eJournals körper tanz bewegung 7/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2019.art15e
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Aktuelles aus der Forschung: Aktuelle Studien zu Tanzinterventionen mit Kindern

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Iris Bräuninger
Dieser Artikel beschäftigt sich mit bewegungs- und tanzorientierten Interventionen in zwei verschiedenen Schulsettings. Die erste Studie wurde in Deutschland an einer damaligen achten Hauptschulklasse mit SchülerInnen durchgeführt (Schaub-Moore 2017), welche ein hohes Risiko trugen, den Schulabschluss nicht zu bestehen bzw. die Schule vorzeitig abzubrechen. Die zweite Studie wurde von Sarnadinha, Pereira, Ferreira, Fernandes und Veiga (2018) mit Vorschulkindern in Portugal durchgeführt und untersuchte die Auswirkungen einer Psychomotorik- und einer Tanz- und Bewegungsintervention bei Kindern mit besonderem Förderbereich.
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96 körper-- tanz-- bewegung 7. Jg., S. 96-98 (2019) DOI 10.2378 / ktb2019.art15d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelles aus der Forschung Aktuelle Studien zu Tanzinterventionen mit Kindern Iris Bräuninger D ieser Artikel beschäftigt sich mit bewegungs- und tanzorientierten Interventionen in zwei verschiedenen Schulsettings. Die erste Studie wurde in Deutschland an einer damaligen achten Hauptschulklasse mit SchülerInnen durchgeführt (Schaub-Moore 2017), welche ein hohes Risiko trugen, den Schulabschluss nicht zu bestehen bzw. die Schule vorzeitig abzubrechen. Die zweite Studie wurde von Sarnadinha, Pereira, Ferreira, Fernandes und Veiga (2018) mit Vorschulkindern in Portugal durchgeführt und untersuchte die Auswirkungen einer Psychomotorik- und einer Tanz- und Bewegungsintervention bei Kindern mit besonderem Förderbereich. „Moving Systems“ als multidisziplinärer Ansatz gegen Schulabbruch und zur Lernförderung Das zweijährige multidisziplinäre Schulprojekt von Schaub-Moore (2017) beabsichtigte, den Schulabbruch von SchülerInnen einer achten Klasse (Hauptschule) zu verhindern und Lernen zu unterstützen. Die prognostizierte Dropout-Rate ohne Bildungsabschluss wurde vom Schulleiter mit 25 % angegeben und stützte sich auf jahrelange Erfahrungen und auf Daten der Schule. Das Projekt baute auf ein multidisziplinäres und mehrdimensionales Verständnis des „individuellen Lernens“. Für das Projekt wurde eine achte Klasse an einer deutschen Hauptschule mit 26 SchülerInnen (16 Jungen und 10 Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren) vom Schulleiter und den LehrerInnen zur Teilnahme ausgewählt, da sie die Klasse als die „schwierigste“ bewerteten. Die Klasse, ihre LehrerInnen und ihre Familien erhielten die Möglichkeit, an einem, mehreren oder allen Forschungsmodulen teilzunehmen. ● Die Klasse nahm wöchentlich an 90-minütigen „kreativen Bewegungsarbeiten“ (Tanz, Kunst, Musik, Filmen, Singen, Graffiti) zur Verbesserung des Selbstbewusstseins, der sprachlichen Kompetenzen und der Beziehungsfähigkeit teil. ● Die LehrerInnen und der Schulleiter nahmen alle drei Wochen an einer Supervisionsgruppe zur Reflexion ihrer Arbeit und Arbeitsbeziehungen mit den SchülerInnen und zur Verbesserung ihrer Arbeit teil. ● Die Schülerfamilien wurden zweimal von den ProjektleiterInnen kontaktiert und besucht, um die Zusammenarbeit mit der Schule zu verbessern. ● 16 SozialarbeitstudentInnen begleiteten und unterstützten die SchülerInnen einmal wöchentlich: Sie nahmen an den kreativen Bewegungsgruppen teil, boten außerschulische Aktivitäten an und halfen bei der Schularbeit. ● Alle TeilnehmerInnen wurden zu zweimonatlichen Treffen eingeladen, um die Entwicklung des Projekts und die Mitgestaltung weiterer Interventionen zu besprechen (zum Beispiel Förderung des Zusammenhalts der Gruppe oder des Gefühls der Zugehörigkeit). ● Im letzten Semester wurde das Projekt mit einer öffentlichen Aufführung der SchülerInnen zu ihrer Arbeit in den kreativen Bewegungsgruppen abgeschlossen. Aktuelles aus der Forschung 2 | 2019 97 Alle Forschungsmodule wurden während des gesamten Projekts anhand von semistrukturierten Interviews, KMP-Bewegungsbeobachtungen, Protokollen und Fragebögen analysiert und ausgewertet. Das Hauptergebnis war, dass alle SchülerInnen den Hauptschulabschluss erreichten, zehn von ihnen an eine weiterführende Schule wechselten und sechzehn SchülerInnen eine Berufslehre begannen. Weitere Ergebnisse des vielschichtigen bewegungsorientierten Ansatzes waren die positive Auswirkung auf das Wohlbefinden und die Lernfähigkeit der SchülerInnen, der Lehrkräfte und der Familien: 1. Der „offene Dialog-Ansatz“ (Schaub-Moore 2017, 449) förderte eine flexible Antwort auf die vielfältigen Bedürfnisse aller Beteiligter. 2. Die kreative Bewegungsarbeit mit einem selbstgewählten Schwerpunkt förderte bei den SchülerInnen die Selbstwirksamkeit, das Selbstvertrauen und das Vertrauen gegenüber anderen. 3. Die Supervisionsgruppe erweiterte bei den Lehrkräften das Verständnis ihrer pädagogischen Arbeit vom neutralen, distanzierten Beobachter zum fühlenden, empathischen Professionellen. 4. Der Besuch der Familien vor Ort und die Anteilnahme an ihrem Leben förderte deren Gefühl, gesehen, gehört und wertgeschätzt zu werden. 5. Die Bedeutung der Schule veränderte sich in positiver Weise sowohl bei den SchülerInnen als auch in ihren Familien. Psychomotoriktherapie und Kreativer Tanz zur Förderung exekutiver und sozio-emotionaler Funktionen bei Vorschulkindern In der Interventionsstudie von Sarnadinha und KollegInnen (2018) wurde die Machbarkeit und die Auswirkung einer Psychomotoriktherapie-Intervention und einer Kreativer- Tanz-Intervention auf die exekutiven und sozio-emotionalen Funktionen von Vorschulkindern verglichen und einer Kontrollbedingung ohne Intervention gegenübergestellt. An der Studie nahmen insgesamt 44 Vorschulkinder (M = 4,04 Jahre; SD = 0,67) teil. Beide Interventionsgruppen fanden 24mal statt, wobei die Psychomotoriktherapie-Intervention hauptsächlich als sensomotorische Aktivität mit Regelspielen und die zweite Intervention als kreative Tanzintervention angeboten wurde. Im Ergebnis zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Interventionsgruppen, aber eine signifikante Verbesserung in den Interventionsgruppen gegenüber der Kontrollgruppe beim erhöhten Arbeitsgedächtnis (p < 0,05), welches negativ mit reaktiver Aggressivität korrelierte (r = −0,408, p = 0,003). Die AutorInnen schlussfolgerten daraus, dass sich beide Interventionen für diese Altersgruppe zu eignen scheinen und weitere Forschung indiziert sei. Schlussfolgerung Das Schulprojekt von Schaub-Moore (2017) mit dem Ziel, die Abbruchraten von SchülerInnen mit hohem Risiko für Schul-Dropout zu verhindern, ist einerseits ein personal- und zeitaufwendiges multidisziplinäres Schulprojekt. Andererseits zeigt das Ergebnis, dass sich der Aufwand zu lohnen scheint: 100 % der SchülerInnen der Abschlussklasse im Vergleich zu den an der Schule üblichen 75 % Prozent schafften den Schulabschluss. Berücksichtigt man, dass SchülerInnen ohne Schulabschluss mit niedrigerem Bildungslevel in vielerlei Hinsicht schlechte Prognosen erwarten und Gefahr laufen, langzeitarbeitslos zu werden, größere Gesundheitsprobleme zu bekommen und weniger in sozialen Gefügen integriert zu sein (Schaub- Moore 2017), erhält dieses Ergebnis eine besondere Bedeutung und macht Hoffnung, dass die SchülerInnen neben den erworbenen Kom- 98 2 | 2019 Iris Bräuninger Dr. Iris Bräuninger Co-Leiterin Studiengang Psychomotorik (Hochschule für Heilpädagogik Zürich IVE), Dozentin MA Tanztherapie UAB Barcelona, Forscherin, Supervisorin / Ausbilderin / Lehrtherapeutin, KMP-Notatorin, Praxis Tanztherapie Supervision Bodensee. ✉ Dr. Iris Bräuninger dancetherapy@mac.com und iris.braeuninger@hfh.ch petenzen weitere Ressourcen für zukünftige Herausforderungen erwerben konnten, welche ihnen eine positivere Zukunftsperspektive in Aussicht stellen. Die zweite Studie von Sarnadinha und KollegInnen (2018) verdeutlicht, dass sowohl Kreativer Tanz als auch Psychomotoriktherapie exekutive und sozio-emotionale Funktionen von Vorschulkindern verbessern können und einer Kontrollbedingung ohne Intervention überlegen sind. Bewegungs- und Tanzinterventionen können im Schulsetting bei unterschiedlichen Altersgruppen eine wichtige und erfolgsversprechende Ergänzung in der motorischen, emotionalen und sozialen Förderung darstellen. Weitere Studien in diesem Bereich scheinen sinnvoll und indiziert zu sein. Literatur Schaub- Moore, C. (2017): The Oxford handbook of dance and wellbeing. Moving systems. A multidisciplinary approach to enhance learning and avoid dropping out. In: Karkou,V., Oliver, S., Lycouris, S. (Hrsg.): Dance and wellbeing. Oxford University Press, Oxford, 414- 452 Sarnadinha, A., Pereira, C., Ferreira, A. C., Fernandes, J., Veiga, G. (2018): Preschooler’s executive and socio-emotional functioning: effects of two intervention programs-- psychomotor therapy and creative dance. BMC Health Services Research 18, 83-84