eJournals körper tanz bewegung 2/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Aus der Praxis: (Bewegungs-)Medien in der Tanztherapie

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Stephan Roebers
Bewegungsmedien oder Bewegungsrequisiten sind für ­TanztherapeutInnen hilfreiche Objekte und können den Entwicklungsfortschritt einer Therapie durch verschiedene therapierelevante Erfahrungen im Kontakt mit dem ­Medium fördern. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Medien, ihren Platz im Rahmen des Handwerkszeugs von TanztherapeutInnen, ihre Wirkungsweise und Nutzung auch in der Überschneidung zu angrenzenden therapeutischen Verfahren. Einige kurze Praxisbeispiele zeigen die Vielseitigkeit der Anwendungsmöglichkeiten.
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73 körper - tanz - bewegung 2. Jg., S. 73-79 (2014) DOI 10.2378 / ktb2014.art12d © Ernst Reinhardt Verlag Forum: Aus der Praxis (Bewegungs-)Medien in der Tanztherapie Einige Einblicke in die komplexen Anwendungsmöglichkeiten von Bewegungsmedien in der tanztherapeutischen Arbeit Stephan Roebers M edien in der Tanztherapie sind Vermittler: Sie können als Bewegungsmedien direkt an der Gestaltung von Bewegung beteiligt sein, können aber auch als Gegenüber oder als strukturierendes Element im Raum oder der Bewegung, der Gruppe fungieren. Medien fördern Kreativität (Mayer- Ostrow 1994). Jedes Medium hat dabei seine spezifische Qualität oder Form und vermittelt Bewegungsentwicklungen sowie Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten, die zum jeweiligen Medium passen. Auf emotionaler und assoziativer Ebene verbinden sich die Bewegungen mit entsprechenden inneren Themen. So kann das Medium zu einem Partner des Tänzers / Patienten in der Bewegung werden, der ihn unterstützt, ihn erinnert, herausfordert, beruhigt etc. Ein Medium kann auch ein Zwischenschritt oder Übergangsobjekt, also eine Hilfe sein, wenn es zu schwie- Bewegungsmedien oder Bewegungsrequisiten sind für TanztherapeutInnen hilfreiche Objekte und können den Entwicklungsfortschritt einer Therapie durch verschiedene therapierelevante Erfahrungen im Kontakt mit dem Medium fördern. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Medien, ihren Platz im Rahmen des Handwerkszeugs von TanztherapeutInnen, ihre Wirkungsweise und Nutzung auch in der Überschneidung zu angrenzenden therapeutischen Verfahren. Einige kurze Praxisbeispiele zeigen die Vielseitigkeit der Anwendungsmöglichkeiten. Schlüsselbegriffe Tanztherapie, Laban Bewegungsanalyse, Kestenberg Movement Profile, Symbolisierung, Übertragungsobjekte, Bewegungsmedien Movement props in dance / movement therapy Movement props are useful tools for dance therapists and can promote the progress of therapy through therapeutically relevant experiences whilst working with those media. This paper gives an overview of the major props, their value in the context of dance therapy, their effect, usefulness and clash with related other therapeutic approaches. Some brief case studies are used to sum up the versatility of the applications. Key words dance therapy, Laban Movement Analysis, Kestenberg Movement Profile, symbolisation, transitional objects, props 74 2 | 2014 Stephan Roebers rig ist, sich direkt mit konkreten Ereignissen oder mit realen Personen, die nicht anwesend sind, zu konfrontieren. Grundsätzlich kann jedes Objekt zu einem Medium werden, wenn der Mensch / Patient sich auf eine der folgenden Aspekte einlassen kann: ● die konkrete Begegnung mit dem Medium und den Bewegungsimpulsen, die damit verbunden sind ● die symbolische Bedeutung, die das Medium als Objekt in der Beziehung bekommen kann ● die Gestaltung dieser Beziehung oder die Repräsentanz bzw. Veränderung von Beziehungsthemen innerhalb einer Gruppe durch das Medium Der vorliegende Artikel bezieht sich hauptsächlich auf die Nutzung der Basismedien Stab, Tuch, Seile / Filzbänder, Bälle, Schwungtuch, Gummiband (ein 20-25 cm breites Gummiband, das als Ring zusammengenäht wurde) sowie Rondo-Tuch / CoOper Blanket (Lycrabandring mit einer Breite von 80 oder 120 cm) und soll das Wirkungsgeflecht der Arbeit mit Medien differenzieren und Anregungen geben, verschiedene Möglichkeiten des Medieneinsatzes auszuprobieren. Folgende Themen werden angesprochen: Bewegungsentwicklung, Verwandlung / Symbolisierung, Objektbeziehung, Archetypen, Beziehungsregulation und Aspekte von Gruppendynamik und Setting. Diese Bereiche wurden vom Autor in der Praxis als besonders relevant erlebt. Reifung und Bewegungsentwicklung Jedes Medium ist durch seine Beschaffenheit mit bestimmten Bewegungsmustern und -qualitäten verbunden. 1. Spannungsflussrhythmen nach Kestenberg: Medien sind affin zu Rhythmen nach dem Kestenberg Movement Profile (KMP; Bender 2010). Die Zuordnung ist dabei recht einfach: Flexible, anpassungsfähige Medien (z. B. Seile, Tücher) passen eher für libidinöse Rhythmen, formstabile Medien (hauptsächlich Stäbe, evtl. Bälle) tendenziell eher zu aggressiven Rhythmen (parallel zur Anpassung, siehe unten bei Beziehungsregulation). Ein 30-Jähriger, der sich über das spielerische Geschehen zwischen Nähe und Distanz mit Hilfe eines Seils zunächst lustvoll ein- und verwickelt, findet sich in einer gebückten Position wieder und nimmt in dieser Position Fragmente, Ahnungen von grenzüberschreitenden, traumatischen inneren Bildern wahr. 2. Antriebe nach Laban, Bewegungsdynamik, Ausdruck (Bender 2010): Die Erforschung und Nutzung verschiedener Medien trägt zur weiteren Differenzierung der Bewegung bei. Dabei kann die Reifung des Ausdrucks über die Vorantriebe zur Ausprägung reifer Antriebe und somit zu einer größeren Breite emotionalen Ausdrucks beitragen. Abhängig von der Beschaffenheit und den Eigenschaften des Materials der Medien werden emotionale Inhalte ausdrückbar und emotionale Selbststeuerung und -kontrolle möglich (z. B. Tücher: Sanftheit, (Be-)Sinnlichkeit, Flexibilität, Trauer, Leichtigkeit. Stäbe: Klarheit, Grenzen, Kraft, Wut, Fokussierung etc.). So können bei emotionalen oder assoziativen Inhalten in der Handlungsinszenierung sowohl Emotionalität als auch Kontrolle durch motorische Selbststeuerung erprobt werden. Eine 30-jährige Frau mit komplexen Traumatisierungen verteidigt ihren Raum, blockt mit viel Spaß und Freude Bälle verschiedener Art ab, die ich in ihren Raum werfe, und schmeißt die Bälle kraftvoll weg (Bahnung und Aktivierung ankämpfender Antriebe, die sonst gebunden sind). (Bewegungs-)Medien in der Tanztherapie 2 | 2014 75 3. Kinesphäre (Bender 2010; Rollwagen 2010): Medien können dabei unterstützen, sich auf verschiedene Art mit dem persönlichen Umraum, der Kinesphäre, in Beziehung zu setzen. Die Etablierung einer stabilen und sicheren Beziehung zur eigenen Kinesphäre unterstützt das Gefühl des Rechts auf Selbstbestimmung dieses Raumes. Mit Hilfe von Stöcken kann Raum vergrößert und beherrscht werden, durch das Auslegen von Seilen kann dauerhaft markiert und dadurch für jeden sichtbar abgegrenzt werden, mit Hilfe von Tüchern in Bewegung kann der Rauminhalt gefüllt, der Raum ausgefüllt und mit der eigenen Bewegung und Präsenz angereichert werden, auch als eine Form der Inbesitznahme. Diese aktive Bezugnahme zur Umwelt, zum eigenen Raum, bekommt durch die Zeugenfunktion des Therapeuten noch einmal mehr Kraft, gibt dem psychischen System des Patienten neue Informationen über die Möglichkeiten der Bezugnahme zur Umwelt und stärkt die Handlungs- und Wahlfreiheit des Verhaltens und die Selbstwirksamkeitserfahrung. Ein junger engagierter Psychologe spürt im Seilkreis körperlich, dass er im Alltag mit seinen ehrgeizigen Plänen gar nicht bei sich ist und sich verliert. Er beginnt, seinen inneren Bezug zu entwickeln, und fängt an, seine ehrgeizigen Pläne auf dem Hintergrund der Kompensation von Schuldgefühlen zu erkennen. Verwandlung / Symbolisierung Das Medium steht für einen konkreten Gegenstand oder für eine Kraft, eine „Energie“: z. B. ein Stab für ein Schwert oder ein Reispapierball für etwas Zerbrechliches oder Schönes. Der Tänzer begibt sich in eine imaginative Welt, kann darin neue Bewegungsmöglichkeiten entdecken und sein Bewegungsrepertoire erweitern. Medien, die neutral sind, geben Raum für unterschiedliche Symbolisierungen, für Prozesse der Bedeutungsgebung (aktiv) oder der Erinnerung (rezeptiv). Ein Stab kann von Anfang an z. B. als Stütze eingeführt werden, womit mögliche Erfahrungen als Mittel körperlicher Gewalt entkoppelt werden können. Medien, die wenig in ihrer Bedeutung personalisiert sind, bieten eine Repräsentanz für die innere Suchbewegung an, in der Neues mit therapeutischer Relevanz in die Wahrnehmung treten und durch Ausdruck in Bewegung und / oder Sprache in neue innere Zusammenhänge integriert werden kann (siehe Grundprinzipien Gestalttherapie: Perls 1991). In dem Maße, wie sich durch ein Medium Bewegung, Emotion und innere Bilder zu lebendiger Erinnerung verdichten, können Erfahrungen integriert und in einen ordnenden Prozess überführt werden, in dem schöpferische Anpassung geschehen kann (Perls 1991). Sehr klar in ihrer Bedeutung definierte Medien grenzen die Bedeutung des Objekts ein und sind direkt und konkret in ihrer symbolischen Aussage. Sie eignen sich im Therapieprozess oft in Phasen der Konfrontation und Integration. Je konkreter die Bedeutung mit den Lebenserfahrungen identifiziert werden kann, umso mehr kann ein Wandlungs-, Verarbeitungs- oder Integrationsprozess in Bewegung kommen, in dem Erfahrungen und Beziehungen neu bewertet, Zusammenhänge neu erschlossen oder neue Handlungs- oder Beziehungsmodelle erprobt werden können. Im besten Fall hat mithilfe des Mediums oder gegenüber dem Medium ein Reifungs- und Entwicklungsprozess stattgefunden, der Veränderungen in der Selbstidentifikation und der Beziehungsnahme ermöglicht. Eine Patientin, Mitte 40, bricht durch den Anblick eines Chaos von Seilen, das sie vorher im Raum verteilt hat, in Tränen aus und hat Assoziationen eines Schlachtfeldes. Durch das Zudecken der Seile mit Tüchern kann sie im weiteren Verlauf Frieden finden. 76 2 | 2014 Stephan Roebers Objektbeziehung Im Bewegungsgeschehen (besonders bei Kindern) können neutrale Medien viele verschiedene Bedeutungen bekommen. Ein Stab wird vom Schwert zum Krückstock, zum Gewehr, zum Fernrohr, zur Fahnenstange etc. Auch individuelle Medien (z. B. bedeutsame private Gegenstände wie Fotos, Kleidungsstücke, Erinnerungsstücke) oder selbst hergestellte Medien (z. B. Masken) können vielfältig genutzt werden. So bildet sich hier ein weites Feld der Verwendung von Medien ab, das Ähnlichkeiten mit anderen therapeutischen oder heilenden Methoden aufweist: Hier werden analytisch orientierte Modelle der Objektbeziehungsdynamik genauso angesprochen (Winnicott 2002, 2006; Fairbairn 2000; Mahler et al. 1999) wie symbolische Repräsentanzen, wie sie in der systemischen Arbeit (Organisationsaufstellungen, Skulpturarbeit oder Familienstellen) oder in kulturellen heilenden Traditionen schamanischer Arbeit (z. B. in der Nutzung von Kraftobjekten und anderen repräsentativen Gegenständen) gefunden werden. Als Bewegungsmedium kann hier alles genutzt werden: personalisierte Medien, wie Stofffiguren, Bilder, Andenken, Kraft-Objekte, evtl. mit individuellen Bedeutungen oder mit definiertem Symbolinhalt. Grundsätzlich unterstützen Objekte Reifungsprozesse, können im therapeutischen Setting auch als Hilfsobjekte angeboten werden, die Nachnährung ermöglichen (Winnicott 2006) und der Entwicklung intrapersoneller Instanzen dienen. Auch sehr neutrale Medien, z. B. ein Kissen oder ein Stab, können zeitweise zu einem sehr persönlichen Übergangsobjekt werden, das eine individuelle und konkrete Bedeutung erlangt. Eine 40-Jährige in einem Panikzustand bekommt durch den Symbolgehalt des Stabs wieder Kontakt zu Gefühlen von Stabilität, Ruhe und Kraft. Eine 42-jährige Frau mit Depressionen merkt, dass sie im Kontakt zur Wand und zum Boden als Erfahrungsraum von Stabilität und Verlässlichkeit immer die Stellen sucht, die ihr ein Gefühl von Nicht-Ankommen und von Unsicherheit vermitteln. Archetypen In meiner Arbeit mit Medien haben sich die Medien Stab, Tuch und Ball als eine Art Triade der Archetypen herausgebildet, da ich häufig folgende thematische Zuordnung erlebt habe, die auch den Qualitäten der Medien innewohnt: ● Stab- - männlich: Klarheit, Grenzen, Kraft, Direktheit, Stabilität, Rhythmus ● Tuch- - weiblich: Sanftheit, Besinnlichkeit, Flexibilität, Rezeptivität, Verinnerlichung, Gebären ● Ball- - kindlich: Spiel, Unverbindlichkeit, Kreativität, Vielfalt Hier kann man Analogien zu den Kategorien des Kestenberg Movement Profiles (Bender 2010) erkennen: libidinöse Rhythmen-- weiblicher Archetyp, aggressive Rhythmen-- männlicher Archetyp. Der kindliche Archetyp, der Ball, ist am meisten dem Spielerischen nahe. Im spielerischen Raum kann Veränderung, Entwicklung und Wachstum geschehen, ein Tor für „das Neue“ kann sich öffnen. Die Rolle eines Katalysators passt am besten zu diesem Bewegungsmedium. Eine 30-jährige Patientin mit einem Autonomie-Abhängigkeitskonflikt wählt den Tennisball als erstes Kontaktmedium, da sie die kindliche Leichtigkeit, Vielseitigkeit und Freiheit im Kontakt genießt. Sie sagt aber auch, dass sie gerne die Stabilität des Stabes erleben würde, traut sich aber noch nicht, dieses Medium zu wählen, da sie Angst hat vor den (Bewegungs-)Medien in der Tanztherapie 2 | 2014 77 Erwartungen und der Verantwortung, die sie damit antizipiert. Beziehungsregulation Jedes Medium fördert bestimmte Arten von Beziehungsgestaltung oder steht für eine bestimmte Qualität der interpersonellen Verbindung. Kontaktaufnahme: Mit Hilfe von Medien fällt es vielen Menschen leichter, in niederschwelligen Kontakt zu treten. Besonders geeignet ist die Nutzung von Medien, wenn sie ein hohes Maß an Autonomie bei der gleichzeitigen Möglichkeit selbst gestalteten Kontakts versprechen. Das Werfen von Bällen ist in der Kontaktaufnahme ein unverbindliches und kurzfristiges Beziehungsereignis, das Interesse symbolisiert, aber keinerlei Verbindlichkeit suggeriert, während der spiegelnde Kontakt mit Tüchern (Eberhardt-Kaechele 2010) schon eine Beziehungsgestaltung mit höherer Verbindlichkeit und größerer Aussagekraft über die Art der Beziehung beinhaltet. Das gemeinsame Bewegen eines Stabes verlangt bezüglich Abstimmung, Beginn und Beendigung des Kontakts wiederum deutlich differenziertere Beziehungskompetenzen. In der Frauengruppe einer Tagesklinik mit komplextraumatisierten Patientinnen ist zu Beginn weder Gruppenarbeit noch tänzerische Bewegungsarbeit möglich. Eine Definition und Klärung der jeweils individuellen Beziehung zum Therapeuten war nötig. Jede Patientin hatte individuelle Beziehungsmuster und Kompetenzen. Eine Kontaktaufnahme wurde durch Auslegen von Seilen, Stäben oder Tüchern als abgrenzende, schutzvermittelnde und Kontakt bahnende Medien vorbereitet. Jede Patientin hatte andere kreative Wege, erste zeitlich begrenzte Bewegungssequenzen zu initiieren, zu gestalten und zu beenden. Erst nach einem Zeitraum von vier bis acht Sitzungen konnten sich alle Patientinnen an Gruppenaktivitäten beteiligen. Formen (Anpassung des Körpers ans Objekt oder des Objektes an den Körper) (Bender 2010): Entsprechend der Laban Bewegungsanalyse und dem Kestenberg Movement Profile (Bender 2010) kann man Medien verschiedenen Kategorien zuordnen: a) Medien, die sich dem Körper und der Bewegung anpassen, wie Tücher, Seile, Zeitungen, Kleidung und alles, was weich und formbar ist, oder b) Medien, denen sich der Körper anpasst (Stäbe, Pezziball, Boden, Wände, Säulen, Stühle und alles, was größer und formstabiler ist, als dass man es an seinen Körper anpassen könnte). Analog zu Riemanns Grundformen der Angst (Riemann 2011) sind Affinitäten zu erkennen: Einerseits sind die Beschreibung der Individuation und des Autonomiebestrebens, des Formbewahrens, des sich Durchsetzens affin zur Verwendung aggressiver Rhythmen der Trennung und der Autonomie (KMP, siehe Bender 2010), andererseits impliziert die Fähigkeit des Sich-Anpassens bei Themen wie Vertrauen, Harmonie und Hingabe sowie bei der Akzeptanz der Abhängigkeiten im menschlichen Kontakt eine Affinität zu libidinösen Rhythmen des KMP. Besonders in der Arbeit mit Senioren ist die Arbeit mit Tüchern hilfreich, da der alte Körper sich immer weniger anpassen kann und die Erfahrung des sich anpassenden Materials, neben der ebenfalls altersuntypischen Leichtigkeit, Erfahrungen von Ausdruck und Beziehungnahme erlaubt, die über den eigenen Körper nicht mehr möglich sind. Beziehungsdynamiken: Mit Bewegungsmedien können Beziehungsaspekte und -dynamiken erfahrbar gemacht werden. Für dyadische und triadische Konstellationen eignen sich besonders gut Seile, Stäbe, Tücher, evtl. Bälle oder das Gummiband. Themen wie Grundvertrauen in Kontakt, Verbindlichkeit 78 2 | 2014 Stephan Roebers und Stabilität, Nähe-Distanz-Regulierung und die Qualität des Kontaktes können durch die Benutzung von Medien erlebt werden. Eine Mittvierzigerin mit Gewalterfahrungen kann im gemeinsamen Schwingen eines langen Seils die aktuelle Beziehung zum Therapeuten als harmonisch und stabilisierend wahrnehmen und gleichzeitig die Angst vor schnellen und starken Aspekten der Seilbewegung kontrollieren. Gruppendynamik / Setting Im Gruppensetting werden diese genannten Themen durch systemische Sichtweisen erweitert, wie sie in den entsprechenden Ansätzen der Tanztherapie (Bender 2002) beschrieben werden. Im Anfangsprozess geht es dabei meist um grundlegende Fragen des Dazugehörens, um Fragen des Willkommen-, Gesehen-, Gehalten- und Respektiert-Seins und darum, mit eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und individuellen Impulsen Teil einer Gruppe sein zu dürfen. Für diese Gruppendynamiken sind besonders Medien geeignet, die nur von einer Gruppe sinnvoll genutzt werden können, wie Schwungtuch, ein großes Gummiband oder ein Rondo-Tuch / CoOper Blanket. Besonders Schwungtuch und Gummiband fordern durch ihre geschlossene Form zur Auseinandersetzung mit Gruppenthemen auf. In der Entwicklung von Gruppen eignet sich das Schwungtuch mehr für den Anfang einer Gruppe, für niederschwellige Angebote oder für die Arbeit mit Behinderten, Senioren oder mit Traumapatienten. Die Patienten stehen außen und sind überwiegend mit peripheren Körperteilen an der Bewegung beteiligt, haben viel Kontrolle über den Grad der Beteiligung und können Bewegungen mit geringer Intensität favorisieren. So ist es für den Einzelnen relativ leicht, Teil der Gruppe zu werden und „mitzufließen“. Das Gummiband ist vielseitiger und herausfordernder. Es kann in allen Phasen der Gruppenentwicklung (Bender 2002) eingesetzt werden. Der Einsatz des eigenen Gewichts mit den dazugehörigen psychischen Themen, die Beziehungssituation mit den anderen Teilnehmern, das Erleben von Themen, wie z. B. halten und gehalten werden, führen und folgen, geben und nehmen, Vertrauen, Erdung, Kraft, Körpermitte, Konkurrenz, Durchsetzung, Achtsamkeit, einen Platz finden, Grenzen wahrnehmen und einhalten, Dramadreieck, Loslassen usw., bieten viele Ansatzpunkte für gruppendynamische Impulse. Wie können sich die Teilnehmer in einem durch ein Medium definierten Raum miteinander bewegen? Wie wird ein Raum gemeinsam gestaltet und geteilt? Welche Regeln oder Normen existieren bzw. entwickeln sich? Welche individuellen Grenzen werden deutlich? Interessant sind auch die Nutzungsvarianten des Rondo-Tuchs / CoOper Blanket, das den ganzen Rücken halten kann und in der Gruppe auch die Möglichkeit eines Wechsels in die untere Raumebene erlaubt. In einer Männergruppe entsteht durch einfaches Anlehnen innerhalb eines großen Gummibands ein als stabilisierend erlebtes Gefühl von männlicher Solidarität, Unterstützung und Gemeinschaft, das Anlass für weitere Arbeitsthemen (z. B. Vaterrolle) ist. Eine männlicher Patient, Rettungssanitäter, erlebt im klinischen Gruppensetting beim Spiel mit Bällen (schnell, direkt) Ohnmachtsgefühle mit dissoziativen Körperreaktionen. Ihm gelingt durch verschiedene Arten von „Stoppsignalen“, diese für ihn belastende Erinnerung in der Gegenwart selbstwirksam zu regulieren. Insgesamt sind in der tanztherapeutischen Arbeit mit Medien der Kreativität von Therapeut und Patient keine Grenzen gesetzt. Immer wieder zeigen sich neue, interessante Verwendungsmöglichkeiten, die oft von den (Bewegungs-)Medien in der Tanztherapie 2 | 2014 79 Der Autor Stephan Roebers Ausbildungsberechtigter Tanztherapeut BTD, Heilpraktiker Psychotherapie, Sonderpädagoge, Halprin Life / Art Practitioner, arbeitet in eigener Praxis und in klinischen Fachabteilungen für Psychotherapie und Psychosomatik sowie in der Ausbildung von Erziehern, Heilerziehern, Ergotherapeuten, Sporttherapeuten und Tanztherapeuten BTD. ✉ Praxis für ganzheitliche Tanz- und Psychotherapie Stephan Roebers Arthur-Hoffmann-Str. 58 | D-04107 Leipzig www.spielraumleipzig.de Patienten selbst initiiert werden und den Therapieprozess positiv beeinflussen. Literatur Bender, S. (2010): Die psychophysische Bedeutung der Bewegung-- Ein Handbuch der Laban Bewegungsanalyse und des Kestenberg Movement Profiles. Logos, Berlin Bender, S. (2002): Teamentwicklung. dtv, München Eberhardt-Kaechele, M. (2010): Spiegelungsübungen in der Tanztherapie / Körperpsychotherapie. In: Bender, S. (Hrsg.): Bewegungsanalyse von Interaktion-- Movement Analysis of Interaction. Logos, Berlin, 193-212 Fairbairn, W. R. D. (2000): Das Selbst und die inneren Objektbeziehungen. Psychosozial, Gießen Mahler, M., Pine, F., Bergmann, A. (1999): Die psychische Geburt des Menschen-- Symbiose und Individuation. Fischer, Frankfurt / M. Mayer-Ostrow, J. (1994): Tanztherapie: Ein spielerischer Ansatz als Tor zur Wandlung. In: Nervenklinik Spandau (Hrsg.): Sammelband der Beiträge des 1. Internationalen Klinischen Kongresses für Tanztherapie in Berlin. Nervenklinik Spandau, Berlin, 1-8 Perls, F., Hefferline, R. F., Goodman, P. (1991): Gestalttherapie. Praxis. dtv, München Riemann, F. (2011): Grundformen der Angst. Ernst Reinhardt, München, http: / / dx.doi.org/ 10.2378/ 9783497037490 Rollwagen, B. (2010): Kinesphäre und soziale Kompetenz. In: Bender, S. (Hrsg.): Bewegungsanalyse von Interaktionen-- Movement Analysis of Interaction. Logos, Berlin, 91-106 Winnicott, D. W. (2006): Vom Spiel zur Kreativität. Klett Cotta, Stuttgart Winnicott, D. W. (2002): Reifungsprozesse und fördernde Umwelt. Studien zur Theorie der emotionalen Entwicklung. Psychosozial, Gießen