eJournals körper tanz bewegung 1/4

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Körperpsychotherapie und Körpertherapie

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2013
Ulfried Geuter
In der Selbstdarstellung der Zeitschrift „körper – tanz – bewegung“ heißt es, dass sie Raum für die Vielfalt tanztherapeutischer, bewegungstherapeutischer, körperpsychotherapeutischer und körpertherapeutischer Ansätze bieten möchte. Tanztherapie definiert Trautmann-Voigt als eine Methode, „die mittels der Einleitung von Bewegungsprozessen auf die Förderung nonverbaler zwischenmenschlicher Kommunikation gerichtet ist“ (2006, 41). Die britische Vereinigung für Tanz- und Bewegungstherapie definiert: „Dance Movement Therapy is the psychotherapeutic use of movement and dance …“ (Röhricht 2009, 137). Hölter beschreibt die Mototherapie „als eine Bewegungstherapie …, die dem Menschen durch Sport, Spiel und Bewegung Möglichkeiten der Selbst- und Welterfahrung erschließen will“ (1993, 18) und spricht von Bewegung als „Medium der Psychotherapie“ (ebd., 26). Tanz- und Bewegungstherapie werden hier über die Mittel definiert, mit denen in der Psychotherapie gearbeitet wird. […]
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Forum: Unter der Lupe körper - tanz - bewegung 1. Jg., S. 161-168 (2013) DOI 10.2378 / ktb2013.art15d © Ernst Reinhardt Verlag 161 Körperpsychotherapie und Körpertherapie Versuch einer Definition 1 Ulfried Geuter I n der Selbstdarstellung der Zeitschrift „körper - tanz - bewegung“ heißt es, dass sie Raum für die Vielfalt tanztherapeutischer, bewegungstherapeutischer, körperpsychotherapeutischer und körpertherapeutischer Ansätze bieten möchte. Tanztherapie definiert Trautmann-Voigt als eine Methode, „die mittels der Einleitung von Bewegungsprozessen auf die Förderung nonverbaler zwischenmenschlicher Kommunikation gerichtet ist“ (2006, 41). Die britische Vereinigung für Tanz- und Bewegungstherapie definiert: „Dance Movement Therapy is the psychotherapeutic use of movement and dance …“ (Röhricht 2009, 137). Hölter beschreibt die Mototherapie „als eine Bewegungstherapie …, die dem Menschen durch Sport, Spiel und Bewegung Möglichkeiten der Selbst- und Welterfahrung erschließen will“ (1993, 18) und spricht von Bewegung als „Medium der Psychotherapie“ (ebd., 26). Tanz- und Bewegungstherapie werden hier über die Mittel definiert, mit denen in der Psychotherapie gearbeitet wird. Eine vergleichbare Klarheit gibt es bei den Begriffen Körperpsychotherapie und Körpertherapie nicht. In Kliniken wird oft von Körpertherapie gesprochen, wenn ergänzend zu einer verbalen Psychotherapie und getrennt von dieser körperbezogene Methoden und Techniken eingesetzt werden, um auf das Körpererleben, die Körperwahrnehmung oder den Körperausdruck einzuwirken (Forster 2002; Götz-Kühne 2010; Huber et al. 2005; Loew / Joraschky 1998; Wilda-Kiesel et al. 2011). Andere Autoren bezeichnen mit dem Begriff Körpertherapie hingegen ein therapeutisches Vorgehen, das sowohl körperliche wie psychische Prozesse in ein und derselben Therapie gleichermaßen berücksichtigt (Hendricks / Hendricks 1994; Küchenhoff 1996; Lowen 1990; Petzold 1985; Voigt/ Trautmann-Voigt 2001). Loew et al. (2006, 7) benutzen den Begriff der Körpertherapie als Oberbegriff für Massagen, Heilgymnastik, Atemtherapie und Körperpsychotherapieverfahren, von denen wiederum sie im Plural sprechen. Gottwald (2005, 2008) spricht sowohl von Körpertherapie wie von Körperpsychotherapie, Eberwein (2009) von „Körperarbeit“ als einem der Verfahren der Humanistischen Psychotherapie. Körperpsychotherapie wiederum wird von der deutschen, der europäischen und der USamerikanischen Fachgesellschaft (DGK; EABP; USABP) und einem Handbuch (Marlock/ 1 Dieser Text beruht in Auszügen auf dem demnächst erscheinenden Buch von Ulfried Geuter: Körperpsychotherapie (Arbeitstitel). Springer, Berlin / Heidelberg, mit freundlicher Genehmigung. 162 4 | 2013 Ulfried Geuter Weiss 2006) als Begriff für ein psychotherapeutisches Verfahren verwendet, das Behandlungsansätze und Theorieelemente verschiedener körperbezogener Therapieschulen wie Bioenergetik oder Konzentrative Bewegungstherapie in sich aufnimmt. Verschiedene Autoren bevorzugen diesen Begriff, ohne sich weiter auf einzelne Schulen festzulegen (Blaser 1991; Büntig 1992; Eberwein 1996; Geuter 2006; Hartley 2009; Joraschky et al. 2002; Koemeda-Lutz 2002; Röhricht 2002, 2011; Schrauth 2001; Staunton 2002; Thielen 2009; Totton 2003; Wolf 2010). Geißler (2009) und Heisterkamp (2010) benutzen ihn für die besondere Richtung der Analytischen Körperpsychotherapie. In der Literatur finden wir aber noch weitere Begriffe für einen Ansatz der Psychotherapie, der grundsätzlich den Körper einschließt: ● körperorientierte Psychotherapie (Price, 2005; Röhricht 2000; Müller-Braunschweig / Stiller 2010) ● körperzentrierte Psychotherapie (Künzler et al. 2010) ● körperbezogene Psychotherapie (Müller- Braunschweig 1997) ● Leib- und Bewegungstherapie (Petzold 2003) ● Leibtherapie (Fuchs 2000; Petzold 2009, 40) ● body-mind-psychotherapy (Aposhyan 2004) ● somatic psychology (Barratt 2010) - so bezeichnen auch US-amerikanische Universitäten ihre Studienprogramme in Körperpsychotherapie (Wolf 2010) ● somatic psychotherapy (diesen Begriff benutzt die Australian Somatic Psychotherapy Association - ASPA) ● holistic psychotherapy (Totton 2003, 26) ● Ganzheits-Psychotherapie (Künzler 2006) ● organismic therapy (Heller 2008). Röhricht (2009, 140) verwendet den Begriff der body oriented psychotherapy auch als Oberbegriff für Tanz-, Bewegungs- und Körperpsychotherapie. Es fehlt also nicht nur eine einheitliche Definition (ebd., 137), sondern selbst ein einheitlicher Begriff. Die verschiedenen Begriffe versuchen unterschiedlichen Intentionen gerecht zu werden: ● dass man sich in der Psychotherapie am Körper orientiert, auf ihn bezieht oder zentriert; ● dass sich der Psychotherapeut nicht mit dem objektivierten Körper des Anatomen beschäftigt, sondern mit dem subjektiven, erlebten Körper, der in der Tradition der phänomenologischen Philosophie „Leib“ genannt wird; ● dass eine Psychotherapie, die Leib und Seele, body and mind, gleichermaßen beachtet, von der „Ganzheit“ des Menschen ausgeht; ● dass Körperpsychotherapie auf grundlegende organismische Mechanismen der Steuerung von Regulationsvorgängen einwirkt, von Stoffwechselprozessen bis hin zu psychischen Vorgängen (Heller 2008, 27 ff ). Ein Begriff wie „körperorientiert“ drückt aus, unter welcher Perspektive man behandelt, der Begriff „Leibtherapie“, auf was man sich in der Therapie bezieht: den erlebten Körper. Begriffe wie „Ganzheit“ oder „organismisch“ wiederum positionieren die entsprechende Psychotherapie in einer paradigmatischen Vorstellung. Ich favorisiere den Begriff der Körperpsychotherapie und möchte hier einen Vorschlag zu seiner Definition unterbreiten, der einige begriffliche Fallstricke vermeidet und in seinem Ausgangspunkt den eingangs genannten Definitionen der Tanz- und Bewegungstherapie ähnelt. In der Medizin verwendet man den Begriff Therapie semantisch auf zweierlei Art (Abb. 1). Zum einen spricht man von Therapie in Verbindung mit Begriffen, die das bezeichnen, was therapiert wird, zum anderen mit solchen, die angeben, mit welchem Mittel therapiert wird. So bedeutet „Krebstherapie“ oder „Aids- Therapie“ die Therapie der entsprechenden Krankheiten, während „Balneotherapie“ oder Körperpsychotherapie und Körpertherapie 4 | 2013 163 „Pharmakotherapie“ sich auf die therapeutischen Mittel beziehen. Ähnlich sprechen wir in der Psychotherapie von Traumatherapie, wenn wir die Folgen von Traumatisierungen behandeln, und von EMDR- oder Hypnotherapie, wenn wir mit den Mitteln des EMDR oder der Hypnose arbeiten. Psychotherapie Der Begriff der Psychotherapie wird oftim Sinne der ersten Begriffsklasse als „Heilverfahren zur Behandlung von psychosozial bedingten psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankungen, Störungen bzw. Leidenszuständen“ verstanden (Stumm 2000, 569). Diese Definition bezieht sich auf das Psychische, auf psychisches Leid als Gegenstand - das Was - der Behandlung. Sie ist allerdings unscharf, da Psychotherapeuten auch das seelische Leid von Krebspatienten behandeln, die zunächst körperlich erkrankt sind. Auch sind bei Krankheiten die Grenzen zwischen „körperlich“ und „seelisch“ und zwischen „organischen“ und „psychosozialen“ Bedingungen fließend. Freud verstand dagegen Psychotherapie im Sinne der zweiten Begriffsklasse als eine „Behandlung - seelischer oder körperlicher Störungen - mit Mitteln, welche zunächst und unmittelbar auf das Seelische des Menschen einwirken“ (1890, 17). Er wollte krankhafte Zustände von Menschen allein mit Hilfe des Wortes heilen oder lindern und sprach daher von „Redekur“. Freud schrieb ausdrücklich, der Begriff der „Psychischen Behandlung“ bedeute nicht, „krankhafte Erscheinungen des Seelenlebens“ zu behandeln (ebd.), und grenzte sich damit von einer Was-Definition von Psychotherapie ab. Psychotherapie als die Behandlung von Krankheiten oder Leidenszuständen mit psychischen Mitteln zu bezeichnen, wird der Tätigkeit von Psychotherapeuten mehr gerecht. Zu diesen Mitteln zählt allerdings nicht nur die Arbeit mit dem Wort, sondern auch die Arbeit mit Vorstellungen, mit Bildern oder mit der gelenkten Aufmerksamkeit. Ähnlich wie Freud definiert heute Wampold Psychotherapie als eine „primär interpersonelle Behandlung, die auf psychologischen Prinzipien beruht“ (2001, 3). Er fügt allerdings hinzu, dass diese Behandlung zwischen einem Therapeuten und einem Klienten stattfinde, „der eine seelische Störung, Problematik oder Beschwerde“ habe. So führt er beide Typen von Definitionen zusammen, wie Abb. 1: Definition der Körperpsychotherapie Therapie Krankheiten (z. B. Krebstherapie, Traumatherapie) Psychotherapie = (Behandlung mit psychischen Mitteln) Körpertherapie = (Behandlung mit Mitteln des Körpers) Körper-Psycho-therapie = (Behandlung mit Mitteln des Körpers und der Seele) Mittel der Behandlung (z. B. Chemotherapie, Pharmakotherapie) 164 4 | 2013 Ulfried Geuter auch Senf und Broda, wenn sie Psychotherapie als ein Handeln bezeichnen, „das mit psychologischen Mitteln und Methoden im Erleben und Verhalten zum Zwecke der Behandlung von seelisch bedingten Krankheiten oder deren Vorbeugung ansetzt“ (1996, 3). Körpertherapie Wenden wir Freuds Verständnis des Begriffs Psychotherapie auf den Begriff Körpertherapie an, wird auch dessen Sinn klarer. So wie Psychotherapie keine Behandlung der Seele ist, sondern eine Behandlung mit seelischen Mitteln, ist Körpertherapie eine Behandlung mit den Mitteln des Körpers - und nicht eine des Körpers. Historisch gesehen begannen am Ende des 19. Jahrhunderts Atemtherapeutinnen damit, Tuberkulose-Patienten allein mit Hilfe des Körpers des Patienten und ihres eigenen Körpers zu behandeln, ohne technische Hilfsmittel wie damals gängige Atem-, Bewegungs- oder Dehnungsapparate zu benutzen (Steinaecker 2000). Später entwickelten sich im Rahmen reformgymnastischer Bestrebungen Ansätze, Beschwerden allein mit Hilfe der bewussten Körperwahrnehmung in Ruhe und Bewegung zu lindern oder zu heilen, wie in der Arbeit von Elsa Gindler (Geuter 2000; Geuter et al. 2010). Aus diesem und anderen Ansätzen der Arbeit mit dem Körper gingen verschiedene Methoden der Körpertherapie hervor, die allein mit Hilfe des Körpers über Wahrnehmung, Tonus, Haltung, Bewegung oder Koordination Heilung und Linderung bewirken möchten. Im Unterschied zur Physiotherapie streben sie ein Gewahrsein für den Körper an und gehen davon aus, dass Heilung einer inneren Intelligenz des Organismus folgt (Johnson 2000). Dies gilt für Methoden wie Alexander-Technik, Rosen- Methode, Feldenkrais-Arbeit, Eutonie, Qigong oder Rolfing gleichermaßen. Körpertherapie (bodywork) kann in einer Weise praktiziert werden, dass die Aufmerksamkeit des Patienten für seine inneren Erfahrungen in das Zentrum gerückt wird und man während der Körperarbeit über innere Erfahrungen spricht (Blackburn / Price 2007). Dies kann psychisches Material wecken und psychische Prozesse günstig beeinflussen, etwa zu einer Beruhigung führen. In den Körpertherapien aber gibt es keine ausgearbeiteten Konzepte dazu, wie die auftauchenden seelischen Wirkungen der Arbeit auf seelischem Gebiet bearbeitet werden können. Systeme wie Feldenkrais, Rolfing oder Sensory Awareness verfügen weder über eine entsprechende Theorie noch über eine entsprechende Behandlungslehre. Daher ist Rolfing z. B. keine Körperpsychotherapie (Brecklinghaus 2010, 216). Das Gleiche gilt für das Sensory Awareness, das Charlotte Selver als eine psychagogische Methode verstand und nicht als Psychotherapie (Brooks 1979). Körpertherapeutische Methoden allerdings nähern sich oft der Körperpsychotherapie an (Caldwell 2006, 437), wie die Kommunikative Bewegungstherapie, die sich als eine psychotherapeutisch wirksame Bewegungstherapie versteht, sich aber auf Bewegungserfahrungen beschränkt und das therapeutische Gespräch über diese Erfahrungen ausdrücklich an die psychotherapeutische Gruppe verweist (Wilda-Kiesel et al. 2011, 27). In der Praxis ist die Grenze der Körpertherapie zur Körperpsychotherapie oft nicht scharf zu ziehen, weil Körperarbeit immer auch die Seele berührt. Körperpsychotherapie Aus dem genannten Verständnis der Begriffe Psychotherapie und Körpertherapie ergibt sich eine Definition des Begriffs der Körperpsychotherapie, die sich auf die Mittel der Behandlung bezieht und die meines Wissens nach Büntig (1992, 179) als erster aufgestellt hat: Körperpsychotherapie ist ein Verfahren, Krankheiten oder Leidenszustände mit körper- Körperpsychotherapie und Körpertherapie 4 | 2013 165 lichen und psychischen Mitteln zugleich zu behandeln. In der Körperpsychotherapie wird nicht zwischen der Körperarbeit in der Bewegungsgruppe und der Psychotherapie im Einzelgespräch getrennt, wie es oft in Kliniken geschieht. Im Unterschied zu den Körpertherapien ist die Körperpsychotherapie immer an der seelischen Bedeutung all dessen interessiert, was der Patient, auch körperlich, in einer Therapie erlebt. Daher arbeitet der Körperpsychotherapeut wie der Psychotherapeut immer auch mit psychischen Mitteln. Körperpsychotherapie schließt ein, die seelischen Inhalte, die ein Patient vorbringt, sowie die interpersonellen Geschehnisse in der therapeutischen Beziehung zu bearbeiten und zu klären und die mit ihnen verbundenen Probleme zu lösen. Im Unterschied zu anderen Psychotherapeuten aber interagiert der Körperpsychotherapeut auch auf einer körperlichen Ebene: Er beachtet den Körper des Patienten und arbeitet mit dessen Funktionen und Zeichen wie mit seinem Ausdruck und nutzt seine eigene körperliche Resonanz als Quelle der Information. Zwar werden auch in anderen Richtungen der Psychotherapie neben psychischen körperliche Mittel genutzt, etwa bei der Trance- Induktion in der Hypnotherapie oder bei der Arbeit mit der Körperaufmerksamkeit in der Gestalttherapie. Gegenüber diesen Verfahren besteht das Spezifische der Körperpsychotherapie aber darin, dass sie eine Arbeit mit den Mitteln des Seelischen und mit den Mitteln des Körperlichen systematisch und kontinuierlich in einer Behandlung zusammenführt und den Fokus immer sowohl auf die seelischen wie auf die körperlichen Strukturen und Prozesse richtet. Körperpsychotherapie ist zudem das einzige psychotherapeutische Verfahren, in dem der Psychotherapeut mit dem Patienten auch mit seinem eigenen Körper in Interaktion tritt. Den Patienten zu halten, mit ihm zu rangeln oder mit ihm gemeinsam etwas körperkommunikativ zu erkunden, gehört zum Setting dazu (Eberwein 2009, 89 ff ). Der hier unterbreitete Definitionsvorschlag vermeidet Unklarheiten, die sich aus einer öfter anzutreffenden Gegenüberstellung der Körperpsychotherapie zu den verbalen Therapien ergibt, etwa wenn die Körperpsychotherapie als extraverbale Methode bezeichnet wird (Müller-Braunschweig 1998, 202). Verbale Therapien arbeiten mittels des Wortes. Die Körperpsychotherapie ist aber kein nonverbales oder extraverbales Therapieverfahren, sondern eines, das sowohl die Worte als auch den Körper als Mittel der Therapie einsetzt. Humantherapie Die Definition der Körperpsychotherapie als eine Behandlung mit den Mitteln des Körpers und der Seele entwirrt auch andere Fallstricke, die sich aus einer Vermischung des Was mit dem Womit der Behandlung ergeben, des Gegenstands und der Mittel. Wenn Totton (2003, 136) bedauert, der Terminus Körperpsychotherapie beschreibe nicht wirklich, worum es gehe, nämlich um ein ganzheitliches Herangehen an das ganze menschliche Wesen, dann versucht er, den Gegenstand der Behandlung zu erfassen, den er an anderer Stelle als „bodymind“ (in einem Wort geschrieben) bezeichnet (ebd., 29). Mit seinem Begriff „holistic psychotherapy“ wiederum beschreibt er ein theoretisches Verständnis körperpsychotherapeutischer Arbeit. Auch Heller (2008) will diesen Gegenstand definieren und sieht ihn in den organismischen Regulationsvorgängen. Weil Körperpsychotherapie diese Regulationsvorgänge verändert, spricht er von organismischer Therapie. Petzold (2009, 40) begründet den Begriff der Leibtherapie unter anderem mit dem Argument, dass wir nicht den physiologischen Körper behandeln, sondern einen subjekthaften und personalen Leib. Wenn wir in der Körperpsychotherapie 166 4 | 2013 Ulfried Geuter vom Körper sprechen, ist allerdings immer der Körper gemeint, den ein Patient erlebt. Was wir behandeln, ist in der Psychotherapie aber weder die Seele noch der Leib, weder die Ganzheit noch der Organismus, sondern immer ein Mensch, der leidet, auch wenn es heute modern ist, in einer verdinglichenden Sprache nur noch von der Behandlung von Störungen zu sprechen. Wollen wir den Gegenstand unserer Behandlung bezeichnen, wäre allein der Begriff der Humantherapie - ähnlich dem der Humanmedizin - angemessen, den Petzold vorschlägt (2003, 19). Die Mittel, die für eine Humantherapie förderlich sind, gehen über die Psychotherapie, die Körpertherapie und die Körperpsychotherapie weit hinaus. Sie schließen die kreativen Methoden der Kunst- und Musiktherapie, Mototherapie, Ergotherapie, Soziotherapie, Familien- und Paartherapie oder Bibliotherapie ein, die alle dazu beitragen können, das Leiden von Menschen zu heilen oder zu lindern. Literatur Aposhyan, S. (2004): Body-Mind Psychotherapy. Principles, Techniques, and Practical Application. Norton, New York Barratt, B. B. (2010): The Emergence of Somatic Psychology and Bodymind Therapy. Macmillan, Basingstoke Blackburn, J., Price, C. (2007): Implications of Presence in Manual Therapy. Journal of Bodywork and Movement Therapies 11, 68-77 Blaser, A. (1991): Körperpsychotherapie: Eine Herausforderung? 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Entwurf eines universitären Curriculums nach dem Vorbild US-amerikanischer Studiengänge. Unveröff. Diss., Universität Marburg Der Autor Prof. Dr. Ulfried Geuter Psychologischer Psychotherapeut in freier Praxis in Berlin, Psychoanalytiker und Körperpsychotherapeut, a. pl. Professor im Masterstudiengang Motologie der Universität Marburg, Studienschwerpunkt Körperpsychotherapie. Lehrtherapeut, Lehranalytiker und Dozent am Institut für Psychotherapie Potsdam, Institut für Psychologische Psychotherapie und Beratung Berlin und Institut für Körperpsychotherapie in Berlin. Frühere Tätigkeiten in der psychologiegeschichtlichen Forschung und als Wissenschaftsjournalist. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen. Mitherausgeber von „körper - tanz - bewegung“. ✉ Prof. Dr. Ulfried Geuter Otto-von-Wollank-Str. 57 | D-14089 Berlin u.geuter@gmx.de