eJournals körper tanz bewegung 2/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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Vorgestellt: Tanztherapie im klinischen Setting

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2014
Larissa Ranft
Erika Sander
Alar Sander
Frau Dr. Susanna Smolenski ist Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie und seit 1996 Chefärztin und Leiterin der Traumaambulanz an der Ehrenwall’schen Klinik in Ahrweiler. Mehrere Jahre lang unterrichtete sie den Fachbereich Psychopathologie im Rahmen der tanztherapeutischen Ausbildung am Langen Institut, Schule für Tanz- und Ausdruckstherapie.
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80 körper - tanz - bewegung 2. Jg., S. 80-84 (2014) DOI 10.2378 / ktb2014.art13d © Ernst Reinhardt Verlag Forum: Vorgestellt Tanztherapie im klinischen Setting Ein Interview mit Susanna Smolenski Larissa Ranft, Erika Sander und Alar Sander F rau Dr. Susanna Smolenski ist Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie und seit 1996 Chefärztin und Leiterin der Traumaambulanz an der Ehrenwall’schen Klinik in Ahrweiler. Mehrere Jahre lang unterrichtete sie den Fachbereich Psychopathologie im Rahmen der tanztherapeutischen Ausbildung am Langen Institut, Schule für Tanz- und Ausdruckstherapie. Die Dr. v. Ehrenwall’sche Klinik ist eine seit vier Generationen familiengeführte Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie. Die Klinik behandelt alle psychiatrischen Krankheitsbilder und ist deutschlandweit für ihren psychotraumatologischen Behandlungsschwerpunkt bekannt. Schon seit 1989 wird im gruppen- und einzeltherapeutischen Setting Tanz- und Ausdruckstherapie angeboten. Im Interview berichtet Susanna Smolenski ihren Tanztherapie-MitarbeiterInnen über ihre Erfahrungen mit tanztherapeutischen Methoden. Liebe Susanna, wir haben gehört, dass du dich langsam zurückziehen wirst, und wollen die Gelegenheit nutzen, mit dir über Tanztherapie zu sprechen. Du hast dich im Verlauf der letzten 25 Jahre sehr für Tanztherapie eingesetzt, nicht nur hier in der Klinik, sondern auch außerhalb. Du bist außerdem eine Klinikchefin, die sich schon sehr früh für die Bedeutung der Tanztherapie und deren Behandlungsformen im psychiatrischen Setting eingesetzt hat, und dafür erst einmal vielen Dank. Danke für die nette Einführung. Das ehrt mich natürlich. Als Einstieg sind wir neugierig zu erfahren, wie du eigentlich die Tanztherapie kennengelernt hast. Das ist eine lange Geschichte. Ich habe 1977 in der Psychiatrischen Tagesklinik der Universität Bern zum ersten Mal einen Tanztherapie- Workshop mit der Tänzerin und Tanztherapeutin Luli St. Angelo aus den USA besucht. Keiner wusste, was das ist, aber alle waren neugierig. Ich nahm an diesem Workshop teil und war total begeistert. Damals hatte ich gerade mit der Psychotherapieausbildung begonnen und kaum Erfahrung mit der Psychotherapie. Ich war dann sehr beeindruckt, wie Luli Susanna Smolenski Tanztherapie im klinischen Setting 2 | 2014 81 St. Angelo durch bloßes Beobachten von der Gruppe während der Übungen genau einschätzen konnte, welche typischen persönlichen Eigenschaften die Gruppenmitglieder hatten. Sie saß die ganze Zeit in Meditationshaltung auf dem Boden, rauchte eine Zigarette nach der anderen, und man hatte den Eindruck, sie ist völlig abwesend. Aber es entging ihr überhaupt nichts. Sie nahm Details wahr von unseren Bewegungen und sagte dann: „Du hast dich da umgedreht, und dann hast du nach oben geguckt…“, das war phänomenal. Was hat dazu geführt, dass Tanztherapie an die Ehrenwall’sche Klinik kam? Der Chefarzt und ärztliche Direktor der Ehrenwall’schen Klinik, mein Mann, war damals in den 70er Jahren auch bei den Workshops mit Luli St. Angelo, und deshalb begeisterte er sich von Anfang an für Tanztherapie. So kam es, dass dann 1989 in der Ehrenwall’schen Klinik erstmalig Tanztherapie eingeführt wurde. Die erste Tanztherapeutin war Claudia Schedlich. Das war damals so, dass man in Deutschland Tanztherapie kaum kannte. Es brauchte also Mut und einige Überzeugungsarbeit, dass die Tanztherapie hier eingeführt werden konnte. Gab es damals Ideen oder Vorstellungen, wie Tanztherapie in der Klinik aussehen könnte? Die anfängliche Akzeptanz war unterschiedlich-- die meisten Mitarbeiter, auch aus dem therapeutischen Bereich, waren zunächst eher skeptisch. Und es ging erst einmal darum, sie aufzuklären, was Tanztherapie ist. Sie glaubten nämlich, das sei eine weitere Form der Sporttherapieangebote: Tanzen oder Gesellschaftstanz, „so ein bisschen rumhüpfen“, wie jemand sagte. Da war ganz wichtig, dass wir aufklärten, dass Tanztherapie eine körperorientierte Form der Psychotherapie ist und nicht ein Sportangebot. Nach entsprechender Aufklärung veränderte sich relativ rasch auch die Akzeptanz der Mitarbeiter, vor allem auch, weil diese Tanztherapie von den Patienten sowohl einzeln als auch in Gruppen von Anfang an sehr gut angenommen wurde. Die Ehrenwall’sche Klinik hat ein sehr reichhaltiges Angebot an Therapiemöglichkeiten- - in welchen Fällen verordnest du Tanztherapie? Ich und natürlich auch die anderen Mitarbeiter verordnen Tanztherapie vor allem bei Depressionen, Angststörungen und, das war mir ein besonderes Anliegen, bei psychsomatischen Erkrankungen, bei somatoformen Schmerzstörungen. Bei psychosomatischen Erkrankungen drückt der Körper etwas über innere Konflikte und Spannungen aus, aber der Patient sagt auf der verbalen Ebene: „Ich habe eigentlich nichts. Ich habe keinen Konflikt, ich habe nur Bauchschmerzen, das muss doch der Internist behandeln.“ Da fand ich die Tanztherapie sehr geeignet; denn mit diesen Patienten kann man zwar reden und reden, sie haben aber eine sehr starke Abwehr in der verbalen Therapie. Nun ist ja gerade bei diesen Patienten oft sehr schwierig, sie davon zu überzeugen, eine körperorientierte Psychotherapie zu machen. Wie bringst du den Patienten nahe, Tanztherapie zu machen? Wir sagen den Patienten, dass es sich nicht um eine Sportgruppe handelt, sondern um eine spezielle Art der Psychotherapie, wo der Schwerpunkt weniger auf dem Sprechen, sondern mehr auf Bewegung liegt. Und wir klären die Patienten auf, dass ihnen durch spezielle Übungen möglich ist, ihren Körper, aber auch ihre Gefühle besser kennen zu lernen. Der Patient kommt zum ersten Mal in die Tanztherapie und weiß dann, dass er Übungen machen wird, die ihm die Tanztherapeuten zeigen, und dass er erst einmal nicht sprechen muss. Das ist dann oft auch erleichternd, weil viele Patienten Angst haben, in Gesprächsgruppen zu gehen. Aber wenn man dann sagt, dass sie nicht zu sprechen brauchen, sich einfach be- 82 2 | 2014 Ranft, Sander, Sander wegen und gucken können, wie sich das auf sie auswirkt, ist schon eine Hemmschwelle genommen. Gerade leistungsorientierte Männer, vielleicht um die 50, sagen zunächst mal: „Ach Gott, ich kann aber gar nicht tanzen, ich habe nur mal in der Schule einen Tanzkurs gemacht.“ Da geht es darum, diese wirklich ins Boot zu holen und ihnen zu sagen: „Sie werden staunen, davon bin ich überzeugt! Machen Sie doch einmal das Experiment. Sie können ja nach der ersten Stunde immer noch nein sagen, wenn Sie finden, dass es doch Quatsch und etwas für Frauen ist.“ Fast immer sind sie geblieben und waren richtig begeistert, weil sie gemerkt haben, dass sie da an ihre Gefühle herankommen. Jetzt blickst du in der Klinik auf eine sehr lange Zeit Tanztherapie zurück. Was waren deiner Meinung nach die wichtigsten therapeutischen Effekte der Tanztherapie? Für Patienten, die sehr verkopft sind, in der Therapie viel reden und dadurch häufig ihre Gefühle abwehren, ist Tanztherapie hervorragend geeignet. Sie lernen zum Beispiel, die Anspannungen in ihrem Körper wahrzunehmen, ohne diese zu analysieren oder zu interpretieren, um dann die Gefühle, die dahinter stehen, ebenfalls wahrnehmen zu können. Oder Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung, die lernen, die Angst vor der Körperwahrnehmung zu überwinden, ohne in der Gruppe über ihre traumatischen Erfahrungen sprechen zu müssen. Das sind für mich sehr eindrückliche Erfahrungen gewesen, die Patienten berichtet haben, und das hat mir immer wieder bestätigt, dass diese Therapieform gerade bei psychosomatischen Erkrankungen und posttraumatischen Belastungsstörungen sehr wirksam ist. Hoch gebildete Patienten, die sich intellektuell in der Gesprächstherapie ausließen, mussten sich jetzt auf etwas anderes einlassen. Da half ihnen die Bildung erst einmal wenig. Eher gehemmte, schüchterne Patienten konnten durch Tanztherapie ihre Hemmungen überwinden und ihre sozialen Kompetenzen verbessern. Gibt es denn Störungsbilder oder Themen, bei denen du Tanztherapie nicht empfehlen würdest? Es gibt Kontraindikationen, z. B. akute schizophrene Psychosen oder akute Manien im Rahmen einer bipolaren Störung, wobei ich mich aber erinnern kann, dass du (Erika Sander) für stabile schizophrene Patienten ohne produktive Symptome eine Zeit lang eine spezielle Art der Tanztherapie angeboten hast, die der geringeren Stabilität der Patienten angepasst ist. Eine mögliche Kontraindikation ist auch ausgeprägte Demenz, aber auch da gibt es etwas. Larissa Ranft, die zurzeit Tanztherapeutin bei uns ist, leitet eine Gruppe für Menschen im höheren Lebensalter. Diese werden nicht in eine Gruppe gemischten Alters integriert, sondern kommen in eine eigene Gruppe. Patientinnen sprachen mich auf dem Flur an und sagten: „Ich gehe jetzt zur Tanztherapie zu Frau Ranft, und ich freue mich und fühle mich da um Jahrzehnte jünger.“ Aber bei Patienten mit Borderline-Störung oder Borderline kombiniert mit komplex traumatischen Belastungsstörungen muss man die Indikation sehr genau stellen. Borderline- Patienten, die einen erheblichen Anteil einer histrionischen Persönlichkeitsstörung haben, setzen sich so in Szene-- sei es auf sehr destruktive Art oder dadurch, dass sie sehr viel Raum einnehmen und die anderen an den Rand drängen- - dass sie die Gruppe sprengen könnten. Würdest du sagen, dass sich Tanztherapie in irgendeiner Form verändert oder entwickelt hat, oder hat es da verschiedene Schwerpunkte gegeben? Seit es in der Ehrenwall’schen Klinik Tanztherapie gibt, haben Frau Sander und Frau Sched- Tanztherapie im klinischen Setting 2 | 2014 83 lich die traumaadaptierte Tanztherapie entwickelt, mit großem Erfolg durchgeführt und dazu auch Fortbildungen angeboten. Herr Sander hat dann eine Zeit lang ambulante Tanztherapie für psychosomatische Patienten angeboten. Dann kam die Tanztherapie für Menschen in höherem Lebensalter, die Frau Ranft hier an der Klinik durchführt. Was ich jetzt gut fände, wäre, wenn Formen der Tanztherapie entwickelt würden, die auch kulturelle Unterschiede berücksichtigen. Da fällt mir eine Patientin ein, die bei dir (Erika Sander) war. Es war, glaube ich, eine Afrikanerin, die hier war, weil sie nach Deutschland geschleust und dann gezwungen wurde, sich zu prostituieren. Da gab es auch sprachliche Probleme, und sie ist in der Tanztherapie aufgetaut und hat dann sogar mit dir einen Tanz vorgeführt. Ich (Alar Sander) habe den großen Genuss gehabt, auch von dir ausgebildet worden zu sein, und ich erinnere mich an die sehr lebendigen Beispiele, die du mit in den Unterricht gebracht hast. Gibt es Bereiche, auf die sich die Tanztherapie-Ausbildung mehr konzentrieren sollte? Meine Aufgabe am Langen Institut war es, psychopathologische Grundlagen zu vermitteln, die psychiatrischen Krankheitsbilder und auch die Grundlagen der Tiefenpsychologie zu besprechen. Es ist sehr wichtig, dass die Studenten das vermittelt bekommen, damit sie dann diagnosespezifisch individuell auf die Krankheitsbilder eingehen können. Es ist natürlich ein Unterschied, ob jemand eine Depression, eine Angst- und Panikstörung oder eine somatoforme Schmerzstörung mit Rückenschmerzen hat. Die einzelnen Institute sollten sich vielleicht überlegen, das noch mehr zu forcieren. Das heißt, du hast auch die Erfahrung gemacht, dass Tanztherapeuten ernst genommen werden, weil sie über das Wissen verfügen, das zumindest im psychiatrisch-klinischen Setting als Grundlage gesehen wird. Ich sehe immer wieder, dass Tanztherapeutinnen oder -therapeuten es nicht so leicht haben in den Teams, weil es da Neid und Missgunst gibt und andere Berufsgruppen wie z. B. Ärzte und Psychologen sagen: „Bleibt bei euren Leisten, das ist Bewegung. Überlasst uns das andere.“ Aber das ist falsch. Ich habe mich immer wieder dafür eingesetzt, das ist das A und O: Tanztherapie muss als Therapieform ernst genommen werden. Tanztherapie nimmt neben den etablierten Psychotherapiemethoden wie tiefenpsychologische Therapie, Verhaltenstherapie, imaginative Therapie wie katathym-imaginative Therapie und Hypnotherapie, Psychodrama usw. einen völlig gleichberechtigten Stellenwert ein. Ich fände es sehr wichtig und wünschenswert, wenn immer mehr psychiatrische und psychotherapeutische Akutkliniken und Rehakliniken Tanztherapie als festen Bestandteil ihres Therapieangebotes einrichten. Zum 25-jährigen Bestehen der Tanztherapie in der Dr. von Ehrenwall´schen Klinik findet am 4. und 5. Juli 2014 ein Tanztherapie-Symposium statt. Weitere Informationen erhalten Sie unter info@ehrenwall.de. 84 2 | 2014 Ranft, Sander, Sander Die Interviewer Erika Sander Tanz- und Ausdruckstherapeutin BTD, Lehrtherapeutin und Ausbilderin BTD, Heilkundliche Psychotherapie, Fachberaterin für Psychotraumatologie (DIPT). ✉ Erika Sander Erika.Sander@Eichenberg-Institut.de Alar Sander Tanz- und Ausdruckstherapeut BTD, Heilkundliche Psychotherapie, Sozialarbeiter, Eichenberg- Institut Koblenz. ✉ Alar Sander Alar.Sander@Eichenberg-Institut.de Larissa Ranft Tanztherapeutin BTD, Dr. von Ehrenwall’sche Klinik. ✉ Larissa Ranft larissaranft@gmx.de