eJournals körper tanz bewegung 3/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Aktuelles: Aktuelle Forschung zur Tanz-, Bewegungstherapie in der Forensik und im Strafvollzug

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Iris Bräuninger
Dieser Beitrag fokussiert sich auf die tanz-, bewegungstherapeutische Behandlung in der Forensik und im Gefängnis. Die erste Studie evaluiert ein motionsregulationsprogramm, das auf Bewegungs- und Dramatherapie basiert (Koch et al. 2014). Batcup (2013) diskutiert im Rahmen einer Literaturübersicht die Möglichkeiten der Tanz-, Bewegungspsychotherapie in der Erwachsenenforensik und im Gefängnis. Das Fallbeispiel von Manford (2014) über eine forensische Patientin mit Persönlichkeitsstörung illustriert die tanz-, bewegungspsychotherapeutische Arbeit mit Emotionsmanagement und Mentalisierung bei Dissoziation und unsicherer Bindung.
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81 körper-- tanz-- bewegung 3. Jg., S. 81-83 (2015) DOI 10.2378 / ktb2015.art14d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelles D ieser Beitrag fokussiert sich auf die tanz-, bewegungstherapeutische Behandlung in der Forensik und im Gefängnis. Die erste Studie evaluiert ein Emotionsregulationsprogramm, das auf Bewegungs- und Dramatherapie basiert (Koch et al. 2014). Batcup (2013) diskutiert im Rahmen einer Literaturübersicht die Möglichkeiten der Tanz-, Bewegungspsychotherapie in der Erwachsenenforensik und im Gefängnis. Das Fallbeispiel von Manford (2014) über eine forensische Patientin mit Persönlichkeitsstörung illustriert die tanz-, bewegungspsychotherapeutische Arbeit mit Emotionsmanagement und Mentalisierung bei Dissoziation und unsicherer Bindung. Bewegungs- und Dramatherapie im Strafvollzug Die multimethodische Studie von Koch und KollegInnen (2014) untersuchte unter Gefängnisinsassen (N = 47) ein fünftägiges intensives Programm zur Emotionsregulation mit Bewegungs- und Dramatherapie (e | m | o processing, Lutz 2008). Erwartet wurde, dass sich in der Behandlungsgruppe die Werte der Wut- und Aggressionsskalen im Posttest reduzieren, die internen und externen Kontrollüberzeugungen erhöhen und die realistische Selbstwahrnehmung verbessern würden. Erwartet wurde auch, dass die Werte der Kontrollgruppe, die keine Intervention erhielt, unverändert blieben. Selbstauskunft-Fragebögen, computerbasierte Tests, Fokusgruppen und Bewegungsbeobachtung bildeten die Untersuchungsbasis. Im Posttest zeigte sich bei den Wut- und Aggressionsskalen kein signifikanter Unterschied zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe. Die Körperwahrnehmung, soziale Kompetenzen, Distanz gegenüber der eigenen Aggression und die erlebte Nähe zur Gruppe und zum Trainer verbesserten sich in der Behandlungsgruppe hingegen signifikant. Die Bewegungsanalyse der Rhythmen wies auf einen Rückgang des unmittelbaren Aggressionspotentials und auf einen gesteigerten Ausdruck eigener Bedürfnisse in dieser Gruppe hin. In der Kontrollgruppe veränderten sich diese Variablen nicht. Ergebnisse der Fokusgruppe deuteten auf eine positive Veränderung der Perspektivenübernahme, Emotionserkennung und Empathie hin. Potential von Tanz-, Bewegungspsychotherapie im Gefängnis Die Literaturübersicht von Batcup (2013) diskutierte das Potential von Tanz-, Bewegungspsychotherapie in der Sicherheitsverwahrung und im Gefängnis. Da Straftäter meist keinen Zugang zu den mit der Straftat verbundenen Gedanken und Gefühlen hätten, könne Tanz-, Bewegungspsychotherapie dazu beitragen, mit abgewehrten Emotionen durch aktive, körperorientierte Interventionen in Kontakt zu kommen. Tanz-, BewegungstherapeutInnen würden dem hohen Aggressionspotential und Suizidrisiko, welche in Verbindung stünden mit emotionalen Schmerzen, Konflikten und Traumata, nicht auf verbaler Ebene begegnen. Vielmehr ermögliche die aktive Teilnahme mit den KlientInnen, das, wofür es keine Worte gäbe, zu validieren, umzuwandeln und auf anderem Wege mitzuteilen. Dieser empathisch begleitende Prozess sei zentral dafür, dass sich bei den StraftäterInnen eine emotionale Beteiligung, Gefühle der Verbundenheit, Vitalität, Einfühlungsvermögen entwickeln und verändern könnten. Batcup betonte die Notwendigkeit der Durchführung von Studien und Meta-Analysen. Aktuelle Forschung zur Tanz-, Bewegungstherapie in der Forensik und im Strafvollzug Iris Bräuninger 82 2 | 2015 Iris Bräuninger Fallstudie über eine Inhaftierte mit Borderline-Störung Die Fallstudie von Manford (2014) über eine weibliche Inhaftierte mit Borderline-Persönlichkeitsstörung beleuchtete die Entwicklung der therapeutischen Beziehung auf bindungstheoretischem und Laban-bewegungsanalytischem Hintergrund. Anstelle des unreflektierten aggressiven impulsiven Ausagierens bot Tanz-, Bewegungspsychotherapie eine kreative, handlungsorientierte Alternative: Über Bewegung wurden positive Körperwahrnehmungen ermöglicht, über Metaphern wurden kognitive Prozesse und die Denkfähigkeit („capacity to think“, S. 101) gefördert und der Kontakt zum emotionalen Zustand hergestellt. Die Autorin betonte das Potential von Tanz-, Bewegungstherapie als effektive Behandlungsmethode im Gefängnis und für Einrichtungen mittlerer Sicherheitsstufe. Schlussfolgerung Die qualitativen und quantitativen Ergebnisse der ersten Studie (Koch et al. 2014) ergaben ein uneinheitliches Bild zur Wirkung des künstlerisch basierten Programms e|m|o processing (Lutz 2008) zur Emotionsregulation. Die Resultate erlauben zum jetzigen Zeitpunkt keine abschließende Empfehlung des Programms für Forensik oder Gefängnis, legen jedoch weitere Studien mit größerer Teilnehmerzahl, Randomisierung der Gruppen und veränderter Interventionslänge nahe. Alle drei Beispiele betonen das besondere Potential von Tanz-, Bewegungs- und künstlerischer Psychotherapie für die Resozialisierung im Rahmen der Forensik und des Regelstrafvollzugs (Batcup 2013; Koch et al. 2014; Manford 2014). Durch die Arbeit mit nonverbalem und verbalem Ausdruck könnten Traumata, Gewalt- und Missbrauchserfahrungen bearbeitet und Körperwahrnehmung, soziale Kompetenzen, Perspektivenübernahme, Emotionserkennung und Empathie verbessert werden. Das Potential dieses Ansatzes liegt, mit den Worten von Smeijsters und KollegInnen (2011), also weniger auf der Konzentration kognitiver Interpretationen als auf nicht-kognitiven, emotionalen, einverleibten oder „embodied“ Verhaltensmustern (Smeijsters et al. 2011). Literatur Batcup, D. C. (2013): A discussion of the Dance Movement Psychotherapy literature relative to prisons and medium secure units. Body, Movement and Dance in Psychotherapy 8, 5-16, http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 17432979.2012.693895 Koch, S. C., Chyle, F., Ostermann, T., Steinhage, A., Kende, P., Haller, K. (2014): Breaking barriers: Evaluating an arts-based emotion regulation training in prison. The Arts in Psychotherapy (e-publ.), http: / / dx.doi.org/ 10.1016/ j.aip.2014.10.008 Lutz, I. (2008): Was wirkt-- was heilt? Von Wirkfaktoren des originären Theaterhandwerks und Erkenntnissen moderner Gehirnforschung. In: Neumann, L., Stoltenhoff-Erdmann, M., Weith, U. (Hrsg.): Spielend Leben lernen! Schibri, Uckerland, 52-65 Manford, B. (2014): Insecure attachment and borderline personality disorder: Working with dissociation and the ‘capacity to think’. Body, Movement and Dance in Psychotherapy 9, 93-105, http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 17432979.2014.891261 Smeijsters, H., Kil, J., Kurstjens, H., Welten, J., Willemars, G. (2011): Arts therapies for young offenders in secure care-- A practice-based research. The Arts in Psychotherapy 38, 41-51, http: / / dx.doi.org/ 10.1016/ j.aip.2010.10.005 2 | 2015 83 Aktuelles Die Autorin Dr. Iris Bräuninger Wissenschaftliche Mitarbeiterin Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Dozentin im Masterstudiengang Tanztherapie, Autonome Universität Barcelona, Supervisorin und Lehrtherapeutin des deutschen und spanischen Berufsverbandes (BTD, ADMTE), Tanztherapeutin (ADTA), Kestenberg Bewegungsanalytikerin, Psychotherapie (ECP), Private Praxis für Supervision und Therapie. ✉ Dr. Iris Bräuninger Wissenschaftliche Mitarbeiterin Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Direktion Pflege, Therapien und Soziale Arbeit Forschung und Entwicklung Lenggstr. 31 | CH-8032 Zürich Tel. 0041-(0)44 384 2717 0041-(0)77 44 22 676 iris.braeuninger@puk.zh.ch oder dancetherapy@mac.com