eJournals körper tanz bewegung 4/2

körper tanz bewegung
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Männer tanzen nicht, Männer bewegen sich!

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Hans Schmeißer
Als einer der wenigen Männer, die tanztherapeutisch in einer Klinik arbeiten, berichte ich hier gerne über meine Erfahrungen als Tanztherapeut mit männlichen Patienten und Klienten. Meine eigenen Erfahrungen (vor über 25 Jahren) in der Ausbildung zum Tanztherapeuten waren u. a. die Auseinandersetzungen mit meiner männlichen Identität und der Akzeptanz in der eher weiblich geprägten Tanztherapie. Darf ich hier ‚Mann‘ sein, und wie sieht das aus?
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98 körper-- tanz-- bewegung 4. Jg., S. 98-100 (2016) DOI 10.2378 / ktb2016.art12d © Ernst Reinhardt Verlag Forum: Essay Männer tanzen nicht, Männer bewegen sich! Hans Schmeißer A ls einer der wenigen Männer, die tanztherapeutisch in einer Klinik arbeiten, berichte ich hier gerne über meine Erfahrungen als Tanztherapeut mit männlichen Patienten und Klienten. Meine eigenen Erfahrungen (vor über 25 Jahren) in der Ausbildung zum Tanztherapeuten waren u. a. die Auseinandersetzungen mit meiner männlichen Identität und der Akzeptanz in der eher weiblich geprägten Tanztherapie. Darf ich hier „Mann“ sein, und wie sieht das aus? Männer sprechen vergleichsweise selten über ihre Gefühle. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, sie haben keine. Aber so weit will ich nicht gehen. Darüber sprechen ist ja noch einmal schwieriger, als Gefühle zu haben oder zu zeigen. Welche Bedeutung aber hat das für mich als Therapeut bzw. für die vielen Therapeutinnen in ihrer tanztherapeutischen Arbeit mit Männern? Ich arbeite in der Allgemeinpsychiatrie auf der psychotherapeutischen Station und in einer Tagesklinik mit meist gemischtgeschlechtlichen Gruppen. In den Vorgesprächen mit Männern stoße ich oft auf Ablehnung, wenn das Wort „Tanztherapie“ auftaucht, und ich brauche etwas Zeit zu erklären, dass damit weder Tanzstunde, noch Disco, noch Sport gemeint ist. Die meisten Männer haben bis dahin Sport (Leistung oder Versagen), körperbezogene Schmerzen, Verletzungen, Kränkungen, Spannungen, Impulskontrollverlust erlebt oder darunter gelitten. Sie haben erfasst: Etwas funktioniert nicht mehr, „Mann“ kann sich nicht mehr auf das verlassen, wodurch sich Männer meist spüren, definieren und darstellen. Ich beginne die Stunde meist mit einer Befindlichkeitsrunde. Mit Fragen zur aktuellen Befindlichkeit, zu Themen, die zurzeit wichtig sind und innerlich oder äußerlich bewegen, zu Wünschen an die Stunde. Danach versuche ich, die Bedürfnisse, Stimmungen und Wünsche in Bewegungsübungen / Aufgaben umzusetzen, gelegentlich auch mit schmerz- und spannungslindernden Übungen, Reflektion inbegriffen. Ab und zu erweist sich auch das umgekehrte Vorgehen als vorteilhaft. Dabei wird die Gruppe spielerisch in Bewegung kommen, spricht von Ablenkung, die auch zu einer bewussten Hinwendung in Bewegung und Gespräch führen kann. Ein Weg in der Tanztherapie ist übungszentriertes Vorgehen. Die Übungen stellen nicht den Ausdruck in den Vordergrund, sondern Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung: Entspannungsübungen, Koordinationsübungen, Jonglieren und Geschicklichkeit stehen im Fokus. Hier kann sich der Mann mit seinen Ressourcen zeigen und sicher fühlen. Einer der wichtigsten Aspekte in jeder therapeutischen Arbeit ist zu schauen, wo die Ressourcen liegen: Wie kann der Patient darauf aufbauen oder sie wieder entdecken? Was ist Männer tanzen nicht, Männer bewegen sich! 2 | 2016 99 ihm möglich? Wo ist Bewegung und Ansatzpunkt für eine Weiterentwicklung? Erleben und Spüren erfolgt im Dosieren von Kraft, Zeit (Tempo), Raum, Fluss. Hier kommen in den kleinen, dann immer ausführlicheren, vom Patienten mutigeren Nachgesprächen mit der Zeit auch Gefühle über das Erlebte zur Sprache: Scham und Angst, Ärger und Wut, dann vielleicht Trauer. So kommen der Therapeut und der männliche Patient dem Ganzen näher. Der Therapeut fungiert als Übersetzer für das, was so schwierig ist auszusprechen. „Mann“ beginnt zu sprechen: über sich, über seine Erfahrungen, seine Gefühle. Erst unklar, verworren, keine Worte findend, „falsche“ Worte für Empfindungen, Spannung und Ärger anstatt Trauer und Angst. Ein kleines Fallbeispiel: Junger Mann, eher zart und klein, kommt mit einer Angst- und Panikstörung in die Klinik. „Alles gut“, er studierte in München, lebte dort in einer WG, Familie in Ordnung, er schildert eine gute Beziehung zu den Eltern. Keinerlei Konflikte. Was mag hier los sein? Er kam zurück nach Duisburg, da er das Studium nicht mehr schaffte, er fühle sich „stecken geblieben im Leben“. In der Tanztherapie zeigt er sich angepasst bei den Übungen, kann wenig über sich sagen, berichtet nur immer von Angst und Panik. Ruhige Bewegungen fallen ihm schwer, Kraft und Wut zeigt er nicht. In einer Stunde entdeckt er eher zufällig das Indiaca (Federball mit der Hand). Hier ist zum ersten Mal mehr von ihm zu erleben, fast suchtartig wird dies von ihm gewünscht, er traut sich dort auch endlich etwas aus sich heraus. Er beginnt zu erzählen, wie leistungsorientiert er ist, dies mache er, um seinen Eltern (vor allem seinem Vater) zu gefallen. Dafür müsse er sich aber sehr anstrengen. So beginnt die Erarbeitung seiner Beziehungen, ein langsames Lösen von den elterlichen Ansprüchen. Auch fühle er sich hässlich, wenig männlich. In der Tanztherapie und den Gesprächstherapien beginnt er allmählich, mehr zu sprechen, und kann dann nach acht Wochen wesentlich gesünder in eine ambulante Therapie entlassen werden. Hier zeigt sich sehr schön, wie Rücksichtnahme auf Widerstände zum Erfolg führt. Es geht weg von: „Ich mache das mit mir aus, das geht doch keinen etwas an, die anderen können mir nicht helfen.“ Hier half auch die Gruppe mit Mitleid, der Gruppenintelligenz und der Gruppenemotionalität weiter. Förderlich war hier vielleicht auch, dass der Therapeut männlich war. Was ist nun anders in der therapeutischen Arbeit mit Männern? Ich meine erkannt zu haben, dass ich in der Therapie nicht von Gefühlen ausgehe, sondern mit den Patienten auf Gefühle zugehe, anrege, diese zu spüren, zu zeigen und dann auszusprechen. Die dahinter liegenden Erfahrungen, Konflikte oder Traumata können bewusster werden und in der Folge verstanden und bearbeitet werden. Hier spielen, oft auch bei ausländischen Patienten, die gekränkte Männlichkeit und der männliche Narzissmus eine große Rolle. Die Würdigung des Leids und die Anregung, Ressourcen zu erinnern und diese wieder zu aktivieren, nehmen einen großen Teil der Therapie in Anspruch und dienen dem Aufbau einer tragenden, stützenden und belastbaren therapeutischen Beziehung. Andere sportlich orientierte Angebote in unserer Klinik helfen, ergänzend neue positive Bezüge zu Leistung, Spaß und sportlichem Wettkampf zu finden- - meist eine männliche Domäne, die auch zunehmend gern von Frauen genutzt wird. Raus aus Flucht und / oder Erstarrung, Opfererleben, Abwehr in eine aktive Bewältigung und Auseinandersetzung mit der Welt. Axel Hacke entwickelte im Süddeutschen Magazin (Ausgabe 38 / 2015) eine Vision. Bald werden 46 % aller Tätigkeiten, die heute von Männern ausgeübt werden, von Robotern 100 2 | 2016 Hans Schmeißer übernommen: „Gott hatte bei der Schöpfung des Mannes einen Roboter im Sinn, indes fehlte es ihm damals an der Schöpfungserfahrung. Heute sind wir da weiter“ und „Der Pessimist sieht den Mann in Sinnlosigkeit, Suff und Gewalt versinken. Der Optimist sieht die am wenigsten von Robotik bedrohten Tätigkeiten in Berufen, wie z. B. Choreographen, und fände es schön, wenn der Mann eine Zukunft als tanzendes Wesen hätte …“ Choreographierte Männerballetts in Parks, zart schwebend und kräftig sich gegenseitig tragend oder in den Himmel hebend. Sehr schön auch zu sehen in Neuss bei den internationalen Tanzwochen in einer Aufführung der Compagnie Hervé Koubi aus Algerien und Frankreich mit zwölf männlichen Tänzern: akrobatisch, kraftvoll, zart und zugewandt und immer präsent. Eine der vielen Möglichkeiten für Männer, sich über Bewegung und Tanz auszudrücken. Es geht doch … Der Autor Hans Schmeißer Dipl. Heilpädagoge, Heilpraktiker für Psychotherapie, Tanztherapeut BTD ✉ Hans Schmeißer Winkelhauserstr. 213 | D-47228 Duisburg hans.schmeisser@gmx.net