eJournals körper tanz bewegung 7/1

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2019.art02d
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Forum: Zum Gutachten des WBP zur Humanistischen Psychotherapie

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Jürgen Kriz
Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie, der für die Entscheidung zuständig ist, welche Psychotherapieverfahren er zur Ausbildung empfiehlt, hat in einem Gutachten die Humanistische Psychotherapie weder als Verfahren eingestuft, noch deren Wirksamkeit anerkannt. Dieser Beitrag diskutiert einige Mängel des Gutachtens. Daraus wird auch deutlich, warum 40 Professoren in einem offen Brief schrieben, dass dieses Gutachten durch tendenziöses und mangelhaftes Vorgehen zentrale Regeln wissenschaftlichen Arbeitens missachtet und verletzt habe.
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4 Forum: Zur Diskussion körper-- tanz-- bewegung 7. Jg., S. 4-8 (2019) DOI 10.2378 / ktb2019.art02d © Ernst Reinhardt Verlag Zum Gutachten des WBP zur Humanistischen Psychotherapie Kritik an der Einschätzung Jürgen Kriz Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie, der für die Entscheidung zuständig ist, welche Psychotherapieverfahren er zur Ausbildung empfiehlt, hat in einem Gutachten die Humanistische Psychotherapie weder als Verfahren eingestuft, noch deren Wirksamkeit anerkannt. Dieser Beitrag diskutiert einige Mängel des Gutachtens. Daraus wird auch deutlich, warum 40 Professoren in einem offen Brief schrieben, dass dieses Gutachten durch tendenziöses und mangelhaftes Vorgehen zentrale Regeln wissenschaftlichen Arbeitens missachtet und verletzt habe. Schlüsselbegriffe Humanistische Psychotherapie, wissenschaftliches Gutachten, RCT-Ansatz, Evidenzbasierung The Report of the Scientific Advisory Council on Psychotherapy for Humanistic Psychotherapy. Criticism of the Assessment of the WBP In Germany, a scientific advisory board is responsible for the evaluation of psychotherapeutic modalities for training recommendations. It published a report and concluded that “Humanistic Psychotherapy” is neither an “approach” nor that it has proven its efficacy. This article discusses some methodological flaws of this scientific opinion. It outlines why 40 professors of psychotherapy wrote an open letter, stating that the report has violated fundamental rules of scientific procedures due to a perceived tendentious and inadequate method. Key words humanistic psychotherapy, scientific report, RCT-approach, evidence base Überblick: Mängel des Gutachtens N ach 6-jährigen Beratungen hat der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) am 19. Januar 2018 ein Gutachten veröffentlicht, wonach er Humanistische Psychotherapie nicht als „wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren“ ansieht. Er meint, sie könne daher nicht „als Verfahren für die vertiefte Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten empfohlen werden“ (Heuft/ Esser 2018). In seinem Gutachten 2018 lehnt der WBP aber nicht nur den Antrag der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT) ab, sondern er äußert sich-- ohne Auftrag, antragswidrig und unter Verletzung der im eigenen Methodenpapier festgelegten Regeln-- über die Kritik am Gutachten des WBP 1 | 2019 5 seit dem Jahre 2002 als wissenschaftlich anerkannte Gesprächspsychotherapie (GPT) dahingehend, dass er auch diese nicht als wissenschaftlich anerkannt erachte. Im Methodenpapier des WBP (2010) ist explizit geregelt, dass der WBP das Begutachtungsverfahren dann abzubrechen hat, wenn „ein psychotherapeutischer Ansatz abweichend vom Antragsteller vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie nicht als Psychotherapieverfahren eingestuft“ (S. 16) wird. Nach seinen neuen Kriterien fehle insgesamt eine (! ) Studie- - wobei 26 von 27 Studien, die der WBP 2002 bei der Begutachtung der GPT als Wirksamkeitsstudien anerkannt hatte, vom WBP 2018 verworfen wurden. Die mehrfach schriftlich gestellte Frage, was den WBP dazu veranlasst hat, die seit 2002 längst als wissenschaftlich anerkannt bewertete GPT erneut zu bewerten-- und dann noch auf diese Weise-- blieb bisher unbeantwortet. Gerade diese unbegründeten Aktivitäten, die GPT als nicht wissenschaftlich anerkannt hinzustellen, werfen ein merkwürdiges Licht auf das Begutachtungsverfahren. So kann zwar auch in der Wissenschaft eine einmal begutachtete und anerkannte Leistung wieder überprüft und ggf. aberkannt werden, beispielsweise ein Doktorgrad aufgrund einer Dissertation. Dies geschieht aber nur dann, wenn begründete Hinweise auf Täuschungen, Plagiate, Fälschungen oder ähnliche Verfehlungen vorliegen. Im Falle der Gesprächspsychotherapie wurden aber keine Unredlichkeiten in den Wirksamkeitsstudien entdeckt. Die Daten oder das Design der Studien wurden nicht gefälscht. Das, was 2002 als Wirksamkeitsbelege vom WBP beurteilt wurde, hat sich somit nicht geändert. Das einzige, was sich geändert hat, sind die Kriterien, die eine kleine Gruppe Wissenschaftler- - welche zur Gesprächspsychotherapie in Konkurrenz stehen- - zur Prüfung der „wissenschaftlichen Anerkennung“ ausgearbeitet hat. Weder das Methodenpapier, noch gar dessen spezifische Interpretationen und konkrete Umsetzung ergeben sich aber zwingend aus irgendwelchen Gesetzen oder internationalen Konsenspapieren über „richtige“ oder „wahre“ Forschung. Wenn somit die 2002 von anderen Wissenschaftlern bereits festgestellte wissenschaftliche Anerkennung nun 2018 ohne Auftrag oder Verdacht auf schwerwiegende Verfehlungen wieder infrage gestellt wird, so bekommen diese Vorgänge einen Grad an Beliebigkeit, der nicht im Einklang mit der Seriosität wissenschaftlichen Vorgehens steht. Da bisher keine anderen Erklärungen vorliegen, muss man davon ausgehen, dass hier ein Konkurrent um Ausbildungs- und Therapieplätze gezielt diskreditiert und bekämpft werden soll. Wegen dieser Vorgänge wiesen am 26. Februar 2018 über 40 ProfessorInnen deutscher Universitäten und Hochschulen in einem „offenen Brief an den WBP“ die Bewertung des WBP als „tendenziös und mangelhaft“ zurück; dieser habe „zentrale Regeln wissenschaftlichen Arbeitens missachtet und verletzt“ (Luderer 2018). Zur Grundstruktur des Gutachtens Für seine Verweigerung der Feststellung der „wissenschaftlichen Anerkennung“ hat der WBP zwei Bündel von Aspekten vorgetragen: a. Die Bewertung der Studienlage von Wirksamkeitsstudien zur Humanistischen Psychotherapie gemäß seinem sogenannten „Methodenpapier 2.8“ von 2010: Dieses fasst die empirischen Beweise von „Wirksamkeit“ weit restriktiver als beispielsweise die evidenzbasierte Medizin (EbM): Viele Wirksamkeitsstudien und -belege, die nach EbM berücksichtigt werden würden, sind vom Methodenpapier von vornherein ausgeschlossen. Dieser rein methodische Ausschluss vieler inhaltlich aussagekräftiger Studien zur Wirkung und 6 1 | 2019 Jürgen Kriz Wirksamkeit einer psychotherapeutischen Vorgehensweise ist bereits vielfach kritisiert worden. Selbst nach diesen sehr restriktiven Kriterien, die der WBP 2010 aufgestellt hat, würde der Humanistischen Psychotherapie nach Tabelle 2 des Gutachtens (S. 31) lediglich eine einzige Studie im Bereich Angststörungen fehlen. Dem stehen 9 (! ) von der AGHPT beanstandete Studienbewertungen des WBP allein in diesem Bereich gegenüber. b. Die-- antragswidrige-- Zerlegung der Humanistischen Psychotherapie in einzelne Ansätze (die im Methodenpapier, analog zu den Richtlinienverfahren, als „Methoden“ ausgewiesen sind): Mit dieser Zerlegung setzt sich der WBP nicht nur über zentrale Kriterien in seinem eigenen Methodenpapier hinweg, sondern er ignoriert auch die seit sechs Jahren von der AGHPT umfangreich vorgelegten Argumente und Gründe (s. u.). Diese sachwidrige Zerlegung benutzt dann der WBP, um die einzelnen Methoden einem Procedere zu unterziehen, das für ganze Verfahren (mit umfangreicher Indikationsbreite) vorgesehen ist. Auch hier zeigt sich das willkürliche Vorgehen des WBP. Die Fehler, Mängel und dubiosen Entscheidungen in dem WBP-Gutachten können in der Kürze dieses Beitrags nur exemplarisch aufgeführt werden. Es gibt aber umfangreichere Dokumentationen, auf die jeweils verwiesen wird. Zu (a): Bewertung der Wirksamkeitsstudien Der WBP hat der AGHPT im September 2017 eine „vorläufige Studienbewertung“ zugestellt (WBP 2017). In der darauffolgenden Stellungnahme im Oktober 2017 beanstandete die AGHPT die negativen Bewertungen von insgesamt 24 Studien und problematisierte die Ablehnung sämtlicher Studien im Bereich „gemischte Störungen“. Diese Beanstandungen stellen nicht einfach andere Meinungen oder Sichtweisen von Wissenschaftlern dar, welche in Humanistischer Psychotherapie ausgewiesen sind und die in Widerspruch zu den Meinungen und Sichtweisen des WBP stehen, der seit 2009 ausschließlich mit Vertretern konkurrierender Verfahren besetzt ist. Vielmehr hat die AGHPT ihren Beanstandungen weitestgehend Fakten und Daten zu Analysen und Bewertungen durch hinreichend neutrale, nicht mit der Humanistischen Psychotherapie assoziierte bzw. -orientierte Fachgruppen zugrundegelegt. Hierzu liegen schriftliche Dokumentationen zumindest in Bezug auf Studien vor, welche in den langjährigen Verfahren zur Gesprächspsychotherapie (GPT) analysiert und erörtert wurden. Diese umfassen Bewertungen von Fachgruppen wie dem WBP vom Jahr 2002, der BPtK-Expertenkommission oder der Themengruppe des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Dennoch wurden alle diese Beanstandung vom aktuellen Gremium des WBP einfach „vom Tisch gewischt“ (bis auf eine einzige, letztlich irrelevante Studie). D. h. keine einzige wurde im Gutachten auch nur aufgegriffen und eines Arguments gewürdigt. Ein solches Vorgehen verstößt massiv gegen Regeln der Wissenschaft. Denn seriöse Gutachten haben belegte Daten, Fakten und Fachmeinungen zu berücksichtigen. Entscheidungen, die zu getroffenen Feststellungen anderer Wissenschaftlergruppen und kompetenter Institutionen im Gegensatz stehen, sind zu begründen- - und deren Bewertungen nicht einfach zu ignorieren. Für zahlreiche weitere Beanstandungen der AGHPT muss hier aus Platzgründen auf die oben angegebene Stellungnahme vom Oktober 2017 verwiesen werden. Kritik am Gutachten des WBP 1 | 2019 7 Zu (b): Antragswidrige Zerlegung der Humanistischen Psychotherapie Die AGHPT hat bereits im Vorantrag von 2011 ausführlich (auf 18 Seiten) begründet, warum die Humanistische Psychotherapie als EIN Verfahren anzusehen ist (AGHPT 2011). Ebenso wurden im Hauptantrag, in Publikationen (z. B. Kriz 2011) und in etlichen Stellungnahmen an den WBP (AGHPT 2014) zahlreiche Argumente angeführt. Der Antrag der AGHPT ist dabei zentral auf die Strukturgleichheit der Humanistischen Psychotherapie mit der Psychodynamischen Psychotherapie (PP) und der Verhaltenstherapie (VT) ausgelegt. In einer mehrseitigen Tabelle im Antrag der AGHPT (S. 34-37) wurden die Methoden der Humanistischen Psychotherapie den 21 Methoden der PP und den über 50 Techniken der VT gegenübergestellt. Die AGHPT hat dargelegt, dass die Zuordnung von „Methoden“, „Techniken“ oder „Ansätzen“ zu einem „Verfahren“ im deutschen Sinne-- in der internationalen Psychotherapie und ihrer Forschung eine anachronistisch irrelevante Frage-- Probleme aufwirft. Diese gelten allerdings für die Humanistische Psychotherapie genauso wie für die beiden Richtlinienverfahren. So schreibt die BPtK in Abstimmung mit den Verbänden der VT in der Stellungnahme gegenüber dem G-BA: „Bei der Verhaltenstherapie handelt es sich nicht um ein homogenes Verfahren, sondern um eine Gruppe von Interventionsmethoden, die jeweils auf spezifische Modifikationsziele gerichtet sind.“ (BPtK 2009, 5) In der 6-jährigen Arbeit an den Anträgen der AGHPT und im aktuellen Gutachten ist vom WBP nicht ein einziges Gegenargument dazu vorgelegt worden. Ohne die Zerlegung der HPT in einzelne Ansätze wäre die gesonderte erneute Prüfung der Gesprächspsychotherapie noch merkwürdiger erschienen, da kein Prüfauftrag vorlag. Allerdings hätte der WBP, wenn er die HPT nicht als ein Verfahren anerkennt-- worüber laut seinem eigenen Methodenpapier im ersten Arbeitsschritt zu entscheiden ist- - das Bewertungsverfahren ebenfalls nach den Regeln seines eigenen Methodenpapiers abbrechen müssen. Bisher gibt es keine Antworten vom WBP auf die Frage, warum er sich nicht einmal an sein eigenes Methodenpapier gehalten hat, was den diskreditierenden Beurteilungen der GPT jede Basis entzogen hätte. Problematisch ist auch, dass mit diesem Vorgehen des WBP auch die Richtlinienverfahren nicht mehr als „wissenschaftlich anerkannte Psychotherapieverfahren“ gelten könnten (Kriz 2018). Kaum eine Methode der PP oder Technik der VT würde dieses Zerlegungsprozedere des WBP überstehen. Eine Diskussion über die Praxis der Bewertung von Psychotherapie in Deutschland ist daher dringend geboten. Bewertungen dürfen nicht allein von Vertretern solcher Verfahren durchgeführt werden, die mit dem zu begutachtenden Verfahren in Konkurrenz stehen. Es ist in Zukunft sicherzustellen, dass ein Gremium mit der Bezeichnung „WBP“ sich an essentielle Grundregeln der Wissenschaft hält. Literatur AGHPT (2017): Stellungnahme der AGHPT zur „vorläufigen Studienbewertung“ des WBP. In: aghpt.de/ texte/ AGHPT-Stellungnahme-an- WBP-2017-10-16.pdf, 13.8.2018 AGHPT (2014): Stellungnahmen an den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP). In: aghpt.de/ texte/ 2014_rueckfragen/ 2014_antworten_auf_rueckfragen.pdf, 13.8.2018 AGHPT (2011): Antrag der AGHPT an den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP). In: aghpt.de/ texte/ Antrag%20der%20AGHPT%20 an%20den%20WBP_2011-11-10.pdf, 13.8.2018 BPtK (2009): Stellungnahme zur Prüfung der Richtlinienverfahren gemäß §§ 13 bis 15 der Psychotherapie-Richtlinie, Verhaltenstherapie. Stellungnahme der Bundespsychotherapeutenkammer vom 10.11.2009. In: www.bptk.de/ uploads/ media/ 20091113_stn_bptk_richtlinien- 8 1 | 2019 Jürgen Kriz verfahren_vt_091110_g-ba_pr%C3%BCft_richtlinienpsychth.pdf, 13.8.2018 Heuft, G., Esser, G. (2018): Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der Humanistischen Psychotherapie. In: www.wbpsychotherapie. de/ downloads/ Gutachten-HPT.pdf, 13.8.2018 Kriz, J. (2018): WBP-Bewertung tendenziös und voller Mängel. In: aghpt.de/ texte/ 2018-01-22_ kriz-WPB-Kritik.pdf, 13.8.2018 Kriz, J. (2011): „Humanistische Psychotherapie“ als Verfahren. Ein Plädoyer für die Übernahme eines einheitlichen Begriffs. Psychotherapeutenjournal 4, 332-338 Luderer, H.-J. (2018): Offener Brief an den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie. In: aghpt. de/ texte/ GwG_offener_Brief_WBP_2018-02- 19.pdf, 13.8.2018 WBP (2017): Vorläufige Version Studienbewertungen Stand 11. September 2017. In: aghpt.de/ texte/ WBP-Studienbewertung-SKM_ 36817091914450-2.pdf, 13.8.2018 WBP (2010): Methodenpapier des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie nach § 11 PsychThG. Verfahrensregeln zur Beurteilung der wissenschaftlichen Anerkennung von Methoden und Verfahren der Psychotherapie. In: www.wbpsychotherapie.de/ downloads/ Methodenpapier28.pdf, 13.8.2018 em. Prof. Dr. phil. Jürgen Kriz Psychotherapie und Klinische Psychologie, Universität Osnabrück, 1972-1999 Prof. für Forschungsmethodik, Statistik u. Wissenschaftstheorie. Beratung internat. Forschungsteams. Ehrenmitgl. mehrerer psychother. Fachgesellsch. Zahlreiche Gastprofessuren. ✉ Prof. Dr. Jürgen Kriz Universität Osnabrück Fachbereich 8 | D-49074 Osnabrück kriz@uos.de