körper tanz bewegung
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Forum: Körperpsychotherapie in der Schweiz
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Margit Koemeda-Lutz
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, auch in der Schweiz lebensreformerische Ansätze entwickelt, um die Gesundheit von Seele und Körper ganzheitlich zu fördern. Im Jahr 1996 boten zehn Schulen und Verbände, organisiert unter dem Dach einer Schweizerischen Sektion der European Association for Body-Psychotherapy (CH-EABP), körperpsychotherapeutische Ausbildungsgänge an. Gesetzlich wurde Psychotherapie erst in den 1980er Jahren als eigenständiger Beruf definiert, und zwar zunächst auf kantonaler Ebene. Für ÄrztInnen regelt seit 2006 ein Medizinalberufegesetz die Erlangung von (u. a. Psychotherapie-)Facharzttiteln und Fähigkeitsausweisen. Dort sind derzeit vier körperpsychotherapeutische Methoden anerkannt; diese Anerkennung muss jährlich erneuert werden. 2013 trat ein Eidgenössisches Psychologieberufegesetz in Kraft, das derzeit sechs körperpsychotherapeutische Curricula (provisorisch) anerkennt.
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43 körper-- tanz-- bewegung 5. Jg., S. 43-50 (2017) DOI 10.2378 / ktb2017.art06d © Ernst Reinhardt Verlag Forum: Körper-, Tanz- und Bewegungspsychotherapie in Europa Körperpsychotherapie in der Schweiz Margit Koemeda-Lutz Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, auch in der Schweiz lebensreformerische Ansätze entwickelt, um die Gesundheit von Seele und Körper ganzheitlich zu fördern. Im Jahr 1996 boten zehn Schulen und Verbände, organisiert unter dem Dach einer Schweizerischen Sektion der European Association for Body-Psychotherapy (CH-EABP), körperpsychotherapeutische Ausbildungsgänge an. Gesetzlich wurde Psychotherapie erst in den 1980er Jahren als eigenständiger Beruf definiert, und zwar zunächst auf kantonaler Ebene. Für ÄrztInnen regelt seit 2006 ein Medizinalberufegesetz die Erlangung von (u. a. Psychotherapie-)Facharzttiteln und Fähigkeitsausweisen. Dort sind derzeit vier körperpsychotherapeutische Methoden anerkannt; diese Anerkennung muss jährlich erneuert werden. 2013 trat ein Eidgenössisches Psychologieberufegesetz in Kraft, das derzeit sechs körperpsychotherapeutische Curricula (provisorisch) anerkennt. Schlüsselbegriffe Körperpsychotherapie, Schweiz, Institutionalisierung, Anerkennung, Qualitätsstandards Body Psychotherapy in Switzerland As in other European countries, in Switzerland at the beginning of the 20th century certain philosophies and practices emerged, which holistically aimed at promoting psychosomatic health. By 1996 ten institutions offered body-psychotherapeutic trainings under the umbrella of a Swiss Section of the European Association for Body-Psychotherapy (CH-EABP). Psychotherapy as an autonomous profession was not legally defined before the 1980-ies and even then requirements varied from canton to canton. Since 2006 a law for medical professions regulates the attainment of medical (psychotherapy, among others) degrees. Presently four body-oriented approaches got accredited in this context, and accreditations must be annually renewed. In 2013 a law for psychological professions was enacted, presently acknowledging six body-psychotherapeutic curricula (accreditations must be renewed every seven years). Key words body-psychotherapy, Switzerland, institutionalization, acknowledgement, quality standards 44 1 | 2017 Margit Koemeda-Lutz der psychosomatischen Regeneration angesehen. Man war bemüht, Medizin und Natur zu verbinden. Es wurden universelle Regeln eines gesunden Lebens aufgestellt, wozu Leibesübungen, Bewegung in der Natur, Bemühung um Wahrhaftigkeit und die Befreiung des Geistes von negativen Gedanken gehörten. Auch fernöstliche religiös-philosophische Einflüsse, die auf nicht-dualistischen Leib- Seele-Konzepten basieren, über Jahrhunderte entwickelte körperbezogene Entspannungs-, Behandlungstechniken und Übungsverfahren wie verschiedene Yoga-Traditionen in Indien, Tai Chi und Chi-Gong-Schulen in China wurden rezipiert und fanden zunehmend Verbreitung (z. B. Merz 1992). In der westlichen Medizin entwickelte sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts eine bio-psycho-soziale Sichtweise von Gesundheit und Krankheit, deren wissenschaftliche Grundlagen (z. B. Johann C. A. Heinroth, Viktor von Weizsäcker, Thure von Uexküll, Walter Bräutigam bis hin zu Wolfgang Wesiak, Peter Hahn, Medard Boss u. v. m.) gemäß Hahn (1983) in den Anfängen des 19. Jahrhunderts wurzeln-- obwohl der Anspruch ärztlicher Heilkunst, den „ganzen“ Menschen, also auch sein seelisch-geistiges Erleben, in Diagnostik und Behandlung einzubeziehen, sehr viel älter sei und sich bis in die Anfänge der Medizin zurückverfolgen lasse. Die stärksten Impulse zur Erforschung psychosomatischer Wechselwirkungen gingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Psychoanalyse und den tiefenpsychologischen Schulen aus. In der Schweiz wurde erst 1963 die Schweizerische Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Anfang der Neunziger Jahre die Schweizerische Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM) gegründet. Auch in der Psychotherapie war der Einbezug des Körpers zum Thema gemacht worden (P. Janet, G. Groddek, W. Reich usw.). So aber, wie die psychosomatische Medizin zunächst einen Außenseiterstatus zu überwin- Die folgenden Ausführungen beschränken sich aufgrund meines Kenntnisrahmens auf die Körperpsychotherapie als Methode im Rahmen der durch staatliche Regularien anerkannten Psychotherapie. Zur Entwicklung von Tanz- und Bewegungstherapie in der Schweiz wird auf den Berufsverband btk verwiesen. Kontext und Wurzeln Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern hat auch in der Schweiz das Problem der Entfremdung des Menschen vom eigenen Körper eine lange Tradition. Deren Wurzeln reichen zurück bis in die Philosophie der Antike (Platon) und beeinflussen unser Denken über die christliche Theologie und die Philosophie der Aufklärung (R. Descartes) bis heute. Wie Geuter (2015) in seiner theoretischen Fundierung körperpsychotherapeutischer Ansätze darlegt, waren es auch hier vor allem die Folgen der industriellen Revolution ab Mitte des 19. Jahrhunderts, die eine Instrumentalisierung des Körpers sowie eine Entfremdung von ihm zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem machten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden auch in der Schweiz Gegenbewegungen: Als Beispiele seien das 1900 von Henri Oedenkoven und Ida Hofmann erworbene Land auf dem Monte Monescia und die dort gemeinsam mit Gustav Gräser und anderen ins Leben gerufene lebensreformerische Künstlerkolonie Monte Verità bei Ascona genannt (Schwab 2003), die 1897 von dem Schweizer Arzt und Ernährungswissenschaftler Maximilian Oskar Bircher-Benner gegründete Privatklinik, später Sanatorium, Zürichberg (Wolff 2010) sowie das von dem Arzt Adolf Keller erbaute und über drei Generationen geführte, bis heute bestehende Kurhaus Cademario oberhalb des Luganersees (Mollisi 2014). Sonnenbäder, gutes Wasser und gute Luft, Vegetarismus, naturheilkundliche Konzepte, Theosophie und Psychoanalyse wurden als wesentliche Elemente Körperpsychotherapie in der Schweiz 1 | 2017 45 den und Schritte zu einer Institutionalisierung und Akademisierung ihrer Lehre zu unternehmen hatte, müssen auch körperorientierte Richtungen innerhalb der Psychotherapiewissenschaft eine vergleichbare Entwicklung machen. Hier werden weniger körperliche Erkrankungen im Kontext lebensgeschichtlicher und systemischer Bedingungen zu verstehen und zu behandeln versucht, sondern der Körper bzw. körperliches Erleben wird als Zugang zum Verständnis seelischen Leidens, menschlicher Organisations- und Regulationsvarianten wie auch als Ressource zu deren Überwindung und Veränderung aufgefasst. Psychosomatische Medizin und Körperpsychotherapie stellen vermutlich nur unterschiedliche Schwerpunktsetzungen eines Krankheitsmodells dar, wonach Seele und Körper zwei untrennbar miteinander verbundene Aspekte des Menschen sind, ohne lineare Kausalitäten in die eine oder die andere Richtung zu behaupten. Bedauernswerter- und unverständlicherweise spielen psychosomatische Schwerpunktsetzungen bis heute in ihren jeweiligen Grunddisziplinen, Medizin und Psychologie, eine randständige Rolle. Psychotherapieausbildungen in der Schweiz Ausbildungen zum Psychotherapeutenberuf waren in der Schweiz über Jahrzehnte nicht staatlich geregelt. Sie wurden überwiegend von privaten Institutionen angeboten. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurden auch an Universitäten entsprechende Curricula entwickelt, die gegenüber den privat organisierten mehrfache Wettbewerbsvorteile genießen. Körperpsychotherapeutische Weiterbildungen behielten aus diversen Gründen ihre Akademieferne bei. In den Jahren 1989-1991 trat in der Schweiz eine Konferenz psychotherapeutischer Ausbildungsinstitutionen und Fachverbände zusammen und formulierte in der Schweizer Charta für Psychotherapie einen Konsens über Inhalte und Minimalstandards, Wissenschaftlichkeitskriterien und ethische Richtlinien für Psychotherapieausbildungen. 1993 wurde diese „Charta“ zunächst von 27 Ausbildungsinstituten, Fach- und Berufsverbänden unterzeichnet. Heute gehören ihr fünf körperpsychotherapeutische Institute an (siehe Tab. 1). Die dort getroffenen Vereinbarungen werden in demokratischen Prozessen laufend weiterentwickelt und zur Qualitätssicherung umgesetzt und überprüft. Die Schweizer Charta für Psychotherapie ist ein Organ der Assoziation Schweizerischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (ASP). Am Beispiel von Somatic Experiencing (nach Peter A. Levine, Verband SE-Schweiz), von Core Energetics (J. Pierrakos; z. B. Walid Daw, Bern, in der Schweiz) sowie der Tanztherapie (Rudolf Laban, Mary Wigman; z. B. Trudi Schoop in der Schweiz) ist nachzuvollziehen, wie weitere wertvolle therapeutische Ansätze durch die Initiative Einzelner in die Schweiz gebracht und eine Zeit lang angewendet und gelehrt wurden, sich aber institutionell nicht ausreichend verankern konnten, um eine kontinuierliche Psychotherapie-Aus- und Weiterbildungstätigkeit zu etablieren. Es werden aber Curricula im Bereich Komplementärtherapie, Coaching und Beratung angeboten sowie Fortbildung im Anschluss an integrale Psychotherapie-Weiterbildungen. Eine Reihe dieser Ansätze werden als komplementärtherapeutische Methoden im „Erfahrungsmedizinischen Register“ (EMR) geführt. Es umfasst derzeit 139 verschiedene Methoden. Diese verfügen über eine Anerkennung durch die „Stiftung zur Anerkennung und Entwicklung der Alternativ- und Komplementärmedizin“ (ASCA). Kurze Zeit vor der oben genannten Ratifizierung der Charta, 1990, gründete der Arzt für psychosomatische Medizin und Bioenergetische Analytiker T. P. Ehrensperger (1. Präsident) eine nationale Organisation der „European Association for Body Psychotherapy“ 46 1 | 2017 Margit Koemeda-Lutz (EABP), und zwar den „Schweizerischen Verband für körperbezogene Psychotherapie“ (CH-EABP). Der Vereinszweck beinhaltete die Vertretung der Belange der Körperpsychotherapie und ihres Faches gegenüber der Öffentlichkeit. Auch das Ziel der Methodenintegration wurde genannt. 1993 wurde Körperpsychotherapie von der European Association for Psychotherapy (EAP) als Psychotherapie-Grundrichtung anerkannt, da sie über eine besondere Theorie der Wechselwirkungen von Körper, Geist und Umwelt verfüge und Techniken zur vertieften psychosomatischen Selbstwahrnehmung und Selbstregulation anbiete. 1996 und 2000 organisierte die CH-EABP zwei Kongresse in Basel mit über 600 Teilnehmern, ab 2008 z. T. in Kooperation mit dem Institut für Integrative Körperpsychotherapie (IBP) und der Schweizerischen Gesellschaft für Bioenergetische Analyse und Therapie (SGBAT) weitere Fachtagungen. Die CH-EABP konnte mehrere Forschungsprojekte sowie einen Psychotherapieweiterbildungsgang im Kosovo finanziell unterstützen. Eine Initiative der SGBAT, mit Blick auf die bis Ende 2017 zu erlangende Akkreditierung von Weiterbildungsgängen im Rahmen des Psychologieberufegesetzes, mehrere Körperpsychotherapie-Institute zur Erarbeitung eines gemeinsamen Basis-Curriculums zu gewinnen, musste im Sommer 2012 aufgegeben werden, ein gleichgerichteter Versuch der CH-EABP scheiterte 2013. In dem 1996 vom Schweizerischen Verband für körperbezogene Psychotherapie (CH-EABP) herausgegebenen Handbuch „Körperbezogene Psychotherapie- - Schweiz- - die wichtigsten Psychotherapieformen“ stellen zehn Schulen Körperpsychotherapie - Weiterbildungsanbieter in der Schweiz (Stand 2016) CH- Institut (alphab.) Methode Ursprungsland Gründerpersönlichkeit(en) Methode CH-Gründungsjahr Gründerpersönlichkeit(en) Schweiz GFK Gespräch - Focusing - Körper USA, BRD, CH C. Rogers, W. Reich, E. Gendlin 1989 Christiane Geiser, Ernst Juchli IBP Integrative Körperpsychotherapie USA J. L. Rosenberg 1991 Dr. med. Markus Fischer IIBS Biosynthese GB, CH D. Boadella 1985 Dr. Sc.h.c. David Boadella, Silvia Boadella Ph.D. IKP Körperpsychotherapie USA, CH C. Rogers, F. Perls 1981 Dr. med. Yvonne Maurer SGBAT Bioenergetische Analyse USA A. Lowen 1981 Dres. med. Hans Peter, Thomas Ehrensperger SIKOP* Körperorientierte Psychotherapie USA G. Downing 1997 George Downing Ph.D. ZFW** Organismischformative Psychologie A, USA A. Adler, S. Keleman 1990 PD Dr. Irène Kummer, Elisabeth Schlumpf * Auflösung des Instituts 2009 ** nicht Charta-Mitglied Tab. 1 Körperpsychotherapie in der Schweiz 1 | 2017 47 und Verbände für körperbezogene Psychotherapie ihre Methoden und Ausbildungsangebote vor (Gründerpersönlichkeiten in Klammern). Namentlich sind dies: das Institut für Biodynamische Psychologie und Körperarbeit, heute Berufsverband Biodynamik Schweiz BBS (G. Boyesen), die Schweizerische Gesellschaft für Bioenergetische Analyse und Therapie SG- BAT (A. Lowen)*, das Zentrum für Biosynthese IIBS (S. und D. Boadella)*, das Core Energetic Zentrum (J. Pierrakos), das GFK Ausbildungsinstitut (E. Juchli und C. Geiser)*, das Hakomi-Institut (R. Kurtz), das Institut für Integrative Körperpsychotherapie IBP (J. L. Rosenberg)*, das Institut für körperzentrierte Psychotherapie IKP (Y. Maurer)*, die Schweizerische Gesellschaft für Organismische Psychotherapie (M. und K. E. Brown) sowie die Pesso-Vereinigung Schweiz / Deutschland (A.Pesso und D. Boyden Pesso). Zwischen Ersterscheinen und Neuauflage im Jahr 2000 unter dem Titel „Körper-Psychotherapie“ kamen neu das Schweizer Institut für körperorientierte Psychotherapie SIKOP (G. Downing) sowie das Zentrum für Form und Wandlung ZFW (I. Kummer und E. Schlumpf )* hinzu, 2012 noch das Institut für Atem und Körperpsychotherapie IAKPT (W. Schilling und S. Bischof ). Heute, zwanzig Jahre später, sind nur noch sechs davon (mit * gekennzeichnet) gemäß Psychologieberufegesetz provisorisch als Weiterbildungsinstitute akkreditiert. Für den vorliegenden Beitrag wurden VertreterInnen der Charta-Mitglieder GFK, IBP, IIBS, IKP, SGBAT und SIKOP befragt. Übereinstimmend gaben alle an, dass Körperpsychotherapie ihres Wissens in der Lehre an den Hochschulen und Fachhochschulen wie auch in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung praktisch keine und, wenn überhaupt, höchstens eine marginale Rolle spielt- - dies, obwohl inzwischen eine Reihe von Publikationen über naturalistische wie auch RCT-Studien zur Wirksamkeit körperpsychotherapeutischer Behandlungen vorliegen (Übersicht siehe Röhricht 2009; z. B. Koemeda-Lutz et al. 2006; Crameri et al. 2014; Tschuschke et al. 2015). Da in Vorlesungen und Seminaren in der Regel keine Informationen zur Körperpsychotherapie vermittelt werden, basiert die Rekrutierung von Weiterbildungsinteressierten ausschließlich auf Werbeinitiativen der Anbieter. Zur rechtlichen Situation Traditionell wurde Psychotherapie in der Schweiz als ärztliche Tätigkeit angesehen, die von psychiatrisch ausgebildeten, aber auch anderen Ärzten ausgeübt und gegenüber den Krankenkassen in Rechnung gestellt werden durfte. Die Erlangung von Facharzttiteln und Fähigkeitsausweisen für Psychiatrie und Psychotherapie ist im Medizinalberufegesetz vom 23.6.2006 geregelt. Entsprechende Ausbildungen werden im Wesentlichen vom Schweizerischen Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) organisiert und angeboten. Zusätzlich sind dort auch von privaten Instituten angebotene Weiterbildungscurricula für „Psychotherapie im engeren Sinne“ anerkannt, darunter vier körperpsychotherapeutische: GFK, IKP, SGBAT und IBP. Eine Klage des Schweizer Psychotherapeutenverbandes (SPV, heute ASP) unter der Präsidentschaft seines Begründers Heinrich Balmer reklamierte Psychotherapie als einen von der Medizin unabhängigen, eigenständigen Beruf. In mehreren eidgenössischen und kantonalen Volksabstimmungen zum Gesundheitsgesetz wurde daraufhin der Beruf des Psychotherapeuten definiert. Der Zugang zu entsprechenden Weiterbildungen war über diverse humanwissenschaftliche Grundausbildungen möglich. In den Statistiken des Gesundheitswesens (Bundesamt für Statistik) erscheinen „nicht-ärztliche PsychotherapeutInnen“ allerdings erst 1990. Nach langjährigen Vorberatungen trat zum 1.4.2013 ein Psychologieberufegesetz auf Bundesebene in Kraft, das als Grundvoraussetzung für die Ausübung von Psychotherapie, sofern 48 1 | 2017 Margit Koemeda-Lutz nicht ein Medizinstudium absolviert wurde, einen Hochschulabschluss in Psychologie verlangt. Damit wurden alle anderen akademischen Grundausbildungszugänge verschlossen. Per 1.4.2013 wurden 60 bestehende Psychotherapieweiterbildungsangebote durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) provisorisch anerkannt, darunter sechs körperpsychotherapeutische (GFK, IKP, SGBAT, IBP, IIBS, ZFW). Diese müssen sich bis Ende 2017 einem weiteren Akkreditierungsprozess unterziehen, der dann alle sieben Jahre zu wiederholen ist. Von ÄrztInnen, neuerdings nur noch FachärztInnen, und in beschränktem Maße anderen ÄrztInnen mit einschlägiger Zusatzqualifikation ausgeführte psychotherapeutische Behandlungen werden aus der Grundversicherung erstattet (90 % des Rechnungsbetrages); dasselbe gilt für PsychologInnen, die bei ÄrztInnen angestellt sind und (in deren Praxis und unter deren fachlichen Kontrolle) psychotherapeutische Leistungen im sogenannten Delegationsverfahren erbringen. Dafür ist es bisher unerheblich, welche Psychotherapiemethode zur Anwendung kommt (eine Zeit lang waren analytisch-tiefenpsychologisch orientierte Methoden ausgeschlossen). Die sozialrechtliche Anerkennung der von PsychologInnen und durch Übergangsbestimmungen vorläufig noch anerkannten anderen Grundberufsgruppen ausgeübten psychotherapeutischen Behandlungen wurde bis heute nicht erreicht. Ein Bundesgerichtsentscheid hatte 1978 festgestellt, dass Behandlungen durch nicht-ärztliche PsychotherapeutInnen keine Pflichtleistungen im Sinne des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (KUVG) darstellen. Psychotherapeutische Behandlungen, die von psychologischen und anderen nicht-ärztlichen PsychotherapeutInnen selbstständig durchgeführt werden, werden nur von freiwillig abzuschließenden Zusatzversicherungen mit Beiträgen, deren Höhe von Krankenkasse zu Krankenkasse erheblich variiert, vergütet- - auch dies unabhängig von der gewählten Methode. Heute ist die vergütete Behandlungsdauer eingeschränkt; nach einer bestimmten Sitzungszahl müssen Verlängerungen begründet und neu beantragt werden. Ausblick Während Verhaltenstherapie und Psychoanalyse zunehmend die Bedeutung des Körpers in der Psychotherapie erkennen und dessen Berücksichtigung propagieren, scheint de facto bei den körperpsychotherapeutischen Schulen ein „Artensterben“ im Gange zu sein. Es besteht indes die Hoffnung, dass das staatliche Eingreifen in die Gestaltung der psychotherapeutischen Weiterbildungslandschaft (gesetzliche Bestimmungen, die Einführung von Akkreditierungshürden) zu einer institutionellen Professionalisierung und wissenschaftlichen Verankerung der verbleibenden Körperpsychotherapie-Weiterbildungsanbieter führt und dass gleichzeitig die Essenz der körperpsychotherapeutischen Grundorientierung erhalten bleibt. Die Autorin des vorliegenden Beitrags dankt folgenden KollegInnen für Auskünfte zu ihren jeweiligen Weiterbildungsinstituten bzw. Verbänden: Christina Bader-Johansson (CH- EABP), Jasmin Ackermann (IBP), David Boadella und Silvia Boadella (IIBS), Gabi Rüttimann und Thomas Ingold (IKP), Heinz Meier und Hermann Kutt (GFK), Hugo Steinmann (SGBAT) sowie Viktor Meyer (SIKOP). Literatur Zur Geschichte Geuter, U. (2015): Körperpsychotherapie. Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis. Springer, Berlin Hahn, P. (Hrsg.) (1983): Kindlers Psychologie des 20. Jahrhunderts: Psychosomatik. Band 1. Beltz, Weinheim / Basel Merz, M. (1992) Ursprünge des Yoga in der Schweiz. Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit Universität Körperpsychotherapie in der Schweiz 1 | 2017 49 Basel. http: / / www.yoga.ch/ yoga/ geschichte-desyoga-in-der-schweiz/ Mollisi, G. (Hrsg.) (2014): Hundert Jahre Kurhaus Cademario. Eine Tradition wird fortgesetzt. Arte- Storia, Edizioni Ticino Management, Lugano Schwab, A. (2003): Monte Verità: Sanatorium der Sehnsucht. Zürich: Orell Füssli Wolff, E., (Hrsg.) (2010): Lebendige Kraft: Max Bircher- Benner und sein Sanatorium im historischen Kontext. Baden: hier + jetzt. Einführungen in die erwähnten körperpsychotherapeutischen Ansätze Boadella, D. (2009): Befreite Lebensenergie. Einführung in die Biosynthese. Schirner, Darmstadt Downing, G. (2004): Körper und Wort in der Psychotherapie. Kösel, München Freudl, P. (2016): Energie & Charakter. In: afkp.org/ energie-und-charakter, 24.8.2016 Heinrich-Clauer, V. (2008): Handbuch Bioenergetische Analyse. Psychosozial, Gießen Kaul, E., Fischer M.(2016): Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP. Hogrefe, Bern Koemeda-Lutz, M. (Hrsg.) (2002): Körperpsychotherapie-- Bioenergetische Konzepte im Wandel. Körper und Seele. Sonderband. Schwabe, Basel Künzler, A., Böttcher, C., Hartmann, R., Nussbaum, M. H. (Hrsg.) (2010): Körperzentrierte Psychotherapie im Dialog. Grundlagen, Anwendungen, Integration. Springer, Heidelberg Kummer, I. (1993): Das Babuschka-Prinzip. Individualität und Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern. Kösel, München Loser-Kalbermatten, O. (2008): Kommunikationskompetenz: Mitarbeiter erkennen und wirksam führen. Orell Füssli, Zürich Lowen, A. (1995): Körperausdruck und Persönlichkeit. Grundlagen und Praxis der Bioenergetik. Goldmann, München Maurer, Y. (2006): Der ganzheitliche Ansatz in der Psychotherapie. 2. Aufl. Springer, Wien Rosenberg, J. 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(2005): Massnahmen zur Überprüfung der Wirksamkeit der Körperzentrierten Psychotherapie IKP (ganzheitlich-integrativ erweiterten Gestalttherapie). Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 156 (5), 257-265 Röhricht, F. (2009): Body oriented psychotherapy. The state of the art in empirical research and evidencebased practice: A clinical perspective. Journal of Body, Movement & Dance in Psychotherapy 4 (2), 135-156, http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 17432970902857263 Tschuschke, V., Crameri, A., Koehler, M., Berglar, J., Muth, K., Staczan, P., von Wyl, A., Schulthess, P., Koemeda-Lutz, M. (2015): The role of therapists’ treatment adherence, professional experience, therapeutic alliance, and clients’ severity of psychological problems: Prediction of treatment outcome in eight different psychotherapy approaches. Preliminary results of a naturalistic study. Psychotherapy Research 25 (4), 420-434, http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 10503307.2014.896055 Links zu den einschlägigen Dachverbänden Assoziation Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (ASP): www.psychotherapie.ch European Association for Body Psychotherapy (EABP): www.eabp.org European Association for Psychotherapy (EAP): www. europsyche.org European Federation for Bioenergetic Analysis-Psychotherapy (Efba-p): www.bioenergeticanalysis.net Focusingnetzwerk: www.focusing-netzwerk.de Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP): www.psychologie.ch International Foundation for Biosynthesis (IFB): www. biosynthesis.org/ html/ e_community.html 50 1 | 2017 Margit Koemeda-Lutz Die Autorin Dr. Dipl. Psych. Margit Koemeda-Lutz Psychotherapeutin in eigener Praxis, Dozentin, Lehrtherapeutin und Supervisorin. Fakultätsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Bioenergetische Analyse und Therapie (SGBAT) sowie am International Institute for Bioenergetic Analysis (IIBA). Gründungsmitglied der Forschungsgruppe PAP-S. Redaktionsmitglied bei zwei Fachzeitschriften: Psychotherapiewissenschaft und Bioenergetic Analysis. ✉ Dr. Dipl. Psych. Margit Koemeda-Lutz koemeda@bluewin.ch International Institute for Bioenergetic Analysis (IIBA): www.bioenergetic-therapy.com Schweizer Charta für Psychotherapie (SCP): www.psychotherapiecharta.ch Schweizerischer Verband für Körperpsychotherapie (CH-EABP): www.ch-eabp.ch Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF): www.fmh.ch/ bildung-siwf.html Swiss Medical Association (FMH): www.fmh.ch
