körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Forschungstag Tanztherapie 2019
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Petra Rostock
So lebendig und vielfältig wie Tanztherapie und TanztherapeutInnen1 sind, so stellte sich auch die Forschung zur Tanztherapie auf dem diesjährigen Forschungstag „Tanz wirkt! Wirkt Tanz?“ dar. Rund 13?Jahre nach dem letzten Internationalen Forschungskolloquium für Tanztherapie, das der Berufsverband der TanztherapeutInnen Deutschlands (BTD) in Kooperation mit der Gesellschaft für Tanzforschung (gtf) veranstaltete, schien es fast schon überfällig, den aktuellen Stand der Tanztherapie-Forschung in den Blick zu nehmen und kritisch zu hinterfragen: Wie, warum, für wen und vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund forschen wir? [...]
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Kongresse & Tagungen 173 körper-- tanz-- bewegung 7. Jg., S. 173-174 (2019) © Ernst Reinhardt Verlag Forschungstag Tanztherapie 2019 Tanz wirkt! Wirkt Tanz? S o lebendig und vielfältig wie Tanztherapie und TanztherapeutInnen 1 sind, so stellte sich auch die Forschung zur Tanztherapie auf dem diesjährigen Forschungstag „Tanz wirkt! Wirkt Tanz? “ dar. Rund 13 Jahre nach dem letzten Internationalen Forschungskolloquium für Tanztherapie, das der Berufsverband der TanztherapeutInnen Deutschlands (BTD) in Kooperation mit der Gesellschaft für Tanzforschung (gtf ) veranstaltete, schien es fast schon überfällig, den aktuellen Stand der Tanztherapie-Forschung in den Blick zu nehmen und kritisch zu hinterfragen: Wie, warum, für wen und vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund forschen wir? Die einladende Atmosphäre des Departments Kunst, Gesellschaft und Gesundheit der MSH Medical School Hamburg mit seinen großen, hellen Räumen lud die rund 80 TeilnehmerInnen zu Bewegung, Begegnung, Austausch und angeregten Diskussionen ein. Im Mittelpunkt des Forschungstages stand das Spannungsfeld, in dem sich Tanztherapie als Künstlerische Therapie befindet. Einerseits muss die Wirksamkeit von Tanztherapie bewiesen werden, damit diese als Krankenkassenleistung anerkannt wird. Andererseits erfordern die Besonderheit des flüchtigen Mediums Tanz und die Psychotherapie im Allgemeinen andere Forschungsmethoden als die aus der Medizin stammende evidenzbasierte Forschung. Ebenso sollten individuelle Forschungsinteressen und -fragen von TanztherapeutInnen in den Fokus rücken. Dass sich diese verschiedenen Forschungszugänge mit ihren unterschiedlichen Forschungsfragen und -methoden produktiv 1 Die Schreibweise mit Binnen-I ist eine Vorgabe des Verlages und entspricht nicht der üblichen Schreibweise der Autorinnen mit Unterstrich, die Raum lässt für Geschlechtervielfalt. ergänzen können, machten die beiden Vorträge am Morgen erfahrbar. Darüber hinaus waren Rednerinnen und TeilnehmerInnen darin einig, dass es Forschungsarbeit auf allen Ebenen benötigt, um die gesellschaftliche und klinische Anerkennung der Künstlerischen Therapien voranzutreiben und sie, finanziell abgesichert, im Gesundheitssystem zu verankern. Sabine C. Koch führte in die Funktionsweise von Forschungsmethoden ein und präsentierte den aktuellen Stand der Tanztherapie- Forschung, der von quantitativen Methoden über mixed methods bis hin zu arts-based research reicht. Sie betonte, dass es zwar evidenzbasierte, randomisierte Studien gäbe, die zeigen, dass Tanztherapie wirkt, aber noch wenig Studien, die untersuchen, wie Tanztherapie wirkt. Weitere gute empirische (randomisierte kontrollierte) Studien seien notwendig, um Tanztherapie im Gesundheitssystem zu etablieren. Das von der Alanus Hochschule Alfter geplante Promotionsprogramm „Integrative Medicine: Creative Arts Therapies“, das im Herbst 2020 beginnen soll, wäre ein wichtiger Meilenstein in der deutschen Tanztherapie- Forschung. Koch machte zudem deutlich, wie notwendig die Kooperation mit anderen Künstlerischen Therapieformen ist, um Tanztherapie in den Leitlinien für Diagnostik und Therapie zu verankern. Im Kontrast dazu reflektierte die Musiktherapeutin und Musikwissenschaftlerin Rosemarie Tüpker kritisch, dass eine Anpassung künstlerischer Forschung an die „Spielregeln“ evidenzbasierter Medizin die Gefahr birgt, die besonderen Wesensmerkmale der Künstlerischen Therapien- - Offenheit, Vielfalt, Beweglichkeit, Spiel, Autopoiesis, Unvorhersehbarkeit, Innovationen und individuelle Vorlieben- - außer Kraft zu setzen. Sie hob die Bedeutung der unspezifischen Wirkfaktoren für die Therapie 174 4 | 2019 Kongresse & Tagungen hervor und betonte die Notwendigkeit, kunstgemäße Forschung zu entwickeln. Ausgehend von der Verbundenheit von Forschen und Heilen skizzierte sie die Chance, Erkenntnisse über die Entstehung menschlicher Leidenszustände und die Möglichkeiten ihrer Metamorphose zu gewinnen, in dem wir als TherapeutInnen mit unseren PatientInnen Kunst betreiben. Dieser Erkenntnisweg bringt einen Zugewinn, so Tüpker, auf den der wissenschaftliche Diskurs und das Gesundheitswesen nicht verzichten sollten. Wie tanztherapeutische Forschung mit unterschiedlichen Methoden und zu unterschiedlichen Krankheitsbildern gehen kann, zeigten vier Workshops: Marie Louise Gilcher, Raluca Popa und Maartje Jaspers stellten die Masterarbeit von Gilcher vor, die tanztherapeutisch mit an Demenz erkrankten Menschen gearbeitet hatte. Mit Methoden der arts-based research, die im Workshop erfahrbar wurden, untersuchte sie, welche Rolle Humor für die Therapie spielen kann. Ariane Konrad und Laura Galbusera zeigten die Ergebnisse ihrer interdisziplinären Forschung, in der sie einen Methodenmix aus künstlerischer und qualitativer Psychotherapieforschung (u. a. Change Interviews, Interpretative Phänomenologische Analyse IPA) verwendet hatten, um nachzuweisen, dass und inwiefern Tanz in der Therapie schizophrener PatientInnen wirkt. Rebecca Barnstaple demonstrierte in ihrem Workshop, dass Tanzen unterschiedliche Bereiche des Gehirns aktiviert und wie dies mit der Methode der Elektroenzephalografie zurzeit in den Tanzneurowissenschaften nachgewiesen wird. Sich daraus für die Tanztherapie-Forschung ergebende Implikationen wurden diskutiert. Dass jeder Mensch ein / e KünstlerIn und ForscherIn ist, zeigte Andrea Goll-Kopka. Mit der Methode des Practitioner Research erforschte sie das subjektive Erleben tanztherapeutischer Angebote im Kontext körperlicher Erkrankungen, medizinischer Behandlung und daraus folgendem traumatischem Stress. Deutlich wurde im Laufe des Tages: Tanztherapie-Forschung ist vielfältig und interdisziplinär und muss es sein. So tauchte in der Abschlussrunde sowohl der Wunsch nach einem nächsten Forschungstag auf, als auch der Wunsch nach mehr Dialog zwischen verschiedenen Forschungsfeldern und -methoden: z. B. arts-based research und qualitative Psychotherapieforschung, um die beiden Feldzugänge der Tanztherapie- - den Tanz und die Psychotherapie-- auch in der Forschung noch stärker zusammenzubringen. Da der Forschungstag neben allen offenen Fragen zum Forschen ermutigte und inspirierte, erwarten wir gespannt, welche vielfältigen neuen Forschungsarbeiten bis zum nächsten Forschungstag Tanztherapie entstehen! Der Forschungstag Tanztherapie ist eine Kooperation von gtf, BTD und MSH. 2019 wurde er von Nicole Hartmann, Magdalena Jäger, Nadja Massumeh Rasch, Petra Rostock und Lucia Rainer organisiert. Eine ausführliche Dokumentation wird auf den Webseiten von gtf, BTD und MSH erscheinen. Dr. Petra Rostock, Nicole Hartmann
