eJournals körper tanz bewegung 7/1

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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Forum: Zwei-Klassen-Politik?

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Marianne Eberhard-Kaechele
Dieser kurze Blick auf die Konsequenzen der Ablehnung des Antrags der AGHPT durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie für Therapeuten ohne Möglichkeit zur Approbation zieht sowohl die theoretische als auch die politische Ebene in Betracht. Für beide Bereiche werden Optionen für zukünftiges Handeln zur Diskussion gestellt.
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17 Forum: Zur Diskussion körper-- tanz-- bewegung 7. Jg., S. 17-21 (2019) DOI 10.2378 / ktb2019.art04d © Ernst Reinhardt Verlag Ein Sack Reis ist in China umgefallen E in hoher Prozentsatz der Personen, die Körper-, Tanz- und Bewegungspsychotherapie ausüben, hat kein approbationsfähiges Grundstudium wie Medizin, Psychologie oder Pädagogik (relevant bei Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie). Laut der Berufsgruppenanalyse der TanztherapeutInnen von 2016 waren es ca. 90 % (Berger et al. 2016). Therapieangebote wie Konzentrative Bewegungstherapie, Tanztherapie und Integrative Leib- und Bewegungstherapie nach Petzold haben sich im stationären Setting in Deutschland gut etabliert und verbreitet. Dort sind diese Leistungen abrechnungsfähig, ungeachtet des Grundberufs oder Studienfachs der TherapeutInnen. Allerdings wird in diesem Kontext die Körperarbeit oft nicht von den Ärzten und Psychologen als Psychotherapie wahrgenommen, sondern als „Spezial-“, „adjuvante“ oder „Bewegungstherapie“ betitelt. Im ambulanten Setting können Körper- und Bewegungspsychotherapeuten ohne approbationsfähigen Grundberuf berufsrechtlich unter dem Heilpraktikergesetz heilkundlich tätig werden, jedoch ohne Möglichkeit der sozialrechtlichen Zulassung zur Abrechnung mit Krankenkassen. Zwei-Klassen-Politik? Die Bedeutung der Ablehnung des Antrags der AGHPT für KörperpsychotherapeutInnen ohne approbationsfähigen Grundberuf Marianne Eberhard-Kaechele Dieser kurze Blick auf die Konsequenzen der Ablehnung des Antrags der AGHPT durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie für Therapeuten ohne Möglichkeit zur Approbation zieht sowohl die theoretische als auch die politische Ebene in Betracht. Für beide Bereiche werden Optionen für zukünftiges Handeln zur Diskussion gestellt. Schlüsselbegriffe Körperpsychotherapie, Theorie, Berufspolitik First and Second Class Politics? Implications of the Rejection of the Application of the AGHPT for Body Psychotherapists with Entry-level Professions not Eligible for Approbation This brief look at the consequences of the negative decision on the application of the AGHPT by the Scientific Board for Psychotherapy (in Germany) for therapists without eligibility for approbation takes both theoretical and political levels into account. For both areas, options for future action are put to discussion. Key words body psychotherapy, theory, career politics 18 1 | 2019 Marianne Eberhard-Kaechele Der sozialrechtliche Status dieser TherapeutInnen, ob im stationären oder ambulanten Setting, hätte sich nicht geändert, wenn die Körperpsychotherapie (KPT) als ein Teil der Humanistischen Psychotherapie (HPT) die wissenschaftliche Anerkennung des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie (WBP) erhalten hätte, statt abgelehnt zu werden. Ihnen fehlt der Grundberuf, der vom Psychotherapeutengesetz zur Zulassung vorgeschrieben ist. Warum sich diese Personengruppe trotzdem für den Antrag der HPT interessieren sollte, ist der Fokus dieses Artikels. Abhängigkeit oder Emanzipation der theoretischen Fundierung? Das Gutachten zur HPT konfrontiert die KPT mit der Frage, wie wissenschaftlich das eigene Handeln ist. Viele Körperpsychotherapiemethoden haben eine elaborierte Praxeologie entwickelt, ihre Theorie der Entstehung und Überwindung von Störungen jedoch in einem asymmetrischen Assimilationsprozess von anderen, etablierteren Verfahren übernommen. Eine Identifikation mit führenden Psychotherapieverfahren, obgleich nicht unbedingt von der Bezugstheorieschule validiert, kann neben dem Auffüllen konzeptioneller Lücken und der Inspiration zu neuen Interventionen auch eine berufspolitische Überlebensstrategie in Zeiten von Paradigmenwechsel in der Medizin bedeuten (Karkou / Sanderson 2006). Wenn der WBP die Zahl der Bezugstheorien jedoch stark einschränkt, findet eine Verkümmerung der Perspektiven, Konzepte und Modelle statt, und mit ihnen der Methoden und Techniken. Der Zwang zur Einordnung in einem anderen Verfahren kann auch zu einem Verlust relevanter Praxisphänomene und Konzepte führen, wenn die intrinsischen Eigenschaften der KPT nicht weiter ergründet und entwickelt werden, sondern der bestehende Fundus in ein anderes Paradigma gepresst und nur im Sinne dessen weiter definiert und entwickelt wird (Petzold 2002; Meekums 2002). Wie eine eigene Erhebung (2011) an TanztherapeutInnen zeigte, werden im stationären Setting Interventionstechniken gezielt eingeschränkt oder Ergebnisse der Tanztherapie, die dem Leitverfahren einer klinischen Einrichtung nicht entsprechen, im Team nicht berücksichtigt. Der Einzelne steht vor der Aufgabe, seine Identität regelmäßig den aktuellen Machtverhältnissen anzupassen oder sich davon zu emanzipieren, indem er die spezifische Wirkweise und Wirksamkeit seines Verfahrens vertreten kann. In drei vorangegangenen Publikationen (2002, 2011, 2017) habe ich im Lichte dieser Überlegungen nahezu die gleichen Schlüsse wie Röhricht (in dieser Ausgabe) bezüglich der Weiterentwicklung der KPT und Tanztherapie gezogen: 1. Ein gemeinsames Ausbildungscurriculum und eine Definition des Verfahrens sind erforderlich für Verhandlungen jeder Art im politischen Feld. Individuelle Differenzierungen haben sich diesen gemeinsamen Grundsätzen unterzuordnen. 2. Um sich von der Abhängigkeit und Entfremdung durch die Assimilation an andere psychotherapeutische Verfahren zu emanzipieren, sollte a. Grundlagenforschung vorangebracht werden, b. Bezugswissenschaften außerhalb der Psychotherapie rezipiert werden zur Begründung der Wirkweise der KPT, c. Integration von und Mitwirkung an metatheoretischen Konzepten der Psychotherapie (Tschacher et al. 2014) stattfinden. 3. Um die Aufgaben in 2. zu erfüllen, müsste eine Akademisierung der Ausbildung, d. h. die Veränderung der Zugangsbedingungen oder die Entwicklung weiterer Studiengänge für Körperpsychotherapiemethoden Zwei-Klassen-Politik? 1 | 2019 19 und die Stärkung der Wissenschaftlichkeit in ihnen, stattfinden. Anders als Röhricht bin ich nicht überzeugt, dass die KPT sich im Rahmen der Richtlinienverfahren positionieren kann. Zum einen werden wesentliche Anforderungen für eine wissenschaftliche Therapieform nicht in absehbarer Zeit erfüllt werden (siehe Methodenpapier des WBP, WBP 2010). Zum anderen entspricht die Population der KPT, mit ihrer Mischung an Grundberufen, nicht den Voraussetzungen für eine Mitwirkung in der Richtlinien-Psychotherapie. Und die approbationsfähigen KPT, welche den Anerkennungsprozess der WBP gestalten müssten, verschwinden in Richtung Ruhestand ohne vergleichbaren Nachwuchs. Kann es eine Berufspolitik für zwei verschiedene Gruppierungen geben? Die Auseinandersetzung mit dem Gutachten des WBP deckt also die gespaltene berufspolitische Linie auf, die seit der Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes in der Körperpsychotherapieszene entstanden ist. Der Anteil der approbationsfähigen TeilnehmerInnen in KPT-Ausbildungen ist deutlich gesunken, als diese Methode nicht mehr abrechnungsfähig wurde. Im Zuge dessen ist in meiner Beobachtung die Haltung der approbierten gegenüber nicht-approbierten KörperpsychotherapeutInnen ambivalent. Wenn Mengen nötig sind, damit Entitäten wie Berufsverbände, Ausbildungsinstitute, Publikationen oder Tagungen Bestand haben, sind nicht-approbierte Körperpsychotherapeuten willkommen. Geht es jedoch um die Einordnung im professionellen Kontext, um die Definition der erforderlichen Kompetenzen der Körper-psycho-therapie oder um die Möglichkeit, als Richtlinienverfahren anerkannt zu werden, distanzieren sich Approbierte verständlicherweise von Nicht-Approbierten, die „den Schnitt verderben“. Das ganze Unterfangen des Antrags der AGHPT nutzte von vornherein im Wesentlichen der Gruppe der approbierten KörperpsychotherapeutInnen. Röhricht kritisiert den Zusammenschluss der TanztherapeutInnen mit den Künstlerischen Therapien in Großbritannien, doch in Deutschland wurde dieser Weg von den TanztherapeutInnen bewusst gewählt, weil die Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie keine relevante Berufspolitik für nichtapprobierte Mitglieder betrieb, während die Künstlerischen Therapien sich an der Gestaltung von Behandlungsleitlinien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche Medizinische Fachgesellschaften) und DRV (Deutsche Rentenversicherung) beteiligten, um Klinikstellen zu sichern. Nach meiner Einschätzung sind die Diskrepanzen zwischen verschiedenen Künstlerischen Therapien, die Röhricht anspricht, nicht größer als die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Methoden der KPT. Welche strategischen Optionen der Berufspolitik hat die Körperpsychotherapie in der aktuellen Situation der diversen Berufsgruppen? ● Sie kann so weiter machen wie bisher, mit unklarem Verhältnis der Berufsgruppen im Feld zueinander und ohne eine Diskussion dieses Verhältnisses, bis es sich selbst klärt in Form eines Zerfalls der KPT. ● Sie kann sich am Ausland orientieren, wo verschiedene Modelle der Regelung des Berufs innerhalb und außerhalb der Psychotherapie zu finden sind. Eventuell muss ein Protest über die Verarmung der Psychotherapie durch die Beschränkung der Methoden und der Zulassungsberufe erneut vorangetrieben werden. Eine Studie zum Vergleich der Psychotherapie-Outcomes in Deutschland, Österreich und der Schweiz wäre ein spannendes, aber leider nicht zu stemmendes Unterfangen. 20 1 | 2019 Marianne Eberhard-Kaechele ● Eine Trennung der Berufspolitik von approbierten und nicht-approbierten KörperpsychotherapeutInnen könnte eingeführt werden mit einer möglichen Differenzierung der Methoden: solche, die von Approbierten, und solche, die von Nicht-Approbierten praktiziert werden. Eventuell würden die Nicht-Approbierten sich der Kooperation mit Therapieberufen wie Ergotherapie, Pflege etc. öffnen in der Erwartung der Aufwertung der Therapieberufe aufgrund des zunehmenden Ärztemangels (Rothgang / Salomon 2011) ● Es könnte eine Änderung der Zulassungsbedingungen für alle Ausbildungen stattfinden mit der Forderung einer akademischen Qualifikation, wenn nicht sogar eine Einschränkung auf Zulassungsberufe gemäß des Psychotherapeutengesetzes. Dies hätte eine massive Schrumpfung der Institutionen (Ausbildungsinstitute, Berufsverband etc.) zufolge, aber ein klareres Profil könnte die Chancen der Anerkennung verbessern. ● KPT könnte den Anspruch, ein Verfahren oder eine Methode zu sein, aufgeben und sich auf den Status einer Technik begeben, die als Fortbildung von PsychotherapeutInnen oder anderen Therapieberufen erworben wird. Sie wäre auf einen Schlag von der Last aller Bemühungen um Anerkennung befreit, würde sich vermutlich jedoch langsamer entwickeln. Diese provokativen und spekulativen Thesen sollen verdeutlichen, dass der Fortbestand und die Weiterentwicklung der KPT davon abhängt, Antworten nicht nur auf die inhaltlichen, sondern auch auf die formellen Fragen, die sich der KPT stellen, zu finden. Der Beginn muss eine Diskussion dieser Fragen sein, möglicherweise in der Zeitschrift körper- - tanz- - bewegung. Literatur Berger, K., Kolter, A., Eberhard-Kaechele, M., Oster, J. (2016): Berufsgruppenanalyse Künstlerische Therapeutinnen und Therapeuten in Deutschland. Selektive Ergebnisdarstellung aus Sicht der TanztherapeutInnen. körper-- tanz-- bewegung 4 (4), 20-26, http: / / doi. org/ 10.2378/ ktb2016.art22d Eberhard-Kaechele, M. (2017): A political perspective on dance movement psychotherapy on interdisciplinary pathways: Are we finding or losing our way? Body, Movement and Dance in Psychotherapy 12 (4), 237-251, https: / / doi.org / 10.1080/ 17432979.2017.1372521 Eberhard-Kaechele, M. (2011): Konstanz und Wandel in der Theoretischen Fundierung der Tanz- und Ausdruckstherapie am Langen Institut und in der medizinischen Praxis. Eine historische Analyse und empirische Forschung über die Wechselwirkung von Theorie, Praxis und Berufspolitik. Dissertationsschrift an der Universität Witten-Herdecke Eberhard-Kaechele, M. (2002): Historie der Tanztherapie in Deutschland. Die Suche nach Prospektive Zeichen in den Spuren der Vergangenheit. In: Hampe, R., Martius, P., Ritschl, D., von Spreti, F. (Hrsg.): Generationenwechsel. Aspekte der Wandlung und Innovation in den kreativen Therapien. Universität Bremen, Bremen, 63-75 Karkou, V., Sanderson, P. (2006): Arts therapies. A research-based map of the field. Elsevier at Churchill Livingstone, Edinburgh Meekums, B. (2002): Dance Movement Therapy. SAGE, London Petzold, H. (2002): Der „informierte Leib“-- „embodied and embedded“ als Grundlage der Integrativen Leibtherapie. In: www.fpi-publikation. de/ downloads/ download-polyloge/ download- 2002j-update-2006-07-2002-petzold-h-g.html, 25.11.2005 Rothgang, H., Salomon, T. (2011): Berufsübergreifende Kooperation der Gesundheitsberufe am Beispiel der Schlaganfallversorgung. Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit. In: Robert Bosch Stiftung (Hrsg.): Ausbildung für die Gesundheitsversorgung von morgen. Schattauer, Stuttgart, 59-62 Tschacher, W., Junghan, U., Pfammatter, M. (2014): Towards a taxonomy of common factors in psychotherapy-- Results of an expert survey. Zwei-Klassen-Politik? 1 | 2019 21 Clinical Psychology and Psychotherapy 21, 82- 96, https: / / doi.org/ 10.1002/ cpp.1822 WBP (2010): Methodenpapier des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie nach § 11 PsychThG. Verfahrensregeln zur Beurteilung der wissenschaftlichen Anerkennung von Methoden und Verfahren der Psychotherapie. In: www.wbpsychotherapie.de/ downloads/ Methodenpapier28.pdf, 13.8.2018 Dr. rer. medic. Marianne Eberhard-Kaechele Ausbilderin, Supervisorin und Lehrtherapeutin BTD. Dozentin an der Deutschen Sporthochschule Köln am Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation. Eigene Praxis für Tanz- und Ausdruckstherapie. ✉ Dr. rer. medic. Marianne Eberhard-Kaechele Abteilung Neurologie, Psychosomatik, Psychiatrie Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation Deutsche Sporthochschule Köln Am Sportpark Müngersdorf 6 | D-50933 Köln m.eberhard-kaechele@dshs-koeln.de