körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Aktuelles aus der Forschung: Aktuelle Studien zu bewegungsbasierten Assessments und zur Korrelation zwischen Emotion und Bewegungsausdruc
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Iris Bräuninger
Für körperorientierte Ansätze wie Tanz-, Bewegungstherapie, Körperpsychotherapie, Psychomotoriktherapie etc. spielen Bewegungsbeobachtung und Bewegungsanalyse eine wichtige Rolle für Assessment, Planung, Intervention und Evaluation. Ein verbindendes Element dieser Ansätze ist die Annahme, dass durch die nonverbale Kommunikation von Bewegung auf psychologische Zustände wie Emotionen geschlossen werden kann. [...]
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44 körper-- tanz-- bewegung 7. Jg., S. 44-46 (2019) DOI 10.2378 / ktb2019.art08d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelles aus der Forschung Aktuelle Studien zu bewegungsbasierten Assessments und zur Korrelation zwischen Emotion und Bewegungsausdruck Iris Bräuninger F ür körperorientierte Ansätze wie Tanz-, Bewegungstherapie, Körperpsychotherapie, Psychomotoriktherapie etc. spielen Bewegungsbeobachtung und Bewegungsanalyse eine wichtige Rolle für Assessment, Planung, Intervention und Evaluation. Ein verbindendes Element dieser Ansätze ist die Annahme, dass durch die nonverbale Kommunikation von Bewegung auf psychologische Zustände wie Emotionen geschlossen werden kann. Aktuelle Beiträge in diesem interdisziplinären Bereich stehen in diesem Artikel im Fokus (Shafir et al. 2016; Tsachor / Shafir 2017; van de Kamp et al. 2018). Emotionsregulation durch Bewegung Die Studie von Shafir und Kolleginnen (2016) untersuchte anhand der Laban Bewegungsanalyse (LMA), welche spezifischen Bewegungen die vier Grundemotionen Wut, Angst, Freude und Traurigkeit verstärken. Hierzu analysierten im ersten Schritt sechs erfahrene LMA-Experten „(…) einen validierten Satz von Videoclips, in denen dynamische Ausprägungen von Wut, Angst, Freude und Traurigkeit dargestellt wurden, und identifizierten die Motor Elements, die allen Clips gemeinsam waren, die dieselbe Emotion ausdrücken“ (Shafir et al. 2016, 1). Für jede Emotion wurden verschiedene Kombinationen von Laban Motor Elements (motifs) erstellt, die allen Clips der gleichen Emotion gemeinsam waren. Insgesamt nahmen 80 LMA-ExpertInnen aus verschiedensten Ländern und Kontinenten an der Studie teil, welche über eine mindestens 220h-Ausbildung im Lesen und Ausführen von motifs verfügten. Die ExpertInnen wurden gebeten, a. spezifische motifs verschiedener Kombinationen zu lesen und diese selbst zu bewegen, b. die Emotion zu benennen, welche sie fühlten, während sie jede Bewegung ausführten, und c. die Intensität der Emotion anzugeben. Die statistische Analyse der Daten ergab folgende Ergebnisse 1. „Jede Emotion wurde von einer spezifischen Sammlung von Motor Elements vorangekündigt, und jedes Motor Element war ein signifikanter Prädiktor für genau eine Emotion, d. h. keine der Motor Elements kündigte mehr als eine Emotion an.“ (Shafir et al. 2016, 7, Übersetzung durch die Autorin); 2. Durch die Ausführung dieser spezifischen Bewegungen lassen sich die Gefühle der jeweiligen Emotion vorhersagen. Laut Shafir und Kolleginnen sind bestimmte Motor Elements oder bestimmte Bewegungscluster prädiktiv für die vier Grundemotionen: ● Wut (vier Elemente): drei Effort-Elemente „Strong, Sudden, Direct“ und das Shape- Element „Advance“ ● Angst (fünf Elemente): das Effort-Element „Bound“, die drei Shape-Elemente „Retreat“, „Condense“, „Enclose“ und das Raum-Element „Back“ Aktuelles aus der Forschung 1 | 2019 45 ● Freude (sieben Elemente): die beiden Effort-Elemente „Free“ und „Light“, die beiden Shape-Elemente „Spread“ und „Rise“, das Space-Element „Up“, ein Body-Element „Jump“ und die Phrasing-Charakteristik „Rhythmicity / Reinitiating“ ● Traurigkeit (vier Elemente): ein Effort-Element „Passive Weight“, ein Shape-Element „Sink“ und zwei Body-Elemente „Arms to upper body“ und „Head down“ Bedeutung der Laban Movement Analysis (LMA) in der Anwendung Der Perspektivenartikel von Tsachor und Shafir (2017) setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern die Ergebnisse der zuvor genannten Studie (siehe Shafir et al. 2016) angewandt werden können. Sie schlagen drei theoretische Prinzipien vor, Erkenntnisse von LMA im Alltag zu nutzen: a. Neue Bewegungskomponenten in Entwicklungsfolgen einführen, b. LMA-Affinitäten zur Erweiterung des Bewegungsausdrucks nutzen, c. Sequenzwechsel zwischen Komponenten zur schrittweisen Integration der neuen Bewegungen fördern. Ziel der Bewegungserweiterung und -modulation im Alltag wäre, die Resilienz und die Selbstwirksamkeit zu stärken und die Fähigkeit zu erweitern, sich emotional auf Herausforderungen einzulassen. Als Basis hierfür könne das Wissen dienen, die Bewegungskomponenten zu kennen, welche mit spezifischen Emotionen assoziiert sind: „Indem wir die Erfahrung der Emotionen im eigenen Körper verfolgen, können wir Signale, die „von unserem Körper“ über Emotionen gesendet werden, besser wahrnehmen.“ (S. 6) Die Autorinnen nennen als Beispiel, dass das Wahrnehmen von nonverbalem Binden / Anspannen als Reaktion auf eine Situation dem bewussten Wahrnehmen von „Angst“ vorausgehen kann. Dies könne die Wahrnehmung subtiler emotionaler Veränderungen erleichtern, und durch das verkörperte (embodied) emotionale Bewusstsein könne die bewusste emotionale Resilienz gestärkt werden. Psychomotorisches Diagnoseinstrument bei Posttraumatischer Belastungsstörung Mit dem psychomotorischen Diagnoseinstrument (PMDI) wird ein standardisiertes Instrument vorgestellt, das mit Hilfe nonverbaler Information zur Diagnostik und zur bewegungstherapeutischen Behandlungen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) beitragen soll (van de Kamp et al. 2018). Unter Diagnostik verstehen van de Kamp und KollegInnen das Einschätzung verschiedener Aspekte der adaptiven und maladaptiven Funktionsweise und die Behandlungsplanung. Das PMDI soll nur von erfahrenen TherapeutInnen angewandt werden, die neben Kenntnis in der Behandlung von PTBS-Symptomatik eine Arbeitsallianz mit den KlientInnen haben und in simultaner Teilnahme und Beobachtung geübt sind. Das PMDI bezieht zur Diagnostik die Körperhaltung, das Bewegungsverhalten, den Gesichtsausdruck mit ein, welche mit sieben „Clusters“ der Behandlung assoziiert werden. Folgende sieben Subskalen existieren: 1. „Stresslevel“: Muskelspannung in der Körperhaltung, in Bewegung, im Atem und in Schreckreaktionen 2. „Physische und emotionale Betäubung“: Grad der verminderten Erregung und Taubheit, verbunden mit monotonem Bewegungsverhalten, schwacher und passiver Körperhaltung, fehlender Mimik 3. „Physische Fitness und Vitalität“: Grad der Probleme in physischer Fitness und Vitalität, steife Bewegungen und reduzierte Kraft 4. „Orientation, Konzentration und Aufmerksamkeit“: Flashbacks und dissoziative Probleme, Schwierigkeit, auf Aktivitäten 46 1 | 2019 Iris Bräuninger Dr. Iris Bräuninger Co-Leiterin Studiengang Psychomotorik (Hochschule für Heilpädagogik Zürich IVE), Dozentin MA Tanztherapie UAB Barcelona, Forscherin, Supervisorin / Ausbilderin / Lehrtherapeutin, KMP-Notatorin, Praxis Tanztherapie Supervision Bodensee. ✉ Dr. Iris Bräuninger dancetherapy@mac.com und iris.braeuninger@hfh.ch zu fokussieren, starrer / fixierter Blick, inadäquate / dysfunktionale Bewegungen 5. „Empowerment und Bestimmtheit“: Grad der Schwierigkeit, eigene Bedürfnisse und Grenzen wahrzunehmen 6. „Sicherheit und Vertrauen“: Ausmaß der Gefühle von Gefahr und Misstrauen im Kontakt mit dem / der TherapeutIn / Material 7. „Impulsives aggressives Verhalten“: Grad des impulsiven und unkontrollierten extrovertierten Ärgers, ausgedrückt durch wilde, abrupte Bewegungen, Unfähigkeit oder Einschränkungen bei der Durchführung von Aktivitäten und durch nonverbalen Ausdruck von Wut Im Rahmen des Assessments werden vier standardisierte psychomotorische Aktivitäten durchgeführt: 1. einen Ball werfen und fangen, 2. eine kontrollierte Annäherungsübung, 3. einen Boxsack boxen, 4. eine Entspannungsübung. Das PDMI besteht aus einem Handbuch mit einem Bewertungsverfahren, Richtlinien für die Bewertung von Punkten und für die Berechnung von Cluster-Scores basierend auf Item-Scores. Mit den Ergebnissen lassen sich spezifische Ziele für die körper- und bewegungsorientierte Behandlung von PTBS identifizieren. Studien zur Validität und Reliabilität des PDMI sind geplant, ebenso die Überprüfung im Einsatz zu Vor-, Nachuntersuchungen. Diskussion und Schlussfolgerung Motor Elements sind laut Shafir und Kolleginnen (2016) prädiktiv für unterschiedliche Emotionen. Dies stärkt den phänomenologischen Ansatz der Bewegungsbeobachtung und Bewegungsanalyse und die Korrelation zwischen nonverbalem Ausdruck und psychologischen Zuständen. Das Perspektivenpapier von Tsachor und Shafir (2017) bekräftigt, was im bewegungstherapeutischen Feld gelebte Praxis ist, und stellt eine interessante Ergänzung zum Kestenberg Movement Profile dar, welches schon Bewegungskomponenten mit Entwicklungsphasen verbindet (Kestenberg Amighi et al. 2018). Das psychomotorische Diagnoseinstrument (PMDI) könnte sich zum standardisierten Instrument für verschiedene körperorientierte Verfahren entwickeln, vorausgesetzt, es erweist sich als valide und reliabel und Übersetzungen in verschiedene Sprachen liegen vor. Literatur Kestenberg Amighi, J., Loman, S. Sossin, K. (Hrsg.) (2018): The meaning of movement. Routledge, New York Shafir, T., Tsachor, R. P., Welch, K. B. (2016): Emotion regulation through movement: unique sets of movement characteristics are associated with and enhance basic emotions. Frontiers in psychology 6, 2030, https: / / doi.org/ 10.3389/ fpsyg.2015.02030 Tsachor, R. P., Shafir, T. (2017): A somatic movement approach to fostering emotional resiliency through Laban Movement Analysis. Frontiers in Human Neuroscience 11, 410, https: / / doi. org/ 10.3389/ fnhum.2017.00410 van de Kamp, M. M., Emck, C., Cuijpers, P., Beek, P. J. (2018): A psychomotor diagnostic instrument for patients with post-traumatic stress disorder. Body, Movement and Dance in Psychotherapy 13 (1), 33-49, https: / / doi.org/ 10.1080/ 1 7432979.2017.1420692
