eJournals körper tanz bewegung 5/4

körper tanz bewegung
9
2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2017
54

Einführung in die Methode des Sexocorporel am Beispiel der Vaginalität der Frau

101
2017
Karoline Bischof
Die in den 1980er Jahren in Montreal entwickelte Methode der Sexualtherapie „Sexocorporel“ nach Desjardins wird am Beispiel der Vaginalität vorgestellt. Die Vaginalität ist das Potential einer Frau, über das Entdecken, die Selbstaneignung und das Teilen, also gemeinsames Genießen ihres erotisierten inneren Geschlechts, der Vagina, Zugang zu sexueller Lust und zu erotischem Genuss zu finden. Vaginalität spielt bei den meisten Störungen der weiblichen Sexualität eine zentrale Rolle. Im Rahmen der Sexocorporel-Behandlung wird u. a. auf den Zusammenhang zwischen den sexuellen Erregungsmodi der Frau – spezifische Bewegungs- und Stimulationsmuster – und der Vaginalität eingegangen. Exemplarische Körperübungen aus dem Sexocorporel-Therapiekonzept zur Wahrnehmung der Vagina sowie zur Bewegung der Beckenschaukel werden erläutert.
9_005_2017_004_0162
Fachbeitrag 162 körper-- tanz-- bewegung 5. Jg., S. 162-172 (2017) DOI 10.2378 / ktb2017.art22d © Ernst Reinhardt Verlag Einführung in die Methode des Sexocorporel am Beispiel der Vaginalität der Frau Karoline Bischof Die in den 1980er Jahren in Montreal entwickelte Methode der Sexualtherapie „Sexocorporel“ nach Desjardins wird am Beispiel der Vaginalität vorgestellt. Die Vaginalität ist das Potential einer Frau, über das Entdecken, die Selbstaneignung und das Teilen, also gemeinsames Genießen ihres erotisierten inneren Geschlechts, der Vagina, Zugang zu sexueller Lust und zu erotischem Genuss zu finden. Vaginalität spielt bei den meisten Störungen der weiblichen Sexualität eine zentrale Rolle. Im Rahmen der Sexocorporel-Behandlung wird u. a. auf den Zusammenhang zwischen den sexuellen Erregungsmodi der Frau-- spezifische Bewegungs- und Stimulationsmuster-- und der Vaginalität eingegangen. Exemplarische Körperübungen aus dem Sexocorporel-Therapiekonzept zur Wahrnehmung der Vagina sowie zur Bewegung der Beckenschaukel werden erläutert. Schlüsselbegriffe Sexocorporel, Vaginalität, weibliche Sexualstörungen, Körperübungen Introduction to Sexocorporel Using the Example of Women’s Vaginality The “Sexocorporel” method of sexual therapy, developed in Montreal in the 1980s by Desjardins, will be introduced by the example of vaginality. Vaginality is a women’s potential to access sexual pleasure and erotic enjoyment through the discovery, appropriation and sharing (joint pleasure with a partner) of her eroticized inner genital, the vagina. Vaginality plays a central role in most female sexual disorders. Within the context of Sexocorporel treatment, the link between a woman’s sexual arousal modes-- specific movement and stimulation patterns-- and vaginality is taken into consideration. Exemplary body oriented interventions from the Sexocorporel treatment concept for the awareness of the vagina and for the pelvic swing movement are explained. Key words Sexocorporel, vaginality, female sexual disorders, body oriented interventions S exocorporel, eine umfassende Sichtweise der Sexualität, wurde von Jean- Yves Desjardins und Kollegen in den 1980er Jahren an der sexologischen Fakultät der Universität von Montreal entwickelt und wird seither von Sexologen in Kanada und Einführung in die Methode des Sexocorporel 4 | 2017 163 Europa angewandt, gelehrt und anhand neuester Forschung weiterentwickelt. Der therapeutische Ansatz versteht Denken, Spüren und emotionales Erleben als körperlich basierte Phänomene, die mit Veränderungen auf der Ebene der Muskulatur, der Hormone und des vegetativen Nervensystems einhergehen (Desjardins et al. 2010). Dies gilt für sexuelle Erregung und das lustvolle Erleben der Sexualität ebenso wie für Gefühle wie Freude oder Angst. Diese körperlichen Prozesse laufen automatisch ab, können aber auch willentlich beeinflusst werden. Bewusste Modifikationen der Motorik und damit auch indirekt der Neurophysiologie bewirken neue sensorische und emotionale Erlebnisse, sodass eine Erweiterung der Wahrnehmung, des Lusterlebens und des Denkens über Sexualität ermöglicht wird. In diesem Artikel möchten wir die Sexocorporel-Methode am Beispiel der Vaginalität der Frau erläutern. Das Konzept der Vaginalität Viele Frauen verfügen über einen guten Zugang zu ihrem äußeren Geschlecht. Über eine Vielfalt von Stimulationen ihrer Vulva und Klitoris können sie alleine und mit einem Partner / einer Partnerin eine für beide befriedigende Sexualität leben (Fugl-Meyer et al. 2006). Andere suchen therapeutische Hilfe wegen folgender Anliegen: ● Probleme damit, ihre Erregung zu steigern und zu genießen, einschließlich der Anorgasmie in der Partnersexualität oder bei der Penetration ● Probleme mit der vaginalen Rezeptivität (bei Penetration): Dyspareunie, Vaginismus, Vulvodynie ● Probleme mit dem sexuellen Begehren Das Konzept der Vaginalität ermöglicht ein vertieftes Verständnis der weiblichen sexuellen Gesundheit wie auch deren Grenzen (Dysfunktionen). Es ist von entscheidender Bedeutung für die sexualtherapeutische Behandlung dieser Probleme, die individuelles Leiden und Beziehungsschwierigkeiten nach sich ziehen können. Vaginalität definieren wir als Möglichkeit einer Frau, Zugang zu sexueller Lust und zu erotischem Genuss zu finden über das Entdecken, die Selbstaneignung und das Teilen, also gemeinsame Genießen ihres erotisierten inneren Geschlechts, der Vagina. Das bedeutet für die Frau: ● Die Fähigkeit, die Vagina in ihrem Körper als weibliches Sexualorgan wahrzunehmen ● Die Fähigkeit, das Aufnehmen von Penis, Fingern, Objekten als Teil einer sexuellen Begegnung, zum Beispiel beim Geschlechtsverkehr, lustvoll zu erleben ● Die Fähigkeit, ihre Vagina und den Geschlechtsverkehr über körperliche Eigenaktivität und Fantasien zu erotisieren Einmal angeeignet, ermöglicht die Vaginalität weitere Entwicklungen und eine gute Anpassungsfähigkeit an physiologische Veränderungen im Leben einer Frau, z. B. Schwangerschaft, Geburt, Infertilität, Wechseljahre, Altern, aber auch an Erkrankungen und Operationen im Bereich der Genitalorgane sowie an Veränderungen auf der Beziehungsebene wie Trennungen, neue Beziehungen und Aufrechterhalten eines sexuellen Interesses in länger andauernden Partnerschaften. Die Vaginalität ist ein allen Frauen zugängliches Potential (ausgenommen schwere gynäkologische Pathologien wie beispielsweise angeborene Missbildungen). Anatomisch umgeben den vaginalen Innenraum eine Reihe von sensiblen Strukturen, u. a. die „innere Klitoris“ (die klitoralen Schwellkörper), die vaginale Vorderwand mit sensiblem Gewebe rund um die Harnröhre, der Gebärmutterhals und die Beckenbodenmuskulatur (Salonia et al. 2010). Die Stimulation dieser Bereiche wird jedoch nicht automatisch als erregend erlebt 164 4 | 2017 Karoline Bischof (Chivers et al. 2010). Die Aneignung der Vaginalität, also das Entdecken dieses Innenraums als Quelle sexueller Erregung, erfordert Lernschritte, die Wochen bis Jahre in Anspruch nehmen. In individuell sehr unterschiedlicher Ausprägung erfolgen diese ab der Pubertät im Zusammenhang mit der psychosexuellen Entwicklung durch Selbstexploration und -stimulation, durch das Erleben von Ausfluss und Menstruation und das Einführen von Tampons, durch gut erlebte gynäkologische Untersuchungen, durch das Wahrnehmen innerer Veränderungen in Bewegung und bei sexueller Erregung und schließlich auch durch Partnersexualität. Durch das wiederholte Auslösen von Sinnesreizen kann die Vagina zunehmend bewusster wahrgenommen und in das Körperschema integriert werden. Die Verbindung mit sexueller Erregung wirkt konditionierend, so wird die Vagina zum erotischen Innenraum (Pfaus et al. 2016; Roux-Deslandes 2004). Diese Entwicklung unterstützt auch ein Gefühl von Weiblichkeit und die Individuation. Sie ermöglicht der Frau, sich als Subjekt zu erleben, und ist Voraussetzung dafür, dass die Frau diesen Innenraum mit einem Partner oder einer Partnerin teilen kann. Um den Geschlechtsverkehr innerhalb einer sexuellen Beziehung zu akzeptieren, zu wünschen und lustvoll zu genießen, muss die Frau auch lernen, die erotische Intrusivität des Gegenübers (mit Fingern, Penis oder Objekten) anzunehmen und sich der eigenen Lust und der Lust des Gegenübers sowie den dabei entstehenden Emotionen hinzugeben. Dieses Erotisieren der vaginalen Rezeptivität und der Penetration setzt voraus, dass eine angemessene genitale und körperliche Erregung hergestellt werden kann, dass die Frau unterschiedliche psychoaffektive Bedürfnisse und Emotionen in die sexuelle Interaktion integrieren kann und dass sie ihre sexuelle Erregung verstärken kann über Fantasien, die sich auf die Penetration beziehen, also die Penetration als lustvollen Akt symbolisieren (Cabanis 1998). Voraussetzung dafür ist u. a. ein Erregungsmodus, der dies begünstigt. Die Erregungsmodi und ihr Zusammenhang mit der Vaginalität In der Literatur der Sexualforschung finden sich seit Kinsey et al. (1953) eine Reihe von Hinweisen darauf, dass Frauen (wie auch Männer) bei der Steigerung ihrer sexuellen Erregung bestimmte Bewegungs- und Stimulationsmuster anwenden (Clifford 1978; Bruijn 1982; Leff/ Israel 1983; Carvalheira / Leal 2013). Desjardins und Kollegen (2010) entwickelten auf der Basis physiologischer Überlegungen und gestützt auf Sexualevaluationen tausender Männer und Frauen ein klinisch relevantes Modell, welches im Wesentlichen vier solche Erregungsmuster oder Erregungsmodi unterscheidet. Jeder Modus ist charakterisiert durch den Fokus der Stimulation sowie die begleitende Art der Muskelspannung und Bewegung. Im Verlauf des Lebens können verschiedene Modi erworben werden. Die meisten Menschen neigen jedoch zumindest bei der Selbstbefriedigung dazu, einem bestimmten Modus treu zu bleiben. Wahrscheinlich stellen die Modi früh konditionierte Muster dar, deren Veränderung eine gewisse Übung erfordert (Chatton et al. 2005; Pfaus et al. 2016). Der archaische Erregungsmodus kann bereits im frühesten Säuglingsalter beobachtet werden (Yang et al. 2005; Hansen / Balslev 2009). Rund 30 % der Frauen behalten ihn lebenslang bei, vor allem bei der Selbstbefriedigung (Carvalheira / Leal 2013; Bischof- Campbell 2012). Sie erregen sich durch Druck auf Genitalien oder Unterbauch, mit der Faust, Fingern, Objekten wie z. B. Kissen, in Bauchlage oder indem sie auf Sofalehnen reiten, durch Überkreuzen und andauerndes oder rhythmisches Zusammenpressen der Beine sowie weitere Techniken der Druckausübung, zum Teil kombiniert mit Reibung, auf die Einführung in die Methode des Sexocorporel 4 | 2017 165 Becken- und Genitalregion. Der Körper ist dabei stark angespannt, teils so, dass Muskelkater entsteht. Typischerweise ist dieser Modus sehr wirkungsvoll zum Steigern der Erregung bis zur orgastischen Entladung innerhalb von Sekunden oder Minuten. Diese ist kurz, das anschließende Nachlassen der Muskelspannung ist entspannend und lustvoll. Beim Partnersex suchen Frauen im archaischen Modus kräftige Stöße bei der Penetration oder Druck auf die Vulva, z. B. durch Pressen gegen das Schambein des Partners, oder sie lassen sich in Bauchlage von hinten penetrieren und klemmen dabei kräftig die Beine zusammen. Weil sich der Modus mit Partner oder Partnerin nicht immer gut umsetzen lässt, haben diese Frauen öfter Schwierigkeiten mit Erregung oder Höhepunkt. Wegen der hohen Spannung wird die Vagina wenig feucht, so können bei der Penetration Schmerzen auftreten bis hin zur chronischen Dyspareunie, manchmal auch wiederkehrende Infektionen der Vagina oder der Blase. Das Gefühl eines vaginalen Hohlraumes kann sich nicht einstellen. Denn das Ballonieren der Vagina als Bestandteil der sexuellen Erregungsphysiologie wird durch die Anspannung des Beckenbodens eingeschränkt-- die Vagina ist statt Hohlraum solide und unterstützt nicht den Wunsch, etwas in sich aufzunehmen. Dennoch können manche Frauen in diesem Modus die Penetration erotisieren. Häufiger ist es aber so, dass die Erregungssteigerung in der Paarsexualität erschwert ist und sich kein koital sexuelles Begehren, also kein erotisches Verlangen nach Penetration einstellt. Bisweilen wird die Sexualität so wenig lustvoll erlebt, dass die Lust darauf ganz vergeht. Als mechanischer Modus wird die rasche, einförmig „mechanische“ Reibung der Vulva oder Klitoris bezeichnet, die vor allem Oberflächenrezeptoren anspricht. Die Stimulation kann langsam und variabel beginnen und beschleunigt mit steigender Erregung. Kurz vor dem Höhepunkt zeigt sie ihr typisches einförmiges Muster, das vielleicht ein sehr präzises Erregungsritual darstellt, z. B. „3 mm links von der Klitoris, genau so schnell und mit so viel Druck“. Typischerweise steigt auch hier die Muskelspannung. Bisweilen biegt sich der Oberkörper nach hinten, während sich Becken, Beine und Bauch versteifen. Bei der Masturbation wird der Körper kaum bewegt, die Hand (oder der Vibrator) tut die ganze Arbeit. Der mechanische Modus ist meist eine effiziente und zielgerichtete Art der Selbststimulation, die innerhalb einiger Minuten zum Höhepunkt führt. Je präziser das Ritual, desto mehr benötigt die Frau in der Paarsexualität ähnliche Stimulation. Vaginale Penetration wird dabei ohne zusätzliche klitorale Reizung oft nicht erregend erlebt, teils sogar störend. Ist das Muster sehr eng, kann es der Partner kaum ausführen, wogegen Frauen mit einem abwechslungsreicheren mechanischen Modus problemlos durch manuelle oder orale Stimulation zum Höhepunkt gelangen (Bischof- Campbell 2012). Wie beim archaischen Modus unterstützen sich Personen mit mechanischem Modus, bei denen die körperliche Stimulation in der Paarsexualität nicht ausreicht, gelegentlich durch einen starken Fokus auf emotionale Erregungsquellen, Fantasien, Rollenspiele etc. Bisweilen wirkt die Paarsexualität angestrengt, weil die Erregungssteigerung störungsanfällig ist und eine große Konzentration auf die Fantasien oder den Erregungsfokus erfordert. Das kann die Lust eindämmen. Da die Vagina eine untergeordnete Rolle spielt für die Erregung, liegt der Sinn der Penetration eher bei der Erfüllung von Verschmelzungs-, Selbstbestätigungs- und anderen emotionalen Bedürfnissen, und sie bleibt wenig erotisiert. Ohne sich Penetration lustvoll erregend vorstellen zu können, entsteht aber auch kein sexuelles Begehren danach (Bischof 2012). Sollten die emotionalen Bedürfnisse nach Geschlechtsverkehr abflauen, wie dies gerade bei längeren Beziehungen öfter der Fall ist, stellt sich Unlust ein. 166 4 | 2017 Karoline Bischof Archaischer und mechanischer Modus beruhen auf hoher Körperspannung, was eine rasche und effiziente Erregungssteigerung bis zur Entladung ermöglicht. Aus neurophysiologischen Gründen (Genaueres dazu bei Bischof 2012) kann sich diese Spannung jedoch einschränkend auswirken auf das Lusterleben und die lustvolle Interaktion mit dem Partner. Deshalb und weil, wie oben aufgeführt, die Übertragung eines präzisen Stimulationsrituals auf die Paarsexualität nicht ganz einfach ist, sehen wir in der Sexualsprechstunde weit häufiger Personen, die bisher diese Modi anwenden und nicht die zwei anderen Erregungsmodi, den ondulierenden und den wellenförmigen Modus. Letztere Modi erleichtern mit ihrer großen Beweglichkeit des Körpers und tiefen Atmung sowie variablen Stimulationsmustern das lustvolle Erleben der Sexualität auch im Paar (Desjardins 1996; Bischof- Campbell 2012; Bischof 2012). Im ondulierenden Modus bewegt sich der ganze Körper fließend, ohne speziellen Fokus auf die Genitalregion. Er geht mit zahlreichen angenehmen Empfindungen einher. Die Bewegungen suchen den genussvollen sinnlichen Kontakt mit dem Gegenüber und ermöglichen intensive Begegnungen. Auch bei der Selbstbefriedigung werden viele Körperteile bewegt, berührt und stimuliert. Der Orgasmus ist nicht das Ziel, da die Erregung lustvoll und befriedigend erlebt wird. Die Wahrnehmung der Vagina kann unterschiedlich entwickelt sein. Da im Beckenbereich die Spannung gelegentlich zu niedrig ist, um zum Höhepunkt zu gelangen, greift die Frau dafür vielleicht auf einen archaischen oder mechanischen Modus mit erhöhter Spannung zurück. Manchmal wird das damit verbundene Einengen des Atem-, also des emotionalen Raumes dann eher als enttäuschend erlebt. Der wellenförmige Modus verbindet ondulierende Bewegungen mit einer koordinierten Bewegung in der Körperachse, der „doppelten Schaukel“. Dabei wird das Becken atemsynchron ante- und retrovertiert, so dass das Geschlecht beim Ausatmen nach vorne, beim Einatmen nach hinten „schaukelt“ („Beckenschaukel“). Zugleich lassen Kopf und Kiefer beim Ausatmen im Nacken nach hinten los und das Brustbein sinkt ein („obere Schaukel“). Während die doppelte Schaukel zum angeborenen Kopulationsverhalten vieler Säugetiere gehört, scheint sie beim Menschen in der Sexualität nicht genetisch vorprogrammiert, doch können wir sie bei anderen reflexähnlichen Muskelspasmen beobachten: beim Husten, Lachen, Schluchzen und in den Spasmen des Orgasmus. Die vielfältigen Bewegungen des wellenförmigen Modus lösen angenehme Empfindungen im ganzen Körper aus. Das Muskelspiel im Beckenraum begünstigt die genitale Durchblutung. Die sexuelle Erregung kann damit allein und in der Paarsexualität gesteuert und wellenförmig zum Anstieg gebracht werden bis zu einem kräftigen Orgasmus. Die Bewegung und das Loslassen im Bereich des Brustraumes ermöglichen zusätzlich hohe emotionale Intensität. Dadurch ist dieser Modus besonders gut geeignet, das sexuelle Lusterleben auch im Paar zu steigern und die Wahrnehmung des vaginalen Innenraums zu fördern. In der Bewegung kann die Frau ihre Vagina lebendig und aktiv werden lassen und den Besucher / die Besucherin aufnehmen, umfassen und sich daran erregen. Aus dieser Möglichkeit der Verantwortungsübernahme für die eigene Erregung nährt sich auch ihre sexuelle Selbstsicherheit und das Gefühl, eine erotisch kompetente Frau zu sein. Die Beschreibung der Erregungsmodi verdeutlicht den Einfluss von erlernten Stimulationsgewohnheiten auf das Aneignen der Vaginalität wie auch generell auf das sinnliche, emotionale, kognitive und partnerschaftliche Erleben der Sexualität. Die präzise Evaluation des Erregungsmodus ist daher ein wichtiger Bestandteil der Behandlung im Sexocorporel. In den meisten Fällen von Schwierigkeiten mit Orgasmus, Begehren oder Dyspareunie finden Einführung in die Methode des Sexocorporel 4 | 2017 167 wir bei den betroffenen Frauen spannungsorientierte Erregungsmodi. Das Sexocorporel-Therapiekonzept Die Sexocorporel-Therapie erfolgt in mehreren Stufen. Basis ist die Evaluation aller Komponenten der Sexualität. Die Evaluation kann sich über eine bis mehrere Konsultationen erstrecken und wird meist in Abwesenheit des Partners durchgeführt. Nebst der in die Therapie führenden Thematik werden auch die sexuellen Lernschritte erhoben, welche die Frau bereits gemacht hat. Diese Fähigkeiten dienen als Basis, von der aus geeignete weitere Lernschritte angeregt werden können. So sind auch Erregungsmodi stets als Fähigkeiten zu verstehen: Die Frau kann dadurch sexuelle Erregung und Entladungen erleben. Des Weiteren werden die Grenzen innerhalb der physiologischen, kognitiven, emotionalen und Beziehungskomponenten ihres sexuellen Erlebens erfasst, um daraus mit ihr zusammen zu verstehen, wie ihr Problem entstanden ist und wo sie Veränderungspotenzial hat. Dabei zeigt sich, dass bei koitaler Anorgasmie, vermindertem sexuellen Begehren und Dyspareunie sehr häufig-- und im Falle von Vaginismus immer-- Grenzen im Zusammenhang mit der Vaginalität bestehen. Daher ist das Fördern der Vaginalität ein zentraler Bestandteil der Behandlung weiblicher Sexualstörungen. Die Therapie beinhaltet: ● Wissensvermittlung zur vaginalen Funktionalität und zur Bedeutung sexuellen Lernens, Information über den Geschlechtsverkehr und Vorschlag eines Rollenverständnisses der Frau als aktiv und selbst bestimmend in der Sexualität ● Körperübungen für das Entdecken und Aneignen von Empfindungen sexueller Erregung bis zur Ausweitung des Erregungsmodus: Wahrnehmen, Diffundieren und Kanalisieren der sexuellen Erregung, emotionale Intensivierung, genitales und emotionales Loslassen über die doppelte Schaukel im Orgasmus ● Bearbeiten der durch die Körperübungen ausgelösten Emotionen und Gedanken ● Fördern der Entwicklung von Fantasien, welche die Penetration in Verbindung bringen mit sexueller Erregung und sexueller Lust ● Bearbeiten von Grenzen im emotionalen Erleben der Sexualität, z. B. von Ängsten im Zusammenhang mit sexuellem Genießen, männlicher Intrusivität, Loslassen usw. ● Fördern der Entwicklung eines Selbstbildes als autonome, erotisch kompetente Frau, die ihr Geschlecht mit Stolz bewohnt ● Bearbeiten der Beziehungsfähigkeiten, wie z. B. der Fähigkeit, Intimität zu erotisieren, oder der Verführungsfähigkeit, um den Partner für die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu gewinnen Die Therapieschritte und deren Reihenfolge sind nicht festgelegt-- es handelt sich nicht um ein Standardprogramm, sondern sie werden der individuellen Situation der Frau und ihren Fähigkeiten angepasst. Manche Frauen haben bereits einen sehr guten Bezug zu ihrem Geschlecht und benötigen nur wenig Anstoß, um ihr sexuelles Erleben zu erweitern und den vaginalen Innenraum darin einzubeziehen. Andere kennen ihr Geschlecht kaum, vielleicht weil sie in sexualfeindlichem Umfeld aufwuchsen und ihr Genital abwerten oder mit Scham behaften. Wieder andere hegen eine Aversion gegen ihr Geschlecht oder dissoziieren es als Folge unangenehmer oder traumatisierender Erfahrungen. All diese Frauen können von einer Integration der Vagina in ihr Körper- und erotisches Selbstbild profitieren, jedoch ist die therapeutische Herangehensweise an dieses Projekt entsprechend unterschiedlich. Nachfolgend wollen wir unser Konzept körperlicher Übungen herausgreifen, da sich der Sexocorporel hierin besonders von manchen anderen Sexualtherapieformen unterscheidet. 168 4 | 2017 Karoline Bischof Körperliche Lernschritte werden in der Konsultation angeregt. Das Erlebnis des Übens zu Hause wird in der Folgekonsultation ausführlich besprochen und bearbeitet. Wahrnehmungs- und Bewegungsübungen, die keine direkten Berührungen des Geschlechts oder sexuelle Erregung einbeziehen, können schon in der Konsultation angeleitet und begleitet werden. Dieses körperliche Üben in der Sprechstunde ist sehr wichtig. Es ermöglicht erste neue sensorische, emotionale und kognitive Erfahrungen, die reflektiert und bearbeitet werden können. Zugleich können wir verifizieren, ob die Klientin uns und wir sie verstanden haben. Indem wir den Körperübungen genügend Zeit einräumen, demonstrieren wir auch deren zentrale Bedeutung für die Therapie. Wir haben dabei in der Regel keinen Körperkontakt mit der Klientin, denn die Förderung der Autonomie ist in der Sexocorporel- Sichtweise zentral. Hingegen machen wir, zumindest ansatzweise, die Übung mit, wobei wir die Klientin stets im Auge behalten und spiegeln. Das Spüren in der Imitation erleichtert das verbale Anleiten und ermöglicht uns, besser nachzufühlen, was die Klientin erlebt. Gleichzeitig normalisiert unser selbstverständliches Mitmachen das Üben der Klientin mit ihrem Körper, und sie fühlt sich weniger allein und exponiert. Da es zunächst um eine Förderung der Selbstwahrnehmung geht, empfehlen wir in der Regel, zu Hause allein, also ohne Partner, zu üben. Parallel dazu oder auch im späteren Verlauf der Therapie können Paarübungen sinnvoll sein. Zu deren Anleitung und Bearbeitung wird nach Möglichkeit auch der Partner / die Partnerin einbestellt. Wahrnehmung der Vagina Ohne Übung fühlen sich selten berührte Körperteile wie die Vagina oft wenig sensibel oder gar „taub“ an. Es genügt also nicht, ihre sensiblen Stellen zu kennen und ihnen besondere Aufmerksamkeit zu schenken (Chivers et al. 2010). Um sie als erregend wahrzunehmen, braucht es korrespondierende Verschaltungen im Gehirn, und diese setzen Lernen voraus (Storch et al. 2006). Sensorisches Lernen-- spüren und mit Erregung assoziieren-- erfordert genügend oft wiederholte Stimuli, z. B. mittels täglicher Selbstexploration der Vulva und der Vagina. Damit die Aktivität nicht enttäuscht wieder abgebrochen wird, soll zunächst Erregung nicht das Ziel sein, sondern achtsames, absichtsloses Spüren. Was das heißt, kann in der Sprechstunde am Beispiel der Hand erfahren werden. Dabei kann die eine Hand die andere, locker zur Faust geballte Hand explorieren, und die Klientin beschreibt, welche Sinnesreize sie registriert- - weich, hart, trocken, warm, etc.-- und welche Qualitäten die Berührung hat- - angenehm, unangenehm, neutral. Es sind zwei verschiedene Aufmerksamkeitsfokusse möglich: die aktiv berührende Hand und die empfangende, berührte Hand. Welche von beiden Händen spürt sie mehr? Auch die begleitenden Kognitionen können erfragt werden-- Benennungen wie „Finger, Knochen, Haut“ und gleichzeitig Bewertungen wie „Was soll diese komische Übung? “ und „Mache ich es wohl richtig? “ In ihrer Form und Beschaffenheit kann eine solche Faust das Geschlecht symbolisieren: Daumen, Zeigefinger und die Fläche dazwischen als „Vulva mit Klitoris“, die Fausthöhle als „Vagina“. Die Klientin kann durch diese Übung nachvollziehen, was achtsames Spüren bedeutet. Zugleich kann sie Vorschläge für verschiedene Berührungen ausprobieren, etwa Streicheln, Zupfen, Drücken, Massieren oder Klopfen. Und zugleich wird erkennbar, wie sie mit der Symbolik des Geschlechts umgeht. Aversive Reaktionen können an der entsprechenden Mimik, Abwehrspannung etc. erkannt, bewusst gemacht und benannt werden und durch geeignete körperliche Interventionen, z. B. tiefes Ausatmen und Lächeln, beeinflusst werden. Das genaue Beobachten der körperlichen und mimischen Reaktionen der Patientin Einführung in die Methode des Sexocorporel 4 | 2017 169 als Spiegel ihres psychischen Erlebens ist daher von großer diagnostischer und therapeutischer Bedeutung. Ist beim Üben zu Hause die Wahrnehmung des Geschlechts deutlicher geworden, kann das Explorieren kombiniert werden mit der gewohnten Selbstbefriedigung unter allmählicher Ausweitung des erregbaren Areals und Bereicherung des Stimulationsrituals. Von den Rezeptoren her sind für die Vagina Druck- und Massageberührungen besser geeignet als Reibung. Ein Dildo kann hilfreich sein für die Stimulation des Gebärmutterhalses. Vibratoren empfehlen wir weniger, da die Vibrationsrezeptoren beim Geschlechtsverkehr ohne Anwenden des Gerätes kaum stimuliert werden. Das langsame und damit bewusste Anspannen und-- genauso wichtig-- Entspannen des Beckenbodens fördert ebenfalls die Innenwahrnehmung im kleinen Becken. Es unterstützt zudem die Durchblutung und somit die sexuelle Erregung. Stimuliert sich die Klientin ohne manuelle genitale Berührung oder überhaupt nicht, oder lehnt sie Selbstbefriedigung oder -berührung ganz ab, verläuft der Annäherungsprozess an das eigene Genitale in entsprechend kleineren Schritten. Oftmals, insbesondere bei starker Aversion, ist es einfacher, sich zunächst über die Innenwahrnehmung heranzutasten, z. B. über langsames, bewusstes Anspannen des Beckenbodens. Statt das Geschlecht zu berühren, kann sich das Genital die Berührungen „abholen“, indem das Becken gegen die unbewegte Hand bewegt wird. Die nachfolgend beschriebene Bewegung der Beckenschaukel ist hierfür gut geeignet. Damit wechselt das Geschlecht von der passiven, abgewerteten oder erduldenden in die aktive, selbstbestimmte Rolle. Zudem wirkt die Bewegung einer Versteifung der Muskulatur entgegen, die ihrerseits wieder die Wahrnehmung erschwert. Mit tiefer Bauchatmung und Lockerung der Gesichts- und Nackenmuskulatur können zugleich allfällige negative Affekte und Ängste gemildert werden. Bewegung der Beckenschaukel Folgende Anleitung ist eines von zahlreichen gleichwertigen Beispielen: Legen Sie sich auf eine bequeme, nicht zu weiche Unterlage. Probieren Sie aus, ob es angenehmer ist, dabei die Augen offen oder geschlossen zu halten. Achten Sie auf den Kontakt des Beckens mit der Unterlage. Welche Stellen drücken gegen den Boden? Wie liegt der Körper auf? Sind beide Hüften symmetrisch, oder spüren Sie auf einer Seite mehr Gewicht? Stellen Sie jetzt die Beine auf, sodass beide Füße bequem und fest auf dem Boden stehen. Beachten Sie den Abstand zwischen den Beinen: Wie groß soll er sein, damit Ihnen wohl ist? Wie hat sich die Auflagefläche des Beckens dadurch verändert? Geben Sie mit den Füßen leichten Druck auf den Boden. Dadurch rollt das Becken ein wenig kopfwärts. Lassen Sie wieder nach, sodass es zurückrollt. Wiederholen Sie das ein paarmal. Achten Sie dabei auf die Kontaktfläche des Beckens mit dem Boden. Vielleicht beobachten Sie, dass diese, wenn die Füße drücken, leicht kopfwärts wandert und bei der Entlastung wieder zurück nach unten. Was können Sie tun, um die Bewegung einfacher werden zu lassen? Vielleicht verkleinern Sie sie etwas? Wie ist es, wenn Sie sie langsamer machen? Oder schneller? Gönnen Sie sich eine Pause, strecken Sie die Beine. Wie geht es Ihnen? Welche Gedanken, Gefühle, Sinnesempfindungen haben Sie? Stellen Sie die Beine auf. Lassen Sie das Becken wieder kopfwärts rollen. Was passiert dabei mit der Lendenwirbelsäule? Vielleicht spüren Sie, dass diese mehr Kontakt mit der Unterlage bekommt. Lassen Sie das Becken in die Ausgangsposition zurückrollen. Die Lendenwirbelsäule entfernt sich nun etwas vom Boden. Können Sie diese Distanz noch etwas vergrößern, sodass der Rücken ein leichtes Hohlkreuz bildet? Was passiert dadurch mit dem Becken? Vielleicht rollt es ein wenig fußwärts. Lassen Sie das 170 4 | 2017 Karoline Bischof Becken ein paarmal fußwärts, dann alternierend kopf- und fußwärts rollen. Was können Sie tun, um diese Bewegung so leicht, rund und angenehm wie möglich zu machen? Während der Übung kann die Wahrnehmung auf verschiedene Körperregionen gelenkt werden: Was macht das Beckenschaukeln mit dem Nacken? Wie verändert sich die vordere Körperhälfte? Wie bewegt sich dabei der Schambeinknochen? Welchen Weg legt die Vulva zurück? Die Vagina? Zudem wird die Bewegung in mehreren Schritten modifiziert: So kann z. B. exploriert werden, wie die Beckenschaukel auch noch auf eine andere Art ausgelöst werden kann- - z. B. durch das Anspannen und Lösen der Gesäßmuskulatur oder durch das Krümmen des Rückens Richtung Boden und Richtung Decke. Was verändert sich hierdurch? Auch die Atmung wird beobachtet: Mobilisiert die Klientin das Zwerchfell, und atmet sie in den Bauch, oder bleibt die Atmung flach im oberen Brustkorb? Falls sie in den Bauch atmet, spürt sie das? Kann sie es bewusst verstärken? Mit der Zeit wird eine Koordination der Beckenschaukel mit der Atmung angestrebt, indem beim Kopfwärtsrollen des Beckens aus- und beim Fußwärtsrollen eingeatmet wird. Vom Geschlecht aus gedacht bedeutet dies, dass bei der Vorwärtsbewegung aus- und bei der Rückwärtsbewegung eingeatmet wird. Das bedeutet, beim Sex auszuatmen, wenn die Vagina aufnimmt/ umfasst. Dieser Ablauf entspricht der physiologischen Atembewegung des Körpers. Insbesondere gegen Ende eines kräftigen, etwas verlängerten Ausatmens kommt es zu einer leichten Anspannung, beim tiefen Einatmen „bis in die Vagina“ wiederum zum Loslassen des Beckenbodens. Dieses Wechselspiel aus Spannung und Entspannung fördert die Durchblutung und Wahrnehmung des Genitalraums und verstärkt das Gefühl einer aktiv aufnehmenden Vagina. Während oder nach der Übung wird dann erfragt, ob sich der Beckenraum gleich oder anders anfühlt als zuvor- - und wenn anders, wie genau. Kann die Frau keinen Unterschied wahrnehmen, ist sie vielleicht noch nicht geübt darin, die Aufmerksamkeit auf diese Körperregion zu lenken. Oder der Beckenboden wurde nicht mitbewegt, z. B. weil er eine erhöhte Grundanspannung aufwies. Muskuläres Entspannen wird bei Entspannungstechniken oft mit Ausatmen verbunden. Im Sinne der Atemphysiologie bei sexueller Erregung empfehlen wir jedoch, umgekehrt vorzugehen und beim Anspannen des Beckenbodens auszuatmen und bei seinem Loslassen einzuatmen. Das unterstützt die Mobilisierung des Zwerchfells und wirkt einer sympathischen Überaktivierung entgegen. Eine solche Atmung vermindert Leistungsstress und hilft loszulassen. Durch regelmäßiges Üben werden die Bewegungen allmählich leichter, und die Wahrnehmung wird feiner. Der Einsatz der Beckenschaukel bei der Selbstbefriedigung erweitert den Erregungsmodus. Die Phasen der Bewegung sind erst kurz, um den Erregungsablauf nicht zu sehr zu stören, und können allmählich verlängert und mit variablen Intensitäten verbunden werden, um ihren Einfluss auf die Erregung zu erfahren, bis es möglich ist, tiefe Atmung und große Bewegungen bis zum Orgasmus beizubehalten. Die Mobilisierung des Beckens und des Beckenbodens ist in der Sexualtherapie zentral, denn sie ermöglicht viele neue Erfahrungen: Sie verbessert die Durchblutung der Muskulatur und des Geschlechts, was als Wärme, Kribbeln oder auch als Anflug sexueller Erregung wahrgenommen werden kann und so das Auslösen und Steigern sexueller Erregung erleichtert. Bestehen chronische Schmerzen, so kann sie Linderung bringen. Und sie ermöglicht ein Gefühl der aktiven Handlungsfähigkeit im Bereich des Beckens, der Selbstbestimmung über das eigene Geschlecht, was gerade auch für Personen mit einer Geschichte von traumatisierenden Erfahrungen therapeutisch sehr hilfreich sein kann. In der Beckenschaukel kann die Vagina Besucher einladen, Einführung in die Methode des Sexocorporel 4 | 2017 171 aufnehmen, umfassen. Die Muskeln fördern die innere erotische Selbststimulation, massieren die Vagina und lassen in der Bewegung den Hohlraum spüren, den sie während der Erregung bildet und der die Lust auf den Besucher weckt. Dank der aktiven Bewegung des Körpers kann die Frau entscheiden, wo und wie sie ihr Gegenüber spüren möchte, wie langsam oder schnell, heftig oder fein, und an welchen Stellen ihres Geschlechts sie ihm begegnen möchte. Die Kombination mit der oberen Schaukel (Loslassen des Brustkorbs, des Nackens und der Kiefermuskulatur im tiefen, lauten Ausatmen) als weiterer Lernschritt gibt lustvollen Emotionen Raum und ermöglicht es, sich gehen zu lassen und die sexuelle Erregung durch kraftvollere Bewegungen zu steigern bis zu einer intensiven emotionalen und genitalen Entladung im Orgasmus. Fazit Die Entwicklung der Vaginalität ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einer befriedigenden und erfüllenden weiblichen Sexualität. Die aufgeführten Beispiele aus der Sexocorporel- Sexualtherapie verdeutlichen die Wirkung von Körperübungen wie achtsame vaginale Selbstexploration und vom Erlernen der Bewegungs- und Atmungsabläufe der „doppelten Schaukel“ auf die lustvolle Wahrnehmung der Vagina in der Erregung, auf den Selbstbezug der Frau („orgasmische Individuation“) innerhalb einer sexuellen Beziehung, aber auch auf Annäherung und Intimität und darauf, Objekt des sexuellen Begehrens des Gegenübers zu sein und zugleich Subjekt eines eigenen Begehrens. Literatur Bischof, K. (2012): Sexocorporel in the promotion of sexual pleasure. In: Kontula, O. (Hrsg.): Pleasure and Health. Proceedings of the Nordic Association for Clinical Sexology (NACS). The Finnish Association for Sexology (FIAS), Helsinki, 59-68. In: www.ziss.ch/ veroeffentlichungen/ default.htm, 20.6.2017 Bischof-Campbell, A. (2012): Zusammenhänge des sexuellen Erlebens von Frauen. Psychologische Fakultät Universität Zürich (Masterarbeit). In: www.ziss.ch/ veroeffentlichungen/ default.htm, 20.6.2017 Bruijn, G. D. (1982): From masturbation to orgasm with a partner: How some women bridge the gap-- and why others don’t. Journal of Sex & Marital Therapy 8 (2), 151-167, https: / / doi.org/ 10.1080/ 00926238208405819 Cabanis, C. (1998): Du symptôme et de la guérison dans l’approche intégrative en sexotherapie. In: Durandeau, A., Sztalryd, J.-M., Vasseur-Fauconnet, C. (Hrsg.): Sexe et Guérison. L’Harmattan, Paris / Montréal Carvalheira, A., Leal, I. (2013): Masturbation among women: Associated factors and sexual response in a Portuguese community sample. Journal of Sex & Marital Therapy 39 (4), 347-367, https: / / doi. org/ 10.1080/ 0092623x.2011.628440 Chatton, D., Desjardins, J. Y., Desjardins, L., Tremblay, M. (2005): La sexologie clinique basée sur un modèle de santé sexuelle. Psychothérapies 25 (1), 3-19, https: / / doi.org/ 10.3917/ psys.051.0003 Chivers, M. L., Seto, M. C., Lalumière, M. L., Laan, E., Grimbos, T. (2010): Agreement of self-reported and genital measures of sexual arousal in men and women: a meta-analysis. Archives of Sexual Behavior 39 (1), 5-56, https: / / doi.org/ 10.1007/ s10508-009- 9556-9 Clifford, R. (1978): Development of masturbation in college women. Archives of Sexual Behavior 7 (6), 559-573, https: / / doi.org/ 10.1007/ bf01541922 Desjardins, J. Y. (1996): Approche intégrative et sexocorporelle. Sexologies 5, 43-48 Desjardins, J. Y., Chatton, D., Desjardins, L., Tremblay, M. (2010): Le sexocorporel. La compétence érotique à la portée de tous. In: El Feki, M. (Hrsg.): La sexothérapie: Quelle thérapie choisir en sexologie clinique? 2. Aufl. Bruxelles, De Boeck, 63-103 Fugl-Meyer, K. S., Oberg, K., Lundberg, P. O., Lewin, B., Fugl-Meyer, A. (2006): On orgasm, sexual techniques, and erotic perceptions in 18to 74-year-old Swedish women. The Journal of Sexual Medicine 3 (1), 56-68 Hansen, J. K., Balslev, T. (2009): Hand activities in infantile masturbation: A video analysis of 13 cases. Euro- 172 4 | 2017 Karoline Bischof pean Journal of Paediatric Neurology 13 (6), 508- 510, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.ejpn.2008.10.007 Kinsey, A. C., Pomeroy, W. B., Martin, C. E., Gebhard, P. H. (1953): Sexual behavior in the human female. W. B. Sanders, Philadelphia Leff, J. J., Israel, M. (1983): The relationship between mode of female masturbation and achievement of orgasm in coitus. Archives of Sexual Behavior 12 (3), 227-236, https: / / doi.org/ 10.1007/ bf01542073 Pfaus, J. G., Quintana, G. R., Mac Cionnaith, C., Parada, M. (2016): The whole versus the sum of some of the parts: toward resolving the apparent controversy of clitoral versus vaginal orgasms. Socioaffective Neuroscience & Psychology 6 Roux-Deslandes C. (2004): L‘excitation sexuelle. In: Brenot, P. (Hrsg.): Dictionnaire de la sexualité humaine. Editions L‘Esprit du temps, Begles Cedex, 263-267 Salonia, A., Giraldi, A., Chivers, M. L., Georgiadis, J. R., Levin, R., Maravilla, K. R., McCarthy, M. M. (2010): Physiology of women’s sexual function: Basic knowledge and new findings. The Journal of Sexual Medicine 7 (8), 2637-2660, https: / / doi.org/ 10.1111/ j.1743-6109.2010.01810.x Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher, W. (2006): Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Huber, Bern Yang, M. L., Fullwood, E., Goldstein, J., Mink, J. W. (2005): Masturbation in infancy and early childhood presenting as a movement disorder: 12 cases and a review of the literature. Pediatrics 116 (6), 1427-1432, https: / / doi.org/ 10.1542/ peds.2005- 0532 Die Autorin Dr. med. Karoline Bischof Sexualtherapeutin ISI, Sexologin Ph.D. IASHS, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe FMH, Psychosomatische Medizin SAPPM. Gründungsmitglied des Zürcher Instituts für klinische Sexologie und Sexualtherapie (ZISS), Leitung der Sexocorporel-Ausbildungen in Zürich und in Deutschland. Fortbildungen zu Themen aus der Sexualität für Fachpersonen. Eigene sexualmedizinische Praxis. ✉ Dr. med. Karoline Bischof Zürcher Institut für klinische Sexologie und Sexualtherapie ZISS Minervastr. 99 | CH-8032 Zürich Tel. +41 (0)44 233 30 30 karoline.bischof@ziss.ch www.ziss.ch