eJournals körper tanz bewegung 5/3

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2017
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Aus der Praxis: Zur Entwicklung der Körperpsychotherapie und der analytischen Körperpsychotherapie in Österreich

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Peter Geißler
Der aktuelle Stand der Körperpsychotherapie in Österreich soll gerafft anhand ihrer historischen Entwicklung skizziert werden. Der Fokus der Darstellung liegt auf der Entwicklung der analytischen (psychodynamischen) Körperpsychotherapie, die in Österreich als spezifische Weiterentwicklung vor allem der Bioenergetischen Analyse zu betrachten ist. Analytische Körperpsychotherapie ist in Österreich als Fachspezifikum nicht gesetzlich anerkannt, ist jedoch im Begriff, an der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität im Rahmen der psychoanalytischen Individualpsychologie (Alfred Adler) eine neue Heimat zu finden.
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129 körper-- tanz-- bewegung 5. Jg., S. 129-135 (2017) DOI 10.2378 / ktb2017.art16d © Ernst Reinhardt Verlag Forum: Körper-, Tanz- und Bewegungspsychotherapie in Europa Der Autor hat seinen Beitrag aus der Perspektive der analytischen Körperpsychotherapie verfasst und verweist für weitere körperpsychotherapeutische Methoden auf die entsprechenden Berufsverbände. D er Körperpsychotherapie-Boom setzte in Österreich Ende der 1970er Jahre ein. Zwei Methoden standen damals im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit innerhalb der Psychotherapieszene: die Biodynamische Psychologie nach Gerda Boyesen und Zur Entwicklung der Körperpsychotherapie und der analytischen Körperpsychotherapie in Österreich Peter Geißler Der aktuelle Stand der Körperpsychotherapie in Österreich soll gerafft anhand ihrer historischen Entwicklung skizziert werden. Der Fokus der Darstellung liegt auf der Entwicklung der analytischen (psychodynamischen) Körperpsychotherapie, die in Österreich als spezifische Weiterentwicklung vor allem der Bioenergetischen Analyse zu betrachten ist. Analytische Körperpsychotherapie ist in Österreich als Fachspezifikum nicht gesetzlich anerkannt, ist jedoch im Begriff, an der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität im Rahmen der psychoanalytischen Individualpsychologie (Alfred Adler) eine neue Heimat zu finden. Schlüsselbegriffe Österreich; analytische Körperpsychotherapie; Biodynamik; Bioenergetische Analyse; Körperpsychotherapie On the Development of Body Psychotherapy and Analytical Body Psychotherapy in Austria The current state of body psychotherapy in Austria is sketched briefly in terms of its historical development. The focus of the presentation lies on the development of analytical (psychodynamic) body psychotherapy, which in Austria is considered to be a specific further development in particular of Bioenergetic Analysis in Austria. Analytical body psychotherapy is not recognized in Austria as an independent method of psychotherapy training in accordance with the Austrian Psychotherapy Law. It is, however, in the process of being accepted by the Sigmund Freud Private University in Vienna in the faculty of Psychotherapy Science as part of the program for psychoanalytic Individual Psychology (Alfred Adler). Key words Austria; analytic body psychotherapy; biodynamics; bioenergetic analysis; body psychotherapy 130 3 | 2017 Peter Geißler die Bioenergetische Analyse nach Alexander Lowen. Es existierten sehr wohl auch andere Methoden, allen voran die Konzentrative Bewegungstherapie, doch führten diese in der damaligen Zeit zunächst vergleichsweise ein Schattendasein. In den 1980er Jahren waren bioenergetische und biodynamische Fortbildungsgruppen bestens besucht, und in Seminarverzeichnissen konnte man vielerlei Angebote mit unterschiedlichsten thematischen Schwerpunktsetzungen finden. Die Anbieter derartiger Seminare waren teilweise Einzelpersonen, teilweise Arbeitskreise und Vereine, wie z. B. die DÖK (Deutsche und Österreichische Gesellschaft für Körperbezogene Psychotherapie / Bioenergetische Analyse) und die AIKE (Arbeitskreis für individuelle und kollektive Emanzipation) in Wien. Entwicklung der Bioenergetischen Analyse in Österreich Die DÖK- - in den 1980er und den frühen 1990er Jahren der wichtigste und bekannteste Verein in Österreich-- wurde ursprünglich von drei Personen begründet: Albin Hofer-Moser, Rainer Frank und Waldfried Pechtl. Diese drei Personen hatten die Bioenergetische Analyse beim Schulengründer Alexander Lowen in den USA selbst erlernt, sie nach Österreich und Süddeutschland gebracht und in methodischer Hinsicht auch modifiziert. Besonders Waldefried Pechtl, der auch bei dem bekannten Salzburger Psychoanalytiker Igor Caruso gelernt hatte, gab der Bioenergetischen Analyse einen psychoanalytischen Anstrich. Kraft seiner charismatischen Ausstrahlung gelang es ihm in den 1990er Jahren, die Bioenergetische Analyse auch im Feld der Organisationsentwicklung bekannt zu machen. Pechtl war damals als „Organisationsentwickler“ im Wirtschaftsbereich ein vielfach angefragter Gruppenleiter. „Analytische Bioenergetik“, wie man sie damals nannte, erlangte dadurch eine gewisse Öffentlichkeit in Österreich, und dies manifestierte sich in mehreren berufsbegleitenden Fortbildungen für Führungskräfte aus unterschiedlichen Berufsfeldern. Diese Entwicklung war neben anderen Rahmenbedingungen-- Psychotherapie war in dieser Zeit ein freier und weitgehend „unverschulter“ Markt, d. h. frei von der Notwendigkeit, „Scheine zu sammeln“, wie es im Kontext der gängigen Ausbildungsvereine und der universitären Ausbildungsprogramme heute durchaus üblich ist- - ausschlaggebend für ein, aus heutiger Sicht, überhöhtes Selbstbewusstsein der damaligen Bioenergetiker-Generation. Sie war, ebenso wie der Schulengründer Alexander Lowen, überzeugt, im Grunde eine bessere Form der Psychoanalyse erfunden zu haben, und begründete dies u. a. damit, dass sich in ihren Reihen einige prominente österreichische Psychoanalytiker befanden (z. B. Enrico Riccabona und Koroush Koushan). Ebenso gründete sich das große Selbstbewusstsein der damaligen Bioenergetikergeneration darin, dass diese Methode in Österreich damals eben „in“ war und viele interessierte Laien erreichte. Ich selbst leitete damals jahrelang Bioenergetik-Seminare für Lehrer aus den Bundesländern Wien und Kärnten. Sie waren bestens besucht. Das große Selbstbewusstsein dieser Bioenergetikergeneration führte dazu, dass ein damals in Österreich stattfindender Trend schlicht übersehen wurde: Anfang der 1990er Jahre war jene Zeit, in der sich das österreichische Psychotherapiegesetz in seinen Grundzügen konstituierte. Unsere Lehrer wussten von dieser Entwicklung, nahmen sie aber nicht ernst- - ein folgenschwerer Fehler, wie der nachfolgende Verlauf zeigte. Dadurch geriet die Bioenergetische Analyse zunehmend unter Druck. Hatte man ursprünglich gedacht, man würde als in Österreich wichtiger Verein selbstverständlich von den anderen Ausbildungsinstituten eingeladen werden, um sich -Krrerrpsychtcerrrie iin pterreiyc 3 | 2017 131 an der in Gang befindlichen Gesetzgebung zu beteiligen, kehrte sich die Situation Schritt für Schritt in ihr Gegenteil um: Plötzlich ging es darum, beweisen zu müssen, dass das körperorientierte Vorgehen der Bioenergetischen Analyse wissenschaftlich genug war, um Anerkennung vom mittlerweile in Kraft getretenen Psychotherapiebeitrat zu erlangen. In diesem Beirat waren alle anderen Methoden durch jeweils einen Vertreter versammelt, und obwohl die Stimmung der Bioenergetischen Analyse nicht grundlegend ablehnend war, hatte man doch den Eindruck, dass wir nun den Preis für unsere Überheblichkeit zu zahlen hatten. Natürlich spielten auch ökonomische Motive mit eine Rolle. Schließlich ging es um nicht weniger, als einen „Kuchen“ neu zu verteilen. Die Krise der Bioenergetischen Analyse Der Psychotherapie-Gesetzgebungsprozess in Österreich verlangt, dass sich alle Methoden anhand einer fundierten Darstellung ihrer Theorie und Wissenschaftlichkeit auszuweisen hatten. Aus der Befürchtung, in einen zu sehr verschulten Ausbildungsbetrieb zu münden und an Autonomie zu verlieren sowie aus einer Überheblichkeit des damaligen Leitungsgremiums der Österreichischen Gesellschaft für Bioenergetische Analyse wurde dieser Zug verpasst. Dies hatte zur Folge, dass es der Bioenergetische Analyse nicht gelang, als Fachspezifikum vom Gesetzgeber anerkannt zu werden; sehr wohl jedoch zu einem späteren Zeitpunkt der Konzentrativen Bewegungstherapie, die seit vielen Jahren das in Österreich einzige körperpsychotherapeutische Verfahren ist, dessen TherapeutInnen mit den Krankenkassen abrechnen können, und zwar im Hinblick auf sämtliche Störungsbilder innerhalb der Erwachsenenpsychotherapie. Dass der Konzentrativen Bewegungstherapie das Kunststück gelang, diese Hürde zu nehmen, und der Bioenergetischen Analyse nicht, hatte wohl mit österreichspezifischen fachpolitischen Konstellationen zu tun, die sich im Grunde herunterbrechen lassen auf eine Rivalität zwischen einzelnen Vereinen, u. a. im Zusammenhang mit den bereits erwähnten ökonomischen Eigeninteressen. Innerhalb der Biodynamischen Psychologie hatte es ernstzunehmende Versuche dieser Art zum damaligen Zeitpunkt überhaupt nicht gegeben- - zu schwach war ihre theoretische Fundierung, und berufspolitisch zu wenig einflussreich waren die leitenden Personen. Hinderlich waren ebenso Übergriffs- und Missbrauchsvorwürfe, die es in frühen Zeiten der Körpertherapien tatsächlich auch gegeben hatte. Die österreichischen Bioenergetiker hatten sich ebenso-- nicht zuletzt auf Verlangen von Pechtl und seinen frühen Mitstreitern- - vollkommen von der internationalen bioenergetischen Szene abgeschottet. Hier ist nachträglich eine Gemengelage aus fachlichen und monetären Interessen zu vermuten: Einerseits wollte man in methodischer Hinsicht „psychoanalytischer“ sein als die klassische amerikanische Bioenergetische Analyse. Andererseits wollte man ebenso wenig immer die Senior- Trainer aus dem IIBA, dem Internationalen Institut für Bioenergetische Analyse, für teures Geld nach Europa einladen, wo man doch den Eindruck hatte, die gemäßigte Bioenergetische Analyse ohnehin viel besser an die Nachfolgegeneration weitergeben zu können als die amerikanischen Kollegen. Der Preis für diese institutspolitische Einstellung bestand darin, dass die Nachfolgegeneration- - darunter auch ich- - den Anschluss an die internationale bioenergetische Szene verpasste. Es spielten ohne Zweifel vielfache Rollenvermischungen mit eine Rolle, dass sich die Gesamtsituation der DÖK Mitte der 1990er Jahre zuspitzte. Mittlerweile schien es einigen Kollegen der zweiten Bioenergetikergeneration nicht mehr passend zu sein, dass uns auf diese Weise der Zugang zu Karriereschritten 132 3 | 2017 Peter Geißler außerhalb von Österreich verwehrt war (zumindest erlebten wir das in dieser Art und Weise), denn das New Yorker Institut bestand damals darauf, dass ihre eigenen Trainer, in Kooperation mit lokalen Trainern, die jeweiligen Ausbildungskurse leiteten. Die DÖK hatte mittlerweile nicht nur Schwierigkeiten innerhalb von Österreich, sondern auch über dessen Grenzen hinaus. Sie war in dieser Zeit weitgehend isoliert, jedoch zugleich in ihren eigenen narzisstischen Größenvorstellungen verfangen. Die Folge dieser dramatischen Entwicklungen war eine Zuspitzung von Konflikten und Rivalitäten auch innerhalb der DÖK-- eine Situation, wie sie möglicherweise auch für Ausbildungsvereine unter dem Druck einer äußeren Situation nicht unüblich sein könnte. Es dürfte ein Schicksal von Ausbildungsvereinen ganz allgemein sein, dass persönliche Rivalitäten, Neid und narzisstische Kränkungen stärker über das weitere Schicksal der jeweiligen Methode entscheiden als die fachlich-methodische Weiterentwicklung. Aus der damaligen Notsituation heraus handelten Pechtl und Kollegen nach langem Drängen von Therapeuten der zweiten österreichischen Bioenergetikergeneration (also den Schülern von Pechtl, Frank und Hofer- Moser) einen Kompromiss mit dem Internationalen Institut für Bioenergetische Analyse aus, der darin bestand, dass die beiden belgischen Trainer Sander Kirsch und Jacques Berliner mehrjährige Fortbildungen in Österreich durchführten. Besonders der Einfluss von Berliner, der ebenso eine charismatische Figur war wie Pechtl, sollte die bioenergetische Szene in Österreich grundlegend verändern. Sicherlich hat auch der frühe Tod von Pechtl in dieser Entwicklung mit eine Rolle gespielt und dazu geführt, dass die Bioenergetik in Österreich mittlerweile kaum mehr öffentlich wahrgenommen wird. Hinzu kommt der Umstand, dass der DÖK eine Anbindung an die öffentliche und schulenübergreifende Psychotherapieszene bis zum heutigen Tage nicht wirklich zu gelingen scheint, trotz wiederholter Anläufe. Soweit mir bekannt ist, findet sich in ihren Reihen bislang keine Person, die genügend versiert im Verfassen eines fundierten Methodenantrags ist. Ob andere Gründe weiterhin eine zusätzliche Rolle spielen könnten, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich 1996 aus der DÖK ausgetreten bin. Die Abspaltung des AKP Inhaltliche Differenzen im Verbund mit Rivalitäten führten 1993 zu einer Abspaltung des AKP (Arbeitskreis für analytische Körperpsychotherapie) von der ÖK (Österreichische Gesellschaft für Bioenergetische Analyse / Körperbezogene Psychotherapie). Interessanterweise fand genau in dieser Zeit eine Parallelentwicklung in Deutschland statt: die Bildung des Steißlinger Kreises, der im neuen Jahrtausend um die Psychoanalytiker Tilmann Moser, Günter Heisterkamp und Gisela Worm einen gewissen Grad an Bekanntheit erreichen konnte. Dieser Kreis ist eine Arbeitsgruppe von Psychoanalytikern aus den verschiedensten Richtungen, die sich mit der Integration des körperlichen Ausdrucksgeschehens in die psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie beschäftigte. Die inhaltliche Arbeit orientierte sich an der Entwicklung von theoretischen und praxisbezogenen Konzepten und deren Vermittlung durch Selbsterfahrung, Supervision und Vorträge. Seit Anfang der 1990er Jahre fanden für analytisch und tiefenpsychologisch arbeitende Kollegen an verschiedenen Orten in Deutschland zudem kontinuierliche Fortbildungsangebote durch Mitglieder des Steißlinger Kreises statt. Innerhalb des fachlichen Diskurses spielten theoretische Weiterentwicklungen in der Psychoanalyse, der Paradigmenwechsel hin zu einem intersubjektiven Verständnis und der wachsende Einfluss der Säuglings- und Bindungsforschung sowie der Neurowissenschaften eine wichtige Rolle. -Krrerrpsychtcerrrie iin pterreiyc 3 | 2017 133 Etwa zeitgleich mit der Gründung des AKP und des Steißlinger Kreises fanden in den USA im Zuge des „Back-to-Basics“-Programms von Lowen Abspaltungen einiger Kollegen aus dem Internationalen Institut statt, darunter Berliner und Kirsch. Die frühen 1990er Jahre waren somit bewegte Zeiten in der körpertherapeutischen Szene, deren Auswirkungen in Österreich heute noch spürbar sind. Wichtige Initiativen ab den späten 1990er Jahren waren: 1. Die Gründung des Wiener Symposiums „Psychoanalyse und Körper“: eine Initiative von mir gemeinsam mit dem Psychoanalytiker Klaus Rückert, vergleichbar mit dem Bonner tanztherapeutischen Symposium rund um Sabine Trautmann-Voigt und Bernd Voigt. Es handelt sich um eine öffentliche Plattform, die Psychoanalytiker und Körperpsychotherapeuten in einen Diskurs brachte, der schwierig und zugleich langfristig fruchtbar war. 2. Die Gründung der Zeitschrift „Psychoanalyse und Körper“, ursprünglich gemeinsam mit Ulfried Geuter, dem Schweizer Thomas Fellmann und den beiden Wiener psychoanalytischen Selbstpsychologinnen Gerlinde Laaha- Suchar und Elisabeth Pellegrini 3. Der Versuch, die analytische Körperpsychotherapie als Fachspezifikum in Österreich zu positionieren Die ersten beiden Projekte können als erfolgreich eingestuft werden: Das Wiener Symposium „Psychoanalyse und Körper“ fand bisher zehnmal statt und erfreut sich eines gewissen Bekanntheitsgrades, der über die österreichischen Grenzen hinausreicht; das Periodikum „Psychoanalyse und Körper“ erscheint seit dem Jahre 2002 zweimal pro Jahr und hat- - dank des Verlegers des Psychosozial-Verlags Hans-Jürgen Wirth- - mittlerweile einen festen Platz in der an sich schwierigen Zeitschriftenszene erlangt. Der Versuch, analytische Körperpsychotherapie zu einem Fachspezifikum in Österreich zu machen, scheiterte nach jahrelangem Ringen innerhalb des AKP vor allem an einem Mangel an personellen Ressourcen. Dieser Arbeitskreis besteht aus einer Gruppe sehr erfahrener KollegInnen, von denen einige, aber nicht alle sowohl über psychoanalytische als auch körperpsychotherapeutische Kompetenzen verfügen. Der mittlerweile hohe Altersschnitt und eine in der privaten Praxis der KollegInnen gute Auslastung waren wohl wichtige Gründe, dass das Ziel, neben der Konzentrativen Bewegungstherapie eine zweite körperpsychotherapeutische Methode zu einer offiziellen Ausbildungseinrichtung zu machen, nicht erreicht werden konnte. Seit dies klar ist, spielt der AKP als Gruppe, die an der methodischen Entwicklung der analytischen Körperpsychotherapie mitbeteiligt ist, keine bedeutende Rolle mehr. Gegenwärtige Entwicklungen Kraft der Wiener Symposien „Psychoanalyse und Körper“ hat sich in Österreich das Interesse an Körperpsychotherapie in ein anderes Feld verlagert: in eine teils junge Kollegenschaft an der Wiener Sigmund-Freud-Privatuniversität (SFU). Diese auf internationaler Ebene wichtige humanwissenschaftliche Einrichtung hat nicht nur StudentInnen aus aller Welt nach Wien gelockt (man kann dort seit 2005 im Zuge eines Vollstudiums mit einem akademischen Grad in Psychotherapiewissenschaft abschließen), sondern hat dank der methodischen Offenheit ihrer Begründer, allen voran Alfred Pritz, der Körperpsychotherapie eine Überlebenschance in Österreich auf akademischer Ebene eröffnet. An dieser Universität werden mehrere Fachspezifika angeboten, u. a. Gestalttherapie, Psychoanalyse und Klientenzentrierte Psychotherapie. Die seit Jahren am stärksten angefragte Methode ist jedoch die Individualpsychologie nach Adler, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil sie sich als „offene Psychoanalyse“ versteht und sich daher bewusst auch für Kör- 134 3 | 2017 Peter Geißler perpsychotherapie geöffnet hat. Die Gründerfiguren Bernhard Rieken, Thomas Stephenson und Brigitte Sindelar haben dies im Rahmen eines gemeinsam verfassten Lehrbuchs explizit schriftlich niedergelegt. Diese methodenübergreifende Orientierung kommt bei den StudentInnen der SFU gut an. Es entwickelte sich besonders zwischen Rieken, Stephenson und mir über die Jahre eine kollegiale Zusammenarbeit, darin mündend, dass ich seit 2013 in den universitären Ausbildungsbetrieb integriert bin. Im Gefolge des 10. Wiener Symposiums „Psychoanalyse und Körper“, das an der SFU tagte, ist nun seitens der Studenten ein wachsendes Interesse für Körperpsychotherapie wahrzunehmen-- ein ermutigendes Signal! Spätestens seit der Herausgabe des ersten Lehrbuchs der analytischen Körperpsychotherapie und seines Nachfolgewerks scheint dieser methodische Ansatz nicht nur im deutschen Sprachraum bekannt zu sein, sondern auch in einzelnen anderen Ländern. So hat André Sassenfeld aus Santiago de Chile einige deutschsprachige Artikel und Werke ins Spanische übersetzt und der in Südamerika ansässigen Kollegenschaft zugänglich gemacht. Eine chilenisch-österreichische Achse hat sich rund um die analytische Körperpsychotherapie seit einigen Jahren etabliert und ihren Ausdruck in einer gemeinsamen Publikation gefunden. Obwohl an der Schnittstelle von Psychoanalyse und Körperpsychotherapie angesiedelt, ist die methodische Heimat dieser „relationalen Körperpsychotherapie“, wie Sassenfeld sie in Chile nennt, eher die Psychoanalyse als die große Familie der Körperpsychotherapie mit ihren mittlerweile vielen Einzelverfahren. Zwar ist ihr Setting ein für körpertherapeutische Elemente durchaus offenes, jedoch hat die Art und Weise ihres schrittweisen, ja oftmals zögerlichen Vorgehens viel mehr mit der psychoanalytischen Widerstandsarbeit zu tun als mit einem erlebnis- und erfahrungszentrierten körpertherapeutischen Vorgehen, in welchem bestimmte Übungen eine mehr oder weniger große Rolle spielen, in der analytischen (relationalen) Körperpsychotherapie aufgrund eines verlaufsanalytischen Prozessverständnisses hingegen so gut wie gar nicht. Günter Heisterkamp und ich haben dieses Verfahren in zwei Publikationen ausführlich vorgestellt (Geißler/ Heisterkamp 2007, 2013), eine weitere Publikation befindet sich in Druck (Geißler 2017). Analytische bzw. psychodynamische Körperpsychotherapie, wie sie auch genannt wird, wird in Österreich, obwohl als Methode im Sinne von Ausbildung nicht offiziell anerkannt, von einzelnen ihrer Vertreter in der privaten Praxis angeboten. Die Anzahl der KollegInnen, die auf diese Weise arbeiten, ist sehr überschaubar und konzentriert auf die großen Städte (Wien, Salzburg, Graz). Obwohl es den AKP als mit der Methode verbundene Einrichtung seit einigen Jahren nicht mehr gibt, treffen sich ihre einstmaligen Mitglieder zweimal jährlich zum fachlich-intervisorischen Austausch. Mit den Krankenkassen kann die Methode nicht offiziell abgerechnet werden, aber man findet im Einzelfall immer „österreichische Lösungen“ (z. B. die Bezeichnung: analytische Psychotherapie). In Österreich wird die Methode meines Wissens nur in der Arbeit mit Erwachsenen im Einzel- und fallweise im Gruppen-Setting durchgeführt; in Deutschland vereinzelt auch mit Kindern und Jugendlichen (Jutta Westram) sowie im stationären Bereich (Thomas Reinert, Rudolf Maaser). In Österreich existiert mittlerweile die AABP (Austrian Association for Bodypsychotherapy) als nationale Unterorganisation der EABP. Um die Person von Peter Bolen herum gruppierte sich jahrelang ein eigener Arbeitskreis, der sich jedoch mittlerweile aufgelöst hat. Ausblick Die Zukunftshoffnung der Methode „analytische Körperpsychotherapie“ liegt weitgehend in der weiteren Zusammenarbeit mit der SFU -Krrerrpsychtcerrrie iin pterreiyc 3 | 2017 135 und was darauf wachsen wird. Derzeit sieht es so aus, als könnte Körperpsychotherapie dort eine neue Heimat finden. Auf theoretischer Ebene lebt der Diskurs mit den Nachbarwissenschaften. André Sassenfeld forscht und schreibt im Kontext von existenzialphilosophischen und neurowissenschaftlichen Einflüssen, ich selbst widme mich seit einigen Jahren dem Diskurs mit der Evolutionsbiologie. Mein Sohn Daniel untersucht die Verbindungsstelle zu den Sportwissenschaften (D. Geißler 2016). Wie es mit der Methode im Detail künftig weitergeht, muss gegenwärtig offen bleiben. Der Drang zu kürzeren und effektiveren Methoden ist auch in Österreich unübersehbar. Man muss also nicht ganz pessimistisch sein-- aber leicht wird es nicht! Manches Mal denke ich mir, ob nicht ein methodenorientiertes Denken im Grunde als Auslaufmodell zu sehen ist. Vielleicht liegt die Zukunft der analytischen bzw. psychodynamischen Körperpsychotherapie doch eher im Bereich der Fortbildung als Zusatz zu einer bereits vorhandenen psychoanalytischen Grundausbildung. Es wäre dies ein Ansatz, der durchaus Sinn macht, zumal das psychoanalytische Grundverständnis einen sicherer Boden darstellt, um komplexe und teils schwierige therapeutische Prozesse angemessen einordnen und sprachlich fassbar machen zu können. Literatur Geißler, P. (2017): Psychodynamische Körperpsychotherapie (im Druck). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Geißler, D. (2016): Körperliche Aktivität als gesundheitsförderndes Element in einer „bewegten“ Individualpsychologie. Doktorarbeit Sigmund-Freud- Privatuniversität, Wien Geißler, P., Heisterkamp, G. (2013): Einführung in die analytische Körperpsychotherapie. Psychosozial, Gießen Geißler, P., Heisterkamp, G. (Hrsg.) (2007): Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie. Ein Lehrbuch. Springer, Wien Der Autor Dr. med. Dr. phil. Peter Geißler Psychotherapeut, Supervisor, Lehranalytiker (Individualpsychologie), zertifizierter OPD-2-Diagnositker. Dozent an der Wiener Sigmund-Freud-Privatuniversität. Gerichtssachverständiger für das Fachgebiet Psychotherapie. Herausgeber der Zeitschrift „Psychoanalyse & Körper“. ✉ Dr. med. Dr. phil. Peter Geißler Dr. Paul Fuchsiggasse 12 | A-2301 Neu-Oberhausen Tel. +43 (0)699-11874690 www.geissler-info.at