körper tanz bewegung
9
2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2018
63
DGIB-Tagung
71
2018
Jürgen Knieling
„Fremdheit – Zugehörigkeit – Solidarität“ – Unter diesem Leitthema stand die diesjährige Tagung für Integrative Leib- und Bewegungstherapie der DGIB vom 17. bis zum 19. November 2017 in Aulendorf, und mit diesen Begriffen kann ich auch meine Eindrücke von der Tagung zusammenfassen.
9_006_2018_003_0137
Kongresse & Tagungen 3 | 2018 137 DGIB-Tagung Fremdheit-- Zugehörigkeit-- Solidarität „F remdheit- - Zugehörigkeit- - Solidarität“-- Unter diesem Leitthema stand die diesjährige Tagung für Integrative Leib- und Bewegungstherapie der DGIB vom 17. bis zum 19. November 2017 in Aulendorf, und mit diesen Begriffen kann ich auch meine Eindrücke von der Tagung zusammenfassen. Zunächst war ich fremd, zum ersten Mal auf einer Tagung von Körper-, Leib- oder BewegungstherapeutInnen, wenngleich ich diese Berufsgruppe und die dazugehörigen Therapien als Chefarzt einer Psychosomatischen Abteilung sehr schätze und für einen wesentlichen Bestandteil der psychosomatischen Medizin halte. Daher folgte ich in diesem Jahr gerne der bereits wiederholten Einladung „unserer“ Leib- und Bewegungstherapeutin, doch auch mal an einer Jahrestagung ihrer Gesellschaft teilzunehmen. Schnell fühlte ich mich zugehörig, wurde herzlich empfangen, lernte nette Teilnehmer und Organisatoren kennen und fühlte mich vor allem von den spannenden Hauptvorträgen wie auch von den praxisorientierten Workshops sehr angesprochen. Heiner Keupp sprach im Eröffnungsvortag von der „sozialen Amnesie“ in der Psychotherapie-- in meinen Worten von der Wichtigkeit des „Sozialen“ im „bio-psycho-sozialen Ansatz“ der psychosomatischen und psychotherapeutischen Medizin. Oft vergessen wir, dass epidemiologische Veränderungen von Krankheitshäufigkeiten, etwa die Zunahme von Burnout und Depression, nicht nur mit der persönlichen Geschichte der Betroffenen, sondern auch mit gesellschaftlichen Veränderungen wie dem zunehmenden Erwartungsdruck und dem „Wachstumszwang“ zu tun haben. PsychotherapeutInnen sollten sich nicht scheuen, auch politisch ihre Meinung zu sagen. Am Samstag ging Hermann Ludwig aus Hannover in seinem Vortrag auf die Integration von Feindseligkeit und aggressiven Impulsen in der Arbeit mit grenzverletzenden Tätern ein. Hier haben Mitglieder der DGIB, allen voran Frank Siegele und Annette Höhmann-Kost, eine eigene Therapierichtung entwickelt und konzeptionalisiert, die „Budotherapie“. Budo ist der Überbegriff der japanischen Kampfkünste und bedeutet sinngemäß „die Kunst, das Schwert nicht zu benutzen“. Genau darum geht es in der Therapie: dass Menschen lernen, ihre Kräfte und ihr körperliches Potenzial zu spüren, einzusetzen, aber auch zu kontrollieren. Ibrahim Özkan differenzierte in seinem Beitrag kurzweilig-- und mit vielen eigenen Erfahrungen-- aus, dass nicht die Migration an sich die Menschen krank macht, aber viele Begleitumstände von Migration und Entwurzelung, und dass natürlich auch die Reaktionen im „Einwanderungsland“ zu erhöhter Vulnerabilität führen können. Den Schluss-Vortrag hielt Wolfgang Ertel von der Hochschule Ravensburg-Weingarten über künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Zunächst begeisterte er die Tagungsteilnehmer mit den Möglichkeiten dieses Forschungsfeldes- - er brachte hierzu eigens einen kleinen Roboter mit, der mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz in Kürze „laufen lernte“, dann prognostizierte er, wann und wie wir mit den Auswirkungen- - z. B. im Bereich des autonomen Fahrens-- rechnen können und müssen, ohne am Ende die gesellschaftskritischen Aspekte auszulassen, etwa was passiert, wenn wir immer mehr Wachstum produzieren. Hier schloss sich dann der Kreis zum Eingangsvortrag, der genau wie der Schlussvortrag zu politischer Äußerung und politischem Handeln ermutigte. PsychotherapeutInnen sollten nicht nur Menschen in den gesellschaftlichen Veränderungen begleiten und Krankheiten lindern oder 138 3 | 2018 Kongresse & Tagungen heilen, sondern auch versuchen, gesellschaftspolitisch zu wirken im Sinne einer größeren „sozialen Gesundheit“. Die Vorträge gingen für mich deutlich über leib- und bewegungstherapeutische Aspekte hinaus, was den integrativen Ansatz der Gesellschaft nochmals unterstreicht. In den Workshops konnte man dagegen verschiedene Formen der Bewegungstherapie sehr intensiv am eigenen Leib erleben und in sein „Körpergedächtnis“ abspeichern. Dies stellte eine gute Ergänzung zu den Vorträgen dar. Workshops und Vorträge und nicht zuletzt auch die Begegnungen regten kognitiv, emotional und eben auch körperlich an und boten Ansätze für Integration der verschiedenen Themen und der verschiedenen Erlebnisweisen. Dr. Jürgen Knieling
