körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien in der Tanztherapie
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Christel Büche
Antja Kennedy
Die Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien (LBBS) mit ihrer klaren Struktur und spezifischem Vokabular liefern ein konkretes Handwerkszeug, um sinnstiftend mit Bewegung und Tanz im tanztherapeutischen Kontext zu arbeiten. Die Differenzierung von Bewegung in sechs Hauptkategorien ermöglicht detailliertes Wahrnehmen von Seiten des/r TherapeutIn und daraus resultierende Interventionen, die immer die Vielfalt im Ausdruck der KlientInnen zum Ziel haben. Der Artikel stellt in Kürze die Hauptkategorien dar und beschreibt die Relevanz der LBBS in ihrer Gesamtheit für die tanztherapeutische Praxis. In LBBS geschulte TanztherapeutInnen können ihre Interventionen aus dem konkreten Bewegungsgeschehens der KlientInnen herleiten und fundiert über Bewegung kommunizieren. Auch wenn dieser Artikel die Bedeutung der LBBS für die Tanztherapie fokussiert, kann dieses Bewegungskonzept natürlich auch für alle anderen Therapieformen, die sich mit dem Körper und dessen Bewegung beschäftigen, von ebenso großem Nutzen sein.
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Fachbeitrag 111 körper-- tanz-- bewegung 5. Jg., S. 111-118 (2017) DOI 10.2378 / ktb2017.art14d © Ernst Reinhardt Verlag Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien in der Tanztherapie Christel Büche und Antja Kennedy Die Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien (LBBS) mit ihrer klaren Struktur und spezifischem Vokabular liefern ein konkretes Handwerkszeug, um sinnstiftend mit Bewegung und Tanz im tanztherapeutischen Kontext zu arbeiten. Die Differenzierung von Bewegung in sechs Hauptkategorien ermöglicht detailliertes Wahrnehmen von Seiten des/ r TherapeutIn und daraus resultierende Interventionen, die immer die Vielfalt im Ausdruck der KlientInnen zum Ziel haben. Der Artikel stellt in Kürze die Hauptkategorien dar und beschreibt die Relevanz der LBBS in ihrer Gesamtheit für die tanztherapeutische Praxis. In LBBS geschulte TanztherapeutInnen können ihre Interventionen aus dem konkreten Bewegungsgeschehens der KlientInnen herleiten und fundiert über Bewegung kommunizieren. Auch wenn dieser Artikel die Bedeutung der LBBS für die Tanztherapie fokussiert, kann dieses Bewegungskonzept natürlich auch für alle anderen Therapieformen, die sich mit dem Körper und dessen Bewegung beschäftigen, von ebenso großem Nutzen sein. Schlüsselbegriffe Laban, Bartenieff, Bewegungsstudien, Körper, Raum, Antrieb, Form, Phrasierung, Beziehung Laban / Bartenieff Movement Studies in Dance Therapy Laban / Bartenieff Movement Studies (LBMS) with its clear structure and specific vocabulary, provide a concrete toolbox to work meaningfully with movement and dance in the dance therapy context. The differentiation of movement into six main categories enables detailed perception for the therapist and the resulting interventions, which always aim at the diversity of expression of the client. The article briefly presents the main categories and describes the relevance of LBMS as a whole for the practice of dance therapy. Dance therapists trained in LBMS can derive their interventions from observation of concrete movements of their clients and communicate in a well-informed manner. Although this article focuses on the importance of LBMS for dance therapy, this movement concept can, of course, also be of great use for all other forms of therapy that focus on the body and its movement. Key words Laban, Bartenieff, movement studies, body, space, effort, shape, phrasing, relationship 112 3 | 2017 Büche, Kennedy D as Medium der Tanztherapie ist die Ausdruckskraft menschlicher Bewegung. Um Bewegung in ihrer Komplexität verstehen zu können, braucht es einen theoretischen Rahmen mit einer sinnvollen Struktur und einem Vokabular, mit dem man Bewegungsgeschehen benennen kann. Die Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien (LBBS) liefern uns diese Struktur und bilden damit eine praxisnahe Grundlage und ein wesentliches Handwerkszeug für therapeutisches Arbeiten mit Bewegung und Tanz. Ziel dieses Artikels ist es, einen Überblick über die Struktur dieses Ansatzes zu vermitteln. Zum tieferen Verständnis muss allerdings neben dem kognitiven Verstehen das Bewegungserleben dazukommen. Erst dann fügt sich das kognitiv Verstandene mit dem in Bewegung Erfahrenem zu „bewegtem Wissen“ zusammen und ermöglicht einen umfassenden ganzheitlichen Zugang zu Bewegung. Die Begründer Rudolf von Laban (1879-1958) war Tänzer und Choreograph und beeinflusste durch seine neuen Ideen nachhaltig die Entstehung und Entwicklung des Tanzes und die moderne Bewegungsforschung (Dörr 2005). Sein Lebenswerk war es, die anatomischen, physiologischen und psychologischen Gesetze menschlicher Bewegung zu erforschen und das Fundament für Bewegungsbeobachtung und -analyse zu legen. Er wollte das Wesen von Bewegung an sich erfassen und die Grundbausteine benennen können, aus denen sich jede Bewegung zusammensetzt. Bei all seinen Studien stand der Prozess der Bewegung im Vordergrund. Diesen wollte er formal und inhaltlich erfassen. Seine bewegungsanalytischen Konzepte sind heute eine wesentliche Grundlage der Tanztherapie, wodurch der Therapieverlauf und -erfolg erfasst werden kann. Irmgard Bartenieff (1900-1981) war Tänzerin und lernte in den 1920er Jahren in Berlin an einer Laban-Schule. 1936 emigrierte sie in die USA, wo sie den Abschluss zur Physiotherapeutin erlangte und u. a. mit Poliopatienten arbeitete. 1978 gründete sie das „Laban Institute of Movement Studies“ in New York, um Labans Arbeit weiterzuentwickeln und zu verbreiten. Sie entwickelte aus dem bewegungsanalytischen Ansatz von Laban und ihrer Erfahrung als Tänzerin und Physiotherapeutin eine korrektive Körperarbeit, die Bartenieff Fundamentals (Bartenieff/ Lewis 1981). Der Schwerpunkt der Fundamentals liegt auf dem lebendigen Zusammenspiel von funktionaler und expressiver Bewegung, also dem Zusammenspiel von Körperverbindungen (deren größere Effektivität angestrebt wird) und der Ausdruckskraft des Körpers nach außen (Hackney 1998). Da sie in ihrer klinischen Arbeit den somatischen und Labans Ansatz integrierte, kann sie heute als eine Vorreiterin der Tanztherapie betrachtet werden. Viele SchülerInnen haben den Ansatz von Laban und Bartenieff weiterentwickelt und so die LBBS ausdifferenziert, z. B. Peggy Hackney (1998). Die sechs Komponenten der Bewegung Heute unterscheiden die LBBS sechs verschiedene Hauptkategorien, die in jeder Bewegung vorhanden sind: Raum, Antrieb, Form, Körper, Phrasierung und Beziehung (Hackney 1998). Immer treten diese genannten Kategorien zusammen als komplexes Ganzes auf, aber je nach Bewegung und Person sind sie unterschiedlich gewichtet und kreieren so den individuellen Ausdruck. Jede Kategorie wird weiter ausdifferenziert, so dass ein sehr gezielter Umgang mit Bewegung möglich wird. Im Folgenden werden die Kategorien kurz beschrieben: Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien 3 | 2017 113 Raum „Raum ist ein verborgener Grundzug von Bewegung, und Bewegung ist ein sichtbarer Aspekt des Raumes (…) Bewegung ist sozusagen lebendige Architektur (…) Leerer Raum existiert nicht, im Gegenteil, Raum ist eine Überfülle gleichzeitiger Bewegungen.“ (Laban 1991, 13-14) Laban untersuchte den persönlichen Umraum, also den Raum, der jede Person umgibt wie eine Kugel, und prägte dafür den Begriff der Kinesphäre (Laban 1991). Große Bewegungen, in denen die Extremitäten weit ausholen und den ganzen Umraum nutzen, den sie erreichen können, finden in der weiten Kinesphäre statt. Bewegungen, die die enge Kinesphäre nutzen, bleiben dicht am Körper, und Bewegungen, die in der mittleren Kinesphäre stattfinden, nutzen die Größe des Umraums etwa zur Hälfte (Laban 1991). Die Nutzung der Kinesphäre ist individuell verschieden und steht in Beziehung zum Umfeld. So mag sich eine Person sehr wohl fühlen bei Bewegungen in der engen Kinesphäre, was eine andere Person vielleicht als unangenehm und zu eng oder als zu intim empfinden kann. Aber auch diese Person wird sich sehr wahrscheinlich in der engen Kinesphäre bewegen, wenn sie friert oder sich in einer angstbesetzten Situation befindet, vor der sie sich zu schützen versucht. So ist die individuelle Raumnutzung einerseits geprägt von persönlichen Präferenzen, aber auch situationsabhängig. Laban untersuchte die Beziehung von Körper und Raum, indem er die Architektur des menschlichen Körpers in Relation zu den räumlichen Strukturen der Kinesphäre brachte (Laban 1991). Seine Raumstudien kulminierten in seiner Raumharmonielehre, die vergleichbar ist mit der Harmonielehre in der Musik. Er konkretisierte die Raumharmonielehre in unterschiedlichen Bewegungsskalen, die ein-, zwei- und dreidimensionale Bewegungen schulen und unterschiedliche Körper-Raum-Spannungen beschreiben. Die Stabilität der Dimensionen können ebenso erlebt werden wie die Mobilität der Diagonalen (Kennedy 2010). Immer stehen dabei als Ziele das Erlebnis und die Integration von Vielfalt im Vordergrund. Antrieb „Zwischen der inneren Motivation einer Bewegung und dem Körpergeschehen besteht ein (…) Verhältnis.“ (Laban 1988, 7) Die Antriebslehre von Laban beinhaltet die Analyse bewegungsdynamischer Prozesse (Laban 1988). Die von außen sichtbaren energetischen Zustände, die aus einer inneren Haltung in der Bewegung zum Ausdruck kommen, werden in der LBBS heute mit den Bewegungsfaktoren Gewicht, Fluss, Raum und Zeit unterschieden (Kennedy 2010). Die unterschiedliche Einstellung zu jedem Bewegungsfaktor bildet ein Kontinuum zwischen den beiden Extremen „ankämpfend“ bis „erspürend“ (Laban 1981). Die dadurch entstehenden acht Elemente des Antriebs ergeben- - durch verschiedene Kombinationsmöglichkeiten und die unterschiedlichen Intensitäten-- die Vielfalt im Ausdruck (Laban 1988). Auch im Antriebsverhalten eines Menschen lassen sich persönliche Präferenzen erkennen, die einerseits mit charakterlichen Eigenschaften zu tun haben, aber auch situationsbedingt sind. Beispiel: Auf dem Bahnsteig, zehn Minuten bevor der Zug fährt, kann man die Zeit bis zur Abfahrt genießen, was sich in gelassenen Bewegungen ausdrücken wird (hingebungsvolle Einstellung gegenüber dem Zeitantrieb). Eine andere Person mag unruhig und hektisch hin- und hergehen und dadurch ihren inneren Unwillen gegenüber der Wartezeit zum Ausdruck bringen (ankämpfende Einstellung gegenüber dem Zeitantrieb). Ein weiteres Beispiel zum 114 3 | 2017 Büche, Kennedy Faktor Gewicht: Wenn man mit Champagnergläsern anstößt oder einem Baby über die Wange streichelt, tut man dies, indem man sein Gewicht aktiv zurücknimmt, um einen bestimmten Grad an Leichtigkeit zu erreichen. Zerhackt man dagegen ein Stück Holz, wird man sein ganzes Gewicht voll einsetzen, um kraftvolle Bewegungen auszuüben. Die menschliche Motivation ist so komplex und vielschichtig, dass die einzelnen Antriebsfaktoren selten isoliert auftreten, sondern meistens in Kombinationen zu zweit oder zu dritt. Beispielsweise das Streicheln des oben erwähnten Babys mag nicht nur leicht (Gewichtsantrieb), sondern gleichzeitig verlangsamend (Zeitantrieb) sein, während das Holzhacken außer kraftvoll gleichzeitig noch beschleunigend (Zeitantrieb) und direkt (Raumantrieb) sein wird. Auch in dieser Kategorie ist das Ziel die Vielfalt, da das Erleben der eigenen Lebendigkeit und Vitalität stark an die Variation von Antriebskombinationen gebunden ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Eingeschränktheit der Antriebsmodulation proportional einher geht mit dem Erleben von Eintönigkeit. Form „Jede Bewegung hat ihre Form, und Formen werden gleichzeitig mit und durch Bewegung erschaffen.“ (Laban 1991, 13) Die Form als sichtbare Gestalt eines Inhalts umfasst die Aspekte der stillen Form und den Prozess des Formens (Hackney 1998). Die stille Form ergibt sich aus einer angehaltenen Bewegung, der Konstellation der Körperteile zueinander. LBBS unterscheidet fünf Grundformtypen: Wand (flach), Nadel (lang), Ball (rund), Schraube (gewunden) und Tetraeder (dreidimensional eckig) (Kennedy 2010). Diese Formen dienen quasi als Container für emotionalen Inhalt: Das Gefühl in der Nadel, wenn der ganze Körper lang und schmal zusammengezogen ist, lässt sich klar differenzieren vom Gefühl in der Wand, wenn der Körper sich in seiner ganzen Länge und Tab. 1: Die Antriebsfaktoren und Elemente Bewegungsfaktoren Erspürendes / schwelgendes Element Ankämpfendes / komprimierendes Element Fluss frei gebunden Gewicht leicht kraftvoll Zeit verlangsamend, verzögernd beschleunigend, plötzlich Raum (-aufmerksamkeit) flexibel, indirekt direkt Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien 3 | 2017 115 Breite zeigt. Als Beispiel mag sich die Nadel zickig, hochnäsig oder Überblick verschaffend anfühlen, die Wand als selbstgefällig, präsent oder ungelenk erlebt werden. Der Prozess des Formens beschreibt, wie eine Form in eine andere übergeht. Darin spiegelt sich wider, in welcher Art und Weise eine Person Beziehung zu ihrer Umwelt, zu Objekten oder zu anderen Personen aufnimmt. So kann ganz zielgerichtet nach einem Objekt gegriffen und es genauso zielgerichtet zu sich herangezogen werden. Ein anderer Formungsprozess, der des Modellierens, wird genutzt, wenn ein Gegenstand umfasst wird und die Hand sich z. B. der Form eines Apfels angleicht (Bartenieff / Lewis 1981). Bei der zielgerichteten Formveränderung wird nur punktuell entsprechend der eigenen Bedürfnisse Kontakt nach außen aufgenommen. Beim Modellieren hingegen wird das Außen aktiv miteinbezogen (z. B. beim Umarmen einer anderen Person), die Körperform verändert sich dreidimensional, gleicht sich der Körperform der anderen Person an und stellt so einen wesentlich komplexeren Modus der Bezugnahme dar. Körper „Der ganze Körper ist verbunden, alle Teile stehen miteinander in Beziehung. Veränderung in einem Teil verändert das Ganze. Die Berücksichtigung der Beziehung zwischen den Körperteilen ermöglicht beides: die Differenzierung der Teile und die Integration des Ganzen.“ (Hackney 1998, 39, übersetzt von Büche) Der Körperaspekt umfasst Fragen wie: Welche Körperteile bewegen sich? Wo wird die Bewegung initiiert? Besteht eine Verbundenheit im Körper, die die Bewegung harmonisch und effektiv ausführen lässt? Die genannten Aspekte werden in den Bartenieff Fundamentals angesprochen. Es werden elementare Bewegungsabläufe und -prinzipien beschrieben, die durch Erspüren, Bewegen und gegenseitige Hilfestellung erarbeitet werden (Hackney 1998). Sie basieren auf neurophysiologischen Zusammenhängen und zeichnen sich durch eine den Menschen in seiner Ganzheit erfassenden Arbeitsweise aus. Es werden anatomische Gesetzmäßigkeiten, die Entwicklungsmotorik des Kindes und Labans Bewegungsprinzipien integriert und die effektivste Möglichkeit der Bewegung gesucht (Hackney 1998). Voraussetzung für diese Effektivität ist die Unterstützung der Bewegung durch den Atem und die tiefe Muskulatur. Vor allem werden Verbindungen der Extremitäten zum und durch das Körperzentrum exploriert. Dabei wird auf kürzere Verbindungen eingegangen, wie z. B. die Fersen-Sitzhöcker-Verbindung, aber auch auf längere Verbindungen, die durch den ganzen Körper gehen, wie z. B. die diagonale Verbindung von der rechten Hand über die rechte Schulter durch den Rumpf zum linken Hüftgelenk bis zum linken Fuß (Hackney 1998). Außerdem wird an der Aktivierung des Gewichtszentrums für die vollständige Mobilisierung gearbeitet, sodass der schwerste Teil des Körpers die möglichen Gewichtsverlagerungen und Ebenenwechsel unterstützt (Bartenieff / Lewis 1981). Elemente aus Labans bewegungsanalytischem Ansatz, wie Aspekte aus der Antriebstheorie, der Raumharmonielehre sowie der Formung werden genutzt, um die Bewegungsabläufe ganzheitlich zu begreifen. Eine Essenz der Bartenieff Fundamentals bildet sich in den sechs Basisübungen ab, durch welche sehr subtil an den oben genannten Körperverbindungen gearbeitet wird (Bartenieff / Lewis 1981). Gerade die sechs Bewegungsmuster, die aus Sicht der Bartenieff Fundamentals durchlaufen werden müssen, damit die Koordination des aufrechten Ganges gut integriert werden kann, bieten eine Vielzahl von Bewegungsmöglichkeiten (Hackney 1998). Jede der sechs Phasen, die mit einer ganz spezifischen 116 3 | 2017 Büche, Kennedy psychischen Entwicklungsstufe einhergeht, bietet Potential für inneres Wachstum. Phrasierung Der zeitliche Aspekt von Bewegung-- die Phrasierung-- kann einerseits innerhalb jeder der vier oben genannten Kategorien einzeln betrachtet werden, aber auch im Verhältnis und dem Aufeinanderfolgen der Kategorien untereinander benannt werden (Kennedy 2010). Phrasen können unterschiedlich lang sein. Sie können aus nur einer Bewegung bestehen oder mehrere Bewegungen sinnstiftend zusammenbinden. Verglichen mit der Sprache entspricht eine Bewegung einem Wort und eine Phrase einem Satz. Schon allein die Vorliebe für eine bestimmte Länge der Phrasierung kann die jeweilige Individualität-- durch die Verwendung von knappen prägnanten Sätzen oder umschweifende Beschreibungen- - zum Ausdruck bringen. In der Antriebskategorie kann zusätzlich beobachtet werden, an welcher Stelle es eine Betonung gibt, was die Bedeutung von Bewegung sehr verändert (Kennedy 2010). Analog zur Sprache wird etwas anderes ausgedrückt, wenn der Satz „Ich gehe jetzt“ anfangsbetont, mittebetont oder endbetont ausgesprochen wird. Beziehung Der Beziehungsaspekt kann die nach außen sichtbar bewegte Interaktion zwischen Körperteilen, Menschen oder Mensch und Objekt beinhalten (Hutchinson 1983). Mit abstufenden Beschreibungen, wie beispielsweise sich „in der Nähe“ bewegen im Unterschied zu jemanden oder etwas „berühren“, wird der Aspekt der Beziehung wertneutral betrachtet und kann vielfältige Vorlieben oder auch Abneigungen zeigen. Diese Differenzierung kann sich sowohl auf den eigenen Körper beziehen und dabei beschreiben, dass etwa die rechte Hand ständig das Gesicht berührt. Es kann aber auch das Verhältnis zwischen verschiedenen Personen festgehalten werden und deutlich machen, dass räumliche Nähe oder etwa Berührung nicht erwünscht sind oder nicht zugelassen werden können. Relevanz für die Tanztherapie Individuelle Herangehensweise Die Anwendung der LBBS mit all den beschriebenen Kategorien erlaubt eine sehr individuelle und flexible Herangehensweise, die gerade im tanztherapeutischen Kontext wesentlich ist. Eventuell fehlende oder unterrepräsentierte Aspekte können durch unterschiedliche Nuancen erlebbar gemacht und somit integriert werden, ohne dass gleich der Sprung ins Gegenteil ausprobiert werden muss, was oft eine Überforderung darstellt. Es ist offensichtlich, dass es für die Begleitung und Anleitung dieser Prozesse einer sensiblen Wahrnehmung und Beobachtungsfähigkeit von Seiten des / der TherapeutIn bedarf. Umfassendes Bewegungsverständnis Mit den LBBS lässt sich ein sehr differenziertes und gleichzeitig sehr umfassendes Verständnis von Bewegung und Ausdruck schulen. Es wird nicht ein festgelegter Bewegungs- oder Tanzstil vermittelt, vielmehr werden die Aspekte deutlich, aus denen Bewegung besteht. Dieses Verständnis befähigt den / die TanztherapeutIn- - entsprechend der therapeutischen Situation und der momentanen Verfassung des Klienten- - Bewegungsangebote zu gestalten und verschiedene Kommunikations- und Ausdrucksmöglichkeiten anzubieten. Dadurch zeigen sich persönliche Bewegungspräferenzen und Möglichkeiten der individuellen Erweiterung des Spielraumes. Funktion / Expression Abweichungen von der optimalen, funktionalen Bewegung des Körpers gibt es bei gesunden wie auch bei kranken Menschen, bei Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien 3 | 2017 117 Profiwie auch bei LaientänzerInnen. Aber in den LBBS wird davon ausgegangen, dass es rein funktionale Bewegungen nicht gibt (Bartenieff / Lewis 1981). Jede Bewegung hat einen Ausdruck und damit eine Bedeutung. Um das Potential menschlichen Bewegungsausdrucks in seiner ganzen Vielfalt zu nutzen, ist das Handwerkszeug, das die LBBS hierfür liefern, für jede/ n TanztherapeutIn von unschätzbarem Wert. Die differenzierte Beachtung der funktionalen und anatomischen Grundprinzipien des Körpers sowie der fundamentalen Kategorien seiner Bewegung kann einerseits physisch funktional und auch psychisch emotional heilsam wirken und andererseits einen ausdrucksstarken, freien und mühelosen Tanz ermöglichen, der wiederum eine heilsame Menschwerdung unterstützen kann. Wie untrennbar Funktion und Expression zusammenhängen, beschreibt Hackney (1998, S. 45) eindrücklich in der Schilderung zweier Klientinnen: Erst durch das Entdecken und Zulassen der eigenen Anmut im Tanz bekam eine Klientin schließlich Zugang zu schmerzfreier Bewegung von Becken und Beinen (sie hatte davor viele funktionale Therapien ausprobiert, ohne ihren schmerzhaften, hinkenden Gang verbessern zu können), während eine andere Klientin erst nach dem funktionalen Üben des Zusammenspiels von Adduktoren, der ischiokruralen Muskulatur und des Psoas Major in der Lage war, den gewünschten Ausdruck von ruhiger Stabilität auf der Bühne zu präsentieren. Diese erworbene Fähigkeit hatte dann auch Auswirkungen auf ihr Leben generell. Diese beiden Beispiele sollen verdeutlichen, wie verwoben funktionale und expressive Anteile miteinander sind. Bedeutsam für die therapeutische Intervention ist die Fähigkeit, den angemessenen Zugang für den jeweiligen Klienten zu finden. Fazit Die LBBS ermöglichen eine Sprache, um das Bewegungs- und Gefühlserleben begrifflich zu machen und zu verstehen. Es wird grundsätzlich am individuellen Potenzial des Tanzenden angesetzt und so, im Sinne der Ressourcenstärkung, zuerst die vorhandenen und gesunden Anteile gefördert. Die durch LBBS unterstützte Bedeutungsklärung einer Bewegung wird abgeleitet vom konkreten Bewegungsgeschehen und ist damit nicht primär abhängig von therapeutischer Interpretation oder Intuition. In LBBS geschulte TanztherapeutInnen können ihr „bewegtes Wissen“ nutzen, um Prozesse in Gang zu setzen und die Einschränkung zugunsten von Vielfalt zu überwinden. Ziel der Arbeit ist immer, den vielfältigen Anforderungen des Lebens durch adäquates Agieren und Reagieren begegnen zu können. Literatur Bartenieff, I., Lewis, D. (1981): Body movement: coping with the environment. Gordon and Breach, New York / London Dörr; E. (2005): Laban-- Ein Portrait. Books on demand, Norderstedt Hackney, P. (1998): Making connections-- total body integration through Bartenieff Fundamentals. Gordon and Breach, Amsterdam, https: / / doi. org/ 10.4324/ 9780203214299 Hutchinson, A. (1983): Your Move-- A new approach to the study of movement and dance. Gordon and Breach, New York / London Kennedy, A. (2010): Bewegtes Wissen-- Laban / Bartenieff-Bewegungsstudien verstehen und erleben. Logos, Berlin Kestenberg Amighi, J., Loman, S., Lewis, P., Sossin, M. (1999): The meaning of movement. Brunner-Routledge, New York / London von Laban, R. (1991): Choreutik-- Grundlagen der Raumharmonielehre des Tanzes. Florian Noetzel, Wilhelmshaven von Laban, R. (1988): Die Kunst der Bewegung. Florian Noetzel, Wilhelmshaven von Laban, R. (1981): Der Moderne Ausdruckstanz. Heinrichhofen’s, Wilhelmshaven 118 3 | 2017 Büche, Kennedy Die AutorInnen Christel Büche Dipl. Sozialpädagogin und Tanztherapeutin (BTD), ausgebildet im Modernen Bühnentanz, seit 1993 Laban / Bartenieff Bewegungsanalytikerin (CMA), Fortbildung im Kestenberg Movement Profile (KMP) und Yoga. Sie arbeitet freiberuflich als Tanz- und Bewegungspädagogin / -therapeutin. Sie ist Mitglied des Lehrerteams der Zertifikatsprogramme in LBBS und beim Tanztherapie- Zentrum Berlin. ✉ Christel Büche c.bueche@t-online.de Antja Kennedy Seit 1985 freischaffende Tanzpädagogin, Tänzerin, Choreographin und Laban / Bartenieff Bewegungsanalytikerin (CMA). Sie ist Mitbegründerin der Tanzfabrik Berlin und des Europäischen Verbandes für Laban/ Bartenieff Bewegungsstudien e. V. (EUROLAB). Sie ist Direktorin der Zertifikatsprogramme in LBBS mit nächstem Beginn im Juli 2017. ✉ Antja Kennedy info@laban-bartenieff-berlin.de Weitere Infos: www.laban-bartenieff-berlin.de
