eJournals körper tanz bewegung 3/1

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2015
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Aus der Praxis: Let’s say yes

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2015
Erika Sander
In tanz- und traumatherapeutischen Behandlungen in den vergangenen 20 Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass die KlientInnen wesentlich leichter benennen konnten, wozu sie nein sagen möchten, anstatt was sie bejahen können. Dies brachte mich auf die Idee, ein Tanzprojekt zum Thema ‚Ja sagen‘ zu entwickeln. Mein Ziel ist, TeilnehmerInnen über die Methode des kreativen Tanzes dabei zu unterstützen herauszufinden, was sie in Bezug auf ihren Körper und Leben befürworten können. Hierzu waren mir die Theorie der Positiven Psychologie und andere Konzepte für dieses Phänomen eine hilfreiche Inspiration.
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12 Forum: Aus der Praxis Let’s say yes Ja sagen als therapeutisches Mittel Erika Sander In tanz- und traumatherapeutischen Behandlungen in den vergangenen 20 Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass die KlientInnen wesentlich leichter benennen konnten, wozu sie nein sagen möchten, anstatt was sie bejahen können. Dies brachte mich auf die Idee, ein Tanzprojekt zum Thema „Ja sagen“ zu entwickeln. Mein Ziel ist, TeilnehmerInnen über die Methode des kreativen Tanzes dabei zu unterstützen herauszufinden, was sie in Bezug auf ihren Körper und Leben befürworten können. Hierzu waren mir die Theorie der Positiven Psychologie und andere Konzepte für dieses Phänomen eine hilfreiche Inspiration. Schlüsselbegriffe ja, kreativer Tanz, Positive Psychologie, Wohlbefinden Let’s say yes. Saying “yes” as a therapeutic tool In my practical work as a dance / movement therapist with traumatized women in the last 20 years, I experienced that the clients could more easily tell what they wanted to say “no” to, than what they wanted to say “yes” to. This inspired me to design a creative dance project on the theme of “let’s say yes”. My goal was to support the participants with methods of creative dance in finding out what in their body and life they can approve of. Positive Psychology and other theoretical concepts gave helpful insights into this Phenomenon. Key words yes, creative dance, Positive Psychology, well-being körper-- tanz-- bewegung 3. Jg., S. 12-19 (2015) DOI 10.2378 / ktb2015.art03d © Ernst Reinhardt Verlag I n meiner praktischen Arbeit als Tanz- und Ausdruckstherapeutin mit traumatisierten Frauen im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre habe ich oftmals die Erfahrung gemacht, dass die Klientinnen mit dem Arbeitsauftrag zur Therapie kamen: „Bringen Sie mir bei, wie ich nein sagen kann, das muss ich unbedingt lernen“. Das Nein bezog sich in erster Linie auf Situationen im Alltag, in denen es um die Notwendigkeit des Selbstschutzes ging, und die Abwehr von Grenzverletzungen durch andere-- im Kontext von Gewalttraumata eine äußerst wichtige Zielsetzung. Dennoch beschlich mich im Verlauf der Therapie stets der Verdacht, dass bei kritischer Betrachtung den meisten Frauen viel schwerer fiel, ja zu sagen als nein. Wenn ich meinem inneren Impuls folgend die Bejahung von Lebensinhalten thematisierte, löste ich meistens Empörung, Verunsicherung, Schweigen, ein Gefühl von grundsätzlichem Unverstandensein aus. Es stellte sich heraus, dass letzten Endes die viel größere Herausforderung darin bestand, sich auf die Suche nach dem Ja zu begeben. In vielen Ländern ist das Wort „ja“ ein kurzes Wort. Und es scheint in vielen Ländern Let’s say yes 1 | 2015 13 ähnlich geschriebene oder gesprochene Ja’s zu geben. Einige Afrikaner, die Dänen, Deutschen, Niederländer und Schweden sagen dasselbe Ja. Die Esten hängen ein h dran und schreiben „jah“, die Letten haben ein „jā“, die Bosnier, Bulgaren, Slowenen, Kroaten und Russen schreiben „da“, und zum Beispiel die Bretonen schreiben wie viele Indonesier ein „ya“ (Wikipedia 2014). Aber bei allen hat dieses kleine, kurze Wort eine tiefe Bedeutung, und fast überall in der Welt wird es in derselben Weise verstanden. Manchmal kann dieses kurze Wort wahrhaft starke Effekte haben. Man denke beispielsweise an das Ja-Wort zu einer geliebten Person, an das kämpferische oder entschlossene Ja im Kontext der Verteidigung einer Herzensangelegenheit oder inneren Überzeugung oder an ein Ja zu einer schmerzlich akzeptierten Tatsache im Leben. Ja kann eine positive Bedeutung beinhalten, es kann im Gegensatz zu einer Defizitbetonung das Vorhandensein oder das Positive von etwas akzentuieren. Immer wenn ein Mensch ja zu etwas oder jemandem sagt, ist er gleichzeitig damit verbunden und assoziiert, er kann sich darin zuhause fühlen und ein Teil dessen sein. Ein Ja kann Ausdruck einer bewussten Entscheidung sein, es zeigt die Bewegung eher in Richtung zu etwas / jemanden an als umgekehrt gegen oder weg davon. Die Evolution hat uns eine verstärkte Wahrnehmung negativer Dinge vermacht, obwohl uns keine Raubtiere mehr bedrohen können. Dennoch existiert und wirkt dieses überlebensnotwendige neurophysiologische Programm bis zum heutigen Tag (Hüther 2011). Inzwischen scheint es jedoch längst notwendig zu lernen, die vorhandenen Ressourcen als Voraussetzung aktiver Nutzbarkeit zu erkennen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, die allgemein positiven Aspekte im und am Leben wahrzunehmen, all das, was uns stärkt und positiv Einfluss auf unsere Lebensqualität und das Wohlbefinden nimmt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen habe ich ein tanzkünstlerisches Projekt durchgeführt, das mir Erfahrungen in Estland und Deutschland ermöglichte. Dank dieser Projektidee wurde ich zu einer Ja-Sammlerin, die sich reich beschenkt und oft tief berührt fühlen durfte und die nun über eine Schatztruhe voller Ja’s wunderbarer Menschen verfügt. Ziel des Projektes „Let’s say yes“ Aufgrund meiner intensiven Erfahrungen mit den Neins, die nur selten ein Ja zuließen, wollte ich mich in meinem Projekt auf die Suche nach puren, klaren, eindeutigen Ja’s begeben. Ich wollte keine Jains. Es sollten keine Zweifel, Einschränkungen oder faulen Kompromisse fokussiert werden. Dadurch bereitete die Suche nach den Ja’s ein großes Vergnügen, und immer, wenn ProjektteilnehmerInnen mit ihrem Ja in Kontakt kamen, war es für diese Menschen ein guter oder positiver Augenblick. In meinen Workshops arbeitete ich nach der Methode des kreativ-künstlerischen Ansatzes. Ich erhoffte therapeutische Effekte, vermied jedoch konsequent ein problematisierendes Vorgehen. Die TeilnehmerInnen sollten sich eingeladen fühlen, im Tanz und der Kreativität ihre eigene Ja-Welt zu entdecken, ihre Ja’s dergestalt zu kreieren, dass sie sie in ihrer Verkörperung erinnerbar machen können, um sie ins Alltagsleben zu integrieren. Neben der Workshoparbeit sprach ich mit unterschiedlichen Menschen über das, was sie im Leben bejahen können und wollen. Ich zeichnete einige Begegnungen mit Kamera auf, vor allem dann, wenn Menschen einfach nur ein Ja zeigten, ohne zu erklären, worauf es sich bezog. Mein Anliegen war es, möglichst viele Menschen dafür zu sensibilisieren, die Ja-Aspekte ihres Lebens wahrzunehmen und zu würdigen, sich darüber klar zu werden, was im Leben Sinn macht und Bedeutung hat, was 14 1 | 2015 Erika Sander die Kraftquellen darstellen und was ein innerer Kompass ist oder sein kann. Theoretischer Hintergrund Ich habe mich in meiner Kunstprojektidee durch verschiedene theoretische Konzepte unterstützt oder inspiriert gefühlt. Das wichtigste Konzept stellte für meinen Arbeitsansatz die Methode des kreativen Tanzes dar. Dance Alive des Langen Instituts Düsseldorf entspricht Dance Movement for Well-Being der Universität Tallinn. Ich habe in diesem Bereich als Dozentin am Langen Institut unterrichtet, und mein Mann und ich boten eine modifizierte Konzeptversion der Universität zu Tallinn an, die es unter einer geänderten Namensgebung in das Curriculum Creative Arts Therapy integrierte. Hierbei wird die Freude am Tanz genutzt und gefördert, das Bewegungsrepertoire der TeilnehmerInnen aufgegriffen und erweitert und die Kreativität unterstützt (Sander / Sander 2008-2011). Diese Methode ermöglicht positive Effekte und Überraschungsmomente bezüglich sich selbst oder anderen(m). Bewegungsanreize werden aus der Bewegungslehre von Rudolf von Laban übernommen, der als Urvater der Laientanzbewegung zu Beginn des letzten Jahrhunderts gilt. Laban entwickelte ein tanzpädagogisches Konzept, das bis zum heutigen Tag Beachtung und Anwendung findet: „The application of Laban’s principles throughout education grows logically from the findings that movement of the body is our only way of discovering ourselves and our environment as well as our means of releasing, recreating and communicating ideas and feelings. What better foundation for education? “ (Hodgson 2001, 214) Laban strebte nicht den perfekten, an äußeren oder allgemeingültigen ästhetischen Normen orientierten Tanz an, sondern eines seiner Prinzipien war es, die positiven Effekte, die sich aus dem kreativen Schaffen des Tänzers in Beziehung zu seiner Persönlichkeit ergaben, anzustreben und zu nutzen (Laban 1988). Laban war der Überzeugung, dass jeder Mensch ein Tänzer ist und das Grundbedürfnis nach Tanz und Bewegung inne hat (Brehm / McNett 2008). Dabei setzte Laban nicht nur seine Bewegungslehre ein, sondern nutzte Humor, um die Potenziale und persönlichen Fertigkeiten seiner Schüler hervorzulocken (Laban 1935). Die Bewegungslehre bietet in der Tanztherapie die Grundlage für die Bewegungsanalyse, und auch hier wird nicht defizitorientiert beobachtet, also was ein Mensch nicht kann oder zeigt, sondern es wird das festgehalten, was gezeigt und gemacht wird. Trudi Schoop, eine in der Schweiz geborene Tanztherapeutin, verwendete den Einsatz von Humor als ein therapeutisches Mittel, um positive Gefühle zu wecken, Selbstakzeptanz zu fördern und die Kompetenzen zur Problemlösung zu verbessern (Schoop 1981). Selbstakzeptanz korrespondiert mit einem inneren Ja-Sagen. O’Quin und Derks verweisen auf eine Parallelität zwischen der Definition von Humor und Kreativität, in der beide mit Originalität und Neuerschaffung zu tun haben. Beiden läge eine Freude am Entdecken zugrunde, die wiederum von Freude, Vergnügen und Überraschung begleitet werde (O’Quin / Derks 2011). Jovanovic (2011) betonte, dass: „… humor styles were found to be positively correlated with indicators of positive mental health, like psychological well-being, self-esteem (and) optimism“. Allerdings kritisieren wiederum andere, z. B. Kuiper et al. (2004): „In fact, a recent comprehensive review of this literature concluded that there was only limited evidence for the proposed facilitative effects of humor and laughter on physical health-related variables“. Einer schwedischen Studie zufolge, die über den Effekt der Teilnahme von Mädchen an einem Tanzkurs berichtete, der nicht auf die ausschließliche Vermittlung von Tanztechnik, sondern auch das Gemeinschaftserleben und Freude abzielte, ergaben Let’s say yes 1 | 2015 15 sich nachhaltige positive Effekte auf die psychische und physische Gesundheit der teilnehmenden Mädchen (Duberg et al. 2013). Vielleicht unterstützen ein positives Körpererleben und eine humorvolle Atmosphäre kreative Prozesse, vielleicht aber auch die Offenheit und Bereitschaft, in demselben Augenblick innerlich ja zu etwas / jemandem zu sagen. Der Musikwissenschaftler Kreutz spricht in einem Interview (Jötten 2013) über die positiven Effekte von Tanz. So sagt er, dass Tanzen bedeuten würde, zu leben oder sich in seiner Lebendigkeit erfahren zu können. Er betonte, dass durch Tanz der Cortisolspiegel im Blut und damit Stressreaktionen reduziert werden würden, was den Tanzenden entspannter sein lässt. Dies wiederum könnte eine Voraussetzung dafür sein, leichter wahrnehmen zu können, was im eigenen Leben willkommen ist. Eine andere Quelle der Inspiration für meine Projektidee ist die Theorie der Positiven Psychologie, begründet von Seligman und Csikszentmihalyi. Diese gehen davon aus, dass ein Mensch lernen kann, eine positive innere Grundhaltung zu entwickeln (Seligman / Csikszentmihalyi 2000). Ich wiederum gehe davon aus, dass eine intensive Auseinandersetzung mit dem, was im Leben bejaht wird, einen optimistischen Denkstil und eine positive Lebensgrundhaltung fördert. Vielleicht war auch deshalb die Atmosphäre in meinen Workshops geprägt von Freude, Leichtigkeit und Humor. Beeindruckt hat mich auch Literatur von Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie. Für mich ist Frankl ein Beispiel dafür, wie kraftvoll und bewegend das Ja eines Menschen sein kann. Er begann 1946 als KZ-Überlebender eine Vortragsreihe mit dem Titel: „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ (Frankl 2013). Auch die Embodiment-Theorie prägte meine Arbeit. Demnach können positive Veränderungen in der Körperhaltung oder eine positive Aufmerksamkeitsfokussierung auf den Körper kognitive Veränderungen initiieren (Storch et al. 2006). Insgesamt war ich vor Beginn meiner Projektvorbereitungen überrascht, wie wenig Literatur es zum Thema „Ja sagen“ gibt und wie wenig die positiven Effekte von Tanz, Kreativität, Freude und Wohlbefinden auf den Menschen untersucht zu sein scheinen. Meiner Meinung nach spielen positive Erlebniszustände, Wohlbefinden, Kreativität im Tanz, Humor und positive Kognitionen sowie deren Verkörperung eine zentrale Rolle in der Entwicklung einer positiven inneren Grundhaltung. Freude scheint mit all diesen Aspekten korrelieren zu können, ebenso wie ein Ja. Der kreativ-künstlerische Prozess der Projektarbeit Im Rahmen des Konzeptes Dance Alive (Deutschland) bzw. Dance Movement for Well- Being (Estland) stehen verschiedene Stundenmodelle zur Verfügung. Für meine Projektarbeit entschied ich mich für ein Modell, das sich Schirmmodell nennt und bei dem ein Thema (in diesem Fall: Let’s say yes) die gesamte Einheit bestimmt. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass eine Thematik von verschiedenen Seiten aus betrachtet und erfahrbar gemacht wird. Es werden unterschiedliche Daseinsebenen (emotional, kognitiv, körperlich) angesprochen, es wird mit unterschiedlichen sozialen Bezugsformen gearbeitet (intrapersonal, interpersonal, gemeinschaftlich), es erlaubt die Exploration soziokultureller Aspekte der Thematik, und es lädt den Teilnehmer dazu ein, seine eigene Kreativität Schritt für Schritt zu entdecken und zu entfalten. Es ergibt sich ein anfänglich eher stark bis semistark strukturiertes Vorgehen, sodass tanzunerfahrene TeilnehmerInnen eine gute Orientierung und damit Sicherheit erhalten. Dies wird freier in seiner Strukturierung in dem Augenblick, in dem dies nutzbar aufgenommen werden kann. Ein Grundgedanke dieses Bewegungskonzeptes ist, den TeilnehmerInnen 16 1 | 2015 Erika Sander zunächst Bewegungsideen (wir nennen dies gerne Bewegungsfutter) zu geben, bevor es zur eigenen kreativen Umsetzung und Gestaltung kommt. Der Therapeut wiederum nutzt verschiedene Fragestellungen, um in seiner Vorbereitung kreative Umsetzungsmöglichkeiten in Form von Bewegungsübungen im Hinblick zur Thematik zu finden (z. B. wie tritt das Thema im Körper in Erscheinung? Wie würde ich mich bewegen, wäre ich das Thema? Zu welchen Bewegungsqualitäten lädt die Thematik ein? Was kann ich mit dem Thema machen? …) (Sander / Sander 2008-2011). Projektaufbau Zur Vorbereitung meiner Workshops bat ich verschiedene Menschen in Deutschland und Estland, mir zu erzählen, wozu sie im Leben Ja sagen können. Manche bat ich, sich auf einen Aspekt zu konzentrieren, diesen in seiner ganzen Tragweite innerlich auszuschmücken, um dann vor laufender Kamera zu diesem Aspekt ja zu sagen. Ich war auf der Suche nach unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen und Ausdrucksformen. Im Rahmen eines Seminares zum Thema traumaadaptierte Tanztherapie zeigten sich die TeilnehmerInnen bereit, mir ihre Ja’s zu zeigen und mit einer Kamera aufzuzeichnen. Später schauten wir gemeinsam den kurzen Film an, und in den Gesichtern der TeilnehmerInnen spiegelte sich der Affekt oder nonverbale Ausdruck der jeweiligen Ja-sagenden Personen. So erhielt ich nach und nach sehr unterschiedliche Ja’s. Es gab entschlossene, wohlüberlegte, begeisterte, zärtliche, gerührte, besonnene, freudige, enthusiastische, leise, kämpferische (…) Ja’s. In Verbindung mit meinen Interviews begegnete ich einem älteren Mann, den ich im Krankenhaus besuchte, nachdem er eine belastende Diagnose mitgeteilt bekommen hatte. Tränen füllten seine Augen, als er davon berichtete. Dann hielt er inne. Seine Augen begannen zu strahlen, während er Ja nickte. „Ja, ich bin dankbar, dass ich ein so erfülltes Leben hatte und die Krankheit so spät erst gekommen ist.“ Eine junge Frau, die ich um ein Interview gebeten hatte, regte sich zunächst auf, weil sie der Meinung war, dass ich sie nicht hätte fragen dürfen, da sie Expertin im negativen Denken sei. Wir einigten uns darauf, zunächst nichts zu unternehmen. Eine Woche später sprach sie mich an und berichtete, sie sei im ersten Augenblick empört und wütend gewesen. Im Laufe der Woche habe sie dann aber nachgedacht. Sie sei sehr überrascht gewesen, dass sie Ja-Aspekte im Leben gefunden habe, und diese wolle sie mir nun erzählen. Eine estnische Lehrerin stellte mir bereitwillig 20 selbstgemalte Bilder einer Schulklasse zur Verfügung. Thema: Was mir am Leben in Estland gefällt. Des Weiteren machte ich mich auf die Suche nach Symbolen, die mit Ja assoziiert sein könnten. Nach der Exploration führte ich einen kurzen Workshop durch, um zu überprüfen, ob meine Konzeptidee umsetzbar sein würde. Auf diesen Erkenntnissen baute ich die Struktur des anschließenden Hauptworkshops auf. 1. Phase: Ja im Körper Die TeilnehmerInnen erhielten einstimmende Bewegungsanregungen und wurden dazu eingeladen, Bewegungen stets in der Weise umzusetzen, dass sie diese willkommen heißen konnten. Hierbei wurde der Fokus auf das Körpererleben und die Körperwahrnehmung gelegt, ohne etwas zu deuten, zu hinterfragen oder zu problematisieren. Sie explorierten abschließend ihre augenblickliche Ja-Bewegung. Diese wurde gezeigt und kommentiert. Die TeilnehmerInnen stellten spontan einen Zusammenhang zwischen ihrer Intention und ihrem Bewegungsausdruck her (s. Tab. 1). Let’s say yes 1 | 2015 17 2. Phase: Ja zu Fähigkeiten und persönlichen Ressourcen Nun sollte der Fokus auf die Bejahung von Ressourcen und persönlichen Eigenschaften gelegt werden. Nach einer Einstimmung in Form unterschiedlicher Übungen gestalteten die TeilnehmerInnen ihre persönlichen Ressourcen, die daraufhin von anderen erraten wurden (Beispiele s. Tab. 1). In der Einstimmung bestand eine Übung z. B. darin, dass ich auf verschiedenen Zetteln allgemeine Ressourcen notiert hatte. Während sich die TeilnehmerInnen zunächst ihrem eigenen Bewegungsbedürfnis entsprechend durch den Raum bewegten, hob eine Teilnehmerin einen Zettel auf und las ihn vor. Beispielsweise stand darauf: Netzwerkarbeit; kontaktfreudiges Wesen; Humor … Daraufhin wurden diese Begriffe spontan individuell oder als Gruppe umgesetzt. 3. Phase: Ja-Inhalte anderer Anregungen für Bewegungsexplorationen in dieser Phase resultierten aus den Rückmeldungen im Rahmen der Interviews. So bewegten sich beispielsweise die TeilnehmerInnen durch den Raum, während sie imaginierten, in der Natur zu sein und diese zu erforschen. Sie kreierten eine imaginative Umgebung, die nun zunehmend im Tanz und der Bewegung Gestalt annehmen konnte (dies wurde exemplarisch in ähnlicher Weise mit anderen benannten Ja-Inhalten getan). Die Thematik „Ja sagen“ sollte nun abstrahiert oder erweitert werden. Abschließend notierten sich die TeilnehmerInnen, wozu sie selbst in ihrem Leben Ja sagen können (Beispiele s. Tab. 1). 4. Phase: Besuch einer „Ja“-Ausstellung Während einer Pause kreierte ich eine Ausstellung zum Thema „Let’s say yes“. Ausstellungsobjekte waren z. B. Fotos, Symbole, Papiere mit Zitaten, selbstgemalte Bilder von Kindern, Objekte; im Hintergrund lief nonstop ein Video mit Ja-Aussagen. Der Ausstellungsbesuch war Ausgangspunkt dafür, unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen in einem Ja zu erfahren und auszudrücken. So wurde nach dem Ausstellungsbesuch stimmlich mit unterschiedlichen Ja-Ausdrucksformen experimentiert und zu- Tab. 1: Beispiele von Ergebnissen während der Workshop-Phasen Ja-Bewegungen „ja zu mir selbst“; „ja zu Fließen“; „ja zum Wechsel zwischen Kontrolle und freiem Fluss“; „ja zu Federn und Entspannen“; „ja zu sammelnden Bewegungen, die ausdrücken, etwas Gutes zu sammeln“ … Persönliche Ressourcen Humor, Offenheit, Freude am Tanz und anderen positive Dinge, offener „Geist“ … Feedbacks vor der Ausstellung „it is nice to be aware about this yes and I want to try to be aware about it in the next time“; „if you enjoy it, if you take the choices, you can enjoy life“; „in a flexible world it is good to have something concrete. I guess there are things, which make my life concrete. And this is yes. It holds me in reality“; „I always wanted to go, and now I say „yes““; „I want to learn to say yes to myself“ … Abschlussbemerkungen „… it was the easiness and lightness (…) that I discovered now“; „expression was very easy“; „I saw once again, that when you have time and space and there is easiness and creativity and whole movement, the body and brain, you can create like big things …“; „let it go and everything will come“; „I’ve found different forms of yes and it was funny, that we all used yes in our exchange more and more and that we laughed together“; „… yes is so playful“ 18 1 | 2015 Erika Sander nehmend spielerisch ein Ja in seiner (non)verbalen Ausdruckskraft in die Bewegung und künstlerische Gestaltung integriert. 5. Phase: Gestaltungsarbeiten In der letzten Phase erhielten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, das Ja künstlerisch zu thematisieren. Eine Teilnehmerin schrieb ein Gedicht. Eine Kleingruppe choreographierte einen Tanz zu „Ja“. Eine Kleingruppe schrieb eine Kurzgeschichte, in der Ja ein Wesen darstellen sollte, und setzte diese Geschichte in Bewegung um. Zusammenfassung Die TeilnehmerInnen zeigten mir, dass ein kreativer Prozess, in dem durch Tanz, Bewegung und positive Kognitionen Ja’s verkörpert werden, einen positiven inneren Prozess initiieren kann, der Inhalte und Gefühle hervorruft, die scheinbar auch für die Zukunft Bedeutung erhalten. Dieser Prozess war von Freude und Humor begleitet. Gleichzeitig wurde durch die Rückmeldungen der TeilnehmerInnen deutlich, dass ein solches methodisches Vorgehen therapeutische Effekte auslösen kann. Den TeilnehmerInnen schien es möglich gewesen zu sein, eine Verbindung zwischen positiven inneren Themen und deren Verkörperung herzustellen. Die Ja’s, die gefunden werden konnten, schienen auch für die Zukunft Relevanz zu besitzen. Ich habe mich sehr ermutigt gefühlt, weiter mit dieser Projektidee zu arbeiten. Die Suche nach den Ja’s ist keine oberflächliche Beschäftigung, denn, wie schon Frankl und die beiden Begründer der Positiven Psychologie feststellten: Sich gut zu fühlen, einen optimistischen Denkstil zu entwickeln, Wohlbefinden zu fördern, eine positive innere Grundhaltung zu stärken- - all das befähigt uns dazu, schwierigen Situationen mit innerer Stärke und Zuversicht zu begegnen. Damit könnte die Suche nach den Ja’s eine resilienzfördernde Wirkung haben. Ich möchte hiermit dazu anregen, diese Thematik näher zu erforschen und Methoden des Jasagens weiterzuentwickeln. Der Körper ist immer der ganze Mensch- - eine wunderbare Ressource und Kraftquelle, ein Kompass auf der Suche nach Sinnerleben, Freude und vielen Ja’s im Leben. Dies zeigt, wie wunderbar das Leben als solches ist. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ (Erich Kästner) Literatur Brehm, M. A., McNett, L. (2008): Creative dance for learning: the kinesthetic link. McGraw-Hill Higher Education, New York Duberg, A., Hagberg, L., Sunvisson, H., Möller, M. (2013): Influencing self-rated health among adolescent girls with dance intervention. A randomized controlled trial. JAMA Pediatrics 167 (1), 27-31, http: / / dx.doi.org/ 10.1001/ jamapediatrics.2013.421 Abb. 1: Dieses Objekt löste bei allen Teilnehmerinnen Freude und Zustimmung aus. Foto: Erika Sander Let’s say yes 1 | 2015 19 Frankl, V. (2013): Was nicht in meinen Büchern steht-- Lebenserinnerungen. Beltz, Weinheim / Basel Hüther, G. (2011): Was wir sind und was wir sein können-- ein neuro-biologischer Mutmacher. Fischer, Frankfurt / Main Hodgson, J. (2001): Mastering movement-- the life and work of Rudolf Laban. Routledge, New York Jovanovic, V. (2011): Do humor styles matter in the relationship between personality and subjective well-being? Scandinavian Journal of Psychology 52, 502-507, http: / / dx.doi.org/ 10.1111/ j.1467- 9450.2011.00898.x Kuiper, N. A., Grimshaw, M., Leite, C., Kirsh, G. (2004): Humor is not always the best medicine: specific components of sense of humor and psychological well-being. Humor 17 (1 / 2), 135-168 Laban, R. (1988): Der moderne Ausdruckstanz in der Erziehung. Florian Noetzel, Wilhelmshaven Laban, R. (1935): Ein Leben für den Tanz, herausgegeben 1989 von Claude Perrottet. Paul Haupt, Stuttgart O’Quin, K., Derks, P. (2011): Humor and creativity. In: Runco, M. A., Pritzker, S. R. (Hrsg.): Encyclopedia of Creativity. Vol. 1, Academic Press / Elsevier, San Diego / London, 628-635 Sander, A., Sander, E.: Seminar methodology and didactic of DMW. Unveröffentlichtes Script, Tallinn University, 2008-2011 Schoop, T. (1981). Komm und tanz mit mir! Verlag Musikhaus Pan, Zürich Seligman, M., Csikszentmihalyi, M. (2000): Positive psychology: an introduction. American Psychologist 55 (1), 5-14, http: / / dx.doi.org/ 10.1037/ 0003- 066X.55.1.5 Jötten. F. (2013): Bewegung: „Die Energie zum Tanzen ist unerschöpflich“. In: www.spiegel.de/ gesundheit/ ernaehrung/ wie-tanzen-als-medizin-wirktund-gluecklich-macht-a-881579.html, 22.12.2013 Storch M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher, W. (2006): Embodiment-- Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Hans Huber, Bern Wikipedia (2014): Ja. In: de.wikipedia.org/ wiki/ Ja, 26.8.2014 Die Autorin Erika Sander Tanz- und Ausdruckstherapeutin BTD, Lehrtherapeutin und Ausbilderin BTD, Heilkundliche Psychotherapie, Fachberaterin für Psychotraumatologie (DIPT). ✉ Erika Sander Erika.Sander@Eichenberg-Institut.de