körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2019.art01d
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Editorial
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Ulfried Geuter
Liebe Leserinnen und Leser, „Seid ihr anerkannt oder nicht?“ Körper-, Tanz- und BewegungspsychotherapeutInnen, die in psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken seit Jahr und Tag ihrer Arbeit nachgehen, werden bei dieser Frage daran denken, welche Rückmeldungen sie von ihren PatientInnen, KollegInnen und ChefInnen bekommen. Vermutlich wird die Antwort meist recht positiv ausfallen: „Es ist hilfreich, was ihr macht, und ihr seid ein wichtiger Bestandteil in einem multiprofessionellen Team und einem integrativen Therapieansatz.“ Soweit die klinische Praxis. [...]
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1 körper-- tanz-- bewegung 7. Jg., S. 1-3 (2019) DOI 10.2378 / ktb2019.art01d © Ernst Reinhardt Verlag Editorial „Seid ihr anerkannt oder nicht? “ Körper-, Tanz- und BewegungspsychotherapeutInnen, die in psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken seit Jahr und Tag ihrer Arbeit nachgehen, werden bei dieser Frage daran denken, welche Rückmeldungen sie von ihren PatientInnen, KollegInnen und ChefInnen bekommen. Vermutlich wird die Antwort meist recht positiv ausfallen: „Es ist hilfreich, was ihr macht, und ihr seid ein wichtiger Bestandteil in einem multiprofessionellen Team und einem integrativen Therapieansatz.“ Soweit die klinische Praxis. Anders ist es, wenn man die Frage auf der Ebene der Wissenschafts- und Berufspolitik stellt. Hier sind in Deutschland Körper-, Tanz- und Bewegungspsychotherapie weit von einer Anerkennung entfernt, anders als in anderen Ländern. Der Grund: Nach dem Psychotherapeutengesetz soll ein Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie (WBP), den Ärzte- und Psychotherapeutenkammer beschicken, die Landesbehörden in Zweifelsfällen beraten, welche Therapieverfahren anerkannt seien und welche nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie (DGK) hat sich 2010 mit den Verbänden von Gestalttherapie, Gesprächspsychotherapie, Psychodrama, Integrative Therapie, Logotherapie und Transaktionsanalyse zur Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT) zusammengeschlossen, die 2012 einen Antrag auf Anerkennung der Humanistischen Psychotherapie an den wissenschaftlichen Beirat stellte, der all die genannten Therapiemethoden unter diesen Oberbegriff einschloss. Der WBP wiederum legte Ende 2017 ein Gutachten vor, in dem er der Humanistischen Psychotherapie die wissenschaftliche Anerkennung versagte. Rechtlich gesehen bedeutet dieses Gutachten nichts anderes, als dass den Landesbehörden empfohlen wird, Humanistische Psychotherapie nicht für die Ausbildung von Psychologischen PsychotherapeutInnen zuzulassen. Aber Recht ist nicht gleich Macht. Die Wirkung des Gutachtens geht über das Recht hinaus. Aus psychosomatischen Kliniken mit einem humanistischen Therapiekonzept ist zu hören, dass sie seit dem Gutachten des Beirats unter Druck der Krankenkassen geraten. Und der Weg zu einer Zulassung als Kassenleistung ist verbaut. Das ist für alle Körper-, Tanz- und BewegungspsychotherapeutInnen von Bedeutung. Daher widmet sich dieses Heft der Frage, was der Beschluss des WBP für unser Feld bedeutet und welche Folgerungen wir daraus ziehen sollten. Zu Beginn kommen sozusagen zwei Kontrahenten zu Wort. Jürgen Kriz, der den Antrag der AGHPT federführend verfasst hat, zeigt aus seiner Sicht die Mängel des Gutachtens auf. Er verweist auch auf die Problematik der Kriterien, die der WBP anwendet. Der trifft Liebe Leserinnen und Leser, 2 1 | 2019 Editorial seine Entscheidungen nämlich nicht so, dass er sich anschaut, welche Verfahren in der wissenschaftlichen Literatur und Forschung repräsentiert sind. Er legt vielmehr anhand selbst definierter Kriterien fest, was als wissenschaftlich gilt und was nicht. Ganz im Sinne der alten DDR-Wissenschaftspolitik, dass darüber von oben entschieden wird und nicht von der Wissenschaftlergemeinschaft selbst. Kriz kritisiert auch, dass der Beirat die Regeln wissenschaftlich-argumentativer Auseinandersetzung nicht einhält. Thomas Fydrich, der als Mitglied des WBP an der Entscheidung mitwirkte, zeigt in seinem Beitrag die Regeln auf, die sich der Beirat für die Prüfung eines Therapieverfahrens gegeben hat. Und er schildert, warum bei Anwendung dieser Regeln der Antrag der Humanistischen Psychotherapie negativ beschieden wurde. Fydrich verweist am Beispiel der Gesprächstherapie auch darauf, dass der Beirat im Laufe der Jahre seine Prüfkriterien verschärft hat. Da ihm ausschließlich Vertreter der Verhaltenstherapie und der Psychodynamischen Psychotherapie angehören, hat das von außen zu dem Eindruck geführt, dass die Prüfkriterien in einer Weise zurechtgeschnitten wurden, die neuen Verfahren den Zugang zu einer Anerkennung verwehrt. Die Dämme der Kriterien, die gegen die Konkurrenten gebaut wurden, sind jedenfalls hoch. Und diese Dämme nehmen auch die Sicht auf das, was im Gebiet der Körper-, Tanz- und Bewegungspsychotherapie alles geleistet wird, nicht nur von psychologischen und ärztlichen PsychotherapeutInnen, auch von Angehörigen anderer Berufsgruppen und psychotherapeutisch tätigen HeilpraktikerInnen. Um sie geht es in dem Artikel von Marianne Eberhard-Kaechele. Sie argumentiert, dass die Mitwirkung der KörperpsychotherapeutInnen am Antrag der AGHPT allein auf die Interessen der approbierten PsychotherapeutInnen ziele. Im klinischen Feld aber würden sich viele nicht in ein Verfahren wie die Humanistische Psychotherapie einordnen, genauso wenig wie in ein anderes. Sie gibt daher zu bedenken, ob eine Berufspolitik für nicht-approbierte KörperpsychotherapeutInnen anders aussehen müsse. Und sie formuliert dazu einige Optionen. Auch in dem Beitrag von Frank Röhricht geht es um mögliche Schlussfolgerungen, die wir als KörperpsychotherapeutInnen aus der Entscheidung des Beirats ziehen können. Er möchte deutlich zwischen den berufspolitischen Motiven, die die DGK dazu veranlassten, sich unter das Dach der AGHPT zu begeben, und der inhaltlich-methodischen Selbstverständigung über die Körperpsychotherapie unterscheiden. Frank Röhricht plädiert dafür, die methodische Eigenständigkeit der Körperpsychotherapie weiterzuentwickeln und sie mehr mit den wissenschaftlichen Diskursen und der wissenschaftlichen Forschung zu verbinden, nicht zuletzt in einer Ausbildung, die sich immer noch zuweilen an alten Schulenideologien orientiert. Dabei sollte sich die Körperpsychotherapie auch darum bemühen, ihre Kompetenzen und Konzepte in eine allgemeine Psychotherapie einzubringen. Als jemand, der die Verfahren prüft, gibt auch Fydrich in seinem Beitrag zu bedenken, dass die Zukunft wohl darin bestehe, die starren Verfahrensgrenzen aufzuweichen. Judith Biberstein gewährt einen Einblick in die Anerkennung körperpsychotherapeutischer Ausbildungsinstitute nach dem Schweizer Psychologieberufegesetz von 2013. Im Unterschied zu dem zentralistischen Modell des WBP in Deutschland erfolgen Prüfungen in der Schweiz in einem demokratischen Prozess, in dem Ausbildungsinstitute Qualitätsmaßnahmen ergreifen müssen und wechselnde Experten von außen interkollegial den Stand der Ausbildungsqualität prüfen. Dazu gehört auch, inwieweit die vertretenen Therapiekonzepte in wissenschaftlich allgemein anerkannte Theorien eingebettet sind und in der 1 | 2019 3 Editorial Praxis evaluiert wurden. Biberstein warnt vor den Folgen, die es haben könnte, wenn auch in der Schweiz wie in Deutschland anhand des Kriteriums rein quantitativ erhobener technischer Effizienz über Therapieverfahren entschieden würde. Viele KollegInnen hat die Entscheidung des WBP in Deutschland empört. Und das zu Recht. Aber Empörung bringt uns nicht weiter, wenn es darum geht, welche Schlussfolgerungen wir als Körper-, Tanz- und BewegungspsychotherapeutInnen aus der Entscheidung ziehen sollten. Die HerausgeberInnen von körper-- tanz-- bewegung möchten mit diesem Heft dazu anregen, darüber mehr in Austausch zu treten. Ich hoffe, dass das Heft nicht nur den Diskurs über berufspolitische Strategien, sondern mehr noch den über unsere fachliche Selbstverständigung anregen wird. Stellungnahmen und Diskussionsbeiträge sind uns willkommen. Prof. Dr. Ulfried Geuter Mitherausgeber „körper-- tanz-- bewegung“
