eJournals körper tanz bewegung 7/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2019.art13e
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Medien & Materialien: Heldenbilder: Der Film ‚Love, Work and Knowledge: The Life and Trials of Wilhelm Reich‘

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Ulfried Geuter
Nach dem Film „Der Fall Wilhelm Reich“ von 2012, in dem Klaus Maria Brandauer den alternden Reich verkörperte, haben Kevin T. Hinchey und Glenn Orkin 2017 mit dem Film „Love, Work and Knowledge: The Life and Trials of Wilhelm Reich“ einen umfassenden Dokumentarfilm vorgelegt, der im Mai 2018 zunächst in Wien und dann im Juli in Berlin im deutschsprachigen Raum erstmals gezeigt wurde, jeweils an der Sigmund-Freud-Universität. Der Film bedient sich vieler historischer Aufnahmen und präsentiert einige bisher nicht gezeigte Originaldokumente und Fotografien von Reich. Mehrfach erklingt Reichs Stimme von einem alten Tonbandgerät. Selbst Ausschnitte aus privaten, von Reich selbst gedrehten Filmen sind zu sehen. Man schaut in die traurigen Augen des jungen Reich, sieht ihn beim Psychoanalytiker-Kongress in Luzern 1934 oder in seinen Laboren bei der Arbeit am Mikroskop und bei der Sezierung an Krebs erkrankter Mäuse. Viele Experten aus den USA, Norwegen, Österreich und Deutschland kommen kommentierend zu Wort, darunter Helmut Dahmer, Karl Fallend und Bernd Nitzschke, beide Herausgeber eines Buches über den „Fall“ Wilhelm Reich, sowie Andreas Peglau, Autor eines umfangreichen Buches über Reich, die Psychoanalyse und den Nationalsozialismus.
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Medien & Materialien 91 körper-- tanz-- bewegung 7. Jg., S. 91-95 (2019) © Ernst Reinhardt Verlag Heldenbilder: Der Film „Love, Work and Knowledge: The Life and Trials of Wilhelm Reich“ Kevin T. Hinchey / Glenn Orkin, 2017, 110 Minuten N ach dem Film „Der Fall Wilhelm Reich“ von 2012, in dem Klaus Maria Brandauer den alternden Reich verkörperte, haben Kevin T. Hinchey und Glenn Orkin 2017 mit dem Film „Love, Work and Knowledge: The Life and Trials of Wilhelm Reich“ einen umfassenden Dokumentarfilm vorgelegt, der im Mai 2018 zunächst in Wien und dann im Juli in Berlin im deutschsprachigen Raum erstmals gezeigt wurde, jeweils an der Sigmund-Freud-Universität. Der Film bedient sich vieler historischer Aufnahmen und präsentiert einige bisher nicht gezeigte Originaldokumente und Fotografien von Reich. Mehrfach erklingt Reichs Stimme von einem alten Tonbandgerät. Selbst Ausschnitte aus privaten, von Reich selbst gedrehten Filmen sind zu sehen. Man schaut in die traurigen Augen des jungen Reich, sieht ihn beim Psychoanalytiker-Kongress in Luzern 1934 oder in seinen Laboren bei der Arbeit am Mikroskop und bei der Sezierung an Krebs erkrankter Mäuse. Viele Experten aus den USA, Norwegen, Österreich und Deutschland kommen kommentierend zu Wort, darunter Helmut Dahmer, Karl Fallend und Bernd Nitzschke, beide Herausgeber eines Buches über den „Fall“ Wilhelm Reich, sowie Andreas Peglau, Autor eines umfangreichen Buches über Reich, die Psychoanalyse und den Nationalsozialismus. Der Film preist sich selbst als „first factually accurate film“. Viele Fakten trägt er zusammen: von Reichs Kindheit und Jugend bis hin zu seiner Inhaftierung in den USA, wo er 1957 im Gefängnis starb. Er beginnt mit Reichs Zeiten in seinem biologischen Labor in Oslo und in New York und erwähnt dabei seine „promising cancer experiments“ sowie die Ermittlungen gegen ihn in den 1950er Jahren und die Verbrennung seiner Bücher in den USA. Damit werden gleich am Anfang des Filmes zwei zentrale Erzählstränge angekündigt: Der eine handelt von einem Reich, der von Erkenntnis zu Erkenntnis fortschritt, um die Psychoanalyse von Freud an die Naturwissenschaft anzubinden. Der andere handelt von einem politischen Reich, der sich bei den Vorgängen um den Brand des Justizpalastes in Wien 1927 radikalisierte, seit 1930 in Berlin als kommunistischer Psychoanalytiker in der Marxistischen Arbeiterschulung und bei der Gründung der SexPol-Bewegung aktiv war, kurz nach dem Sieg des Nationalsozialismus seine „Massenpsychologie des Faschismus“ vorlegte, sich danach aus der Politik zurückzog, aber in den USA wegen des Baus und Vertriebs von Orgonakkumulatoren, Kästen, in denen er für kranke Menschen heilend wirkende Energie zu akkumulieren dachte, von der Food and Drug Administration verfolgt wurde. Der Film erzählt die Geschichte Reichs aus einer amerikanischen Perspektive, insbesondere aus der Perspektive der Anhänger seiner „Orgonomie“. Was dessen Lebenswerk anbelangt, legt er den Schwerpunkt auf seine späteren naturwissenschaftlichen Forschungen zu Krebszellen und seine Theorie der Orgonenergie, mit der er glaubte, eine allgemeine Form der Energie gefunden zu haben, die Prozesse lebender und nicht-lebender Materie erklären könne. In politischer Hinsicht wird die Verfolgung in den USA herausgestellt. Wie Andreas Peglau (2018) in einer Filmkritik schreibt, wird nicht erwähnt, dass Reichs Bücher in Berlin verbrannt und bereits im Mai 1933 von den Nazis verboten wurden und dass er als einziger 92 2 | 2019 Medien & Materialien Psychoanalytiker überhaupt aus Großdeutschland ausgebürgert wurde. Der Film zeigt nur die spätere Bücherverbrennung in New York, als wollte er vor allem die Sicht auf Reich in den USA verändern, weniger die in Europa. Der mehrfach zu Wort kommende Wissenschaftshistoriker James Strick sagt an einer Stelle, die Unterstützung von Reichs Forschung in Norwegen sei abgelehnt worden, weil er als Jude und Kommunist von anderen Wissenschaftlern ausgegrenzt worden sei. Durchweg bedient sich der Film der Erzählfigur vom zu Unrecht nie ernst genommenen Wissenschaftler, so wenn verschiedene Schreiben von Reich an Albert Einstein erwähnt werden und es mehrmals danach heißt, Einstein, der vorher die Experimente von Reich zur Temperaturveränderung in Orgonakkumulatoren hatte nachuntersuchen lassen, habe nicht geantwortet. Alle Forschungen von Reich, sei es zu den sogenannten Bionen, Gebilde, in denen er den Übergang vom Nichtorganischen zum Organischen sah, zu einer unbekannten Strahlung, zur Tumorbehandlung bei Mäusen oder zur Erzeugung von Regen, werden so dargestellt, als wäre kein Zweifel an ihnen möglich. Und als wäre die Rezeption dieser Forschungen nur an der Ignoranz oder Inkompetenz der anderen Wissenschaftler gescheitert. Dabei wird die Geschichte seiner Verfolgung so mit der Geschichte seiner Forschungen verknüpft, dass der Film geradezu suggeriert, Reich wäre auch wegen seiner Forschungen verfolgt worden und als würde gerade das dafür sprechen, dass diese bis heute verkannt würden. Die unkritische Darstellung wird verstärkt durch eine romantische, streckenweise nahezu einlullend wirkende Hintergrundmusik, die nicht gerade zum Nachdenken anregt. Bei Episoden, die von der politischen Verfolgung handeln, werden die Streicher tiefer, doch eine Monotonie der Töne bleibt. Dazu jagt ein Foto von Reich das andere, ein Sturm von Bildern eines Helden und Opfers. So webt der Film weiter an dem Narrativ eines einzelnen brillanten Geistes, der von der Welt verkannt wurde. Wie Richard Blasband, ein Reich-Schüler, in einer Diskussion des Filmes auf dem 16.- Europäischen Kongress für Körperpsychotherapie im September 2018 in Berlin anmerkte, sei Reich so brillant gewesen, dass bis heute kaum jemand zu seinen Gedanken vordringen könne. Es ist auch eine typische Geschichte eines alleine kämpfenden Männerhelden, die der Film erzählt. Wenn es um die Entwicklung der Grundlagen der Körperpsychotherapie geht, die als Vegetotherapie nur kurz gestreift wird, verschweigt er die Bedeutung der Frauen in dieser Geschichte. So dürfte Reich in Berlin viele Anregungen zum therapeutischen Umgang mit dem Körper von Claire Fenichel, der Frau seines besten Freundes Otto Fenichel, bekommen haben, die eine Schülerin der Körperlehrerin Elsa Gindler war, zu der auch Laura Posener, die Frau seines Lehranalysanden Fritz Perls, ging und möglicherweise auch damals schon seine Geliebte, Elsa Lindenberg, die zumindest nach dem 2. Weltkrieg bei Gindler war. Auch andere Kontexte bleiben unerwähnt. Für kritische Reflexion ist in diesem fast zwei Stunden dauernden Film kein Platz. So fehlt die Frage, warum etwa die Experimente zur Erzeugung von Regen nicht fortgeführt wurden. Hätte nicht irgendein Unternehmen begonnen, damit Geld zu machen, wenn Reichs Experimente wirklich vielversprechend gewesen wären, wie es in dem Film mehrfach heißt? Oder warum fanden die Forschungen zur Krebstherapie keinen Eingang in die wissenschaftliche Forschung und Literatur? Der Verweis auf die Ausgrenzung von Reich soll wohl solche Fragen überflüssig machen. Dabei geht auch die Frage verloren, ob es vielleicht einzelne Aspekte in seinen naturwissenschaftlichen Forschungen gibt, die weiterzuverfolgen lohnend wären, auch über den Kreis der engen Reich-Anhänger hinaus. Glorifizierung lädt nicht ein, darüber nachzudenken. Medien & Materialien 2 | 2019 93 Am Ende des Films sagt der norwegische Historiker Håvard Friis Nilsen, man müsse Reich dekonstruieren. Genau das leistet der Film nicht. Er verweilt dabei, einen Mann, der Großartiges leistete, aber sich selbst überschätzte, für diejenigen als Identifikationsfigur zu erhalten, die ihn ohnehin als Helden ansehen und an ihn glauben. Sie können bei diesem Film auf ihre Kosten kommen und sich von ihm bewegen lassen. Für mich waren die Dokumente interessant, aber die Abfolge der Heldengeschichten und Heldenbilder ermüdend. Prof. Dr. Ulfried Geuter DOI 10.2378 / ktb2019.art13d Literatur Peglau, A. (2018) Ein wichtiger Film mit wichtigen Auslassungen: „Love, work and knowledge-- the life and trials of Wilhelm Reich“ von Kevin Hinchey und Glenn Orkin. In: www.andreaspeglau-psychoanalyse.de, 10.9.2018 Dunemann, Angela / Weiser, Regina / Pfahl, Joachim: Traumasensibles Yoga TSY. Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl Klett-Cotta, 2017, Stuttgart, 248 Seiten, 28,00 € Y oga hat sich mit seinen diversen Körper- und Bewusstseinsübungen sowie mit seinen meditativen Ansätzen in vielen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten als präventiv und therapeutisch hilfreich bei verschiedenen Erkrankungen und Symptomen erwiesen. Dazu gehören auch Angst und Depression. Welche Bedeutung kommt Yoga in der Arbeit mit traumatisierten Menschen zu, und welche Herangehensweisen sind dafür sinnvoll und nachhaltig wirksam? Diese und ähnliche Fragen, die mich als körperpsychotherapeutisch tätige Heilpraktikerin und Yogalehrerin im Umgang mit traumatisierten PatientInnen und YogateilnehmerInnen in eigener Praxis und im klinischen Rahmen selbst immer wieder beschäftigen, werden in dem vorliegenden Buch von einem kompetenten Autorenteam aus Yogalehrenden bewegt: Regina Weiser ist Diplom- Psychologin und arbeitet als analytische Psychotherapeutin traumaorientiert. Angela Dunemann, Diplom-Sozialpädagogin und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit systemischem Ansatz, behandelt vorwiegend Kinder und Jugendliche. Joachim Pfahl, Bachelor of Science, sammelte Erfahrungen mit traumatisierten Menschen vorwiegend in Gefängnissen und beim Militär. Die drei AutorInnen stellen ein selbst entwickeltes und in Praxis und Lehrtätigkeit erprobtes Yoga-Konzept vor, das sie Traumasensibles Yoga (TSY) nennen. Ihr Leitsatz: lautet „Therapeutisches Yoga ist wahrnehmungsorientiert, nicht leistungsorientiert“. Ziel des TSY soll die Integration von Körper, Seele und Geist sein, der Weg die Verbindung von Bewegung, Atem und Bewusstsein. Durch das Prinzip der achtsamen Körperwahrnehmung sollen Heilungsprozesse, Selbstwirksamkeit, Selbstmitgefühl, Resilienz und posttraumatisches Wachstum angestoßen werden, um traumatisierte, vom Leben abgeschnittene Menschen mit sich selbst und mit der Welt zu versöhnen. Indem die AutorInnen ihr erstes Kapitel dem Thema der Traumata in Ursache, Verlauf und