eJournals körper tanz bewegung 1/4

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2013.art16d
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2013
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Sind wir nicht alle ein bisschen ‚psycho‘?

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2013
Stefan Flach-Bulwan
„Voll krass – du bist ja echt total psycho“, bekam ein 11-jähriger Klient an seiner Schule zu hören – und das war bestimmt nicht schmeichelnd gemeint. Wer eine solche Äußerung wagt, sollte sich nach der aktuellen Rechtsauffassung in Deutschland in acht nehmen, ob er das Wortfragment „psycho“ überhaupt verwenden darf, ohne über den Vorwurf der Beleidigung hinaus eine Verwechslung mit geschützten Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen, nämlich „Psychotherapeut“, „Psychotherapie“ und „psychotherapeutisch“, zu riskieren. Nach der Meinung von Günter Jerouschek (Jerouschek/Eichelberger 2004) beinhaltet nahezu jede Verwendung des Wortes oder Wortteils „psycho“ einen Straftatbestand, sofern sie nicht gesetzeskonform erfolgt. Dabei handelt es sich bei Jerouschek keineswegs um einen Psychotherapeuten, der um seine werbewirksame, anerkannte und Gewinn bringende Titelhoheit fürchtet, sondern um einen Juristen, den Herausgeber eines Kommentares zum Psychotherapeutengesetz (Jerouschek 2003) und Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Geschichte des Strafrechts an der Universität Jena. [...]
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Forum: Recht & Finanzen körper - tanz - bewegung 1. Jg., S. 169-175 (2013) DOI 10.2378 / ktb2013.art16d © Ernst Reinhardt Verlag 169 Sind wir nicht alle ein bisschen „psycho“? Berufsbezeichnungen nicht-approbierter Therapeuten Stefan Flach-Bulwan menhang in die Zeit vor dem 1. Januar 1999, vor dem In-Kraft-Treten des „Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten“, von Seiten des Gesetzgebers auch als „Psychotherapeutengesetz“ bezeichnet und „PsychThG“ abgekürzt. Diese Norm hat ab 1999 neben Klarheit auch viel Verwirrung und Rechtsunsicherheit geschaffen, deren höchstrichterliche Klärung noch aussteht. Begleiten Sie mich in diese vergangene (und im Sinne des Patientenschutzes vor Scharlatanerie keineswegs „gute, alte“) Zeit, in der die Berufsbezeichnung Psychotherapeut weder geschützt noch für eine bestimmte Berufsgruppe reserviert war. Ich selbst gründete 1997 nach 12-jähriger klinischer Tätigkeit und erlangter „Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde - nur Psychotherapie“ eine ambulante Praxis für Musiktherapie. Völlig legal ließ ich die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ auf das Werbeschild an der Hauswand schreiben, auf Kugelschreiber und Briefpapier drucken. Der Grund dafür war keineswegs die eklektizistische oder narzisstische Verwendung einer nicht geschützten Berufsbezeichnung, sondern die Überzeugung, eben genau diesen Beruf unter Verwendung eines überwiegend nonverbalen künstlerischen Mediums auszuüben (zur aktuellen Situation Flach-Bulwan (2010), 37-60). „Voll krass - du bist ja echt total psycho“, bekam ein 11-jähriger Klient an seiner Schule zu hören - und das war bestimmt nicht schmeichelnd gemeint. Wer eine solche Äußerung wagt, sollte sich nach der aktuellen Rechtsauffassung in Deutschland in acht nehmen, ob er das Wortfragment „psycho“ überhaupt verwenden darf, ohne über den Vorwurf der Beleidigung hinaus eine Verwechslung mit geschützten Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen, nämlich „Psychotherapeut“, „Psychotherapie“ und „psychotherapeutisch“, zu riskieren. Nach der Meinung von Günter Jerouschek (Jerouschek/ Eichelberger 2004) beinhaltet nahezu jede Verwendung des Wortes oder Wortteils „psycho“ einen Straftatbestand, sofern sie nicht gesetzeskonform erfolgt. Dabei handelt es sich bei Jerouschek keineswegs um einen Psychotherapeuten, der um seine werbewirksame, anerkannte und Gewinn bringende Titelhoheit fürchtet, sondern um einen Juristen, den Herausgeber eines Kommentares zum Psychotherapeutengesetz (Jerouschek 2003) und Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Geschichte des Strafrechts an der Universität Jena. Früher konnten wir TherapeutInnen uns „Psychotherapeut“ nennen, ohne von Geld- oder Gefängnisstrafe bedroht zu sein. Das Wörtchen „früher“ weist in diesem Zusam- 170 4 | 2013 Stefan Flach-Bulwan Nach der Verabschiedung des Heilpraktikergesetzes (HPG) im Jahr 1939 durften Ärzte und Heilpraktiker im Rahmen ihrer Kurierfreiheit die Heilkunde ausüben. Daneben hatte sich über Jahrzehnte hinweg ein weiterer eigenständiger Heilberuf der heilkundlichen Psychotherapieausübung aus der Psychologie heraus entwickelt. Der neu entstandene Beruf war nach letztinstanzlicher Rechtsprechung keineswegs nur Psychologen vorbehalten. Dieser entsprach und entspricht weder dem Berufsbild des Arztes noch dem des Heilpraktikers und setzt deren Kenntnisse nicht voraus. Er kann also auch unabhängig davon ausgeübt werden. Daher wurde ein Weg gesucht, diesen neu entstandenen, eigenständigen und durch die Berufsfreiheit (Art. 12 Grundgesetz) geschützten Beruf als weiteren Heilberuf zu etablieren. Bisher war neben dem Arztberuf mit staatlicher Approbation die Ausübung der Heilkunde nur mit einer Erlaubnis nach dem HPG legal möglich. Allerdings sah und sieht das HPG eine Erlaubnis auf ein begrenztes (Teil-) Gebiet der Heilkunde nicht vor. Erst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts haben dazu in Analogie zum HPG die Möglichkeit geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht sah die Möglichkeit, dass in Anlehnung an das HPG und nach einer Überprüfung (also sinngemäßer Anwendung der Durchführungsverordnung) für den neuen Heilberuf eine auf ein Teilgebiet der Heilkunde „beschränkte Erlaubnis“ erteilt werden könne. Es handelt sich also um ein eigenständiges Berufsbild, das nicht aus dem des Heilpraktikers erwachsen ist und auch keinen durch Einschränkung „kleinen Heilpraktiker“ darstellt. Somit war und ist - entgegen der üblichen Handhabung - für diesen neuen Beruf die Führung der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ (§ 1, Abs. 3 HPG) nicht möglich, da das neue Berufsbild der heilkundlichen Psychotherapieausübung mit den Erwartungen, die die Bezeichnung Heilpraktiker erweckt, nicht übereinstimmt. Diese Bezeichnung ist für den neu entstandenen Beruf falsch und irreführend. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat Regelungen erlassen, wie die Erlaubnis zur Ausübung der Psychotherapie in Anlehnung an das HPG zu erteilen sei und für diese Personengruppe - ohne Berücksichtigung der Vorbildung - den Begriff „nichtärztliche Psychotherapeuten“ verwendet. So wurde von ungezählten Kollegen bis Ende 1998 die Berufsbezeichnung (nichtärztlicher) „Psychotherapeut“ zutreffend geführt und gerade dadurch einer Verwechslungsgefahr vorgebeugt. Seit Inkrafttreten des PsychThG ist diese Berufsbezeichnung reserviert für „Psychologische Psychotherapeuten“, „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten“ und Ärzte: „Wer die heilkundliche Psychotherapie unter der Berufsbezeichnung „Psychologische Psychotherapeutin“ oder „Psychologischer Psychotherapeut“ oder die heilkundliche Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie unter der Berufsbezeichnung „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin“ oder „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut“ ausüben will, bedarf der Approbation als Psychologischer Psychotherapeut oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. […] Die Berufsbezeichnungen nach Satz 1 darf nur führen, wer nach Satz 1 oder 2 zur Ausübung der Berufe befugt ist. Die Bezeichnung „Psychotherapeut“ oder „Psychotherapeutin“ darf von anderen Personen als Ärzten, Psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nicht geführt werden.“ (§ 1, Abs. 1 PsychThG) Nur wer die engen Grenzen erfüllte, durfte und darf also fortan den geschützten Titel „Psychotherapeut“ tragen, dessen unberechtigte Führung durch das Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe gestellt wurde (Flach-Bulwan 2010): Sind wir nicht alle ein bisschen „psycho“? 4 | 2013 171 „Wer unbefugt inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt, die Berufsbezeichnung Arzt, Zahnarzt, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut, Tierarzt, Apotheker, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter führt, die Bezeichnung öffentlich bestellter Sachverständiger führt oder inländische oder ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen trägt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ (§ 132a, Abs. 1 StGB) Die unberechtigte Führung aller drei Bezeichnungen (Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut) wird also durch § 132a StGB unter Strafe gestellt. Ich sah mich im Jahr 1998 durch das im Entwurf vorliegende PsychThG und durch die geplante Novellierung des § 132a StGB in den Möglichkeiten meiner bisher freien Berufsausübung und daraus resultierenden Freiheit der Führung einer Berufsbezeichnung eingeschränkt, meine berufliche Existenz und meinen Besitzstand bedroht und wandte mich deshalb 1999 an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Von dort erhielt ich die Auskunft, dass durch das PsychThG nur die Berufsbezeichnungen geschützt und reserviert werden, jedoch keine Beschränkung der Tätigkeitsausübung damit verbunden ist. Ich dürfe also weiterhin psychotherapeutisch arbeiten und auch eine psychotherapeutische Praxis führen und diese auch so benennen. Ich dürfe eben nur die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ nicht mehr führen. Somit sei mein Grundrecht der freien Berufsausübung (Art. 12 GG) nicht bedroht und mein Besitzstands gewahrt. So weit, so gut - abgesehen davon, dass ich Erklärungsnöte auf mich zukommen sah: Wie sollte ich einem Patienten vermitteln, dass ich psychotherapeutisch arbeite, ohne jedoch Psychotherapeut zu sein? Das Führen der Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ war mir untersagt, das Führen der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker für Psychotherapie“ ausgeschlossen. Weiter eingrenzend und die gesamte Materie verkomplizierend wurde im StGB formuliert: „Den in Absatz 1 genannten Bezeichnungen, akademischen Graden, Titeln, Würden, Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.“ (§ 132a, Abs. 2 StGB) Welche Begriffe sind der Bezeichnung „Psychotherapeut“ zum Verwechseln ähnlich? Der Gesetzgeber hat weder einen Katalog solcher Verwechslungen noch auch nur typische Beispiele benannt. Inzwischen hat sich die Rechtsauffassung herausgebildet, dass eine Verwechslungsgefahr insbesondere dann besteht, wenn andere Begriffe und Bezeichnungen durch den geschützten ergänzt werden. Damit schließt sich „Psychotherapeut (nach dem Heilpraktikergesetz)“ ebenso aus wie „naturheilkundlicher Psychotherapeut“, „heilpraktischer Psychotherapeut“ oder „Psychotherapeut (HPG)“, abgesehen davon, dass diese Bezeichnungen rechtlich falsch und irreführend sind sowie letztere für den Bürger aufgrund der nur Fachleuten geläufigen Abkürzung unverständlich und daher nicht führbar ist. Weitere Verwechslungsgefahr wird angenommen, wenn der geschützte Begriff in andere Worte eingesetzt wird. § 132a, Abs. 2 StGB untersagt damit beispielsweise die Bezeichnungen „Tanzpsychotherapeut“, „Musikpsychotherapeut“, „Kunstpsychotherapeut“ und „Künstlerischer Psychotherapeut“. Soweit sollten keine (Rechts-)Unsicherheiten bestehen, doch sind mir weiterhin zahlreiche Werbeträger (Flyer, Briefpapier, Visitenkarten, Buchklappentexte und Webseiten) 172 4 | 2013 Stefan Flach-Bulwan bekannt geworden, in denen weiterhin und trotz Strafbewehrung die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ ohne Vorliegen einer Approbation geführt wird. Es deuten sich nun zusätzliche Problematiken an: Die Wortneuschöpfung „Psychologischer Psychotherapeut“ suggeriert eine Psychotherapeutendiversität: Warum muss ein „Psychotherapeut“ als „Psychologischer Psychotherapeut“ bezeichnet werden, wenn es nicht eine Anzahl weiterer und deutlich unterscheidbarer „Psychotherapeuten“ gibt? Ich bin versucht, dem „Psychologischen Psychotherapeuten“ als logischen wie notwendigen Gegenentwurf den „Künstlerischen Psychotherapeuten“ gegenüber zu stellen. Doch weit gefehlt: Der Oberbegriff „Psychotherapeut“ umfasst über die „Psychologischen“ hinaus nur die nah verwandten „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten“ und Ärzte (§ 1, Abs. 1, Satz 4 PsychThG). Das PsychThG hat nahezu ein Psychotherapeutenmonopol geschaffen. Auch wenn der Gesetzestitel durch die Formulierung „psychologische Psychotherapie“ suggeriert, es gäbe auch andere (nichtpsychologische Psychotherapeuten), handelt es sich faktisch um eine Monokultur. Über die Ein- und Abgrenzung hinaus, ist nun offenbar zusätzlich eine Hierarchisierung entstanden: Je enger die Rechtsnorm des § 132a StGB ausgelegt wird, umso mehr angrenzende Berufsgruppen wären auch gerne „psycho“. Festzuhalten bleibt, dass bis kurz vor Ende des letzten Jahrhunderts Ausbildung, Zulassung und Ausübung der Psychotherapie unzureichend geregelt waren, wodurch sich eine Spielwiese zur Frage der Führung von Titeln, Bezeichnungen, nicht-akademischen Graden, Tätigkeiten, Fachgebieten und Praxisnamen ergab. Nun hat zwar das PsychThG Klarheit in vielen Detailfragen gebracht und zeigt Auswirkungen bis hinein in das StGB, doch ist eine Folge davon offenbar eine weitgehende Ignorierung der Rechtslage, eine Zuspitzung des Machtkampfes zwischen konkurrierenden Berufsgruppen, eine Tabuisierung möglicher Konsequenzen (mit der Folge der Entstehung und Verbreitung zahlreicher Halb- und Unwahrheiten) sowie eine massive Verschärfung des Umgangstones untereinander bis hin zur Denunzierung. Mir wurden einige Fälle bekannt, in denen Berufskollegen durch Anwälte, Vereinsjuristen, Behörden oder Staatsanwälte aufgefordert wurden, die Firmierung ihrer Arbeitsstätte als „Psychotherapeutische Praxis“ innerhalb kürzester Frist zu ändern und zum Nachweis neues Informations- und Werbematerial sowie Briefpapier vorzuweisen. Mehrmals wurde ich mit dem Verdacht konfrontiert, Berufs- und Fachverbände der Psychologischen Psychotherapeuten würden ihre Mitglieder auffordern, in der Wohn- und Arbeitsumgebung nach konkurrierenden Praxisschildern Ausschau zu halten und das Ergebnis möglichst mit Foto ihrer Verbandsgeschäftsstelle zur weiteren Intervention mitzuteilen. Jerouschek und Eichelberger (2004) führen dazu aus: „Während dies nach einer Ansicht eine Monopolisierung der Psychotherapie in den Händen des genannten Personenkreises darstellt, sieht die Gegenansicht darin lediglich eine Einschränkung der Verwendungsbefugnis der neu geschaffenen Berufsbezeichnungen. Diese Kontroverse muss […] nicht vertieft werden, denn jedenfalls ist unstreitig, dass die Verwendung der […] Berufsbezeichnungen nur den Berechtigten vorbehalten ist (§ 1, Abs. 1, S. 4 PsychThG).“ Dabei wird von den Autoren wenig gewürdigt, dass es sich eben nicht um neu geschaffene Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen handelt, sondern diese sehr wohl auch vor Inkrafttreten des PsychThG bestanden und genutzt wurden. Von den Psychotherapeutenkammern und entsprechenden Fach- und Berufsverbänden wird darauf hingewiesen, dass auch die Umwandlung der Berufsin eine Tätigkeitsbezeich- Sind wir nicht alle ein bisschen „psycho“? 4 | 2013 173 nung für fachliche nicht versierte Bürger und Behandlungssuchende eine erhebliche Verwechslungsgefahr birgt. „Psychotherapeut“ und „Psychotherapie“ stünden sprachlich und schriftbildlich so eng beieinander, dass zu bezweifeln sei, ob der feine Unterschied überhaupt bemerkt werde. Dabei ist für den Straftatbestand des § 132a, Abs. 2 StGB weder eine Täuschungsabsicht noch eine tatsächlich stattgefundene Täuschung erforderlich. Es genügt, dass die Bezeichnung für eine Verwechslung geeignet ist. Es wird außer der Zeichenähnlichkeit auch auf den Sinngehalt abgestellt: Somit kann auch eine frei erfundene Bezeichnung zum Verwechseln ähnlich sein, wenn sie das Schlüsselwort „psychotherap …“ enthält oder inhaltlich umschreibt. Nun ist zwar richtig, dass „Psychotherapeut“ und „Psychotherapie“ zum Verwechseln ähnliche Begriffe sind, doch darf meines Erachtens nicht unberücksichtigt bleiben, dass es im ersten Fall um eine Berufsbezeichnung, im zweiten um ein Tätigkeitsfeld handelt. Der Gesetzgeber hatte offenbar vor, eine Berufsbezeichnung zu schützen und diese einem definierten Personenkreis vorzubehalten. Diesen Tenor hatte auch die bereits angeführte Auskunft des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1999. Sollte es die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, die Tätigkeit zu schützen, wäre zu fragen, warum ein Psychotherapeutengesetz erlassen wurde und kein Psychotherapiegesetz. Wie schon dargestellt wird der Umgang zwischen benachbarten und konkurrierenden Berufsgruppen rauer. Die Befürworter einer strengen (bzw. engen) Rechtsauslegung erhalten Argumentationshilfe durch den bereits zitierten Artikel von Jerouschek und Eichelberger (2004). In dieser Publikation stellen Jerouschek und Eichelberger dar, auch die Bezeichnungen „Psychotherapeutische Praxis“ und „Praxis für Psychotherapie“ würden ein Verwechslungspotential bergen (S. 602). Übersehen wird dabei meines Erachtens, dass zwar eine Verwechslung der Begriffe „Psychotherapeut“ und „psychotherapeutische Praxis“ besteht, jedoch niemand annehmen wird, es handele sich bei „psychotherapeutische Praxis“ um eine Berufsbezeichnung. Die Verwechslungsgefahr zwischen Berufsbezeichnung und Tätigkeitsfeld hat der Gesetzgeber zu verantworten. Folgt man den Autoren weiter, würde auch die Verwendung des Begriffes „Psychotherapie“ unter Hinweis beispielsweise auf das Heilpraktikergesetz den Straftatbestand des § 132a StGB erfüllen, da dem Behandlungssuchenden nicht zumutbar sei, sich mit den unterschiedlichen Zulassungen und damit verbundenen Qualifikationen des Therapeuten vertraut zu machen. So gehen Jerouschek und Eichelberger de facto davon aus, dass allein die Verwendung der Schlüsselworte „psychotherapeutisch“ und „Psychotherapie“ auch in adjektivischer und zusammengesetzter Form strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könne. Nahezu ironisch ist, dass meine Ausführungen zu legalen und kritischen Bezeichnungen in einer Publikation mit dem Untertitel „Zeitschrift für Körperpsychotherapie“ erscheinen. Durch die Einladung der Schriftleitung fühle ich mich in meinem Widerstand gegenüber vorauseilendem Gehorsam sehr verstanden. Jerouschek und Eichelberger entfernen sich jedoch weit von der Absicht des Gesetzgebers, eine Berufsbezeichnung zu schützen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der genannte Artikel in einer Zeitschrift für Medizinrecht veröffentlicht wurde. Eine ähnlich lautende Publikation von Eichelberger erschien im Deutschen Ärzteblatt (2003) - eine Adressatorientierung ist also durchaus nicht auszuschließen. Ein Wechsel auf die Verbandswebseiten des „Verbandes freier Psychotherapeuten [sic! ], Heilpraktiker für Psychotherapie [sic! ] und Psychologischer [sic! ] Berater e. V.“ (www.vfp.de) ändert die Blickrichtung: Dort wird berichtet vom „derzeitigen Versuch der Psychotherapeu- 174 4 | 2013 Stefan Flach-Bulwan tenkammern der approbierten Psychotherapeuten, sich berufspolitisch (auch durch Abmahnverfahren) zu positionieren“. Genannt werden eine Abmahngebühr von 200 Euro und eine in der zu unterzeichnenden Unterlassungserklärung angedrohte Vertragsstrafe von 5.000 Euro. Auf derselben Webseite wird darauf hingewiesen, dass ein (nicht genanntes) Gericht die Bezeichnung „Heilkpraktiker/ in Psychotherapie“ wettbewerbsrechtlich für unbedenklich hielt (www.vfp.de/ verband/ Verbandszeitschrift/ alle-ausgaben/ 30-heft-01- 2007/ 127-berufs-und-praxisbezeichnungen-. html, 28.04.2012). Die Differenzierung wie Grenzziehung wird also den Gerichten überlassen bleiben. Drohen nun bei Führung von Bezeichnungen, die das Schlüsselwort „Psychotherapeut“ - auch in erweiterter und adjektivierter Form - enthalten, tatsächlich Strafen bis hin zum Freiheitsentzug (§ 132a StGB)? Jein. Natürlich hat der Gesetzgeber die Strafandrohung so gemeint, wie sie auch formuliert ist. Doch setzt das Strafrecht voraus, dass der unrechtmäßig Handelnde sich der Unrechtshandlung bewusst ist (sog. „Verbotsirrtum“): „Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.“ (§ 17, S. 1 StGB) Im Fall des § 132a, Abs. 1 StGB ist deutlich für jedermann zu erkennen: Der Berufstitel „Psychotherapeut“ ist geschützt, eine unberechtigte Führung unter Strafe gestellt. Schwieriger wird es bei der Verwendung zur Verwechslung ähnlicher Bezeichnungen (§ 132a, Abs. 2 StGB): Dem Beschuldigten ist möglicherweise nicht klar, dass nach strenger Rechtsauslegung sein Fall unter der Vorschrift des § 132a, Abs. 2 StGB zu fassen ist - er begeht einen „Subsumtionsirrtum“. Allerdings kann er sich nur einmal darauf berufen … Eine Lösung des Problems bieten wiederum Jerouschek und Eichelberger (2004): „Im Übrigen muss es nicht unbedingt von Nachteil sein, sich durch eine entsprechende Berufsbezeichnung deutlich von den ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten abzuheben und sich mit seinen speziellen Kenntnissen und Fähigkeiten eigenständig am Markt zu positionieren“ (S. 606). Lassen Sie uns also im Rahmen der beruflichen Identitätsfindung reflektieren, warum gerade nicht-approbierte Therapeuten so sehr auf die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ schielen und große Anstrengungen unternehmen, diese durch Abwandlung, Umschreibung und Hinzufügung halbbis illegal zu führen (auch wenn das Ergebnis in vielen Fällen gekünstelt wirkt). Durch eine eigenständige Positionierung wäre es weiterhin möglich, den „Psychotherapeuten“ die „Körper-, Tanz-, Bewegungs-, Musiktherapeuten“ oder auch die Gruppe der „Künstlerischen Therapeuten“ gegenüber zu stellen - in dem Wissen, dass all diese (auch) psychotherapeutisch arbeiten (können). Aufgabe ist also nicht die Reizung oder Schwächung der Psychotherapeuten, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie ärztlichen Psychotherapeuten, sondern die Stärkung der eigenen beruflichen Identität, Konzeptualisierung und Verankerung. Literatur Eichelberger, J. (2003): Zum Verwechseln ähnlich. PP Deutsches Ärzteblatt 10, 455 Flach-Bulwan, S. (2010): Musiktherapie und Recht. Reichert, Wiesbaden Jerouschek, G. (Hrsg.) (2003): Kommentar zum Psychotherapeutengesetz. C. H. Beck, München Jerouschek, G., Eichelberger, J. (2004): Straf- und wettbewerbsrechtliche Aspekte der Berufsbezeichnungen für Psychotherapeuten. MedR 11, 600-605 Verband freier Psychotherapeuten, Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater e. V.: Berufs- und Praxisbezeichnungen. In: www.vfp.de/ Sind wir nicht alle ein bisschen „psycho“? 4 | 2013 175 Der Autor Stefan Flach-Bulwan Musiktherapeut DMtG; Dozent für Musik, Musiktherapie sowie Berufs- und Leistungsrecht für Künstlerische Therapieverfahren; Vorsitzender des Berufsverbandes der Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten in Deutschland e. V., BVM (2003- 2008); Berufsständischer Beirat der Deutschen musiktherapeutischen Gesellschaft e. V., DMtG (2008-2009). ✉ Stefan Flach-Bulwan wirkstatt@arcor.de verband/ Verbandszeitschrift/ alle-ausgaben/ 30heft-01-2007/ 127-berufs-und-praxisbezeichnungen-.html, 28.04.2012 Gesetzestexte: www.gesetze-im-internet.de Künstlerische Therapien in der Onkologie Weiterbildung für Tanz-, Kunst- und Musiktherapeuten Modul I R 7.2. - 9.2.2014 Basiswissen, Krankheitsbelastungen und -verarbeitung Modul II R 7.3. - 9.3.2014 Sterben und Tod, Familie und soziales Netz Gesamtkosten für beide Module: 570,- Euro Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft 53347 Alfter bei Bonn — Tel. 0 22 22 . 93 21-18 08 kunsttherapie-fortbildungen@alanus.edu www.alanus.edu/ onkologie - Anzeige -