eJournals körper tanz bewegung 3/2

körper tanz bewegung
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Medien & Materialien: Yaloms Anleitung zum Glücklichsein

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Lucia Weber
Zu Beginn des Films zieht ein großer Dampfer gemächlich durchs Bild und verschwindet langsam aus dem Blickfeld. Im Hintergrund glitzert das Wasser. Aus dem Off ertönt Yaloms Stimme: „In der Praxis bitte ich meine Klienten, eine Linie zu zeichnen, die für das Leben steht. Links steht die Geburt, rechts der Tod. Sie sollen einen Punkt auf der Linie markieren an der Stelle, an der sie sich gerade befinden. In diesem Moment wird ihnen die Endlichkeit ihres Lebens bewusst, und der therapeutische Prozess wird eingeleitet.“ Die langsamen Kameraeinstellungen ziehen sich von der Einleitung bis hin zum Ende des Films, unterstützt durch authentisch wirkende Statements Yaloms. Auf diese Weise gewährt er dem Betrachter tiefgründige Einblicke in sein Leben.
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78 körper-- tanz-- bewegung 3. Jg., S. 78-80 (2015) © Ernst Reinhardt Verlag Medien & Materialien Yaloms Anleitung zum Glücklichsein Alamode Film, DVD, 2015, 74 Minuten, 15,99 € (D) Zu Beginn des Films zieht ein großer Dampfer gemächlich durchs Bild und verschwindet langsam aus dem Blickfeld. Im Hintergrund glitzert das Wasser. Aus dem Off ertönt Yaloms Stimme: „In der Praxis bitte ich meine Klienten, eine Linie zu zeichnen, die für das Leben steht. Links steht die Geburt, rechts der Tod. Sie sollen einen Punkt auf der Linie markieren an der Stelle, an der sie sich gerade befinden. In diesem Moment wird ihnen die Endlichkeit ihres Lebens bewusst, und der therapeutische Prozess wird eingeleitet.“ Die langsamen Kameraeinstellungen ziehen sich von der Einleitung bis hin zum Ende des Films, unterstützt durch authentisch wirkende Statements Yaloms. Auf diese Weise gewährt er dem Betrachter tiefgründige Einblicke sein Leben. In einer weiteren Szene sehen wir eine nachgestellte Gruppensitzung: Ein junger Mann namens Jeff beschwert sich, dass seine zweite Ehefrau ihm gegenüber immer so aggressiv sei. Yalom nimmt diese Einleitung des Mannes zum Anlass, die Gruppe damit zu konfrontieren: „Stellt euch vor, ihr wäret Jeffs Ehefrau. Wie würde es euch mit ihm ergehen? “ Eine junge Frau aus der Gruppe meldet sich und stellt fest, dass Jeff in der Therapie meist mit seinem Stuhl außerhalb der Gruppe säße. Sie meint, man habe den Eindruck, er wäre nur zur Hälfte anwesend. Auch jetzt säße er nicht im, sondern außerhalb des Kreises. Über die Bemerkungen der Frau stellt der Protagonist Bezüge zu seiner momentanen Lebenssituation her. Dies hilft ihm dabei, Denkanstöße zu erhalten, was zu neuen Verhaltens- oder Beziehungsmustern führen kann. Yaloms Zitat: „Es gibt viele Gründe, warum es uns schwerfällt, unseren tiefsten Gefühlen zu begegnen. Die Leute schämen sich und fürchten sich vor dem, was andere über sie denken könnten, wenn sie sich offenbaren. Sie haben Angst, dass sie zurückgewiesen, verachtet oder gedemütigt werden. In der Therapie beginnen sie zu lernen, dass die Dinge, die sie umtreiben, uns alle umtreiben. Sie sind nicht andersartig. Das Gefühl ist: Willkommen in der Menschheit.“ Dieser menschliche Aspekt ist ein ganz wesentlicher Punkt innerhalb der Gruppentherapie. Die Menschen erkennen, dass sie alle in einem Boot sitzen und sich somit gegenseitig in ihrer Weiterentwicklung unterstützen können. Yaloms Menschenliebe, Ehrlichkeit und Empathie seinen Klienten gegenüber scheinen im Film ebenso wie in seinen Büchern und Essays immer wieder durch. Geboren ist Irvin D. Yalom in den USA als Sohn einer russisch-jüdischen Familie, die kurz nach dem Ersten Weltkrieg nach Washington ausgewandert war. Yalom wollte seinem engen Umfeld entfliehen und verbrachte die meiste Zeit seiner jungen Jahre in der Bibliothek. Heute zählt er zu den einflussreichsten Psychoanalytikern Amerikas. Insbesondere durch die Gruppenarbeit hat sich Yalom einen bedeutenden Namen gemacht und diese weltweit salonfähig gemacht. Neben seinen Fachbüchern als Psychotherapeut und Psychiater publizierte Yalom auch Romane und Essays. Seine Bücher „Die rote Couch“, „Die Schopenhauer-Kur“ oder „Und Nietsche weinte“ gehören zu meinen Lieblingsbüchern. Aufgrund seiner warmherzigen Ausstrahlung mit seinen lebendig wirkenden, verschmitzten Augen wirkt er im Film jünger als seine 83 Jahre und vereinnahmt sein Gegenüber. Etwas verwundert war ich allerdings über Yaloms Körpersprache: Immer wieder stellte ich den Pressrhythmus fest. Ob es sein Zeigefinger war, den er angestrengt gegen seine Unterlippe drückte, oder seine Hände, die er angestrengt gegen seine Oberschenkel presste. Ich frage mich, an welcher Stelle im Leben er Anstrengung 2 | 2015 79 Medien & Materialien erfahren hatte. Hypothetisch fällt mir dazu seine nicht so einfache Kindheit als Sohn einer Einwandererfamilie in Washington ein. Wie wir als körperorientierte Therapeuten wissen, wirken sich alle im Leben gewonnenen Erlebnisse auf das Körpergedächtnis aus. Insgesamt ist der Film eine gelungene Hommage an Yaloms Leben. Der Betrachter erhält einen intimen Einblick in seine Biografie und erlebt ihn selbst noch zu Lebzeiten. Der Filmtitel ist meines Erachtens etwas unglücklich gewählt, verspricht er doch aufgrund des Titels mehr Anleitungen zum Glücklichsein. Dennoch ist der Film sehenswert. Lucia Weber DOI 10.2378 / ktb2015.art12d