körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2015
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Editorial
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2015
Sabine Trautmann-Voigt
Liebe Leserinnen und Leser, eine Zeit der übergeordneten Reflexionen über Wirksamkeit und Effektivität in der Psychotherapie statt abgrenzender Methodendiskussionen ist unlängst angebrochen. Dies zeigt sich in zahlreichen aktuellen Fachpublikationen, die das Dialogische Selbst, Mentalisierung, Bindung und Beziehung methodenübergreifend neu in den Blick nehmen. So finden sich auch in diesem Heft der ktb Beiträge, die auf eher übergeordnete Themen fokussieren: Berührung in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Leiblichkeit und spezielle kulturelle Bedingungen der Körperpsychotherapie in Europa.
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133 körper-- tanz-- bewegung 3. Jg., S. 133-134 (2015) DOI 10.2378 / ktb2015.art22d © Ernst Reinhardt Verlag Editorial eine Zeit der übergeordneten Reflexionen über Wirksamkeit und Effektivität in der Psychotherapie statt abgrenzender Methodendiskussionen ist unlängst angebrochen. Dies zeigt sich in zahlreichen aktuellen Fachpublikationen, die das „Dialogische Selbst“, „Mentalisierung“, „Bindung“ und „Beziehung“ methodenübergreifend neu in den Blick nehmen. So finden sich auch in diesem Heft der ktb Beiträge, die auf eher übergeordnete Themen fokussieren: Berührung in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Leiblichkeit und spezielle kulturelle Bedingungen der Körperpsychotherapie in Europa. Dass Berührung ein menschliches Grundbedürfnis darstellt, ist klar. Wie sie ethisch klar abgegrenzt im Umgang mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden kann, diskutiert Jörg-Michael Wolters. Gerade in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sind körperliche Handlungen sowie Spielhandlungen in der therapeutischen Arbeit Gang und Gäbe. Die Rogerianischen „Essentials“ Einfühlung, Echtheit und Kongruenz werden in der Herangehensweise dieses erfahrenen Klinikers im explorativen Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit unmittelbarer, wertschätzender Körperlichkeit ganz unaufgeregt verbunden. Auch in diesem Beitrag steht das „antwortende Du“ in der Buberschen Tradition mit im Mittelpunkt des Interesses. Hinzu kommt die Vorstellung einer spannenden, neueren Behandlungsform, die des Budo, welche der Autor zwischen Erlebnispädagogik, Körpertherapie und leiborientierter Psycho- Liebe Leserinnen und Leser, therapie ansiedelt. Auch die Stärke einer klaren, zuverlässigen, väterlichen Begleitfigur als therapeutisches Modell wird hier hervorgehoben, welche in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Tat eine strukturbildende Funktion hat und in unserer zunehmend von Frauen dominierten Helferszene gar nicht genug in den Vordergrund gerückt werden kann. Mit Bezug auf den Psychotherapieforscher Klaus Grawe hebt Martin Schley darauf ab, bestimmte menschliche Grundbedürfnisse nach Bindung, Kontrolle, Lustgewinn und Selbstwerterhöhung mit leibphänomenologischen Aussagen und dem Gestaltkreis von Weizsäckers zu verbinden. Das schulenübergreifende Konzept der Neuropsychotherapie zielt auf Regulationen der auf diese vier Grundbedürfnisse bezogenen Bedürfnisspannungen hin. Der Autor entwickelt eine Leitidee, wie Selbstwirksamkeit und Konsistenzerleben durch Interventionen auf der leiblich-präreflexiven Ebene erfahren werden können. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Geltungs- und Wirkungsanspruch klassischer Körper(psychotherapie)-Verfahren nicht 134 4 | 2015 Editorial überdacht werden müsste und eine leibliche, erlebniszentriertere Sicht auf Heilung grundsätzlich zu erwägen wäre. Dies regt zur vertieften Diskussion über die Verbindung von Ansätzen aus verschiedenen Denktraditionen für die Zukunft an. Mit diesem Heft startet auch die Serie zur Körper,- Tanz- und Bewegungspsychotherapie in Europa. Der erste Beitrag von Maurizio Stupiggia aus Italien weist einmal mehr darauf hin, dass sich durch Professionalisierungs- und Anerkennungsbestrebungen der Psychotherapie als Wissenschaft gegen Ende des letzten Jahrhunderts die Nachfrage nach Körper(psycho)therapie verändert hat und eine Reihe körper(psycho)therapeutischer Ansätze allmählich verschwinden-- eine Entwicklung, die wir auch in Deutschland beobachten. In Italien spielt jedoch auch die kulturell verankerte Religiosität und eine damit verbundene, tief verwurzelte, gespaltene Haltung gegenüber der eigenen Körperlichkeit (Lust contra Sünde) eine Rolle. In diesem kulturellen Klima haben sich Reichianische Ansätze sowie vor allem seit den 1970er Jahren des letzten Jahrhunderts künstlerisch-tanztherapeutische Ansätze entwickelt. Wie sich ihre Zukunft in Italien angesichts weiter steigender wissenschaftlicher Begründungsansprüche gestaltet, bleibt abzuwarten. Spannende und vielfältig zum Weiterdenken anregende Artikel, die ich Ihnen gern im Namen des Herausgeber-Teams zur Lektüre empfehlen möchte! Dr. Sabine Trautmann-Voigt Mitherausgeberin „körper-- tanz-- bewegung“
