eJournals körper tanz bewegung 6/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2018.art11d
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Medien & Materialien: Traxl, B. (Hrsg.): Körpersprache, Körperbild und Körper-Ich. Zur psychoanalytischen Therapie körpernaher Störungsbilder im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter

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Peter Geißler
Es ist ein großes Verdienst der Baby- und Kleinkindforschung, mittlerweile auch der pränatalen Psychologie, die Spätfolgen von frühen Entwicklungsdefiziten und Traumatisierungen auf Basis empirischer Forschung der psychotherapeutischen Community zugänglich gemacht zu haben (insbesondere sind hier Stern, Lichtenberg, Dornes, Beebe und Lachmann zu nennen). Beispiele von Folgeerscheinungen, wie sie uns im klinischen Alltag begegnen, sind intensive Parentifizierungen, Defizite im Aufbau des gesunden Selbst und fixierte Helfer- und Retteridentitäten. In aller Regel wird dabei ein gesundes Körper-Sein nachhaltig beschädigt bzw. verunmöglicht. Körpertherapeutische Zugänge erweisen sich seit vielen Jahren als effektive Zugangsmöglichkeiten bei derartigen Störungsbildern. Wie bereits Freud feststellte, ist das Ich eben zunächst ein körperliches.
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86 2 | 2018 Medien & Materialien Traxl, B. (Hrsg.): Körpersprache, Körperbild und Körper-Ich. Zur psychoanalytischen Therapie körpernaher Störungsbilder im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter Brandes & Apsel, 2016, Frankfurt / M., 236 Seiten, 29,90 € E s ist ein großes Verdienst der Baby- und Kleinkindforschung, mittlerweile auch der pränatalen Psychologie, die Spätfolgen von frühen Entwicklungsdefiziten und Traumatisierungen auf Basis empirischer Forschung der psychotherapeutischen Community zugänglich gemacht zu haben (insbesondere sind hier Stern, Lichtenberg, Dornes, Beebe und Lachmann zu nennen). Beispiele von Folgeerscheinungen, wie sie uns im klinischen Alltag begegnen, sind intensive Parentifizierungen, Defizite im Aufbau des gesunden Selbst und fixierte Helfer- und Retteridentitäten. In aller Regel wird dabei ein gesundes Körper-Sein nachhaltig beschädigt bzw. verunmöglicht. Körpertherapeutische Zugänge erweisen sich seit vielen Jahren als effektive Zugangsmöglichkeiten bei derartigen Störungsbildern. Wie bereits Freud feststellte, ist das Ich eben zunächst ein körperliches. Das vorliegende Buch enthält neun körperrelevante Einzelbeiträge: ● Im Zwischenland von Körper und Psyche ● Die Psychoneuroendokrinologie des frühen Traumas ● Annäherung an die psychische Realität des Babys entlang seiner Körperlichkeit ● Wie kann das Baby seinen Körper „bewohnen“? ● Rollenumkehr in der Familie und die Störung des Körper-Ichs des Kindes ● Körper, Mutter und Psyche ● „Mein Körper gehört mir“ ● Wie es sich anfühlt, Ich zu sein ● Was kann uns die psychoanalytische Arbeit mit autistischen Kindern über das Körperbild lehren? Der Herausgeber verdeutlicht, dass das Buch im Rahmen einer kinderanalytischen Konferenz des Mainzer Psychoanalytischen Instituts konzipiert wurde, auf welcher man versuchte, sich der Thematik „Körpersprache, Körperbild und Körper-Ich“ konzeptuell zu nähern. Diese Entstehungsgeschichte macht deutlich, wo die Schwerpunkte dieses Buches liegen: in psychoanalytischen Begriffs- und Theoriebildungen, die die mittlerweile zahlreichen körperpsychotherapeutischen Ansätze leider kaum miteinbeziehen. Es ist im Wesentlichen ein Buch von Psychoanalytikern an Psychoanalytiker, die über den Körper nachdenken, anstatt ihn unmittelbar ins therapeutische Handeln miteinzubeziehen, auch nicht in ihrer psychodynamischen Variante, der analytischen Körperpsychotherapie. Betont wird zwar in der Einleitung, dass die Psychoanalyse durch den Triebbegriff immer schon mit der Frage des Körperlichen verbunden war. Anliegen des Buches bzw. der einzelnen Beiträge sei es, „dass sie sich mit der Bedeutung der Körperlichkeit im Entwicklungsverlauf des Kindes- und Jugendalters auseinandersetzen. Das Somatische stellt einerseits eine Bedingung für psychisches Erleben dar, wird aber seinerseits kontinuierlich durch psychische Prozesse geformt. Über die gesamte Lebensspanne hinweg bleiben diese Vorgänge relevant, stellen jedoch im Kinder- und Jugendalter die maßgeblichen Moderatoren der weiteren Entwicklung dar.“ (S. 7) Dieser Zielbeschreibung kann man einerseits zustimmen, zugleich lässt sich anmer- Medien & Materialien 2 | 2018 87 ken, dass wir als Körperpsychotherapeuten wohl ergänzen würden, dass das Körperliche lebenslang als „Moderator“ von Entwicklungsprozessen (z. B. im Hinblick auf die Fähigkeit zur Affektregulierung im Sinne des Kontrollieren-Könnens, aber auch Zulassen-Könnens emotionaler Prozesse) wirksam ist und im Erwachsenenalter keinesfalls seine Bedeutung verliert-- vorausgesetzt, man lernt, auf seinen Körper zu „hören“. In den Beiträgen des Buches wird ein großer Reichtum an aktuellem theoretischem Wissen im Hinblick auf ein differenziertes psychodynamisches Verständnis somatopsychischer Entwicklungsprozesse zusammengetragen, wodurch ein guter Blick auf den Stand der Forschung vermittelt werden kann. Auch pränatale Erfahrungen werden in diese Bedeutungszusammenhänge integriert. Praktisch-therapeutisch wird u. a. Bezug genommen auf die psychodynamisch-imaginative Therapie nach Reddemann und eines deren Kernelemente, die „Ego-States“. Einsicht, Deutung, Imagination werden in diesem Zusammenhang als heilsame therapeutische Zugänge genannt. Verwiesen wird ebenso auf systemische Interventionen, d. h. die Einbeziehung des sozialen Umfeldes. Die geschilderten Fallvignetten sind allesamt von der Zielsetzung durchdrungen, körperliche Zustände in psychische zu transformieren, ganz im Einklang mit der traditionellen psychoanalytischen Auffassung, die den Körper in klinisch-praktischer Hinsicht weiterhin außen vor hält. Resümierend ist festzustellen, dass dieses Buch wertvolle Information für jene Körperpsychotherapeuten enthält, die an psychodynamischen Konzepten in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie interessiert sind und sich diesbezüglich einschlägig informieren wollen. Der Körper wird in diesem Buch wesentlich in seiner symbolisierten Form gesehen. Als konkrete Basis von Affekten oder als Quelle des interaktionellen Feldes zwischen Patient und Therapeut verschwindet er weitgehend. Erwartet man sich eine Integration körpertherapeutischer Zugangsweisen, wird man von der Lektüre enttäuscht sein. Dr. med. Dr. phil. Peter Geißler DOI 10.2378 / ktb2018.art11d