verlag Fachbeitrag Der Körper als Speicher und als Kompass Teil 2: Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt 1 Alfred J. Köth Der Autor stellt im zweiten Teil des Artikels ein Forschungsdesign und das empirische Material vor, mit dem er die Technik der Standort-Aufstellung im Rahmen seiner Dissertation erforscht hat. Er schildert und illustriert an einem Beispiel diagnostische Aspekte und technische Überlegungen sowie Veränderungen, die bei einem Klienten durch die Aufstellung im Verlaufe von drei Jahren angestoßen wurden. Schlüsselbegriffe Körperpsychotherapie, systemische Aufstellungen, Diagnostik, Therapietechnik, Veränderungen The Body as Storage and Compass 2nd Part: Results of a research In the second part the author shows his research design and material he used to explore the technique of position-constellation in the course of his dissertation. Describing a concrete example, he illustrates diagnostic aspects, technical reflections and changes, which occurred in the life of a client within three years after the therapeutic constellation technique. Key words bodypsychotherapy, systemic constellation work, diagnostics, therapeutic technique, changes Forschungsdesign und empirisches Material Es handelt sich bei dem im Folgenden Dargestellten nicht um einen Forschungsbericht im Sinne des klassischen Wissenschaftsverständnisses der klinischen Psychologie (Jacobi / Poldrack 2002), sondern um einen Bericht aus der Praxis eines Psychotherapeuten. Mein Interesse war, das, was ich als Psychotherapeut tue, und das, was dabei an Veränderungen für den Klienten herauskommt, etwas genauer zu untersuchen. Mein Ziel war es, die Wirkungsweise meiner Interventionen (konkret hier: die Wirkungsweise der Technik der Standort-Aufstellung) bei den Klienten besser 1 Die methodische Grundlage zu diesem Forschungsprojekt (Teil 1: Die Einordnung der Technik der Standort-Aufstellung) finden Sie in Ausgabe 2 / 2013, online unter www.reinhardt-journals.de. 3 | 2013 121 Der Körper als Speicher und als Kompass - Teil 2 zu verstehen, und zwar sowohl in der direkten Situation des therapeutischen Settings als auch in der Auswirkung auf das reale Leben der Klienten außerhalb des Therapieraumes. Insofern strebte ich einerseits das an, was in der Psychotherapieforschung unter die Stichworte Erfolgsforschung und Prozessforschung gefasst wird, andererseits das, was man mit dem Terminus Katamnese fassen könnte. Ich befinde mich damit in Übereinstimmung mit einer zentralen Forderung an die Psychotherapieforschung im „Handbook of Psychotherapy and Behavior Change“: „A central task of psychotherapy is to assist patients in making changes in their lives. A central task of psychotherapy research is to examine empirically both the process of the therapeutic encounter and the changes that result from participation in this process.“ (Lambert/ Hill 1994, 72) Die Datenerhebung fand zunächst unsystematisch im Rahmen der therapeutischen Arbeit in einer ambulanten Körperpsychotherapiegruppe statt. Die erste Aufstellung gegen Ende der dreijährigen Gruppenzeit im März / April 2001 wurde von jeweils einem Gruppenmitglied für den aufstellenden Klienten mitprotokolliert. Es ging dabei nicht um eine individuelle Fragestellung des jeweiligen Klienten, sondern um die allgemeine Frage nach dem aktuellen „Standort“ jedes einzelnen Gruppenmitglieds gegen Ende der Therapiegruppenzeit. Die Ausgangs- und Endbilder (d. h. die räumlichen Positionen und Blickrichtungen der aufgestellten Repräsentanten) wurden nach einem vorher vereinbarten Schema (siehe Abb. 1) skizziert. Die zweite Aufstellung zweieinhalb Jahre später im Rahmen eines eigens dafür konzipierten Workshops nahm ich mit Tonband auf; die Ausgangs-, Zwischen- und Endbilder wurden von einem Gruppenmitglied mitskizziert. In drei aufeinander folgenden Jahren füllten alle elf Klienten jeweils Fragebögen aus, in denen ich nach Veränderungen in den drei Lebensbereichen (Beruf, Beziehung und Freunde) fragte (Köth 2007a). 1999-2001: Therapiegruppe (zunächst zwölf KlientInnen, sechs männlich, sechs weiblich, eine Klientin schied vorzeitig aus) 2001 (März / April): Standort-Aufstellung 1 (elf Klienten, also sechs männlich und fünf weiblich) 2002 (Juni): Fragebogen 1 2003 (September): Fragebogen 2 und Standort-Aufstellung 2 2004 (September): Fragebogen 3 Ende 2004 lag das empirische Material komplett vor und wurde von mir im Rahmen einer Dissertation ausgewertet (Köth 2007a). Das folgende Beispiel ist ein Auszug aus dieser Auswertung. Dieser dient zur Illustration von diagnostischen und technischen Aspekten und bezieht die in den Fragebögen genannten Veränderungen auf die therapeutischen Interventionen. Empirisches Material von der Aufstellung 2001: 20 Skizzen und Notizen von der Aufstellung 2003: 38 Skizzen plus Tonbandabschriften von 11 Klienten dazu ausgefüllte Fragebögen 2002, 2003 und 2004 jeweils von 11 Klienten Diagnostische Aspekte Bei der Analyse der Aufstellungsskizzen habe ich anhand der jeweiligen Einzelfälle folgende Kategorien entwickelt. Nähere Erläuterungen hierzu finden sich bei Köth (2007a): ● „High-Noon-Stellung“ bzw. Konfrontationsstellung ● im Gesamtbild auffällige Position („Blitzableiter-“, „Im-Nacken-Position“) ● (fehlende) flankierende bzw. unterstützende Position 122 3 | 2013 Alfred J. Köth ● ausgeschlossene Position, indirekt (Blickwinkel) oder direkt (fehlender Repräsentant) ● Gleichgeschlechtlichkeit der „Beziehung“ ● Gegengeschlechtlichkeit der „Stärken“ ● Verschiedengeschlechtlichkeit von „Stärken“ und „Schwächen“ ● Gleichgeschlechtlichkeit von „Freunden“ ● Geschlecht des „Berufs“ ● Verwechslungen der „Rolle“ während des Aufstellens Im folgenden Fallbeispiel lässt sich die Konfrontationsstellung zwischen Protagonist und Schwäche, die „Im-Nacken-Position“ von Stärke und Schwäche, die ausgeschlossene Position von Freunden und Beruf sowie die Problematik des Geschlechts der „Beziehung“ illustrieren. Im Ausgangsbild stand der Beruf im Rücken des Protagonisten mit Blick aus dem Fenster, sodass er nichts von dem Rest der Aufstellung sehen konnte. Auch die Freunde blickten nach außen zur Wand. Der Repräsentant für den Beruf bestätigte die ausgeschlossene Position: „Mich gibt’s zwar, ich hab aber mit ihm (Protagonist) nix zu tun.“ Der Repräsentant für die Freunde äußerte: „Mich braucht kein Mensch. Das alles kann mir gestohlen bleiben.“ Die Stärken waren für den Protagonisten nicht Abb. 1: Ausgangsbild des Klienten „Heinz“ In der grafischen Darstellung bedeutet ein Kreis eine weibliche Repräsentantin, ein Quadrat einen männlichen Repräsentanten. P = Protagonist, Ber = Beruf, Bez = Beziehung, Fr = Freunde, Sch = Schwäche, St = Stärke. Die Zacken geben die Blickrichtung an. König weist mit Recht darauf hin, dass die in der Aufstellungsliteratur üblichen grafischen Darstellungen eine Fiktion darstellen, weil sie aus einer Vogelperspektive erfolgen, die es so nicht gibt. Die grafischen Darstellungen bilden also nicht das Geschehen in der Aufstellung ab, sondern stellen allenfalls ein heuristisches Hilfsmittel oder eine Gedächtnisstütze dar (König 2004). Fr. Heinz Ausgangsbild 2001 St. Sch. Ber. P. Bez. 3 | 2013 123 sichtbar, sondern hinter den Schwächen verdeckt, zu denen der Protagonist in Konfrontationsstellung war. Die Beziehung wurde durch einen Mann repräsentiert. Diagnostische Überlegungen Heinz ist ein Mann mit depressiver Symptomatik, einem chronifizierten Ehekonflikt und beruflichen Burn-out-Gefühlen. Er will eigentlich mit seinem Beruf nichts mehr zu tun haben, sieht aber aus finanziellen Gründen keine andere Perspektive. Diese Ausweglosigkeit ist eine Quelle seiner Depression, in der er seine Freunde zurückweist und kein Gefühl mehr für seine Stärken hat. Technische Überlegungen Bei der Aufstellungstechnik gehe ich erstens von der Hypothese aus, dass bestimmte innerpsychische Entitäten mit Hilfe von Repräsentanten ins räumliche Außen verlagert werden und dass die räumliche Beziehung im Außen mit der innerpsychischen Struktur korrespondiert. Die zweite Hypothese besteht darin, dass eine therapeutische Veränderung im Außen Rückwirkungen auf die innerpsychische Struktur des Klienten hat. Dies allerdings nur unter der Bedingung, dass der Klient diese äußeren Veränderungen innerlich nachvollzieht und mit Bedeutung belegt. Diese Bedingung folgt aus dem Grundgedanken des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes, der davon ausgeht, dass es prinzipiell unmöglich ist, den Menschen gezielt von außen zu beeinflussen (Willke 1996, von Ameln 2004). Um dieses Nachvollziehen durch den Klienten abzuschätzen, ist eine ständige verbale und nonverbale Rückversicherung beim Klienten nötig. Die Stellungsarbeit hat in diesem Kontext die Aufgabe, von den „falschen“ oder „problematischen“ Ordnungen der Ausgangsbilder (im Sprachgebrauch Schelers (2000): den „Verwirrungen“ des „faktischen“ ordo amoris) zu den „idealen“ oder „befriedigenderen“ Ordnungen zu kommen, d. h. zu den Endbildern. Da diese Veränderungen vom Klienten innerseelisch nachvollzogen werden sollen, ist es m. E. wichtig, den Prozess schrittweise zu gestalten. Dies bedeutet, dass, nachdem das Ausgangsbild „diagnostisch“ genutzt worden ist, eine unvermittelte Umstellung des Ausgangsbildes zu einem Endbild oft nicht direkt möglich ist, sondern zunächst Zwischenbilder gestellt werden müssen, wobei diese entweder als Test verstanden werden können, ob ein hypothetisches Endbild von den Repräsentanten akzeptiert wird, oder als Zuspitzung einer Tendenz, die eine Prozessarbeit für den Klienten erst möglich macht. Die Prozessarbeit besteht zum einen aus ritualisierten Gesten oder Sätzen (Glöckner 1999), die entweder die im Ausgangs- oder Zwischenbild zunächst nur räumlichen sichtbaren Tendenzen „anerkennen“ und damit aus der rein körperlichen räumlichen Ebene in die sprachliche Bewusstheit heben (z. B. indem zu einem durch fehlenden Blickkontakt ausgeschlossenen Repräsentanten für die Freunde der Satz formuliert wird: „Ich habe euch nicht gesehen“) oder aber die in der Stellungsarbeit gefundene „ideale“ Ordnung sprachlich oder gestisch bestätigen oder festigen (z. B. indem die Tendenz, dass die Repräsentanten von „Stärke“ und „Beruf“ sich im Endbild nahe beieinander am wohlsten fühlten, durch den Satz unterstrichen wird: „Es fühlt sich gut an, wenn ich meine Stärken mit dem Beruf in Kontakt bringe“). Zum anderen wird mit Hilfe von „Konfrontationen“, bei denen die Hände des Klienten an die Hände der Repräsentanten gelegt werden und eventuell Druck ausgeübt wird, das körperliche Erleben von Kontakt und der Ausdruck von Gefühlen evoziert. In der Stellungs- und Prozessarbeit unterscheide ich folgende Möglichkeiten: ● Integration von ausgeschlossenen Elementen Der Körper als Speicher und als Kompass - Teil 2 124 3 | 2013 Alfred J. Köth ● Aufstellen einer Alternative ● Klärung von Überlagerungen ● Klärung von Verstrickungen ● Vollenden unterbrochener Hinbewegungen ● Emotional korrigierende Erfahrungen Im gewählten Beispiel steht die Integration von ausgeschlossenen Elementen und das Aufstellen einer Alternative im Zentrum. Diese Interventionen versuchen, eine Veränderung anzubahnen, indem eine neue Möglichkeit symbolisch in den Raum gestellt wird. Die Annahme ist, dass dieses neue Bild, wenn es integriert wird, innere Suchprozesse in Gang setzt. Hirnphysiologisch gedacht entsteht eine neue Verschaltung, ein neues inneres Muster (Hüther 2004). Wenn man im konstruktivistischen Sinne davon ausgeht, dass unsere inneren Strukturen unsere Wahrnehmung und unsere Handlungen prägen, ergibt sich daraus die Hoffnung auf Veränderungen im Erleben und Leben. Im Ausgangsbild (2001) von Heinz gab es mehrere ausgeschlossene Elemente, eine Konfrontationsposition des Protagonisten mit den Schwächen und eine gleichgeschlechtliche Repräsentation der Beziehung. Der außen sitzende Klient nahm die Äußerungen der Repräsentanten über ihre Gefühle und Assoziationen in ihrer jeweiligen Position mit Betroffenheit zur Kenntnis und bestätigte, dass er seine Problematik zutreffend gespiegelt sah. Seine berufliche Situation erlebte er als perspektivlos und unbefriedigend. Er fühlte sich in seinem Beruf ausgebrannt und wollte am liebsten damit nichts mehr zu tun haben. Seine Freunde hatte er in seinen depressiven Phasen zurückgestoßen und vernachlässigt, sodass sie inzwischen verletzt sind und sich zurückziehen. In der Stellungsarbeit und der gleichzeitig verlaufenden Prozessarbeit wurden die Blickwinkel von Beruf und Freunden geändert, mehrere „Konfrontationen“ fanden statt. Heinz formulierte einige die Realität bestätigende Sätze: Zum Beruf sagte er: „Irgendwann ist es zu Ende, aber es zieht mir den Boden unter den Füßen weg.“ Zu den Freunden bestätigte er: „Da ist Verletzung und Rückzug“: Schwerpunkt dieser Arbeit war die klärende Komponente, in der die Hintergründe seiner Situation herausgearbeitet wurden. In den „Konfrontationen“ ergaben sich auch „nährende“ Aspekte, indem der Klient z. B. durch einen von ihm angenehm erlebten stützenden Körperkontakt mit dem Repräsentanten der Freunde positive Körpererfahrungen machte, die seinen resignativ-depressiven Ausweichmustern gegensteuern sollten. Veränderungen durch die Aufstellung Vergleicht man die therapeutischen Interventionen der Stellungs- und Prozessarbeit mit den Aussagen in den Fragebögen, wird der Zusammenhang zwischen therapeutischer Intervention und darauf folgender Veränderung im Lebenskontext des Klienten deutlich. Aufstellung 2001: berufliches Burn-out, Depression, chronifizierter Ehekonflikt, Mann als Repräsentant für Beziehung, im Endbild kurzfristiger Austausch durch eine Frau Fragebogen 2002: Heinz berichtet von positiven Veränderungen in der Beziehung, er sieht den Grund dafür in „klaren“ Geschlechtsrollen von sich und seiner Frau. Fragebogen 2003: Heinz schreibt von völlig zerrütteter Beziehungsstruktur. Aufstellung 2003: Klärung der gemeinsamen Verantwortung für das Scheitern, Möglichkeit einer neuen Beziehung durch Aufstellen einer „Alternative“ Fragebogen 2004: Heinz berichtet von neuen Beziehungsversuchen, seit kurzem mit ernsten Ambitionen. In seinem Ausgangsbild 2001 hatte Heinz ohne großes Nachdenken einen männlichen Repräsentanten für „Beziehung“ gewählt. Als 3 | 2013 125 die anderen Gruppenmitglieder darauf mit Schmunzeln reagierten, war er kurz irritiert, begründete dann aber die Wahl damit, dass seine Frau sehr dominant und männlich sei. In der Stellungs- und Prozessarbeit war ich darauf nicht näher eingegangen, abgesehen von dem bestätigenden ritualisierten Satz: „Ich habe eine schwierige Wahl getroffen.“ Im Endbild tauschte ich allerdings kurzzeitig, ohne weiter damit zu arbeiten, den Repräsentanten für die Beziehung durch eine andere Person, nämlich eine Frau aus. Meine Absicht war dabei, einen Denk- und Fühlanstoß zu geben und zu erproben, ob sich dadurch für den Klienten ein verändertes Gefühl einstellt. Nach einem kurzen Wirken-Lassen beendete ich die Aufstellung mit der hypnotischen Suggestion, dass dieser Anstoß Zeit haben soll, innerlich weiterzuarbeiten oder zu reifen. Im ersten Fragebogen 2002 berichtete Heinz von positiven Veränderungen in der Beziehung, die genau in die Richtung des „Denk- und Fühlanstoßes“ im Endbild ein Jahr zuvor gehen: „Die Ehefrau steht mir jetzt als Partnerin gegenüber (nicht mehr nur an der Seite, auch nicht frontal, sondern im Sinne von „Affront“). Sie kann ihre weibliche Seite, ich meine männliche Position besser wahrnehmen.“ Im zweiten Fragebogen 2003, nur ein Jahr später, war diese positive Entwicklung ins Gegenteil umgeschlagen. Heinz schildert eine völlig zerrüttete Beziehungsstruktur, seinen zeitweiligen Auszug, dann die Rückkehr wegen der ökonomischen Situation, Scheidungsabsicht, innere Emigration, Verbitterung, Enttäuschung über Frauen allgemein (von der Mutter zur Ehefrau zu „die Frauen“). Im Ausgangsbild 2003 wählte Heinz als Repräsentantin für „Beziehung“ zwar eine Frau, die er aber unmittelbar neben die „Schwächen“ platzierte, sodass der Protagonist einem „Zwillingspaar“ gegenüberstand. Beim Versuch, in der Stellungsarbeit diese Einheit zwischen Schwäche und Beziehung aufzulösen, trat bei der Repräsentantin für „Beziehung“ die Assoziation auf umzufallen. Auch der Klient konnte diesen Versuch, Schwäche und Beziehung zu trennen, nicht so einfach akzeptieren. In der Prozessarbeit wurde herausgearbeitet, dass der Klient selbst seine Beziehung mit seinen eigenen Schwächen verknüpft hat. Nachdem in der Stellungsarbeit die „Stärken“ dem Klienten an die Seite gestellt wurden, entstand in der Prozessarbeit der Eindruck, dass die Beziehung nach einer Klärung der gemeinsamen Verantwortung für das Scheitern in den Hintergrund treten und nach einer Weile Platz für eine neue Beziehung entstehen könnte. Als „Test“ stellte ich deshalb ohne Kommentar und mit dem Hintergedanken, dass diese eine neue Beziehung symbolisieren könnte, eine Frau in die entstandene Lücke. Der Klient reagierte spontan: „Ich weiß jetzt nicht, was das ist; aber: Welcome! “ Die Repräsentantin für die Ehefrau reagierte gelassen: „Ich nehm’s so wie es ist. Mich regt das nicht auf.“ Im dritten Fragebogen 2004 war die Trennung der Familie vollzogen, Frau und Tochter waren ausgezogen. Heinz berichtet von einem Beziehungsversuch, der von ihm selbst wieder beendet wurde; ab August 2004 sah er allerdings eine ernst zu nehmende Beziehungsentwicklung. Im Rückblick auf die Standortaufstellung von 2003 schreibt Heinz 2004: „Die Verwechslungen, Versprecher, Unmöglichkeit, Kernsätze auszusprechen, verwundern mich heute. Ich sehe sie nunmehr als Indiz für besondere innere Verstrickungen, gefangen im eigenen Netz, im Gewirr der Vorstellungen, die ich vom Leben hatte. Ich sehe heute Geschehnisse und Begegnungen eher als Chance und Gelegenheit, etwas über mich und das Leben zu erfahren (und nicht als Selbstverständlichkeit). Heute sind / scheinen mir ausweglose Situationen fast als notwendige (Stolper-)Schritte, um meinen Weg zu finden. Es war notwendig und richtig so, wenn auch sehr schmerzhaft! “ Der Körper als Speicher und als Kompass - Teil 2 126 3 | 2013 Alfred J. Köth Schlussbemerkung Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojektes sind, dass sich anhand der Fallbeispiele belegen lässt, dass das Ausgangsbild der Aufstellungen zu diagnostischen Zwecken genutzt werden kann, da die Stellung der Repräsentanten und ihre Aussagen über ihr Befinden an dieser Position in einen nachvollziehbaren und von den Klienten validierbaren Zusammenhang mit ihren Problemen gebracht werden können. Es lässt sich auch zeigen, dass die Interventionen der Prozess- und Stellungsarbeit sowie die ritualisierten Sätze die Richtung von Veränderungen darauffolgender Jahre angeben. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die in den Endbildern aufgezeigten „Handlungsaufforderungen“ auch von den Klienten aufgegriffen und umgesetzt wurden, d. h. dass ein „Lerntransfer“ stattgefunden hat. Die Aufstellungen können somit wie ein Navigationssystem (Köth 2007b) begriffen werden, das mit der Bestimmung des „Standorts“ beginnt und über ritualisierte Sätze die Richtung für eine anstehende Veränderung angibt. Der Körper bzw. die Körperwahrnehmung wird somit als Speicher und als Kompass zugleich genutzt. Literatur Ameln, F. von (2004): Konstruktivismus. Die Grundlagen systemischer Therapie, Beratung und Bildungsarbeit. Francke Verlag, Tübingen / Basel Bergin, A. E., Garfield, S. L. (Eds.) (1994): Handbook of Psychotherapy and Behaviour Change. 4. Aufl. John Wiley and Sons, New York Glöckner, A. (1999): Lieber Vater, liebe Mutter … Sich von den Schatten der Kindheit befreien. Herder, Freiburg Hüther, G. (2004): Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen Jacobi, F., Poldrack, A. (2002): Wissenschaftliches Arbeiten in der klinischen Psychologie. Ein Leitfaden. 2. Aufl. Hogrefe, Göttingen König, O. (2004): Familienwelten. Theorie und Praxis von Familienaufstellungen. Pfeiffer, Stuttgart Köth, A. (2007a): Zur Wirkungsweise von „Standort- Aufstellungen“ als pädagogisch-therapeutische Interventionstechnik. Eine katamnestische Studie aus einer ambulanten Psychotherapiegruppe. Dr. Kovac, Hamburg Köth, A. (2007b): Aufstellungen als Navigationssystem - Vom Wirkfaktor zum Lerntransfer: Reflexionen und Praxisbeispiele zur Wirkungsweise von Psychotherapie. VAS - Verlag für akademische Schriften, Frankfurt / M. Lambert, M. J., Hill, C. E. (1994): Assessing Psychotherapy, Outcomes, and Processes. In: Bergin, A. E., Garfield S. L. (Eds.): Handbook of Psychotherapy and Behaviour Change. 4. Aufl. John Wiley and Sons, New York, 72-113 Scheler, M. (2000): Grammatik der Gefühle. Das Emotionale als Grundlage der Ethik. Dt. Taschenbuch Verlag, München Willke, H. (1996): Systemtheorie. Grundlagen, Interventionstheorie, Steuerungstheorie. Lucius und Lucius, Stuttgart Der Autor Dr. phil. Alfred Köth Diplompädagoge, Körperpsychotherapeut in eigener Praxis, approbierter Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. ✉ Dr. phil. Alfred Köth Damaschkeanger 37 | D-60488 Frankfurt/ M.
