körper tanz bewegung
9
2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2021
92
Der Sinn in der Berührung
41
2021
Ute Backmann
Roland Brückl
Das Tastsinnessystem ist eine Grundlage der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT), die diese Therapieform von ausschließlich verbal orientierten Psychotherapien unterscheidet. Die Auffassung der Notwendigkeit des Erlebens von Berührung findet ihre Begründung in neurophysiologischen, entwicklungspsychologischen, phänomenologischen und psychoanalytischen Theorien. Berührung und Körperkontakt wird in der KBT gezielt therapeutisch genutzt. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus schränken die Möglichkeiten von Kontakt und Berührung deutlich ein – mit subjektiven, gesellschaftlichen und therapeutischen Folgen. Die Ergebnisse einer Umfrage erläutern, unter welchen Bedingungen KBT im ambulanten und stationären Kontext zur Versorgung psychisch kranker Menschen aufrechterhalten werden kann.
9_009_2021_002_0062
Fachbeitrag 62 körper-- tanz-- bewegung 9. Jg., S. 62-72 (2021) DOI 10.2378/ ktb2021.art10d © Ernst Reinhardt Verlag Der Sinn in der Berührung Ein Statement für die Konzentrative Bewegungstherapie in Zeiten von Corona Ute Backmann und Roland Brückl Das Tastsinnessystem ist eine Grundlage der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT), die diese Therapieform von ausschließlich verbal orientierten Psychotherapien unterscheidet. Die Auffassung der Notwendigkeit des Erlebens von Berührung findet ihre Begründung in neurophysiologischen, entwicklungspsychologischen, phänomenologischen und psychoanalytischen Theorien. Berührung und Körperkontakt wird in der KBT gezielt therapeutisch genutzt. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus schränken die Möglichkeiten von Kontakt und Berührung deutlich ein-- mit subjektiven, gesellschaftlichen und therapeutischen Folgen. Die Ergebnisse einer Umfrage erläutern, unter welchen Bedingungen KBT im ambulanten und stationären Kontext zur Versorgung psychisch kranker Menschen aufrechterhalten werden kann. Schlüsselbegriffe Konzentrative Bewegungstherapie, Tastsinnessystem, Berührung, Körperkontakt, Haut, Selbstkonstrukte The Sense in Touch. A Statement for Concentrative Movement Therapy in Times of Corona The tactile sense system is a basis of Concentrative Movement Therapy (CMT), which distinguishes this form of therapy from exclusively verbally oriented psychotherapy. The notion of the necessity of experiencing touch is based on neurophysiological, developmental, phenomenological and psychoanalytical theories. Purposeful touch and body contact are used therapeutically in CMT. The measures taken to contain the corona virus significantly limit the possibilities of contact and touch, with subjective, social and therapeutic consequences. The results of a survey explain under which conditions CMT can be maintained in outpatient and inpatient contexts for the care of the mentally ill. Key words Concentrative Movement Therapy, tactile system, touch, body contact, skin, self-constructs KBT in Zeiten von Corona 2 | 2021 63 Das Tastsinnessystem als Grundlage der KBT Neurophysiologische, phänomenologische, entwicklungspsychologische und analytische Überlegungen „Die lebenserhaltende und biologische Kraft des nach innen und außen gerichteten Tastsinnessystems beginnt beim Embryo und begleitet unser gesamtes Leben. Jede Berührung unseres Körpers wird biologisch und psychologisch verwertet, ohne dass wir uns zwingend dessen bewusst sind.“ (Grunwald 2017, 10) Körperliches Wachstum und psychische Stabilität sind ebenso abhängig von ausreichender Körperberührung wie das Zusammensein in Liebes- und Lebenspartnerschaften. Das Tastsinnessystem ist wohl das früheste, größte und einflussreichste Sinnessystem, über das wir Menschen verfügen. Der phylogenetische (stammesgeschichtliche) Ursprung unserer Tastsinnesfähigkeit konfrontiert uns mit der Frage, ob menschliches oder jegliche Form von Leben überhaupt denkbar ist ohne das Vorhandensein eines differenzierten Tastsinnessystems (Grunwald 2017). Ontogenetisch (individualgeschichtlich) ist menschliche Existenz an körperliche Interaktion gebunden. Das Tastsinnessystem ist bereits in der frühen embryonalen Phase und damit vor allen anderen Sinnessystemen ausgereift. Mit zunehmendem Reifungsalter kann der Fötus seine auf den eigenen Körper gerichteten Bewegungsaktivitäten mit hoher sensorischer und motorischer Kontrolle ausführen. Er lernt den eigenen Körper und damit sich selbst wahrzunehmen und zu erkunden. Durch Bewegungsaktivität und Tastsinnesereignisse entwickelt sich ein neuronales Konzept seiner Körperlichkeit. Durch die sensorischen Informationen des Tastsinnessystems geschieht die neuronale Vernetzung des Körperschemas und damit die früheste Etablierung eines Ich-Bewusstseins (Grunwald 2017). Das körperliche Selbst ist das innere Abbild der körperlichen Grundstruktur. Das Spüren der einwirkenden Widerstände der uteralen Umgebung hinterlässt eine ursprüngliche sensorische Erfahrung, die als erstes inneres Konzept von Nähe bezeichnet werden kann. „Im Berühren erfahren wir ebenso das Andere wie uns selbst. Der Tastsinn ist bipolar gerichtet: Wir spüren etwas an unserem Leib oder wir tasten eine fremde Oberfläche ab; nur die Richtung der Aufmerksamkeit bestimmt, ob das Tasten den eigenen Zustand oder den fremden Gegenstand vermittelt. So erzeugt der Tastsinn die erste Grenze: die Sondierung von Leib und Nicht-Leib, Selbst und Nicht- Selbst. Berühren bedeutet auch Nicht-Durchdringen und Widerstand, der den Leib auf sich selbst zurückwirft. Der Tastsinn erweist die reflexive Struktur der Leiblichkeit, die dadurch zur Grundlage des Selbstbewusstseins wird.“ (Fuchs 2000, 109 f ) Die körperliche Berührung eines anderen Menschen bedeutet eine leibliche Kommunikation, die das Selbst vom anderen trennt. „Vom Anderen berührt zu werden heißt daher in einer elementaren Weise von ihm erkannt zu sein und sich selbst zu erkennen. Im Kontakt mit dem Anderen werden wir einander nicht nur im körperlichen, sondern im personalen Sinn wirklich.“ (Fuchs 2000, 114) Doch nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch die Entwicklung der Intelligenz ist vom Tastsinn abhängig. Die Gestaltkreislehre (von Weizsäcker 1986) beschreibt den kinästhetischen Gestaltkreis, in dem sich sensomotorische Intelligenz (Piaget 1992) in Form von Bewegung und Wahrnehmung entwickelt. Aus dieser Vorstufe erwächst das begriffliche Denken und Sprechen, das ebenfalls in wechselseitigen Prozessen miteinander verbunden ist. Beide Kreise zusammen bilden den Gestaltkreis des „Be-Greifens“. Demzufolge hat das intellektuelle Verstehen- - das Begreifen, die Begriffsbildung-- ihre Grundlage im Tastsinn, in der Haptik. Den Händen kommt in diesem 64 2 | 2021 Backmann, Brückl Prozess eine besondere Bedeutung zu. Durch die verschiedenen Qualitäten der Berührung und des Begreifens wird die dreidimensionale Welt erfasst. Dieses gilt sowohl für unbelebte als auch für belebte Objekte. Hautkontakt Die Säuglingsforschung hat sich mit der Entwicklung des Selbstempfindens befasst, das sehr von der einfühlsamen Annahme der pflegenden Bezugspersonen abhängig ist (Stern 1992). Berührung ist ein unmittelbarer Sinneseindruck, der sowohl Zuneigung und Intimität als auch Verletzung und Grenzüberschreitung beinhalten kann. Aktive und passive Berührungserfahrungen werden über die Haut wahrgenommen. Die Haut ist das größte Organ des Menschen und enthält eine sehr hohe Anzahl von tastsensiblen Rezeptoren. Jeder dieser Rezeptoren ist beständig in einem Zustand der Grundaktivität und erhält gleichzeitig ein Ruhepotential. Die Ruheaktivität ermöglicht, dass Berührungsreize an der Haut sofort und nicht erst verzögert wahrnehmbar sind (Grunwald 2017; Anzieu 1991). Die Haut ist gleichzeitig eine organische und eine imaginäre Gegebenheit. Sie ist Schutzvorrichtung unserer Individualität sowie erstes Instrument und Ort des Austausches mit dem Anderen. Didier Anzieu (1991) entwickelte den Begriff des „Haut-Ich“ und beschrieb damit analog der embryologischen Entwicklung die Haut mit der Entwicklung von psychischen Hüllen in ihren Strukturen, Einschreibungen und Pathologien. Diese psychoanalytische Theorie unterscheidet sich grundsätzlich von der psychophysiologischen Theorie durch die Annahme der Existenz und ständiger Wirksamkeit individueller bewusster, un- oder vorbewusster Phantasien und der Rolle dieser Phantasien zwischen Psyche einerseits und Körper, Außenwelt und anderen Individuen andererseits. Das Haut-Ich ist eine vermittelnde Struktur, chronologisch gesehen in der Beziehung zwischen Mutter und Säugling, strukturell betrachtet im Prozess der Differenzierung der psychischen Instanzen, ausgehend von der primären Verschmelzung. „Schon vor der Geburt wird dem kleinen Menschen über Hautempfindungen eine reiche, vielgestaltige, wenn zunächst auch noch indifferente Welt eröffnet. Diese Hautempfindungen regen sein Wahrnehmungs- und Bewusstseinssystem an, bilden den Hintergrund für ein umfassendes, aber vorübergehendes Existenzgefühl und ermöglichen die Schaffung eines ersten psychischen Raumes.“ (Anzieu 1991, 25) In Struktur und Funktion ist die Haut mehr als ein Organ, sie ist vielmehr die Summe verschiedener Organe. Ihre anatomische und physiologische Vielgestaltigkeit auf der Körperebene entspricht einer ebensolchen Differenziertheit im psychischen Bereich. Im Gegensatz zu allen anderen Sinnesorganen ist sie lebensnotwendig. Montagu (1990) beschreibt frühe und spätere Auswirkungen von taktilen Reizen auf Funktion und Entwicklung des Organismus. Berührung und Streicheln regen neue Aktivitäten an, wie die Atmung, die immunologische Abwehr, die Wachsamkeit, später das Gemeinschaftsgefühl, das Vertrauen und das Sicherheitsgefühl. Die Berührung in der KBT In der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) wird die physische Berührung des Leibes mit dem psychischen Berührt-Sein gekoppelt. „Je nach Störungsgrad sind Menschen aufgrund ihrer Lebensgeschichte unberührbar geworden, sie fühlen sich bei jeder Berührung angegriffen oder sie werden ständig berührt vom eigenen körperlichen oder seelischen Schmerz. Der heilsame Kontakt zum eigenen Körper, zu den Dingen, Menschen, zur Außenwelt ist unterbrochen. In der KBT setzen wir unterschiedliche Formen der Berührung ein, um diesen Zugang wieder zu ermöglichen oder zu erweitern.“ (Schwarze 2016, 114) KBT in Zeiten von Corona 2 | 2021 65 Das Tastsinnessystem hat- - anders als in den verbalen Therapien- - in der KBT eine grundlegende Bedeutung (Schreiber-Willnow 2016). Über das Tasten und Begreifen im aktiven und passiven Sinne werden Erfahrungen, die im impliziten Gedächtnis gespeichert sind, re-aktiviert (Fuchs 2020). Damit werden frühe (außer- und vorsprachliche) Phasen der biographischen Entwicklung erreicht. Berührung eines unbelebten Objektes Die Berührung eines unbelebten Objektes erlaubt den PatientInnen den handelnden Zugriff auf die Welt. Berührung beinhaltet Formen der Nachreifung versäumter Entwicklungsstufen. Menschen können die verschiedenen Qualitäten ihrer Hände entdecken; sie können be-greifen, er-tasten, zu-packen, sinnlich fein fühlen und streicheln. Ein Gegenstand ermöglicht den Dialog mit der Hand, denn jeder Gegenstand sagt etwas über die eigenen Hände aus, über die physikalische Beschaffenheit und über die Vorlieben. Die taktil erfassbare Qualität von Gegenständen kann unmittelbar Erinnerungen auslösen. Das Stück Stoff: „Es fühlt sich an wie das Lieblingskleid meiner Oma-- das ist lange her, ich war noch ganz klein, als meine Oma verstarb-- ich habe lange nicht mehr an sie gedacht.“ Themen wie (Auf )nehmen, In-den-Händen- Halten und Loslassen werden erfahren. Diese sind unmittelbar mit intrapsychischen Erfahrungen verbunden. Durch die Berührung eines Gegenstandes können auch interaktionelle Themen erfasst werden, wenn z. B. ein Seil zwei Menschen miteinander verbindet. Über das Seil in den Händen können Selbst- und Fremdwahrnehmung gefördert sowie das subjektive Bindungsverhalten und die Gestaltung von Beziehung des Gegenübers erlebt werden. Schließlich können neue Formen und eine Regulierung ansatzweise erprobt werden. Die Berührung ist heilsam, wenn Menschen mit sich selbst sinnlich und liebevoll in Kontakt kommen. Die KBT bietet Möglichkeiten, den gesamten Leib über einen Gegenstand in Ruhe und Bewegung zu entdecken, auf die je subjektive Art mit sich zu sein und zu üben. Der Körper kann z. B. mit einem Stab in seiner Struktur wahrgenommen werden, Festes und Weiches entdeckt und Kraft selbst dosiert werden. Dieses geschieht auch mit so ungewöhnlichen Angeboten wie dem Liegen auf dem Stab. Selbstberührung Über die Berührung durch einen Gegenstand und darüber hinaus kann ein nächster Schritt die Selbstberührung durch die Hand sein. Das unmittelbare Berühren einzelner Körperteile oder Körperpartien ermöglicht die Entdeckung und Selbstbemächtigung des eigenen Körpers. Die Körperlandschaft wird besser verstanden. Ausgehend von den Körperteilen oder Partien, die schon berührt werden können, kann eine Ausweitung auf den gesamten Körper geschehen. Wenn dies gelingt, wird oft ein intensives Selbstwerterleben sichtbar. Wenn die Hand auf einer Stelle des Körpers zur Ruhe kommt, kann ein Dialog mit dieser Körperstelle oder dem darunterliegenden Organ initiiert werden. Das ist insbesondere für PatientInnen mit chronischem Schmerz wesentlich. In diesem Angebot erleben sie die Verbindung zwischen körperlichem und seelischem Schmerz. Es gilt, den Schmerz zu verstehen, anstatt ihn zu bekämpfen, sich den Körperstellen liebevoll zuwenden, die durch den Schmerz sowieso schon beeinträchtigt sind. Diese Erfahrungen der Selbstberührung gehen unter die Haut und berühren den Menschen in den tieferen Organschichten. Therapeutische Berührung Die therapeutische Berührung wirft von je her ethische Fragen auf. In der Konzentrativen Bewegungstherapie ist sie Bestandteil des Weiterbildungscurriculums. Der / die TherapeutIn muss sich stets bewusst sein, dass durch die Berührung nicht eigene Bedürfnisse nach Kontakt befriedigt werden, und muss gleichzeitig 66 2 | 2021 Backmann, Brückl den eigenen Körper als Resonanzraum für (Gegen-)Übertragung beachten. Das Erleben von direkter therapeutisch-körperlicher Berührung kann bei den PatientInnen ein unmittelbares Empfinden von stärkendem Gehalten-, Getragen- und Gestützt-Werden auslösen. Die therapeutische prozessbegleitende affektive Berührung kann frühe neurophysiologische und damit gleichzeitig psychische Wachstumsprozesse anstoßen. Die angemessene körperliche Erfahrung bildet die Grundlage menschlicher Entwicklung (Grunwald 2017). Das ist besonders in der psychosomatischen Medizin wichtig, z. B. bei Symptomen wie körperliche Dissoziationen, selbstverletzendes Verhalten und Essstörungen. Viele PatientInnen lehnen ihren Körper ab. Die Erfahrung der körperlichen Zuwendung durch eine / n TherapeutIn hilft, das Muster aufzulösen und sanft zu einer liebevollen Besetzung des eigenen Körpers zu kommen. Das Virus als Angriff auf das subjektive Selbst und den gesellschaftlichen Körper Das Corona-Virus stellt eine ernsthafte weltweit bedrohliche gesundheitliche Situation dar, die mit unterschiedlichen Maßnahmen und Entscheidungen bekämpft wird. Das mit dem Corona-Virus verbundene Berührungsverbot als eine Folgeerscheinung der Abstandsregeln beeinträchtigt Menschen in ihrem Selbstempfinden und im gesellschaftlichen Umgang miteinander. Die persönlichen Bedürfnisse werden mit denen der kollektiven Verantwortung abgewogen und in einem beständigen Prozess angepasst. Das Selbstempfinden verliert bei vielen Menschen in diesem fluiden Prozess seine Konstanz. Unsicherheiten, Ängste und psychische Erkrankungen nehmen zu (BPtK 2020). Das Konstrukt des „Selbst“ umfasst körperliche, psychische und soziale Persönlichkeitsaspekte, die durch kulturelle und historische Bedingungen geformt werden. Das Selbstempfinden ist dualer Natur. Es ist sowohl subjektiv durch die Eigenwahrnehmung und Selbstberührung bestimmt als auch Objekt, das durch andere wahrgenommen und berührt wird. Aber immer ist der Körper das Fundament des bewussten Selbst (Damasio 2013). Das Ideal der westlichen Kultur ist eine abgegrenzte, konsistente, eigenständige Persönlichkeit, die unverwechselbar bleibt. Selbstverwirklichung und Selbstbestimmtheit sind hoch geschätzt. Affekte und Bewusstsein sind Grundlage der kreativen Intelligenz, die für die tatsächliche kulturelle Praxis verantwortlich ist (Damasio 2017). Soziale Distanzierung und Berührungseinschränkungen In Zeiten von Corona hat das Abstandhalten oberste Priorität. Umarmungen, Berührungen und Händeschütteln gilt es zu vermeiden. Gegenstände sollen nicht weitergegeben werden, Hände und Gegenstände sollen beständig gewaschen oder desinfiziert werden. Damit wird eine überall lauernde Gefahr impliziert. „In der Coronakrise verliert der Körperkontakt sowohl in sozialen als auch in therapeutischen Beziehungen die elementare Funktion der Selbstvergewisserung, von Sicherheit und gemeinsamer existentieller Problembewältigung. Er wird zur tödlichen Ansteckungsgefahr.“ (Leuzinger- Bohleber 2020) Dieses ist aus Sicht der Virologen eine verständliche Forderung. Gleichzeitig unterstützt es neben den subjektiven psychischen Erkrankungen wie soziale Phobie, Zwangsrituale, Ängste und Depressionen, das Konstrukt einer berührungslosen Gesellschaft (von Thadden 2018). Zudem führt das Virus auch zu Sehnsüchten von Geborgenheit und Heimat. Aus psychoanalytischer Sicht sind die Körpererinnerungen mit der archaischen unbewussten Phantasiewelt verbunden und werden in individuellen und gesellschaftlichen Krisen aktualisiert (Leuzinger-Bohleber 2020). Aus soziologisch-historischer Sicht stellt der Umgang mit dem Körper in kollektiver Form schon KBT in Zeiten von Corona 2 | 2021 67 immer eine Verbindung zur Nationalität her (Lorenz 2000). Die Vorstellungen vom körperlichen Mensch-Sein steuern das Zusammenleben und definieren Freiheiten und Grenzen. Die Körpervorstellung vom Menschen als Virusinfiziertes Objekt verändert juristische Normen und schafft Grundlagen für nationale Gesetzesänderungen. So ist durch das Corona- Virus nicht nur der subjektive, sondern auch der gesellschaftliche Körper durch Einschränkungen in den zwischenleiblichen Begegnungen geschwächt. Der Psychoanalytiker Joachim Küchenhoff beschreibt eindrücklich, wie die Coronakrise zur Krise der symbolischen Ordnung des normalen Lebens wird, das Reale durch die Ordnung des Symbolischen nicht mehr aufgefangen werden kann und somit dem prekären Unheimlichen imaginativen Platz einräumt (Küchenhoff 2020). Unser subjektives freiheitliches Selbst ist auch insofern bedroht, als wir plötzlich alle angehalten sind zu definieren, mit wem wir in häuslicher Gemeinschaft leben und im Verwandtschaftsverhältnis stehen, um so Kontakt zu legitimieren. Es stellt sich nicht mehr die Frage, wem wir uns subjektiv verbunden fühlen und deshalb Kontakt haben möchten. Niemand kann ohne Berührung und ohne Tastsinn leben (Grunwald 2017). Die Tatsache, dass unsere taktilen Wahrnehmungen derart eingeschränkt werden, dass der grundlegendste aller Sinne plötzlich mit tiefer Verunsicherung und Angst gleichgesetzt wird, wird vermutlich nicht ohne Folgen für unser subjektives und kollektives Bewusstsein bleiben. Sobald wir beginnen zu reflektieren, dass die selbstverständliche Berührung belebter und unbelebter Objekte potentiell gefährlich ist, werden wir uns zurückziehen aus der Welt. Für viele Menschen ist es in der Corona-Krise bereits jetzt eine große Herausforderung, dem körperlichen „In-der-Welt-Sein“ zu vertrauen. Die subjektiven und gesellschaftlichen Auswirkungen der Berührungslosigkeit werden uns in der KBT nachhaltig beschäftigen. Zum einen, weil unser methodisches Vorgehen, das zu einem erheblichen Teil Aspekte der Berührung einschließt, modifiziert werden muss. Zum anderen, weil wir Menschen als ganzheitliche soziale und körperliche Wesen begreifen und Zwischenleiblichkeit, Begegnung und Berührung als lebensnotwendig erachten. Zwar kann der Körper untersucht werden, um festzustellen, ob das Virus diesen bewohnt- - nicht jedoch das subjektiv gewordene leibliche Empfinden. „Das Ich ist vor allem ein körperliches.“ (Freud 1905) Diese Aussage bezieht sich nicht auf die rein funktionale anatomische Struktur unseres menschlichen Körpers, sondern auch auf die dazugehörigen subjektiven und taktilen Empfindungen und die damit verbundenen biographischen Erfahrungen. Aus körperpsychotherapeutischer Sicht ist es ein hoher Preis, den jede/ r Einzelne und unsere Gesellschaft gesamthaft zu zahlen hat. Das Tastsinnessystem ist das Unmittelbarste und damit leitend für unser vorsprachliches Selbstverständnis und unser implizites Gedächtnis. Die Art, wie wir Beziehungen gestalten, lässt sich dort finden und verstehen. Die Bedeutung der Hände in der (therapeutischen) Beziehung In den Körperpsychotherapien können nun bestimmte Erfahrungen nicht mehr gemacht werden. Nähe- und Distanzerleben kann nicht mehr subjektiv reguliert werden, es wird durch eine gesellschaftliche Vorgabe definiert. Über die Hände lassen sich in den KBT-Angeboten generell alle Lebens- und Beziehungsthemen generieren. Das Tasten und Begreifen, das sinnliche Berühren oder das kräftige Zupacken, findet immer einen Übertrag ins Selbsterleben. Eltern nehmen ihre Kinder an die Hand, und Liebespaare halten sich an den Händen. Einem Menschen die Hand zu geben, war bisher eine gesellschaftlich legitimierte Form des Körperkontaktes, eine (Haut)-Berührung. In der Art und Weise, wie Menschen einander die Hand reichen, wird die Beziehung und Begegnung 68 2 | 2021 Backmann, Brückl erkannt-- manchmal im Bruchteil einer Sekunde. Wie sinnlich oder formal es auch immer ist-- wenn im therapeutischen Kontext Zeit ist für diese Form des Körperkontaktes, so entdecken PatientInnen darin ihre leibliche Geschichte und die ihrer Beziehungsgestaltungen-- vom Geben und Nehmen und sich Überlassen; von Aktivität und Passivität; von Solidarität und Zuversicht; von Halten und Gehalten-Sein; von Sehnsucht, Wunsch und Phantasie-…-auch extrem gewalttätige und übergriffige Themen, wie das Schlagen und Festgehalten-Werden, sind mit den Händen verbunden und im körperpsychotherapeutischen Prozess erinnerbar. Wohin gerät eine Gesellschaft, wenn Menschen nicht mehr- - oder nur eingeschränkt und desinfiziert- - im körperlichen Austausch sind? Bereits Kinder sind in ihrer vorschulischen Entwicklung angehalten, den natürlichen Bewegungs- und Berührungsdrang einzuschränken (Spitzer 2020). Die „Un-berührbarkeit“-- im doppelten Sinn des aktiven und passiven körperlichen Seins und des psychisch-emotionalen Rückzugs- - fordert unsere nachhaltige Aufmerksamkeit in der Konzentrativen Bewegungstherapie. Wie „un-begreiflich“ wird uns unserer Welt? „KBT in Zeiten von Corona“: Ein Projekt für die Mitglieder des Deutschen Arbeitskreises für Konzentrative Bewegungstherapie (DAKBT)-- Erste Ergebnisse Im Auftrag des DAKBT-Vorstands wurde von den AutorInnen Anfang April 2020 das Projekt „KBT in Zeiten von Corona“ initiiert. Dabei leiteten uns vor allem Fragen zu allgemeinen Arbeitsveränderungen in den klinischen und ambulanten Kontexten, subjektive Veränderungen und Belastungen, aber auch kreative Ideen, die KBT aufrecht zu erhalten oder sogar zu intensivieren. Bei der Befragung handelte es sich um eine DAKBT-interne qualitative Befragung unter drei Aspekten. Sie gibt einen guten Überblick über das unterschiedliche Vorgehen in Kliniken zu Beginn des ersten Lockdowns und über die geforderten Anpassungsleistungen, die die KollegInnen in den Kliniken erbringen mussten. Das Projekt war immer als Projekt für die Mitglieder des DAKBT während der Corona-Pandemie gedacht, es hatte nie den Anspruch einer wissenschaftlichen Studie. Die 400 Mitglieder des DAKBT wurden Anfang April 2020 in einem Brief per Email und auf der Homepage des Vereins auf das Projekt aufmerksam gemacht. In diesem Brief wurden drei Leitfragen gestellt zu den Veränderungen der Arbeitsbedingungen in Klinik, Praxis und Weiterbildung, zu den Veränderungen der KBT-Arbeit mit PatientInnen sowie zur konkreten Beschreibung dieser Veränderungen. Uns waren möglichst niedrigschwellige Vorgaben wichtig, um viele Mitglieder für die Teilnahme an dem Projekt zu gewinnen. Während einer Laufzeit von fünf Wochen erreichten uns 21 Rückmeldungen, die wir in einem Fließtext zusammengefasst haben, der von einer Kollegin der KBT-Forschungsgruppe geprüft wurde. Das Projekt wurden von den KollegInnen sehr begrüßt und als emotionale Entlastung erlebt. Wir haben zum Teil sehr persönliche Rückmeldungen erhalten, in denen Befürchtungen über die eigene Gesundheit oder die nahestehender Menschen geäußert wurden, aber auch über die Zukunft der Klinik oder der eigenen Praxis. Trotz zwei weiterer Aufrufe gingen ab Mitte Mai 2020 (also mit Beendigung des ersten Lockdowns) keine weiteren Rückmeldungen ein. Was sich in der stationären Arbeit verändert hat 16 der 21 Rückmeldungen kamen von KollegInnen, die in psychosomatisch / psychotherapeutischen und psychiatrischen Kliniken im stationären oder tagesklinischen Setting arbeiten. Sehr eindrucksvoll ist, wie unterschiedlich in den Kliniken auf die Corona-Pandemie reagiert KBT in Zeiten von Corona 2 | 2021 69 wurde: Manche Kliniken haben ihre psychosomatischen / psychotherapeutischen / psychiatrischen Stationen geschlossen, um Betten für an Covid-19 erkrankte PatientInnen vorzuhalten, oder haben PatientInnen, die zu vulnerablen Gruppen gehören, entlassen oder nicht mehr aufgenommen. Die Information der Klinikleitungen darüber wurde nicht immer als strukturiert und transparent wahrgenommen, zum Teil als sehr direktiv. Dies wird in den Rückmeldungen als sehr belastend erlebt, umgekehrt aber auch als unterstützend und motivierend, wenn die Kommunikation zeitnah und die Maßnahmen nachvollziehbar sind. In einem Teil der Kliniken fanden die Team-Sitzungen und Kontakte vor allem per Telefon oder Video statt, in anderen Kliniken versuchte man, die Team-Besprechungen im persönlichen Austausch durchzuführen, auch dies wird von den KollegInnen als äußerst wichtig erlebt. Interessant ist auch der unterschiedliche Umgang mit Hygienevorschriften in Bezug auf die Verwendung unserer KBT-Gegenstände. In manchen Einrichtungen genügt die Desinfektion der Hände vor und nach der Stunde, in anderen Einrichtungen müssen die Gegenstände vor und nach der Benutzung desinfiziert oder dürfen nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden. Zu Beginn der Pandemie schienen alle Kliniken mit reduzierter PatientInnen-Belegung zu fahren, daher waren die Gruppen deutlich kleiner, was von den KollegInnen meist als sehr positiv erlebt wurde. Es gab aber Stimmen, die zu kleine Gruppen (weniger als sechs TeilnehmerInnen) für problematisch hielten, da wichtige gruppendynamische Prozesse nicht mehr in Gang kamen und auch das Lernen am Modell litt. Zum Teil wurden mit kleineren Gruppen auch die Gruppenzeiten verkürzt. In manchen Kliniken wurden die Gruppentherapien eingestellt, und die PatientInnen bekamen KBT-Einzeltherapie. Dies wird auch als Chance gesehen, im klinischen Rahmen wieder mehr KBT-Einzeltherapien zu etablieren. Auch das Tragen von Schutzmasken wird in den Kliniken nach wie vor sehr unterschiedlich gehandhabt. In einem Teil der Kliniken werden Abstand, Hygiene, Atemschutz (durch häufiges Lüften und mit Schutzmaske, wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann) als ausreichend erachtet, in anderen Kliniken müssen PatientInnen und TherapeutInnen in Gruppen und Einzeltherapien generell Schutzmasken tragen (welche Schutzmasken dies genau sind, wird nicht ausgeführt). Die Maskenpflicht wird von allen KollegInnen als unangenehm empfunden, da das Atmen eingeschränkt ist und wichtige mimische Informationen fehlen. Eine Kollegin berichtet von einem kreativen Umgang auf einer Station für Kinder und Jugendliche. Diese haben ihre Masken bemalt (das ist hygienisch betrachtet natürlich nicht sinnvoll), und so entsteht eine neue Information über die Person. Die Kollegin überlegt, künftig Masken in ihr KBT-Repertoire aufzunehmen. Der Umgang mit dem Abstandsgebot Alle KollegInnen erleben sich beeinträchtigt durch das Abstandsgebot und das Fehlen von Angeboten oder therapeutischem Handeln mit Berührung. Auch die PatientInnen nehmen das wahr, auch ihnen fehlt die KBT, die sie kennen, mit den Erfahrungen von Nähe und Berührung, der spontane Zugriff auf Gegenstände, das spontane und manchmal wilde Ausprobieren. Es wird beschrieben, dass die PatientInnen sehr froh sind, in der Klinik an einem sicheren Ort mit gesicherten Kontakten (u. U. mehr als in der häuslichen Situation unter Corona-Bedingungen) zu sein, und auch sehr dankbar über die Therapieangebote unter deutlich erschwerten Bedingungen sind. Natürlich fehlt auch den PatientInnen die spontane Nähe zu den MitpatientInnen. Eine Kollegin beschreibt jedoch, dass durch das gemeinsame Erleben der Corona-Pandemie und ihrer Folgen auch eine neue Nähe mit den PatientInnen entstanden sei, da ja alle- - PatientInnen wie TherapeutInnen-- betroffen sind. 70 2 | 2021 Backmann, Brückl Was sich in der ambulanten Praxis verändert hat Der größere Teil der Rückmeldungen kommt von KollegInnen, die in Kliniken arbeiten, einige davon arbeiten auch in eigener Praxis. Der kleinere Teil stammt von KollegInnen, die ausschließlich in der Praxis arbeiten. Hier zeigt sich ein Unterschied im Erleben der ambulanten PatientInnen und KlientInnen: Die persönliche Bedrohung durch das Corona-Virus und der Level von Angst und Anspannung der ambulanten PatientInnen wird deutlich höher erlebt als bei den PatientInnen in der Klinik. Die KollegInnen in den ambulanten Praxen waren zu Beginn der Corona-Pandemie von vielen Absagen betroffen und betreuten ihre PatientInnen und KlientInnen telefonisch und auch per Video, allerdings hat sich dies später verändert, und die Therapien finden wieder mehr in den Praxen statt. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich die Lage dort entwickelt, vor allem in Hinblick auf neue Anmeldungen. Die Kontakte per Telefon oder Video werden insgesamt als anstrengend erlebt, aber auch als hilfreich zur Überbrückung. Die KollegInnen in den ambulanten Praxen halten sich sehr genau an die Vorschriften bezüglich Abstand-- Hygiene-- Atemschutz und tragen zum Teil Schutzmasken. Eine Kollegin fasst die Veränderung der Arbeitsbedingungen kurz und treffend zusammen: „Alles aufwändiger, mehr planen, mehr putzen.“ Es ist sehr beeindruckend, wie die KollegInnen sich auf die für uns alle neue Situation eingestellt haben. Einige berichten, dass sich die PatientInnen in den Gruppen im Stuhlkreis problemlos an die Abstandsregel halten, aber der verbale Austausch zu Beginn länger dauert. Und auch wenn nicht über Corona gesprochen wird, steht das Thema Corona stets im Raum. Durch die kleineren Gruppen ist mehr Raum für die einzelnen TeilnehmerInnen. Insgesamt hat sich der Fokus in den Gruppen von der Gruppendynamik auf das Erleben des Einzelnen verlagert. Allerdings werden auch Angebote in Zweiergruppen mit Stab und Seil als Medium beschrieben, mit denen der Abstand eingehalten werden kann. Eine Kollegin beschreibt, dass sie die Arbeit mit einem großen Schwungtuch wiederentdeckt habe und so eine Gruppenaktivität in Gang bringen könne, bei der sich auch die Dynamik in der Gruppe entfalten könne. Mehrere KollegInnen berichten, dass sie wieder häufiger Gruppenangebote in der Natur machen würden, wobei besonders die Sinneswahrnehmung angesprochen würde. Der Therapiefokus wandelt sich Insgesamt fällt auf, dass fast alle KollegInnen mehr ressourcenorientierte und ich-stärkende Angebote machen, was in Krisenzeiten natürlich auch passend ist. Dazu gehört auch eine deutlich stärkere Strukturierung der KBT-Stunden und Angebote, um Halt und Sicherheit zu vermitteln. Eine Kollegin beschreibt, wie sie in einer Einzeltherapie ihrer Klientin Halt über eine lange Stoffbahn spürbar macht. Die Klientin hat dabei die Stoffbahn im Rücken, die Therapeutin hält diese mit ihren Händen an den Enden. Neben dem Thema Halt und Sicherheit wird von vielen KollegInnen die Arbeit an den Grenzen erwähnt, an den eigenen Körpergrenzen wie an den Grenzen zu anderen und auch daran, wann die Grenze erreicht ist, wie viele Informationen und Gespräche über die Corona- Pandemie verkraftet werden können. Mehrere KollegInnen betonen die Wichtigkeit von Gegenständen, die ganz real eingesetzt werden, vor allem zu einer intensiveren Körperwahrnehmung, wie auch als intermediäres Objekt, vor allem um mit dem gebotenen Abstand in Kontakt zum Gegenüber zu kommen, und natürlich auch auf der Symbolebene. Eine Kollegin schreibt, dass wohl unser Begriff von Nähe und Abstand neu definiert werden müsse, und das sollten wir sicher im Auge behalten. Es geht selbstverständlich immer wieder um die Regulation von Angst und Stress. Hier wird oft die Arbeit mit dem Atem KBT in Zeiten von Corona 2 | 2021 71 und mit der Selbstberührung genannt, um in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Das ist in der Tat spannend, da Covid-19 ja eine Lungenerkrankung ist und die Schutzmasken unseren Atem nicht gerade frei fließen lassen. Aber auch ein Ballspiel mit klaren Regeln wird als probates Mittel genannt, um Stress abzubauen, das „Grübelkarussell“ zu stoppen und spielerisch in Kontakt zu kommen. Unsere klassische strukturierte Körperarbeit mit der Wahrnehmung des Liegens, Sitzens, Gehens und Stehens (Heinrich Jacoby Elsa Gindler Stiftung 2015) erlebt eine Renaissance in Zeiten von Corona. Die Therapieformel von Helmuth Stolze, „dass es nur so nicht geht, jedoch durchaus anders“ (Stolze 1989, 467), scheinen die KBT-TherapeutInnen alle bestens verinnerlicht zu haben. Abschließende Bemerkungen Es ist wirklich höchst beeindruckend, mit welcher Kreativität und Wandlungsfähigkeit die KBT-KollegInnen ihre Arbeit an die Situation anpassen-- jede Stunde scheint neu erfunden zu werden! Und dennoch wird auch-- und das völlig zu Recht- - der Verlust von therapeutischen Möglichkeiten beklagt. Eine Kollegin schreibt: „Manchmal schaue ich mehr, was ich überhaupt anbieten kann, als danach, was jetzt prozesshaft passen würde.“ Mit diesem Artikel danken wir unseren KBT- KollegInnen, die sich in der nicht enden wollenden Ausnahmesituation geduldig den psychisch kranken Menschen zuwenden und die KBT im klinischen und ambulanten Kontext aufrechterhalten. Der Körper ist die Basis unseres Seins, die Körperwahrnehmungen geben uns Halt. Literatur Anzieu, D. (1991): Das Haut-Ich. 2. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt/ M. Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) (2020): Homepage. In: www.bptk.de, 17.8.2020 Damasio, A. (2017): Im Anfang war das Gefühl. Der biologische Ursprung menschlicher Kultur. Siedler Verlag, München Damasio, A. (2013): Selbst ist der Mensch. Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. 2. Aufl. Siedler Verlag, München Freud, S. (1905 / 1991): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Fischer Verlag, Frankfurt/ M. Fuchs, T. (2020): Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie. Suhrkamp, Berlin Fuchs, T. (2000): Leib-- Raum-- Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie. Klett-Cotta, Stuttgart Grunwald, M. (2017): Homo Hapticus. Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können. Droemer Verlag, München Heinrich Jacoby Elsa Gindler Stiftung (Hrsg.) (2015): Elsa Gindler-- von ihrem Leben und Wirken. „Wahrnehmen, was wir empfinden“. Heinrich Jacoby Elsa Gindler Stiftung, Berlin Küchenhoff, J. (2020): Die Coronakrise als Krise symbolischer Ordnungen und die Aufgabe der Psychoanalyse, das Sprechen zu wahren. Kurzbeitrag zum IPA / EPF-Webinar „Ein neues Unbehagen in der Kultur? Der Einzelne und die Gesellschaft in Zeiten von Covid-19“ vom 30.8.2020 Leuzinger-Bohleber, M. (2020): Embodied memories in der Pandemie. Einige klinische und psychoanalytische Anmerkungen. Kurzbeitrag zum IPA / EPF Webinar „Ein neues Unbehagen in der Kultur? Der Einzelne und die Gesellschaft in Zeiten von Covid-19“ vom 30.8.2020 Lorenz, M. (2000): Einführung in die Körpergeschichte. Edition diskord, Tübingen Montagu, A. (1990): Körperkontakt-- die Bedeutung der Haut für die Entwicklung des Menschen. 6. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart Piaget, J. (1992): Psychologie der Intelligenz, Klett-Cotta, Stuttgart Schreiber-Willnow, K. (2016): Konzentrative Bewegungstherapie. Ernst Reinhardt Verlag, München 72 2 | 2021 Backmann, Brückl Schwarze, R. (2016): Berührung. In: Schmidt, E. (Hrsg.): Konzentrative Bewegungstherapie. Grundlagen und störungsspezifische Anwendung. 2. Aufl. Schattauer, Stuttgart, 112-117 Spitzer, M. (2020): Pandemie-- Was die Krise mit uns macht und was wir aus ihr machen. MVG, München Stern, D. (1992): Die Lebenserfahrung des Säuglings. Klett-Cotta, Stuttgart Stolze, H. (1989): Über die Erweiterung des therapeutischen Raums durch Konzentrative Bewegungstherapie. In: Stolze, H. (Hrsg.): Die Konzentrative Bewegungstherapie-- Grundlagen und Erfahrungen. 2. Aufl. Springer Verlag, Berlin, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-662-08053-5 von Thadden, E. (2018): Die berührungslose Gesellschaft. C. H. Beck, München, https: / / doi.org/ 10.17104/ 9783406727832 von Weizsäcker, V. (1986): Der Gestaltkreis. Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen. 5.-Aufl. Thieme-Verlag, Stuttgart Ute Backmann Kulturwissenschaftlerin, Sozialarbeiterin, Lehrbeauftragte und Vorstand DAKBT, Psychotherapeutin (HeilprG), Traumatherapeutin, Supervisorin (DGSv), KBT-Therapeutin in der Klinik für Psychosomatische Medizin der Uni Heidelberg sowie in ambulanter Praxis. Roland Brückl Therapeut, Lehrbeauftragter und Supervisor im DAKBT e. V., Heilpraktiker für Psychotherapie, ECP, tätig als Bereichsleiter für KBT / IBT in der Sinova Schussental und als KBT-Therapeut in der Sinova Ravensburg sowie in freier Praxis und als Dozent. ✉ Ute Backmann Heinrichstraße 1 | D-64646 Heppenheim www.kbt-heppenheim.de backmann@kbt-heppenheim.de
