körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2018.art23d
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Bewegung - Begegnung - Besinnung
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Jörg-Michael Wolters
In diesem Beitrag wird Budo (japanische Kampfkunst, Heilgymnastik und Bewegungsmeditation) als grundlegend körper- bzw. körperpsychotherapeutische Methode im Kontext der Behandlung von PatientInnen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie beschrieben. Dabei wird zunächst das persönlichkeitsfördernde Wesen des Budo sowie die speziellen Wirkprinzipien erläutert. Bewegung (körperliche wie geistige), Begegnung (mit sich selbst und eigenen Grenzen sowie dem konkreten Anderen als Partner) und Besinnung (Achtsamkeit und Reflexion) sind systemimmanente Ziel- und Inhaltsfaktoren. Der darauf begründete professionelle Ansatz der störungsspezifischen Budotherapie, der über die mittlerweile etablierte, eher ressourcenorientierte Budopädagogik hinausgeht, wird in spezifischen Programmen entweder für externalisierende (ADHS, Störung des Sozialverhaltens) oder für internalisierende Störungsbilder (Depression, Angststörungen) in Kleingruppen angeboten. Die positiven Ergebnisse der Budotherapie werden zusammenfassend dargelegt.
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Fachbeitrag 159 körper-- tanz-- bewegung 6. Jg., S. 159-166 (2018) DOI 10.2378 / ktb2018.art23d © Ernst Reinhardt Verlag Bewegung - Begegnung - Besinnung Budo als Körper(psycho)therapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Jörg-Michael Wolters In diesem Beitrag wird Budo (japanische Kampfkunst, Heilgymnastik und Bewegungsmeditation) als grundlegend körperbzw. körperpsychotherapeutische Methode im Kontext der Behandlung von PatientInnen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie beschrieben. Dabei wird zunächst das persönlichkeitsfördernde Wesen des Budo sowie die speziellen Wirkprinzipien erläutert. Bewegung (körperliche wie geistige), Begegnung (mit sich selbst und eigenen Grenzen sowie dem konkreten Anderen als Partner) und Besinnung (Achtsamkeit und Reflexion) sind systemimmanente Ziel- und Inhaltsfaktoren. Der darauf begründete professionelle Ansatz der störungsspezifischen Budotherapie, der über die mittlerweile etablierte, eher ressourcenorientierte Budopädagogik hinausgeht, wird in spezifischen Programmen entweder für externalisierende (ADHS, Störung des Sozialverhaltens) oder für internalisierende Störungsbilder (Depression, Angststörungen) in Kleingruppen angeboten. Die positiven Ergebnisse der Budotherapie werden zusammenfassend dargelegt. Schlüsselbegriffe Budo, Budopädagogik, Budotherapie, Körperpsychotherapie, Körpertherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie Movement-- Encounter-- Consciousness. Budo as a Body(psycho)therapy in Child and Adolescent Psychiatry In this article Budo (Japanese martial arts, physiotherapy and movement meditation) is described as a basic body therapy or body psychotherapy method in the context of treating patients in child and adolescent psychiatry. Initially, the potential for personality development and the specific therapeutic principle are explained. Movement (physical as well as mental), encounter (with oneself and one’s own limitations as well as with the concrete other as a partner) and reflection (mindfulness and contemplation) are system-immanent goals and content factors. The resulting professional approach of disorderspecific Budo-therapy, which goes beyond the established resourced-oriented Budo-pedagogy, is offered in specific programs either for externalizing (ADHD, disorder of social behavior) or for internalizing disorders (depression, anxiety disorders) in small groups. The positive results of the Budo-therapy are summarized. Key words budo, budo-pedagogy, budo therapy, body psychotherapy, body therapy, child and youth psychiatry 160 4 | 2018 Jörg-Michael Wolters B ewegungs- und sporttherapeutische Interventionen sind im Kontext der multimodalen Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen Mainstream. Im daher regelhaft multiprofessionellen Team stationärer Einrichtungen, erst recht Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, haben neben fachärztlich-medizinischen, psychopharmakologischen, psycho- und sozialtherapeutischen, pflegerisch-erzieherischen, heilpädagogischen und fachtherapeutischen (Ergo, Sport, Musik) Interventionen körper- und bewegungsorientierte Maßnahmen einen festen Platz in der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen (Hölter/ Stobbe 2015). Gerade Kinder und Jugendliche mit-- normalerweise- - besonderem Bewegungsdrang und „Erlebnishunger“ haben oft ein Bedürfnis nach „Action“ und Abenteuer, Spiel und Spaß, Toben und Tollen, Rangeln und Raufen. Und während die Hyperaktiven mit expansiven, externalisierenden Störungsbildern (ADHS, Störung des Sozialverhaltens, besonders bei Aggressivität) geradezu von selbst danach verlangen, profitieren die Antriebslosen mit internalisierenden Störungen (besonders Angst (Eberhard-Kaechele / Gotthard 2016) und Depression, Belastungsstörungen) von derartigen Angeboten. Sowohl Attraktivität von Sport, Spiel und Bewegung zum „Ausleben“ bzw. zur gelenkten Steuerung als auch zur Motivation bzw. Aktivierung eröffnen andere Wege des Aufbaus und der Gestaltung therapeutischer Beziehungen (Scherholz 2016). Außerdem dient es der erweiterten Diagnostik und vor allem alternativen und somit besonderen Wirksamkeit von Behandlungssettings und -maßnahmen. Nach dem Motto „Erleben statt Reden“ baut nicht nur moderne Pädagogik immer mehr auf erfahrungsbasiertes Lernen (z. B. Erlebnispädagogik), sondern auch Psychotherapie auf die eigens gestalteten Erlebnisse und real vollziehenden Erfolge. Dabei geht es in diesen Ansätzen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie am wenigsten etwa um primär motorisch-funktionale, rein körperliche (Gesundheits-)Förderung der Patienten, sondern vor allem um die Wirkung von Körperlichkeit auf die Seele (von außen nach innen) und das Sozialverhalten (von mir zu dir zum wir). Weniger steht Fitness als vielmehr Wohlbefinden im Vordergrund, weniger Schwitzen als Stressreduktion, weniger Kraft als Mut und weniger die messbare Leistung als das subjektive „Selbst“- und Wirksamkeitserleben- - auch, wenn Sport und Bewegung (in Maßen) schon allein natürlich positive Auswirkungen auf den gesamten Menschen hat. Hier geht es also um die über und durch Bewegung und Körperarbeit speziell auf die Psyche (Denken, Fühlen, Handeln) wirkenden „Heilkräfte“ von Bewegungstherapie bzw. Körperpsychotherapie. Damit rücken nun die bewährten fernöstlichen Körper- und Bewegungs-“Heilkünste“, die originären Kampfkünste, hier „Budo“ (japanisch für „Weg, nicht zu kämpfen“; nicht Kampfsport, sondern Kampfkunst), in den Blick, die über die äußerlich-körperliche Arbeit zuallererst die innere Weiterentwicklung und menschliche Reife verfolgen (von Dürckheim 1989). Von Dürckheim (1981) bezeichnet dies als die „Übung des Leibes als Instrument auf dem inneren Weg“. Budo in der Körperpsychotherapie Der zielgerichtete, „geistige Weg der Kampfkünste“ Budo (Lind 1992), jenseits des bloßen Sports, entfaltet erzieherische und therapeutische Wirksamkeit, die nicht nur in der Psychosomatik plausibel ist (Thimme 2007). Zwar fehlt es an einer verbindlichen Systematik, Bewegungs-, Sport-, Körper- und Körperpsychotherapie als professionellen Ansatz sicher zu differenzieren und die Kampfkünste darin hinsichtlich ihrer inhaltlichen und methodischen Relevanz zu platzieren, jedoch nehmen wissenschaftlich fundierte Budo-Konzepte und -Angebote in den letzten Jahren eindeutig zu. Bewegung - Begegnung - Besinnung 4 | 2018 161 „Kampfkunst als Therapie“, beschrieben in der Pilotstudie des Autors (Wolters 1992), besonders als Methode in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Wolters 1999) und als neu entwickeltes Fachgebiet der Budotherapie (Wolters 2015a, 2015b, Wolters/ Nachtlberger 2016) oder speziell auch als Ansatz integrativer Leibtherapie nach Petzold (Siegele 2013) kann- - anders als die eher präventive Budopädagogik (Wolters et al. 2014)- - gezielt störungsspezifische Methode der Behandlung psychischer Erkrankungen sein. Aikido (Dirnberger 2013), Karate Do (z. B. Siegele) und Kempo (z. B. Wolters) oder selbst Escrima (Stockkampf; z. B. Schmidt 2016) werden nicht mehr nur therapieunterstützend, sondern als eigenständige Methoden bewegungs- und körper(psycho)therapeutischer Behandlung in Psychotherapie und Psychiatrie eingesetzt. Speziell ausgebildete Budo-Therapeuten (in Deutschland und im europäischen Ausland am Internationalen Institut für Budopädagogik und -therapie (IfBP), mit eigenem Berufsverband (BvBP) oder im Zuge der Ausbildung in Bewegungs- und Körpertherapie im Integrativen Verfahren am Fritz Perls Institut (FPI)) nutzen Budo bzw. gezielt ausgewählte Übungsteile wie Techniken, Atemarbeit, Formenläufe und Partnertraining zur Heilung oder Förderung ihrer Patienten oder Linderung der Störungen. Zentral sind in allen japanischen, originär vom Zen-Buddhismus geprägten „Do“-(Weg-) Künsten, also auch im Budo, die Entwicklung von Achtsamkeit und Gewahrsein sowie Mitgefühl und Wertschätzung unter der Einhaltung der obersten Maxime absoluter Friedfertigkeit. Körperbeherrschung, Selbstbeherrschung und die Perfektionierung von Techniken und Handlungsabläufen, d. h. das Orientieren allen Übens am Ideal, sind Methoden und, wenn auch lohnenswerte, reine Nebenprodukte der Bildung und des Strebens nach der Vervollkommnung (Meisterung) einer Sache und Entwicklung wahrer „Meisterschaft“. Dabei wird die eigene Bewegung für die Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung, auch der sinnesempfindlichen Eindrücke, bedeutsam und steigert darüber hinaus die grundsätzliche Fähigkeit zur Wahrnehmung, Achtsamkeit und Bewusstheit des Tuns und „Seins“. Die Entwicklung von Gewahrsein nämlich, also der Bewusstheit aller vorhandenen und zugänglichen Gefühle, Empfindungen und Verhaltensweisen, steht im Zentrum des Budo und seiner Lehrmethoden. Es wird wertschätzend-wohlwollende Achtsamkeit sich selbst, der Übung, dem Partner gegenüber, am Ende aber auch den Mitmenschen und allen Wesen und der Welt gegenüber angeregt. Derartige Ansätze finden in verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen immer mehr Beachtung (Barnhofer/ Born 2011). Die auf diese Weise erlebnisaktivierenden und erlebnisintensiven Verfahren und die in den Partnerübungen angelegten Körper-Dialoge (Technik) und Gefühls-Dialoge (Angriff- - Verteidigung, Ich-Du-Beziehung) ähneln dem Postulat der Gestalttherapie: sich selbst, andere und die Umwelt in den Möglichkeiten und Grenzen wahrzunehmen und jede Situation als ein Angebot für die eigene Entscheidung anzunehmen sowie die Tatsache, dass unsere lebendigen, gefühlsbewegten Körper Träger unserer Gedanken und Handlungen sind. Die besondere Wirkung des Budo entfaltet sich durch Rückgriff auf seine ureigenen Wesenselemente und Prinzipien. Das Wesen des Budo ist aus Sicht des Autors, unabhängig vom jeweiligen Stil, der nur unterschiedliche Kampftechniken lehrt, gekennzeichnet durch sechs Elemente: ● Bu (Kampf ): das Handwerk, die Technik, Bewegung, Taktik-- das Üben im fairen Kampf mit Partnern, das Bemühen des Siegens über sich selbst, das Ringen um psychophysische und psychoemotionale Beherrschung ● Do (Weg): die Prozessstatt Ergebnis-Orientierung- - die Kultivierung eines Anfängergeistes, des Übens der Übung willen 162 4 | 2018 Jörg-Michael Wolters ● Dojo (Schutzraum): der „heilige“ Ort der Gemeinschaft Gleichgesinnter ● Reigi (Etikette): die Regeln und Rituale von Wertschätzung ● Shitei (Meister-Schüler-Beziehung): Autorität durch Kompetenz ● Zen (hier: Geist): die „geistige“, spirituelle, übergeordnete Dimension (Esoterik in seiner ursprünglichen Bedeutung: das erst hinter dem Äußerlichen Erkennbare) Die Wesenselemente werden alle in unterschiedlicher und situationsadäquater (patientenbzw. störungsspezifischer) Form im therapeutischen Setting berücksichtigt. Kein Element darf fehlen, da nur die sechs gemeinsam Budo definieren. Als zweite Säule kommen die budotypischen Prinzipien zum Tragen: 1. Icho: Ganzheitlichkeit, „hier und jetzt“, „ganz oder gar nicht“, 100 % 2. Onmyodo: Yin und Yang, hart und weich, laut und leise 3. Mitsutomoe: Dreifaltigkeit, Wissen- - Können-- Verstehen 4. Shidai: die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser, Luft 5. Gogyo: die fünf Wandlungsphasen Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser 6. Isonsei: Verbindung mit den sechs Wesenselementen Die Kunst, ein therapeutisches Behandlungsprogramm im Sinne des Budo zu konzipieren, basiert auf dem rechten Einsatz der Wesenselemente und Prinzipien im konkreten Vorgehen. Das erfolgreiche Erlernen komplexer Bewegungen, Stände und Techniken und die friedliche Anwendung in Übungen mit Partnern (nicht Gegner) entsprechen dem ersten Element (Bu). Das stete Wiederholen und Üben ohne Leistungsdruck meint das Element Do. Dojo beinhaltet das Sich-Erproben wie Sich- Zeigen jenseits des Alltags und im Schutzraum einer wohlwollend-zugewandten Gruppengemeinschaft. Das Einüben von Achtsamkeit und Wertschätzung sich selbst und dem Anderen gegenüber im Sicherheit gebenden streng-konsequenten Regelsystem wird als Reigi bezeichnet, das unter individueller Anleitung eines persönlich vertrauten Lehrmeisters bzw. Therapeuten (Shitei) geschieht. Und schließlich erfolgt die Reflexion von Sinn und Transfer (Zen). Dies alles sind konstituierende Grundpfeiler der Budotherapie-Praxis. Ebenso dazu gehört das Handeln im echten Bemühen (Icho- - 1), im Wechsel von An- und Entspannung (Onmyodo- - 2), Körper, Seele und Geist umfassend (Mitsutomoe- - 3), Gedanke und Tat in der Energie des explosiven Feuers, der festen Erde, des fließenden Wassers oder der leichten Luft (Shidai- - 4). Dies geschieht im Wandel der Weiterentwicklung von der Eigenart des zarten Anfangs und Strebens (Holz), der Leidenschaft und des Höhepunktes (Feuer), der Ruhe und Sicherheit des Könnens (Erde), der Nachdenklichkeit des Vertiefens und Reflektierens von Wissen (Metall) zur Weitergabe des Verstehens und Mission zur Erneuerung (Wasser) als Fortschritts- und Wachstumserleben (Gogyo) sowie die Anwendung der Prinzipien auf die einzelnen Elemente und ihr reziproker Transfer (Isonsei). Budotherapie ist ein komplexes System des Arrangierens effektiver Lernsettings und der Initiierung von Horizonterweiterung, Kontrast- und Grenzerfahrung auf der Grundlage der originären Einzigartigkeiten der Kampfkünste. Die Ermächtigung zur Überwindung der eigenen Probleme über „Lernen am Erfolg“ ist eine verhaltenstherapeutische Methode; die Lernarrangements sind nach der oben aufgeführten Elementenlehre strukturiert. Durch spezielle Budo-Übungen „erlebnisintensiver“ und „erkenntnisreicher“ Bewegung (äußerlich wie innerlich), Begegnung (sich selbst und dem Anderen) und Besinnung (Kontemplation, Meditation) werden persönlichkeitsfördernde und Störung oder Leiden reduzierende Kompetenzen (Denken, Fühlen, Handeln) entwickelt und stabilisiert. Bewegung - Begegnung - Besinnung 4 | 2018 163 Budo in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Budotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist Körperpsychotherapie, auch wenn es sich entgegen der offiziellen Lesart der European Association for Bodypsychotherapy (EABP) hier um keine psychoanalytische, tiefenpsychologisch-fundierte und als solche „anerkannte“ (anerkennbare) Methode handelt, sondern um eine verhaltenstherapeutische. Dennoch arbeitet und wirkt sie im konkreten Sinne körper-psycho-therapeutisch. In der Außenstelle der Psychiatrischen Klinik Lüneburg, der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPP) Stade, wird Budotherapie seit Eröffnung (2012) als festes Behandlungsprogramm vom Autor (Leiter des IfBP und Lehrtherapeut der Weiterbildung „Budotherapie“) angeboten. Hier werden störungsspezifisch Kleingruppen (4-6 PatientInnen) mit entweder internalisierenden oder aber externalisierenden Erkrankungen einmal wöchentlich 60 Minuten über drei bis vier Monate behandelt. Das Motto ist „Bewegung-- Begegnung-- Besinnung“, was im weiteren Sinne der aktiven körperlichen wie geistig-emotionalen (inneren) Bewegung, der Begegnung mit Kontrast- und Budotherapie Yang Yin ∙ ∙ Bewegung, Begegnung, Besinnung ∙ ∙ Grenzerfahrung, Horizonterweiterung, Kontrasterfahrung ∙ ∙ für internalisierende (Yin-) Patienten (z. B. Angst, Depression …) ∙ ∙ für externalisierende (Yang-)Patienten (z. B. ADHS, Störung des Sozialverhaltens …) Wesenselemente: BU (Kampf, Übung) Schlagen, Treten, laut, Power Ausweichen, Nachgeben, sanft DO (Weg, Lernprozess) Aktivierung Beruhigung DOJO (Ort, Gemeinschaft) Sicherheit Ordnung REIGI (Etikette, Rituale) Aufrichtung Wertschätzung SHITEI (Beziehung) Ermutigung Kontrolle ZEN (Geistübung) Selbstwirksamkeit Achtsamkeit Prinzipien: ISHO (Eins, Vollkommen) stark, effektiv gelassen, beherrscht ONMYODO (Yin-Yang) Yang Yin MITSUTOMOE (Dreifaltigkeit) Körper-Seele-Geist Geist-Seele-Körper SHIDAI (Elemente) Feuer, Luft Erde, Wasser GOGYO (Wandlungsphasen) Hervorbringung Besiegung ISONSEI (Vernetzung) Bu Reigi Tab. 1: Vereinfachte Darstellung der störungsspezifischen Schwerpunkte / Richtungen in der Budo-Therapie 164 4 | 2018 Jörg-Michael Wolters Grenzerfahrungen und Partnern (dem inneren wie äußeren „Kampf“) sowie der Besinnung (Entspannung und Achtsamkeitstraining) dienen soll. Die PatientInnen und deren Eltern kennen Budo als exklusives Therapieangebot der Tagesklinik, das als „Kampfkunst, Heilgymnastik, Bewegungsmeditation“ bezeichnet wird (Wolters 2012). Inhalte sind-- in die oben genannten sechs Wesenselemente und sechs Prinzipien eingebettet- - entnommen aus dem sino-japanischen Shotokempo (traditionelle Kampfkunst des „Weges zum friedvollen Krieger“, ein lexikalisch als „Kampfkunst gegen Gewalt“ verbrieftes System (Lind 1999)) und stilistisch an Karatedo (Blöcke, Schläge, Tritte), Kubudo (Holzwaffen-Anwendungen) und Aikido (Umlenkungen, Hebel, Würfe) orientiert, vor allem mit Elementen aus dem Kihon (Stand- und Technikübungen), Kata (Formenlauf ), Kumite (Partnerübungen) und Zazen (Meditation) sowie Übungen aus dem chinesischen Tai Chi Chuan und Qigong (Heilgymnastik). Spiele aus der Sozialen Sporttherapie (Wolters 2000) im Kontext von fairem Ringen, Rangeln und Raufen (Wolters 2003) und Entspannungsübungen westlicher Relaxationsverfahren (PMR, Autogenes Training, Traumreisen usw.) runden die Palette ab. Das ansonsten zugehörige Yumi Ya (jap. intuitives Bogenschießen) kann mangels Equipment in der Klinik derzeit nicht durchgeführt werden (was angesichts so positiver Effekte gerade in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Lindner / Lindner 2016) bedauerlich ist). Vor noch ausstehender Evaluation ist bereits festzuhalten, dass sich bei den externalisierenden Störungen bei klinischer Beobachtung ein deutlicher Einfluss auf Verbesserung von Sozialverhalten, Aufmerksamkeit und Impulsivität sowie bei den internalisierenden Störungen eine Verbesserung des Antriebes und der Motivation zur Bewältigung von Ängsten und Depressionen zeigt. Beide Zielgruppen profitieren von der Budotherapie durch erkennbar verbesserte Emotionsregulation. Insgesamt bestätigen die klinischen Beobachtungen die aus vorangegangenen Untersuchungen hervorgehenden Effekte dieses Programms (Wolters 2008): ● Erhöhung des Aktivitätsniveaus und der Motivation ● Steigerung des Selbstwertgefühls und der Frustrationstoleranz ● Verbesserung des sozialen Verhaltens und der sozialen Orientierung ● Erhöhung der Kontrolle der Affekte, Emotionen und der Selbstbeherrschtheit ● Steigerung der Lebenszufriedenheit, des Interesses und der Zuversicht ● Steigerung der körperlichen und psychischen Belastungs- und Leistungsfähigkeit ● Verbesserung des psychophysischen Gesamtbefindens und ● Stabilisierung der psychiatrischen Behandlungserfolge Nichtsdestotrotz handelt es sich bei dem durch notwendigen wie gewünschten Körperkontakt und Berührungen, wie in jedem körpertherapeutischen Verfahren, um eine therapeutisch hergestellte besondere Nähe, die zu inszenieren und auszuhalten-- auf beiden Seiten, PatientInnen wie BehandlerInnen-- nicht nur eine Chance und Herausforderung ist. Gerade bei Kindern und Jugendlichen findet der Körperkontakt im Spannungsfeld von Tabu-Bruch und Kunstgriff nicht ohne Risiken statt (wie bereits ausführlich vom Autor diskutiert, siehe Wolters 2015c). Die Bewusstheit und offen-transparente Reflexion dieser besonderen therapeutischen Körper- und auch Beziehungsnähe durch systematische Berührung ist obligatorisch- - zum Schutz beider Seiten. Die Perspektiven der Budotherapie sind angesichts der zunehmenden Verbreitung bei evidenzbasierten und empirisch nachgewiesenen Erfolgen sowie bewährter internationaler Professionalisierung und den berufsständischen Bestrebungen der Akademisierung erfreulich. Bewegung - Begegnung - Besinnung 4 | 2018 165 Literatur Barnhofer, T., Born, H. (2011): Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie bei affektiven Störungen: Ein vielversprechendes Verfahren. Deutsches Ärzteblatt PP 10, 81-83 Dirnberger, R. (2013): SELE-- Eine Synthese aus Psychotherapie und der Kampfkunst Aikido. 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Jörg-Michael Wolters Erziehungswissenschaftler, Sozialpädagoge, Sport- / Körpertherapeut, Budo-Lehrmeister. Universitätsdozent für Sozialpädagogik, Soziale Therapie und Kinder- und Jugendpsychiatrie. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Lüneburg. ✉ Institut für Budopädagogik Dr. J.-M. Wolters Tilsiter Str. 11 | D-21680 Stade info@budopaedagogik.de
