eJournals körper tanz bewegung 7/4

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2019.art26d
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Zur Ausgabe 1/2019 ‚Quo Vadis Körperpsychotherapie?‘

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Ernst Kern
Die Orientierung an der aktuellen Form von Wissenschaftlichkeit als Legitimation von Körperpsychotherapie wird in diesem Artikel kritisch diskutiert. Eine stärkere Besinnung auf das jeweils zugrundegelegte Menschenbild erscheint erforderlich, um unterschiedliche Konzeptionen von Körperpsychotherapie begründen und einordnen zu können.
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169 körper-- tanz-- bewegung 7. Jg., S. 169-172 (2019) DOI 10.2378 / ktb2019.art26d © Ernst Reinhardt Verlag Zur Ausgabe 1 / 2019 „Quo Vadis Körperpsychotherapie? “ Bezug auf Wissenschaftlichkeit oder auf ein Menschenbild als Basis für Körperpsychotherapie? Ernst Kern Die Orientierung an der aktuellen Form von Wissenschaftlichkeit als Legitimation von Körperpsychotherapie wird in diesem Artikel kritisch diskutiert. Eine stärkere Besinnung auf das jeweils zugrundegelegte Menschenbild erscheint erforderlich, um unterschiedliche Konzeptionen von Körperpsychotherapie begründen und einordnen zu können. Schlüsselbegriffe Körperpsychotherapie, Wissenschaftlichkeit, Menschenbild On Issue 1 / 2019 “Quo Vadis Body Psychotherapy? ”. Reference to Science or to a Philosophical Conception of Man as a Basis for Body Psychotherapy? The orientation towards the current form of scientific research as a legitimation for body psychotherapy is discussed critically in this article. A reorientation towards a basic anthropological conception seems necessary, to offer a rationale for and to classify different conceptions of body psychotherapy. Key words body psychotherapy, science, human image I n der Ausgabe 1 / 2019 „Quo Vadis Körperpsychotherapie“ wird im Editorial von Ulfried Geuter zu Diskussionsbeiträgen eingeladen, und dem möchte ich gerne nachkommen. Ich fand die Erläuterungen von Marianne Eberhard-Kaechele zu den teilweise verschiedenen Interessenlagen der Berufsgruppen sehr zutreffend und sehe in meiner Position als approbierter Psychologe eine besondere Verantwortung, dafür einzutreten, dass Körperpsychotherapie als hochwirksame Psychotherapieperspektive weiter wahrgenommen und gelehrt wird. Zur Orientierung an der Wissenschaftlichkeit Die Orientierung am Wissenschaftsbegriff, um Körperpsychotherapie eine stärkere Legitimation in der klinischen Psychologie und in der Versorgungslandschaft zu geben, klingt plausibel und erscheint zunächst als ein guter Ausweg aus dem Schulenstreit. In der aktuellen Situation in Deutschland wird dieses Argument- - weg von den Therapieschulen und Verfahren hin zur Wissenschaftlichkeit und Evidenzbasierung-- zunehmend lauter und vehementer vorgebracht. Wenn man genauer betrachtet, welche Therapie damit als „richtige“ Forum: Debatte „Quo vadis Körperpsychotherapie“ 170 4 | 2019 Ernst Kern ausgewiesen werden soll, ist es ganz oft eine manualisierte, mechanistische und reduktionistische Form der Verhaltenstherapie. Das vorherrschende Verständnis von psychotherapeutischer wissenschaftlicher Forschung folgt einem medizinisch-naturwissenschaftlichen Paradigma mit dahinterliegendem zweckrationalem Menschbild. Diese Ausgangslage wird aber fast gar nicht mehr deklariert oder gar diskutiert, sondern stillschweigend als die einzig richtige unterstellt. Was daraus an Forschung herauskommt, geht ganz überwiegend am klinischen Alltag vorbei und mangelt weitgehend einer ökologischen Validität. Damit vertrete ich keine wissenschaftsfeindliche Haltung, sondern nach meiner Überzeugung sollte über Psychotherapie unbedingt wissenschaftlich geforscht werden, aber mit dem Gegenstand der menschlichen Psyche angemessenen Methoden, die viel stärker auch sozialwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Perspektiven berücksichtigen müssten. Vielleicht könnte auch wieder auf erkenntnistheoretischer Ebene diskutiert werden, ob denn der in der Regel stillschweigend angenommene eindimensionale Zusammenhang, dass die Wissenschaft der Praxis sagen kann und sollte, was für sie sinnvolles Handeln ist, wirklich zutrifft. Ich verweise z. B. auf Überlegungen von Michael Buchholz (1999), der davon ausgeht, dass die verschiedenen Bereiche (Recht, Wirtschaft, Wissenschaft, Praxis) verschiedenen Gültigkeitskriterien unterliegen. Sie können sich gegenseitig anreichern, aber nicht einseitig bestimmen. Wozu so etwas führt, kann man an der dominierenden Ökonomisierung des Gesundheitsbereichs sehen. Bezug auf ein Menschenbild Für mich bräuchte es nicht unbedingt separate Therapieverfahren. Ich arbeite selbst mit einem Konzept der so genannten 3. Welle der Verhaltenstherapie, der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), das sich für mich gut als integrativer Rahmen eignet, verschiedene Therapieperspektiven zu einem sinnvollen und wirkungsvollen Ganzen zu integrieren. Zu diesen Therapieperspektiven gehören „common factors“ wie Achtsamkeit, Emotionsfokussierung, therapeutische Beziehung, Körperbezug, störungsspezifische und interaktionelle Aspekte. Was es aber meines Erachtens unbedingt braucht, ist ein Bezug auf ein zugrundeliegendes Menschenbild, dem ich mich verpflichtet fühle. Menschenbilder sind bekanntlich nicht beweisbar, sie sind Grundannahmen, was für eine Vorstellung von dem Wesen ich habe, mit dem ich als Psychotherapeut in Kontakt bin. Sie beinhalten Wertsetzungen, d. h. auch ein zweckrationales Menschenbild stellt eine Wertsetzung dar. Ulfried Geuter kommt in seinem umfassenden Überblick zur Körperpsychotherapie (Geuter 2015, 2019) zu dem Schluss, dass viele und gute Körperpsychotherapieverfahren sich am besten im Spektrum der humanistischen Psychotherapie einordnen lassen. Für die Personzentrierte Psychotherapie habe ich versucht, eine körperpsychotherapeutische Perspektive zu begründen (Kern 2015). Was passiert, wenn man die Bezugnahme auf das zugrundeliegende Menschenbild für überflüssig hält, kann man an vielen neueren Verhaltenstherapie-Ansätzen (auch an der DBT) sehen. Es werden für Therapie wichtige Aspekte aufgenommen (z. B. Mitgefühl, Achtsamkeit, Validierung, Gefühle, Körper) und letztlich dann aber doch oft in einem rein übenden oder biologistischen oder äußerlichen Vorgehen umgesetzt. Der Bezug auf Wissenschaftlichkeit erdet und gründet kein Verfahren, insbesondere nicht, wenn der vorherrschenden Wissenschaft ein medizinisch-naturwissenschaftliches, zweckrationales Paradigma zu Grunde liegt, das nicht mehr reflektiert wird, sondern stillschweigend als wahr unterstellt wird. Deswegen finde ich es überzeugend, wie Geuter Körperpsychotherapie auf eine (huma- Wissenschaftlichkeit als Basis für Körperpsychotherapie? 4 | 2019 171 nistische) Grundhaltung rückbezieht. Das heißt für mich nicht, dass das die einzige Möglichkeit ist, man kann z. B. auch eine verhaltensorientierte oder eine auf das Unbewusste abzielende Körperpsychotherapie konzeptualisieren und durchführen. Ich fände es aber wichtig und redlich, das im Konzept auch zu deklarieren, sich selbst darüber im Klaren zu sein und sich mit den zugrundeliegenden Wertsetzungen auseinanderzusetzen. Letztlich muss sich jeder Psychotherapeut entscheiden, auf welches Menschenbild er sich in seiner Arbeit beziehen will. Das Besondere und auch Schwierige an der humanistischen Therapie ist vielleicht der radikale Respekt vor der Subjektivität des Menschen. Psychotherapeutische Konzepte und eine psychotherapeutische Forschung, die diese Innenwelt ausklammert, nur von außen erschließen will oder nicht ernst nimmt, gehen für mich am Wesentlichen vorbei. Beachten der Subjektivität heißt nicht, ein idealistisches, naives oder monadisches Modell zu vertreten. Ein geniales Beispiel eines wissenschaftlich begründeten und empirisch fundierten Konzeptes, wie aus Interaktion Selbsterleben, Subjektivität und personale Identität entsteht, ist für mich die Entwicklungspsychologie von Daniel Stern (Stern 1992). Hier zeigt sich auch, wie wichtig der Bezug auf psychologische Grundkonzepte als Grundlegung für Psychotherapieansätze ist. Für die Personzentrierte Körperpsychotherapie habe ich das durch den Bezug auf Emotionspsychologie, Entwicklungspsychologie und neuropsychologische Konzepte zu zeigen versucht (Kern 2015). Ausbildung in Körperpsychotherapie Ich stimme Frank Röhricht zu, dass die Ausbildung in Körperpsychotherapie davon profitieren würde, sich stärker auf integrative Therapieaspekte zu beziehen. Aus meiner Sicht bestehen die beiden sinnvollen Möglichkeiten, entweder Körperpsychotherapie als eigene Therapie zu vermitteln oder als eine bestimmte Therapieperspektive, die mit anderen erlernten Vorgehensweisen und Grundausbildungen verbunden werden kann und die Therapie vertiefen, verlebendigen und katalysieren kann. Für letzteres Projekt, das ich selbst auch in der Fortbildung vertrete, lassen sich auch weiterhin viele an der Gesundheitsversorgung beteiligte KollegInnen interessieren, motivieren und begeistern. Für KollegInnen, die schon eine Grundausbildung in Therapie oder Beratung haben, ist das ein sinnvolles Modell, die erweiterte Sichtweise und die effizienten Möglichkeiten von Körperpsychotherapie zu lernen und mit ihrer Arbeitshaltung zu verbinden. Für mich gehört zu so einer Fortbildung selbstverständlich der Bezug auf psychologische Grundlagen aus der Entwicklungspsychologie, Emotionspsychologie und Neuropsychologie dazu. Gleichzeitig braucht es aber die Verortung des Ansatzes in Grundannahmen. Für mich persönlich passen am besten diejenigen der humanistischen Psychotherapie, daher biete ich Fortbildungen in „Personzentrierter Körperpsychotherapie“ an. Sehr wichtig erscheint mir Röhrichts Hinweis auf Qualitätsstandards für die Fortbildung. Das fängt bei den Vorbedingungen der Teilnahme an, geht über obligatorische fortbildungsbegleitende Supervision (mit Videos) bis zu einem qualifizierten Abschluss. Fazit Zusammenfassend ist meine Überzeugung, dass Körperpsychotherapie es nicht schaffen wird, sich durch Orientierung an der vorherrschenden Wissenschaft als eigenes Verfahren zu etablieren. Angesichts des dieser Wissenschaft in der Regel zugrundeliegenden zweckrationalen Menschenbildes sehe ich darin auch die Gefahr, wesentliche Elemente von sich selbst zu verlieren oder aufzugeben. Die 172 4 | 2019 Ernst Kern Verortung in der Humanistischen Therapie begründet und sichert aus meiner Sicht wesentliche Elemente körperpsychotherapeutischer Ansätze, stellt aber nicht die einzige Möglichkeit einer körperpsychotherapeutischen Konzeptualisierung dar. Literatur Buchholz, M. (1999): Psychotherapie als Profession. Psychosozial-Verlag, Gießen Geuter, U. (2019): Praxis Körperpsychotherapie. Berlin, Springer Geuter, U. (2015): Körperpsychotherapie. Berlin, Springer Kern, E. (2015): Personzentrierte Körperpsychotherapie. 2. Aufl. Ernst Reinhardt Verlag, München Stern, D. (1992): Die Lebenserfahrung des Säuglings. Klett-Cotta, Stuttgart Dr. phil. Dipl.-Psych. Ernst Kern Psychologischer Psychotherapeut, Gesprächspsychotherapeut, Klientenzentrierter Körperpsychotherapeut. Ausbildungen u. a. in Focusing, Tanztherapie, Traumatherapie, DBT. Seit 2005 leitender Psychotherapeut in der Psychiatrischen Klinik Sonnenberg. ✉ Dipl.-Psych. Dr. phil. Ernst Kern Psychiatrische Klinik Sonnenberg Sonnenbergstraße 10 | D-66119 Saarbrücken e.kern@sb.shg-kliniken.de