körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2020
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Medien & Materialien: Renate Schwenk, Christine Pechtl (Hrsg.): Körper im Dialog. Theorie und Anwendungsfelder der Bioenergetischen Analyse
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Ulrich Sollmann
Um es gleich vorweg zu schicken: Dieses Buch ist ein außerordentlich bereichernder Beitrag. Einerseits bietet es einen differenzierten, tiefen, vielschichtigen und plastischen Einblick in die Denkmodelle sowie Praxis von Bioenergetischer Analyse (BA) in nicht-therapeutischen Bereichen. Andererseits werden BA-Konzepte mit anderen, relevanten theoretischen und praxeologischen Ansätzen integriert betrachtet, die ihren Ursprung nicht im körperpsychotherapeutischen Feld haben. [...]
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140 3 | 2020 Medien & Materialien Auszubildende in der Körperpsychotherapie und Menschen, die das Verfahren nicht unmittelbar kennen, vermittelt das Buch einen Einblick in den Reichtum und die Vielfalt der Körperpsychotherapie. Ich denke, dass dieses Buch zukünftig in vielen Bücherregalen unterschiedlicher Berufsprofessionen stehen wird. Für eine moderne Körperpsychotherapie und insbesondere für eine zukünftige bio-psychosoziale Therapie, die sich im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts besonders mit vielfach beschädigter Leiblichkeit auseinandersetzen muss, hat Geuter ein sehr wertvolles Werk geschrieben. Es wird Menschen helfen, ihren Körper wieder als einen sicheren Ort und Freund erleben zu dürfen. Es wird helfen, dass mehr Menschen in den Genuss einer körperpsychotherapeutischen Behandlung kommen und damit heilsame und korrigierende Erfahrungen in ihrer beschädigten Leiblichkeit erleben. Dafür gilt dem Autor ein ganz besonderer Dank. Martin J. Waibel DOI 10.2378/ ktb2020.art22d Renate Schwenk, Christine Pechtl (Hrsg.): Körper im Dialog. Theorie und Anwendungsfelder der Bioenergetischen Analyse Psychosozial-Verlag, 2019, Gießen, 414 Seiten, 44,90 € (D) U m es gleich vorweg zu schicken: Dieses Buch ist ein außerordentlich bereichernder Beitrag. Einerseits bietet es einen differenzierten, tiefen, vielschichtigen und plastischen Einblick in die Denkmodelle sowie Praxis von Bioenergetischer Analyse (BA) in nicht-therapeutischen Bereichen. Andererseits werden BA-Konzepte mit anderen, relevanten theoretischen und praxeologischen Ansätzen integriert betrachtet, die ihren Ursprung nicht im körperpsychotherapeutischen Feld haben. U.a. handelt es sich dabei um Konzepte aus der Feldforschung, theoretische Ansätze aus dem Konstruktivismus der Systemtheorie und Organisationsentwicklung, aber auch Ansätze aus Leadership-Science und Resilienzforschung. Das Buch ist aber keine praxeologische oder methodische / konzeptionelle Einführung in die BA. Die Herausgeberin, die Österreichische Gesellschaft für körperbezogene Psychotherapie (DÖK), besteht seit 40 Jahren. Es wird aufgezeigt, wie die BA in unterschiedlichen Arbeitsfeldern praktiziert und integriert wird und wie diese Erfahrungen und Erkenntnisse wieder in den Verein zurückgebracht werden. Ein solches Vorgehen sucht offensichtlich seinesgleichen im körperpsychotherapeutischen Feld. Allein schon der Ansatz, auch im nicht-therapeutischen Bereich substantiell und differenziert, aber auch kontextbezogen zu arbeiten, ist bereits eine Entdeckungsreise wert. Hinzu kommt das Unterfangen- - äußerst erfolgreich dargestellt- - BA-Theorie sowie -Konzepte, Ausbildung in BA, Entwicklung und Durchführung von Praxisprojekten sowie einen diesbezüglichen fruchtbaren, bereichernden Diskurs im Verein darzustellen. Hiervon lebt die Zukunft von BA und KPT, und die Arbeit ist dann nicht nur einem kleinen Kreis von ExpertInnen vorbehalten. Im ersten Teil werden Aspekte der gemeinsamen Basis, wenn auch in kürzerer Form, so doch äußerst gehaltvoll, dargestellt. Es geht dabei um den historischen Abriss und die Medien & Materialien 3 | 2020 141 Wissenschaftlichkeit von BA, um Grundbegriffe, Zielsetzungen, Abläufe, aber auch um die Grundhaltungen und handlungsleitenden Überzeugungen, eben nicht nur im psychotherapeutischen Bereich tätig zu sein. Dies ist verbunden mit der Notwendigkeit, sich auf wechselseitige Abstimmungsprozesse einzulassen, die einerseits kontextbezogen sind, andererseits die internationale KollegInnenschaft mit einbezieht. Der zweite Abschnitt des Buches ist in die Arbeitsfelder Psychotherapie, Psychosoziale Beratung, Beratung von Gruppen, von Teams und in Organisationen unterteilt. Gerade dieser Teil macht neugierig und fasziniert zugleich. Den Abschluss bilden Informationen über Ausbildung, gesellschaftspolitische und spirituelle Aspekte der BA sowie ein, wie ich finde, notwendiger Appell, die Arbeit als BA auch als gesellschaftspolitisches Handeln zu verstehen. Wird doch der Körper zurzeit massiv instrumentalisiert, überfordert und wirtschaftlichen Zielen geopfert. Dies geht auf Kosten der persönlichen Vitalität, führt zu Erschöpfungszuständen und Entfremdung. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, sich im Einzelnen auf die Beiträge zu beziehen. Ich möchte daher einige exemplarisch herausgreifen, die mir, zumal ich selbst seit Anfang der 1980er Jahre auch im nicht-therapeutischen Bereich unterwegs bin, besonders ins Auge gefallen sind bzw. Wert sind, besonders hervorgehoben zu werden. Majce-Egger beschreibt das Spektrum konzeptioneller und theoretischer Zugänge zur BA-Arbeit mit Gruppen. Sie versteht diese als Arbeit sowohl mit den Bezügen und Dynamiken zwischen den Personen einer Gruppe als auch mit der Dynamik des gesamten Gruppenkörpers, seiner strukturellen Ausprägungen, Abwehrformen, Schutzmechanismen usw. Indem sie sich u.a auf Bion, Lewin, Ciompi und andere bezieht, konkretisiert sie, und das ist ziemlich neu im körperpsychotherapeutischen Feld, ein relationales Gruppenkonzept. Dieses lässt sich auf den Bereich Psychotherapie, aber auch auf den nicht-therapeutischen Bereich übertragen. Phänomene wie Stress und Traumatisierung, denen man als KörperpsychotherapeutIn eher im therapeutischen Bereich begegnet, werden im Beitrag von Schwenk auf die Arbeit in Organisationen und Unternehmen bezogen dargestellt. In der Arbeit mit Stressbelastung geht es nicht primär nur um die Restituierung einer „Work-Live-Balance“, sondern zusätzlich um den Fokus eines ausgewogenen Wechsels der Phasen von Anspannung und Entspannung. Diesbezügliche handlungsleitende Fragen eröffnen einen neuartigen operativen Zugang zu den Menschen. Das von Schwenk vorgestellte Konzept stellt eine sinnvolle und für die Praxis fruchtbare Integration neurophysiologischer, aber auch praxeologischer Elemente dar. Im Einzelnen, ebenso anhand von Fallbeispielen, wird deutlich, dass und wie die BA gerade hier sinnvolle Arbeit leisten kann. Erfreulich finde ich die Beiträge, die sich mit der praktischen Körper-Arbeit, dem Vollzug von Übungen, der Selbstmotivation und Integration derselben in den Alltag befasst. Gehen doch z. B. Pesendorfer, Heisig und Mittasch in ihren jeweiligen Schilderungen einen wesentlichen Schritt weiter, als es in den vielfach angebotenen reinen Übungsbüchern der Fall ist. Sie schauen auf die Förderung von Selbstmotivation, die oft dem eigenen Üben verlustig zu sein scheint. Die Autoren eröffnen zudem eine wichtige neue Perspektive, was das vielfach vorzufindende Bemühen betrifft, dass es nur auf die Körperübungen ankäme. So laufen doch viele Übende Gefahr, nur die Folgen ihres Tuns zu beachten und große Hoffnungen auf die Übungseffekte zu legen, statt für die Erfolge des Lassens genug offen und wach zu sein. Manchmal ist eben das Nicht-Tun hilfreicher als das Tun selbst. Die BA hat keine eigene Organisationstheorie. Die Arbeit mit Menschen in Organisationen hat jedoch Tradition in der DÖK. Erinnern 142 3 | 2020 Medien & Materialien dependenzen von Teilen der Organisation, wie Ziele, Strukturen, Beziehungen, Belohnungen, Führung usw., sowie um Entwicklung von Prozesskompetenz in einer solchen Organisation. Es ist wahrscheinlich nicht zu übersehen, dass ich fasziniert bin von dem Buch und am liebsten noch detaillierter fortfahren möchte. Meine Buchbesprechung mag daher auch als Appell verstanden werden, die BA sowie körperpsychotherapeutische Zugänge zu betrachten und weiterzuentwickeln im Sinne von gesellschaftspolitischem Handeln. Dürfen wir als KörperpsychotherapeutInnen doch nicht nur warten, bis jemand mit einer wie auch immer schweren Symptomatik in der eigenen psychotherapeutischen Praxis auftaucht. Besinnen wir uns auf einen solch möglichen Selbst-Appell, arbeiten wir auch im Sinne von Wilhelm Reich oder anderen körperpsychotherapeutischen Pionieren. Hieß es in den 1980er Jahren, angestoßen durch Alexander Lowen, „back to the roots“, so könnte die Arbeit jetzt verstanden werden als „back to the people“ oder „back to the humans as part of society“. Dipl. rer. soc. Ulrich Sollmann DOI 10.2378/ ktb2020.art23d möchte ich nur an das Grundlagenwerk von Waldfried Pechtl (1989), der in seinem Buch „Zwischen Organismus und Organisation“ einen für die damalige Zeit vielleicht viel zu frühen Diskurs angestoßen hat. Dieser Diskurs wird heute in der DÖK weitergeführt und im Unterschied zu den meisten BA-Instituten in einer bemerkenswerten Weise konzeptionell, aber auch praxeologisch weiterentwickelt. Integriert werden dabei, wie im Beitrag von Schenk deutlich wird, die Bezugnahme auf psychoanalytische Organisationstheorien, Sozialwissenschaften und systemische Überlegungen (z. B. Luhmann). Organisationen werden dabei u. a. als Energiefelder betrachtet, in denen sich einzelne Personen als Funktionsträgerinnen, Gruppierungen und Teams, Abteilungen und Teilorganisationen, aber auch die Kundinnen, z. B. betreute Menschen, formell und informell bewegen. „Niemand kann unabhängig von diesem Feld handeln und gleichzeitig trägt jede Person zum Energiefeld bei“ (S. 283). Schenk entwickelt hierauf aufbauend in Bezug auf das Sechs-Felder-Modell von Marvin Weisbord (1984) ein spezifisches Modell, das durch einen relationalen Ansatz besticht. So geht es in dem Modell u. a. um die Inter- David Schnarch: Brain Talk. Wie wir das Gehirn nutzen, um uns selbst und andere besser zu verstehen Kösel Verlag, 2020, München, 587 Seiten, 30,00 € (D) „I ch hatte keinen Sinn mehr darin gesehen, zum x-ten Mal auf die Matte einzuprügeln und meine Wut auf meine Mutter auszudrücken“, höre ich gelegentlich von KlientInnen als Antwort auf meine Frage, wieso sie ihre vorige Körperpsychotherapie abgebrochen haben. Die Körperpsychotherapie ist stark, wenn es darum geht, emotionale Prozesse in Menschen wahrzunehmen und zu lenken. Für das Verstehen der Komplexität menschlicher Interaktionen und ihrer psychischen Auswirkungen hat die Körperpsychotherapie traditionell weniger viel zu bieten. Da psychische Veränderungen vielfach als Folge energetischer und emotionaler Prozesse verstanden werden, heißt es: Free your ass, your mind will follow!
