eJournals körper tanz bewegung 2/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Nachruf zu Elaine V. Siegel

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Sabine Trautmann-Voigt
Elaine Vivian Siegel, Ph. D., ADTR, ist am 21. Dezember 2013 in ihrem 85. Lebensjahr verstorben. ‚Her spirit is now free to dance‘ - so ist es in der schlichten Todesanzeige zu lesen. Wohl kaum treffender kann man ausdrücken, was Elaine wichtig war: ‚Mädel, leg dich hin oder tanze, das Seelische drückt sich sowieso aus!‘ - mit diesen Worten hatte sie mich damals, vor etwa 35 Jahren, betroffen gemacht und zutiefst überzeugt.
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85 körper - tanz - bewegung 2. Jg., S. 85-86 (2014) DOI 10.2378 / ktb2014.art14d © Ernst Reinhardt Verlag Forum: Nachruf E laine Vivian Siegel, Ph. D., ADTR, ist am 21. Dezember 2013 in ihrem 85. Lebensjahr verstorben. „Her spirit is now free to dance“- - so ist es in der schlichten Todesanzeige zu lesen. Wohl kaum treffender kann man ausdrücken, was Elaine wichtig war: „Mädel, leg dich hin oder tanze, das Seelische drückt sich sowieso aus! “-- mit diesen Worten hatte sie mich damals, vor etwa 35 Jahren, betroffen gemacht und zutiefst überzeugt. Elaine Siegel wurde zu meiner wichtigsten Mentorin bei meiner eigenen Suche nach einer tanztherapeutischen und psychotherapeutischen Identität, später eine wunderbare, professionelle Wegbegleiterin, immer voller Stolz darauf, dass ihr Ansatz hier, in ihrem Land, neue Wurzeln schlagen würde. Es ging ihr niemals um das starre Konzept eines psychoanalytischen Settings, es ging ihr um den „Tanz des Lebens“, um das tiefe Verständnis vom Sinn und von der Bedeutung der menschlichen Freiheit, für die sie sich ein Leben lang einsetzte. Sie integrierte schon früh, in den 1960er und 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die Lebendigkeit des tänzerischen Ausdrucks mit der stringenten Theoriekonzeption der modernen, an der empirischen Säuglingsforschung orientierten Psychoanalyse, welche weiterhin auf den kulturtheoretischen Wurzeln Freud’scher Gedanken fußte. Sie, die Pionierin der psychoanalytischen Tanz- und Bewegungstherapie, veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze in bekannten Fachzeitschriften, in denen sie immer Theorie mit klinischer Praxis verband, viele Fallgeschichten verständnisvoll und mitfühlend beschrieb und gleichzeitig klar und fokussierend auf der Basis ihres scharfen Intellekts die menschlichen Affektstürme vor dem Hintergrund individueller Lebenswirklichkeiten analysierte. Sie schrieb ein Buch über weibliche Homosexualität, eines über verwahrloste Kinder, das bekannteste aber, 1986 auch auf Deutsch erschienen, über Tanztherapie. Über etwa zwei Jahrzehnte hinweg, in den frühen 1980ern bis in die späten 1990er Jahre, lebte sie halb in der Schweiz und halb in den USA. Sie kam oft zu uns nach Bonn, sie lehrte in Lindau und an verschiedenen Bildungseinrichtungen im In- und Ausland, sie forschte, wir schrieben 1997 ein erstes Buch zusammen, sie wurde die Ehrenvorsitzende des Deutschen Instituts für tiefenpsychologische Tanztherapie und Ausdruckstherapie … Wie viel mehr aus einer drei Jahrzehnte umfassenden, fruchtbaren Zusammenarbeit gäbe es zu berichten! Maßgeblich motivierte sie uns damals, die erste deutschsprachige „Zeitschrift für Tanztherapie“ zu gründen, um der „neuen Bewegung auf dem alten Kontinent“ eine Stimme zu verleihen. Sie war bescheiden und überhaupt nicht eitel. Auf den vielen Veranstaltungen, auf denen ich sie begleiten durfte, lächelte sie die Menschen an und stellte sich dann einfach so vor: „Ich bin Elaine Siegel, lebte früher in Berlin und nun in New York. Ich bin Tanztherapeutin Elaine V. Siegel Foto: Dr. Sabine Trautmann-Voigt (DITAT e. V.) 86 2 | 2014 Nachruf und Psychoanalytikerin. Wenn Sie mehr wissen wollen, dann fragen Sie jetzt. Ansonsten lassen Sie uns gleich mit dem Tanzen beginnen.“ Ihre deutsche Mutter und sie hatten als Juden in Berlin als einzige ihrer Familie das Nazi-Inferno überlebt. Mit 18 Jahren ging Elaine Siegel in die Staaten, wurde dort Dramaturgin, Balletttänzerin, Tanztherapeutin und schließlich renommierte Psychoanalytikerin, Mitglied der APA, ausgebildet am New Yorker psychoanalytischen Institut. Sie lernte unter anderem von Lilian Espenak und Marian Chace, war eine der ersten ADTA-Mitglieder, traf Frieda Fromm-Reichmann und Harry Stucks Sullivan und führte in einer damals in den Staaten für Integrationsideen offenen Zeit klinische und ambulante Psychotherapien durch mit Kindern, Erwachsenen, Einzelnen und Gruppen. Sie leitete über 13 Jahre eine klinische Abteilung eines State Hospitals, bekam zwei Kinder, hatte einen liebevollen Ehemann … Diese Vielfalt ihres Lebensentwurfes faszinierte mich schon früh ebenso wie die Überzeugung, dass man aufstehen und kritisch auch in den eigenen Reihen sagen und schreiben muss, was man für richtig und für falsch hält: Dafür stand eine beeindruckende Frau, die ihrer Zeit einen Stempel aufgedrückt hat, eine mütterliche Kollegin und auch eine Weggefährtin von Daniel Stern, den sie als Tanztherapeutin beeindruckte- - aber vor allem ein Mensch, an den ich mich voll Dankbarkeit und Freude erinnere. Leb wohl, Elaine, und finde deinen Frieden. Dr. phil. Sabine Trautmann-Voigt, ADTR