eJournals körper tanz bewegung 3/3

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Wachstumsphasen der tanztherapeutischen Arbeit mit Traumafolgestörungen

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Susanne Bender
Menschen mit (komplexen) Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) gelangen nur über die Erfahrung von Sicherheit zu dem existenziellen Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Die Verantwortung für ihr Leben können sie nur übernehmen, wenn sie das Vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit (zurück)erobern. Der Mut zur Offenheit führt zu einem Teilen des Leids und bringt den Menschen aus der Isolation, sodass er vergangene Erfahrungen verarbeiten und in sein Lebensnarrativ integrieren kann. Das Wachstumsmodell von Bender wird hier auf die tanztherapeutische Behandlung von Menschen mit PTBS angewandt und mit praktischen Übungen begleitet.
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91 körper-- tanz-- bewegung 3. Jg., S. 91-100 (2015) DOI 10.2378 / ktb2015.art16d © Ernst Reinhardt Verlag Fachbeitrag Wachstumsphasen der tanztherapeutischen Arbeit mit Traumafolgestörungen Susanne Bender Menschen mit (komplexen) Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) gelangen nur über die Erfahrung von Sicherheit zu dem existenziellen Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Die Verantwortung für ihr Leben können sie nur übernehmen, wenn sie das Vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit (zurück)erobern. Der Mut zur Offenheit führt zu einem Teilen des Leids und bringt den Menschen aus der Isolation, sodass er vergangene Erfahrungen verarbeiten und in sein Lebensnarrativ integrieren kann. Das Wachstumsmodell von Bender wird hier auf die tanztherapeutische Behandlung von Menschen mit PTBS angewandt und mit praktischen Übungen begleitet. Schlüsselbegriffe komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, Sicherheit, Selbstwirksamkeit, Tanztherapie, Wachstumsmodell von Bender, Offenheit, Selbstbegrenzung Dance Therapy Phases of Growth in Working with Post Traumatic Stress Disorder People with (complex) Post-Traumatic Stress Disorder can only find the existential feeling of inclusion into a community by gaining a sense of security. They can take over responsibility for their lives if they (re)conquer the confidence in their self-efficacy. The courage to open up leads to shared pain and takes the person out of the isolation, so that he / she can process and integrate past experiences into his / her life-narrative. The growth model of Bender is applied to the dance therapy treatment of people with PTSD and is accompanied with practical exercises. Key words complex Post Traumatic Stress Disorder, safety, self-efficacy, dance therapy, model of growth by Bender, openness, self-confinement D as Wort „Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet Verletzung, Wunde, Niederlage. Das Erleben psychisch traumatischer Ereignisse konfrontiert Menschen per Definition mit einer Situation, die ihre subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten überschreitet und mit einem intensiven Gefühl von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Lähmung und Entsetzen einhergeht (Grabe / Mahler 2012). Das Alter zum Zeitpunkt der Traumatisierung und die damit zusammenhängende neurobiologische Hirnentwicklung hat eine differenzielle Wirkung auf die späteren Störungsspezifika (Maercker et al. 2004). Menschen mit schwersten und lang anhaltenden Traumatisierungen, z. B. infolge psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalterfahrungen oder auch Erfahrungen körperlicher Wachstumsphasen bei komplexer PTBS 92 3 | 2015 Susanne Bender bzw. emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit, werden durch die Diagnosekriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung nur unzureichend beschrieben. Aus diesem Grund schlug eine Arbeitsgruppe um Judith Herman und Bessel van der Kolk die Diagnose der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung vor (Herman 1992). Eine Fülle heterogener Symptome, die sonst als komorbide Störungsbilder einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu klassifizieren wären, werden als Bewältigungsstrategien und nicht primär als Defizite der komplexen PTBS verstanden (Sack 2015): ● Veränderungen der Emotionsregulation und Impulskontrolle: Der Umgang mit belastenden oder unangenehmen Gefühlen (Ärger, Wut oder Trauer) gelingt nur unzureichend. Eine Distanz zu den inneren Vorgängen kann nur unzureichend hergestellt werden, und die Betroffenen können sich selbst nicht beruhigen. Entweder reagieren sie überemotional bis hin zum Kontrollverlust, oder sie müssen viel Kraft aufwenden, um die ihnen als „bedrohlich“ erscheinende eigene Emotionalität zu verbergen. Selbstverletzendes Verhalten oder Alkohol und Drogen werden als Selbstberuhigungsversuche eingesetzt (Sack 2015). ● Unzureichender Selbstschutz: Betroffene liefern sich häufig bedrohlichen (auch sexuellen) Situationen aus und zeigen unzureichende Selbstfürsorge in alltäglichen Belangen, besonders im körperlichen Bereich (Ernährung, Körperpflege etc.) (Sack 2015). ● Ausgeprägte Gefühle von Schuld und Scham: Betroffene beschreiben, dass sie sich unwert oder dauerhaft zerstört fühlen. Derartige negative Selbstbeschreibungen sind kennzeichnend für früh- und langdauernd traumatisierte Menschen. Schuld- und Schamgefühle bewahren vor psychischer Desintegration, weil sie ein subjektives Erklärungsmodell für das Geschehene anbieten und Schuld nur dann entsteht, wenn eine Person hätte handeln können. Somit werden Gefühle eigener Ohnmacht und Hilflosigkeit vermindert (Sack 2015; DEGPT 2015). ● Veränderungen in Aufmerksamkeit und Bewusstsein: Es können dissoziative Episoden vorkommen, in denen sich das bewusste Erleben von der Außenwelt zurückzieht, ausgeprägte Erinnerungslücken oder sogenanntes Derealisationsbzw. Depersonalisationserleben, wobei die Umwelt distanziert und wie unwirklich erscheint oder das Gefühl besteht, „wie neben sich“ zu stehen. Aber auch intrusive Symptome sind möglich (Sack 2015). ● Veränderungen in Beziehungen zu anderen: Personen mit einer komplexen PTBS haben oft große Schwierigkeiten, anderen Menschen zu vertrauen. Sie sind sehr vorsichtig in der Kontaktaufnahme und haben wenige Strategien zum Austragen und Bewältigen von Konflikten. Ihnen fehlt häufig ein Gespür für die eigenen Grenzen, sodass sie Gefahr laufen, ausgenutzt oder sogar missbraucht zu werden (DEGPT 2015). ● Somatisierung: Zahlreiche körperliche Beschwerden, für die es keine organische Erklärung gibt, wie z. B. chronische Schmerzzustände, Beschwerden des Verdauungssystems, Harn- oder Genitaltraktes, Herzens, der Atmung sowie Erschöpfung, Schwindel sind Kommunikationsformen des Körpers für das ertragene Leid. Erhöhte Prävalenzraten von Somatoformen Störungen sind bei traumatisierten Menschen empirisch gut belegt (Andreski et al. 1998). Bei der Diagnose der komplexen PTBS besteht eine hohe Überschneidung mit anderen psychischen Erkrankungen wie der Borderline- Wachstumsphasen bei komplexer PTBS 3 | 2015 93 Persönlichkeitsstörung, der nicht-komplexen PTBS, den dissoziativen Störungen, Depression, Angstbzw. Panikstörungen sowie Sucht- und Zwangserkrankungen. Der Zusammenhang zu einer Traumatisierung wird nicht selten erst spät oder gar nicht erkannt. Menschen mit einer komplexen PTBS mussten bereits in frühen Lebensjahren, oft über einen langen Zeitraum traumatische Erlebnisse erfahren, sodass sie auch epigenetische Veränderungen der DNS erfahren, die nicht die Struktur des Gens, wohl aber die Funktion beeinflussen (Yehuda / Bierer 2008). Diese Veränderungen sind häufig stabil und werden manchmal transgenerational „vererbt“, sodass die Folgegeneration trotz fehlender traumatischer Ereignisse mangelnde Bewältigungsmechanismen zur Verfügung hat (Meaney / Szyf 2005). Auch fehlende oder inadäquate elterliche Fürsorge mit nachfolgenden Defiziten bei der Entwicklung einer angemessenen emotionalen Regulation (die nur durch spiegelnde Interaktion erlernt wird) kann das Risiko für die Entwicklung einer PTBS im Erwachsenenalter steigern (Yehuda 2012). Schwere oder wiederholte bzw. lang anhaltende Traumatisierungen verursachen nicht nur komplexe Veränderungen auf der neurophysiologischen Ebene, sondern auch auf der Bewegungs- und Verhaltensebene. Der Körper ist nicht mehr der sichere Ort der Vermittlung zwischen Welt und Selbst, sondern wird als eine Quelle von Gefahr erlebt (Eberhard 2009). Das Verständnis des Tanzes in der Tanztherapie umfasst alle Bewegungen, die gestaltend eine kommunikative Situation schaffen. Mit einer komplexen PTBS sind diese kommunikativen Möglichkeiten massiv reduziert. Neben den eigenen unzureichenden Bewältigungsmechanismen ist das Vertrauen in andere Menschen (oft einschließlich der Helfer) tief erschüttert. Die Tanztherapie hat das Ziel, die natürlichen Bewegungsimpulse auf eine Gefahr (Flucht oder Kampf ), die in der traumatischen Situation unterdrückt werden mussten und generalisiert bis zur Gegenwart im Bewältigungsrepertoire der Person blockiert sind, unter den veränderten Bedingungen der tanztherapeutischen Intervention wieder zu lösen oder zumindest ins Bewusstsein zu holen (Levine 2010; Eberhard 2006; Sander / Schedlich 2006; Moore / Stammermann 2009). Das Bewegungsangebot von Entwicklungsaufgaben, die das salutogenetische Potenzial (Antonovsky 1997) aktivieren und auf bewegungsanalytischen Prinzipien (Bender 2014a; Kestenberg Amighi et al. 1999) basieren, zeigt zahlreiche Möglichkeiten auf, die erstarrten Verhaltensmuster des Patienten zu erkennen, als Bewältigungsform anzuerkennen und alternative Möglichkeiten zu erarbeiten, die in der traumatischen Situation nicht möglich waren. Dabei werden explizit die Unterschiede zwischen den heutigen und den damaligen Bedingungen herausgearbeitet: eine Unterscheidung, die durch das Trauma erheblich eingeschränkt ist (Elbert et al. 2006). Körperliche und sprachliche Erfahrungsrepräsentanzen werden im Gehirn getrennt gespeichert. Sowohl bei frühkindlichen averbalen Phasen der Traumatisierung als auch bei höher strukturierten Patienten können nonverbale Interventionen die Verknüpfung der nonverbal gespeicherten Erinnerungen und Affekte mit der sprachlichen Erfassung und kognitiven Verarbeitung unterstützen (Schenk/ Schedlich 2001, Elbert et al. 2006). Anhand des Wachstumsmodells von Bender (Bender 2014b) werden tanztherapeutische Konzepte zur Traumabewältigung und körperlich-seelischen Reintegration vorgestellt. Je nach Schweregrad der PTBS sind Einzel- und Gruppensettings sensibel zu wählen. Keine Lebensgeschichte hält sich streng an theoretische Modelle, aber eine theoretische Orientierung im therapeutischen Verlauf hilft der Therapeutin, therapeutische Interventionen zur rechten Zeit anzubieten. 94 3 | 2015 Susanne Bender Die vorgestellten Übungen sollen einen Gedankenanstoß für die einzelnen Themen und Wachstumsphasen geben. Wachstumsmodell von Bender Bender (2014b) schlägt ein vierphasiges Wachstums- und Entwicklungsmodell vor, das grundlegende Herausforderungen des Lebens systematisiert. Dadurch ist dieses Modell ein Leitfaden für die Gestaltung von Therapie sowie die Diagnose von Therapieverläufen und persönlichem Wachstum. Die erste Phase ist das Finden einer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Dies ist zunächst die Familie und im weiteren Lebensverlauf jede neue Gruppe, in der das Individuum einen Platz finden, wichtig sein und gesehen werden möchte. Wird dies einem Menschen wiederholt verweigert, bleiben lebenslange Unsicherheiten, die sich in Rückzug, aber auch Aggression äußern können. Ist der Platz in einer Gemeinschaft gesichert, möchte eine Person auch Verantwortung übernehmen, über Leistung einen Beitrag zur Gesellschaft einbringen und dafür Anerkennung bekommen. Die Durchsetzung eigener Wünsche und Bedürfnisse muss verhandelt werden, Konfliktfähigkeit wird erlernt. Wird die Verantwortungsfähigkeit durch andere immer wieder in Zweifel gezogen oder wird die Person (vor allem als Kind) unter- oder überfordert, entstehen große Unsicherheiten in Bezug auf die eigene Leistungsfähigkeit. In der dritten Phase geht es um emotionale Offenheit. Erst wenn Beziehungen stabil sind, kann eine Person auch gut geschützte emotionale Bereiche offenbaren. Dies ermöglicht intime Beziehungen, Exklusivität von Beziehungen und tiefe Verbindung zu anderen Menschen. Ist das Vertrauen eines Menschen massiv missbraucht worden, wird er verschlossen bleiben, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Die letzte Phase stellt Menschen immer wieder vor große Herausforderungen, weil sie meist nicht hinreichend gewürdigt und gestaltet wird. Alle Menschen müssen sich mit dem Thema Trennung auseinandersetzen. Einen guten Abschluss in einem Lebensbereich, einer Gruppe, mit einem Lebensthema zu finden, ermöglicht erst die Öffnung (und damit neue Zugehörigkeit) zu einem weiteren Lebensabschnitt. Menschen, die zu viele ungewollte Trennungen erleben mussten, sind in der Gestaltung von Trennungen oft sehr eingeschränkt. Dieses sehr allgemeine Konzept soll hier auf die Behandlung von Menschen mit (komplexer) PTBS angewendet werden und dem Therapeuten als Kompass für den Therapieverlauf dienen. Je nach Setting und Schweregrad der Traumatisierung kann es durchaus sein, dass die Therapie in einer Phase verweilt. Zugehörigkeit = Sicherheit Alle Menschen brauchen ein Grundgefühl der Zugehörigkeit und der Heimat. Der Körper ist die „Heimat“ unseres Selbst. Traumatisierung wirkt sich immer auf den Körper aus, findet meist an ihm statt und wird im impliziten Körpergedächtnis gespeichert. Daher ist es für Traumabetroffene „gefährlich“, ihn als essenziell identitätsstiftend zu betrachten (Sachsse 2012). Um wieder eine Heimat erleben zu können, müssen Menschen mit einer (k)PTBS spüren, dass sie zu einer Gemeinschaft gehören. Dieses Gefühl kann nur in einem Zustand der Sicherheit erreicht werden. Sicherheit erlangen wir dadurch, dass wir wissen, wo unser Platz im Leben, in Beziehungen und ganz konkret in der Tanztherapiegruppe und im Raum ist (Bender 2014). Dieses existenzielle Grundgefühl ist massiv gestört und wird in der Tanztherapie durch erfahrbare Stabilisierung bearbeitet. Wachstumsphasen bei komplexer PTBS 3 | 2015 95 Übung: Die TeilnehmerInnen können sichtbar ihre Grenzen legen, entscheiden, wie groß, offen oder geschlossen, nah oder fern dieser Raum im Verhältnis zu den anderen ist. Damit kann dann vielfältig experimentiert werden (Bender 2014b). Menschen mit traumatischen Erfahrungen haben meist nur auf missbräuchliche Art erlebt, dass sie gesehen werden und wichtig sind- - ein weiteres sehr grundlegendes Gefühl, um sich im Leben und in einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen. In der Tanztherapie erfahren die Patienten, dass alle Komponenten ihres Seins gesehen werden und wichtig sind. Durch harmonische, sich verlässlich wiederholende Bewegungen erfährt der Patient, dass es möglich sein kann, Dinge wieder in Einklang zu bringen, auch wenn ihm dies für seinen Lebenszustand noch unmöglich erscheint. Übung: Ein gleichmäßiges Hin- und Herschwingen der Tücher (= Schutz) wirkt harmonisierend und damit verlässlich auf die PatientInnen. Durch das behutsame Akzeptieren der Bewegungsbeschränkungen und all der Faktoren, die Sicherheit geben, wird ein Gefühl der Sicherheit reaktiviert. Verantwortung = Selbstwirksamkeit Fühlen sich die Patienten in ihrem „Sosein“ (Heidegger 1967) gestärkt, sind psychophysisch stabiler und konnten erste Ressourcen wiederentdecken, dann kann verstärkt an der Eigenverantwortlichkeit gearbeitet werden. Verantwortlichen Einfluss auf die Umwelt auszuüben (Selbstwirksamkeit) geschieht über das sinnliche Erlebnis, dass die eigenen Bewegungen und Handlungen etwas verändern oder bewirken können. Durch die Traumatisierung und die daraus resultierenden Regulationsversuche durch Selbstverletzungen oder Alkohol- und Drogenmissbrauch ist es vielen nicht mehr möglich, emotionale Belastungen wahrzunehmen, aber der Körper reagiert. Die reale Erfahrung von physikalischer Kontrolle ist eine hilfreiche Einleitung zur mentalen Kontrolle. Die PatientInnen lernen behutsam, wieder Kontrolle über ihre Gefühlsregulation zu erlangen, und fühlen sich nicht mehr so ausgeliefert an das Umfeld, sondern nehmen aktiv Einfluss. Abb. 1: Der sichere Raum Abb. 2: Harmonie schafft Sicherheit. 96 3 | 2015 Susanne Bender Übung: Die Gruppe bewegt sich frei zur Musik. Immer wenn eine ausgewählte Person den Stock hebt, müssen alle (oder im Einzel nur die Tanztherapeutin) in der Bewegung stoppen. Wenn die Person den Stock wieder senkt, kann sich die Gruppe weiterbewegen. Die fehlende Impuls- und Affektregulation kann sukzessive mit Hilfe der Antriebe in den Bereichen Kontrolle (Bewegungsfluss- - frei- - gebunden), Aufmerksamkeit (Raum- - indirekt -direkt), Intention (Schwerkraft-- leicht-- stark) und Intuition (Zeit-- schnell-- getragen) (Bender 2014a) reguliert und ausgedrückt werden und somit die Selbstwirksamkeit erhöhen. Sowohl von außen als auch von innen gilt es für den Patienten anzuerkennen, welche Mechanismen der Bewältigung er gewählt hat, dass sie zum Überleben wichtig waren und nun einer Überprüfung unterzogen werden können. Offenheit = Mut Erst wenn das Gefühl der Selbstwirksamkeit im Körper und in den alltäglichen Handlungen verankert ist, finden PatientInnen den Mut, Affekte auszudrücken, ohne der Gefahr der Überflutung ausgesetzt zu sein. Die Beziehungen, ob zur Therapeutin oder zu anderen Gruppenmitgliedern, sind so stabil, dass sich die Patienten den verschiedensten Facetten ihrer Persönlichkeit zuwenden, ihre Glaubenssätze hinterfragen und Abb. 3: Aktion und Wirkung Wachstumsphasen bei komplexer PTBS 3 | 2015 97 neue Verhaltensweisen ausprobieren können. Das Selbst wird immer in der Mitte des Körpers, oft in der Herzregion gesehen. Dort wird auch häufig die Ehrlichkeit verortet. Erst der Kontakt zu sich selbst ermöglicht wieder ein empathisches Eingehen auf andere Menschen. Fragen des Vertrauens können in der therapeutischen Beziehung geklärt und eingefahrene Muster des Misstrauens oder der Vertrauensseligkeit hinterfragt werden. Emotionale und physische Reaktionen können nun in die traumatischen Erfahrungen eingeordnet und reguliert werden. Die Person ist zunehmend in der Lage, immer komplexere Beziehungen zu anderen zu gestalten (Bender 2014a). Die narrative Konfrontation mit den Erinnerungen soll dazu führen, dass die Betroffenen das traumatische Geschehen autobiografisch einordnen. Die Emotionen sollen in der Vergangenheit verankert werden (Schauer / Ruf-Leuschner 2014). Übung: Eine Person führt eine andere. Die Partner können selbst entscheiden, wie mutig sie dabei werden, ob die Augen geschlossen, das Tempo und die Richtung variiert werden. Die führende Person muss sich der Verantwortung für die folgende Person bewusst sein. Trennung = Selbstbegrenzung Die Polaritäten des Festhaltens und Loslassens werden in der letzen Phase erforscht. Zerstörerische Introjekte werden durch Medien (Bälle, Seile, Tücher etc.) externalisiert, und es wird mit raum-zeitlichen Optionen des Loslassens und Abschiednehmens experimentiert. Dadurch wird Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges getrennt, entsprechend in die persönliche Biografie eingeordnet, und durch strukturgebende Bewegungen kann die Wut über nicht Gelebtes und Verpasstes ausgedrückt werden, ohne zu dekompensieren. Abb. 4: Vertrauen durch Führung 98 3 | 2015 Susanne Bender Abb. 5: Vergangenes soll Vergangenheit sein. Damit Trennung als Teil des Lebens in die Psyche integriert werden kann, braucht sie eine Form und ein Ritual, um sie zu gestalten. Das Vergangene bekommt eine Form, eine Gestaltung und wird dadurch von der Gegenwart deutlich abgetrennt. Den Gefühlen wird im Ritual ein Behältnis gegeben. Übung: Ein Medium, das als Symbol für das Vergangene steht, wird sehr achtsam in ein Tuch eingerollt. Anschließend wird ein sicherer Ort dafür gesucht, wo es verwahrt (also zur Vergangenheit gehörig) werden kann. Nichtsdestotrotz haben die durchlebten Traumatisierungen, wie aber auch alle anderen Erfahrungen im Gehirn, in der Muskulatur und in der Hormonregulation Spuren hinterlassen, die die Möglichkeiten des Lebens einschränken. Diese Akzeptanz der Begrenztheit braucht sowohl bei den PatientInnen als häufig auch bei den TherapeutInnen Zeit, erlaubt aber den PatientInnen, die Möglichkeiten, die trotz aller Einschränkung bestehen, zu sehen und zu nutzen. Der Tanz bietet eine gute Möglichkeit, den Stolz und die Erleichterung des bereits Erreichten auszudrücken. Der Körper öffnet sich-- auch wenn manchmal nur in sehr kleinen Schritten-- und kann sich der Zukunft zuwenden, weil das bisher Erreichte anerkannt wird. Übung: Einschließende und ausbreitende Bewegungen, gemeinsam im Kreis ausgeführt, üben die Selbstanerkenntnis des bereits Erreichten. Sind Menschen in ihren existenziellen Grundrechten durch traumatische Erfahrungen verletzt worden, so brauchen sie im therapeutischen Setting sowie im Leben zunächst ein Angebot für Sicherheit. Nur durch die äußere Sicherheit hat der Patient überhaupt die Chance, einen kleinen Ort der inneren Sicherheit zu entwickeln. Erst wenn diese Sicherheit Wachstumsphasen bei komplexer PTBS 3 | 2015 99 von außen gewährleistet ist, kann mit Hilfe der Selbst- und Fremdwirksamkeit die eigenständige Kontrolle über das Leben kleinschrittig erarbeitet werden. Der Mut, das Schreckliche mit anderen zu teilen, durchbricht die Isolation und hilft bei der Unterscheidung von Vergangenem und Gegenwärtigem. Erst dann ist es möglich, das Buch der Vergangenheit immer häufiger zuzuschlagen und ihm einen angemessenen Platz im Bücherregal des Lebens zu geben, wohl wissend, dass es zum eigenen Leben gehört und die Person geprägt hat. Literatur Andreski, P. C. 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A., Ausbilderin, Lehrtherapeutin, Supervisorin BTD, ECP, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Sonderpädagogin, Paar- und Familientherapeutin, leitet seit über 30 Jahren das EZETTHERA, Europäisches Zentrum für Tanztherapie, und ist Direktorin des Deutsch-Chinesischen Tanztherapieprogramms PDTT in Peking. ✉ Susanne Bender Geyerspergerstr. 25 | D-80698 München www.tanztherapie-zentrum.eu New York, 326-349, http: / / dx.doi.org/ 10.1017/ CBO9780511499722.017 Grabe, H., Mahler, J. (2012): Traumatisierung, Genetik und Posttraumatische Belastungsstörung. In: Öskan, I., Sachsse, U., Streeck-Fischer, A. (Hrsg.): Zeit heilt nicht alle Wunden-- Kompendium zur Psychotraumatologie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 11-21, http: / / dx.doi.org/ 10.13109/ 9783666401862 Heidegger, M. (1967): Sein und Zeit. Max Niemeyer, Tübingen Herman, J. L. (1992): Complex PTSD: A syndrome in survivors of prolonged and repeated trauma. 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