körper tanz bewegung
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Medien & Materialien: Dunemann, Angela / Weiser, Regina / Pfahl, Joachim: Traumasensibles Yoga TSY. Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl
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Kerstin Löwenstein
Yoga hat sich mit seinen diversen Körper- und Bewusstseinsübungen sowie mit seinen meditativen Ansätzen in vielen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten als präventiv und therapeutisch hilfreich bei verschiedenen Erkrankungen und Symptomen erwiesen. Dazu gehören auch Angst und Depression. Welche Bedeutung kommt Yoga in der Arbeit mit traumatisierten Menschen zu, und welche Herangehensweisen sind dafür sinnvoll und nachhaltig wirksam? Diese und ähnliche Fragen, die mich als körperpsychotherapeutisch tätige Heilpraktikerin und Yogalehrerin im Umgang mit traumatisierten PatientInnen und YogateilnehmerInnen in eigener Praxis und im klinischen Rahmen selbst immer wieder beschäftigen, werden in dem vorliegenden Buch von einem kompetenten Autorenteam aus Yogalehrenden bewegt: Regina Weiser ist Diplom-Psychologin und arbeitet als analytische Psychotherapeutin traumaorientiert. Angela Dunemann, Diplom-Sozialpädagogin und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit systemischem Ansatz, behandelt vorwiegend Kinder und Jugendliche. Joachim Pfahl, Bachelor of Science, sammelte Erfahrungen mit traumatisierten Menschen vorwiegend in Gefängnissen und beim Militär.
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Medien & Materialien 2 | 2019 93 Am Ende des Films sagt der norwegische Historiker Håvard Friis Nilsen, man müsse Reich dekonstruieren. Genau das leistet der Film nicht. Er verweilt dabei, einen Mann, der Großartiges leistete, aber sich selbst überschätzte, für diejenigen als Identifikationsfigur zu erhalten, die ihn ohnehin als Helden ansehen und an ihn glauben. Sie können bei diesem Film auf ihre Kosten kommen und sich von ihm bewegen lassen. Für mich waren die Dokumente interessant, aber die Abfolge der Heldengeschichten und Heldenbilder ermüdend. Prof. Dr. Ulfried Geuter DOI 10.2378 / ktb2019.art13d Literatur Peglau, A. (2018) Ein wichtiger Film mit wichtigen Auslassungen: „Love, work and knowledge-- the life and trials of Wilhelm Reich“ von Kevin Hinchey und Glenn Orkin. In: www.andreaspeglau-psychoanalyse.de, 10.9.2018 Dunemann, Angela / Weiser, Regina / Pfahl, Joachim: Traumasensibles Yoga TSY. Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl Klett-Cotta, 2017, Stuttgart, 248 Seiten, 28,00 € Y oga hat sich mit seinen diversen Körper- und Bewusstseinsübungen sowie mit seinen meditativen Ansätzen in vielen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten als präventiv und therapeutisch hilfreich bei verschiedenen Erkrankungen und Symptomen erwiesen. Dazu gehören auch Angst und Depression. Welche Bedeutung kommt Yoga in der Arbeit mit traumatisierten Menschen zu, und welche Herangehensweisen sind dafür sinnvoll und nachhaltig wirksam? Diese und ähnliche Fragen, die mich als körperpsychotherapeutisch tätige Heilpraktikerin und Yogalehrerin im Umgang mit traumatisierten PatientInnen und YogateilnehmerInnen in eigener Praxis und im klinischen Rahmen selbst immer wieder beschäftigen, werden in dem vorliegenden Buch von einem kompetenten Autorenteam aus Yogalehrenden bewegt: Regina Weiser ist Diplom- Psychologin und arbeitet als analytische Psychotherapeutin traumaorientiert. Angela Dunemann, Diplom-Sozialpädagogin und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit systemischem Ansatz, behandelt vorwiegend Kinder und Jugendliche. Joachim Pfahl, Bachelor of Science, sammelte Erfahrungen mit traumatisierten Menschen vorwiegend in Gefängnissen und beim Militär. Die drei AutorInnen stellen ein selbst entwickeltes und in Praxis und Lehrtätigkeit erprobtes Yoga-Konzept vor, das sie Traumasensibles Yoga (TSY) nennen. Ihr Leitsatz: lautet „Therapeutisches Yoga ist wahrnehmungsorientiert, nicht leistungsorientiert“. Ziel des TSY soll die Integration von Körper, Seele und Geist sein, der Weg die Verbindung von Bewegung, Atem und Bewusstsein. Durch das Prinzip der achtsamen Körperwahrnehmung sollen Heilungsprozesse, Selbstwirksamkeit, Selbstmitgefühl, Resilienz und posttraumatisches Wachstum angestoßen werden, um traumatisierte, vom Leben abgeschnittene Menschen mit sich selbst und mit der Welt zu versöhnen. Indem die AutorInnen ihr erstes Kapitel dem Thema der Traumata in Ursache, Verlauf und 94 2 | 2019 Medien & Materialien Symptomen widmen, wecken sie Aufmerksamkeit für den von traumatisierten Menschen erlittenen Verlust der Verbindungen zur Außenwelt, zu Gefühlen und innerhalb des Nervensystems. Parallel dazu regen sie zu praktischen, Integration fördernden Übungen an, wie z. B. zu einer gedanklichen, auf den Körper bezogenen Lemniskatenübung. Die von Luise Reddemann bekannten Vorstellungsübungen des sicheren Ortes oder des Tresors werden über Affirmationen direkt auf den Körper bezogen und mit verschiedenen Bewegungsfolgen oder mit dem Atem koordiniert. Die meisten Übungen sind hervorgehoben, und Körperübungen sind oft mit Schwarz-Weiß-Fotos illustriert. Spezifische Forschungsergebnisse wie z. B. von Bessel van der Kolk werden zur Unterstützung ihres Vorgehens mit aufgeführt, ohne dass jedoch van der Kolks eingesetzte Yogamethoden zum Vergleich ausgeführt werden. Im folgenden Kapitel werden einige Wirkungsweisen des Yoga und vor allem die „Bottom-up“sowie „Top-down“-Regulation zwischen Körper und Bewusstsein vorgestellt und wiederum durch Übungen ergänzt. Für ein grundlegenderes Verständnis von Yoga und der Tradition des Patanjali-Pfades, an den die AutorInnen anknüpfen, wird auf das erste Buch der beiden Autorinnen „Yoga in der Traumatherapie“, das im gleichen Verlag erscheinen ist, verwiesen. Im Mittelpunkt des hier besprochenen zweiten Buches steht der aus Sicht der AutorInnen „richtige Umgang“ mit den Asanas, den Körperübungen, sowie mit den Atemtechniken des Pranayama mit konkreten Anleitungen für Aufrichtung, Erdung, Kraft und Rhythmus u. a. beim Ein- und Ausatmen oder bei wiegenden Bewegungen, mit denen die AutorInnen das sogenannte Wurzelchakra stärken wollen. Den zentralen Teil des Buches machen Gegenüberstellungen von Trauma und Yoga auf verschiedenen Ebenen aus, woraus Leitlinien für die Anleitung und das Praktizieren von traumsensiblem Yoga abgeleitet werden. Diese betreffen das Setting, die Wahrnehmungsorientierung, das Atmen, die sogenannte Prana-Energie und Gefühle, auch Wut. Ebenso werden bei den Leitlinien die Haltung des inneren Beobachters, basale Stimulationen und der Umgang mit Triggersituationen aufgeführt. Fallbeispiele ebenso wie die sehr kurz gefasste Beschreibung der Chakrenlehre und mehrere traumasensible Übungen für den Yoga-Notfallkoffer runden diese Empfehlungen ab. Die AutorInnen modifizierten zudem Entspannungsübungen und Mantrenrezitationen, sodass sie für traumatisierte Menschen im Yogakurs geeignet sind. Dass Yoga zu verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten passt, erläutern die AutorInnen-- zum Teil eher schlagwortartig-- sowohl im Bezug zur Psychotherapie (zur Psychoanalyse, zur systemischen Therapie und zur Verhaltenstherapie) als auch im Bezug zur Hirn- und Bewusstseinsforschung. Die Polyvagaltheorie von Porges, die die dreifache Bedeutung des Vagusnervs für die Traumaentstehung und -behandlung erläutert, wird auf die Yogapraxis und die gewünschte gleichzeitige Aktivierung von Wachheit übertragen. Für Traumatisierte sei die Unterscheidungsfähigkeit der vom Vagus ausgelösten Zustände wichtig und durch das Praktizieren bestimmter Yogaübungen möglich. Zudem gehen die AutorInnen der Frage der entwicklungspsychologischen Nachreifung durch Yoga nach. Sie beziehen die basale Stimulation und die Ausrichtung auf primäre Bedürfnisse nach Sicherheit, Halt, Ruhe ein. Das letzte Kapitel dreht sich um den Begriff des posttraumatischen Wachstums, der den Sinn des Lebens, die Veränderung der zwischenmenschlichen Beziehungen und neue Chancen umfasst. Dafür dass beim Yoga Chancen für neues Selbstmitgefühl und Selbstwertgefühl entdeckt werden, sprechen abschließend Fallbeispiele. Für den Ansatz ihres traumsensiblen Yoga bewegen sich die AutorInnen in weiten Bögen ausgehend von bekannten Körper- und Imaginationsübungen und von bekannten Yogaprak- Medien & Materialien 2 | 2019 95 tiken, die von ihnen durch Affirmationen stark variiert worden sind, auf aktuelle Forschungsthemen zu. Für den Ansatz des traumsensiblen Yoga selbst liegen allerdings bisher noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor. Sowohl die Falldarstellungen als auch die in diesem Buch genannten Übungen betreffen verschiedene Settings für traumatisierte Menschen: Yoga im Rahmen von Psycho- oder Yogatherapie sowie innerhalb von pädagogischen Kurs- oder Einzelstunden oder zur Selbsthilfe. Hierin liegt sowohl eine Stärke als auch eine Schwierigkeit des Buches. Denn der / die LeserIn muss sich oft selbst die nötige Orientierung verschaffen und sich fragen, für wen und in welcher Phase der Traumaverarbeitung und in welchem Setting die Angebote angebracht sind. Insofern sind die Anleitungen nicht unbedingt unreflektiert umsetzbar. Anwendungsbeispiele im klinischen Behandlungssetting fehlen ganz. Was ich sogar als irritierend empfand, waren pauschalisierende Sätze wie: „Jede Form von Bewegung ist schon von vorneherein gut“ (S. 59) oder folgende Ungereimtheit: Im Laufe einer Übungsanleitung, bei der man sich eine Kerze in der Mitte eines achteckigen aus Spiegeln bestehenden Raumes vorstellt, wird behauptet: „Die Kerze erkennt in diesem Moment, dass sie niemals verletzt, getrennt, allein war, weil sie mit allem verbunden ist.“ (S. 61) Mit ihrem Werk möchten die AutorInnen ausdrücklich für mehr Kooperation zwischen PsychotherapeutInnen und YogalehrerInnen werben: „Die Kompetenz im Umgang mit Bewusstseinsprozessen und Interaktionen, die PsychotherapeutInnen sich erworben haben, kann von der Kompetenz des Yogalehrers profitieren, der die subtilen Wirkungen von Körper- und Atemübungen auf die seelische Gestimmtheit und Selbstwirksamkeit kennt und umgekehrt.“ (S. 13) Das Buch bietet einen ausschnitthaften Blickwinkel auf Yogatechniken, bei dem Körperwahrnehmung und affirmative Bewusstseinsarbeit in den Vordergrund gestellt werden. Dass Bewusstseinsprozesse auf der einen Seite bis hin zu freier meditativ-schöpferischer Gedankenbildung und Lebensgestaltung führen können und auf der anderen Seite schnell in Suggestionen und Manipulationen abgleiten können, wird in diesem Buch leider nicht ausgelotet. Gerade für traumatisierte Menschen ist diese Unterscheidungsbildung wichtig, um sich von Fremdbestimmungen zu lösen. Aus meiner Sicht ist das Buch besonders für YogalehrerInnen geeignet, die sich über das Thema Trauma informieren und sich darauf vorbereiten wollen, mit eventuell traumatisierten Menschen in ihren Kursen angemessen umzugehen. Prozess- und beziehungsorientierte Vorgehensweisen, wie sie mit Yoga im Rahmen von körperpsychotherapeutischen Ansätzen möglich wären, fehlen in diesem Buch leider. Das Buch verknüpft die zwei zeitgemäßen Themenfelder Yoga und Trauma miteinander. Vielfältig und praktisch orientiert kann es Fachleute zum Umsetzen und genaueren Erforschen anregen und Betroffene dazu ermutigen, sich kompetente Hilfe zu suchen. Kerstin Löwenstein DOI 10.2378 / ktb2019.art14d
