körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Nachruf zum Tod von Laura Sheleen
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Martina Peter-Bolaender
Mit dem Tod von Laura Sheleen (1925–2021) hat uns eine außergewöhnliche Pädagogin für Körper, Tanz und Bewegung verlassen. Sie war zugleich eine Pionierin der Körpertherapie (Moscovici 1989) und Begründerin einer ganz eigenen Methode, die auf Theatertechniken, Bewegung und Psychodrama basiert: Mythodrama. Ihre Erfahrungen mit diesem Weg beschreibt Laura in ihrem Buch „Maske und Individuation“ (Sheleen 1987). Ihre Tanzrituale und ihre Körperarbeit in Raum und Zeit wurden unter der Bezeichnung Expression/Impression Corporelle (Moscovici 1989, 187–214) bekannt. [...
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207 körper-- tanz-- bewegung 9. Jg., S. 207-208 (2021) DOI 10.2378/ ktb2021.art29d © Ernst Reinhardt Verlag Forum: Nachrufe Nachruf zum Tod von Laura Sheleen Martina Peter-Bolaender M it dem Tod von Laura Sheleen (1925- 2021) hat uns eine außergewöhnliche Pädagogin für Körper, Tanz und Bewegung verlassen. Sie war zugleich eine Pionierin der Körpertherapie (Moscovici 1989) und Begründerin einer ganz eigenen Methode, die auf Theatertechniken, Bewegung und Psychodrama basiert: Mythodrama. Ihre Erfahrungen mit diesem Weg beschreibt Laura in ihrem Buch „Maske und Individuation“ (Sheleen 1987). Ihre Tanzrituale und ihre Körperarbeit in Raum und Zeit wurden unter der Bezeichnung Expression / Impression Corporelle (Moscovici 1989, 187-214) bekannt. Laura Sheleen studierte zunächst in New York Tanz: bei Martha Graham, José Limon, Doris Humphrey und George Balanchine. 1954 erhielt sie als Auszeichnung den „American Theatre Wing“. Im folgenden Jahr ließ sie sich in Europa nieder und präsentierte ihre Methoden in Finnland, Schweden, England, Holland, Belgien, Deutschland, Italien, Frankreich, in der Schweiz und in der Tschechoslowakei. Nach Studien der Analytischen Psychologie nach C. G. Jung wurde sie Mitglied der „Société Francaise de Psychologie Analytique jungienne“. Sieben Jahre leitete sie zusammen mit Jacques Dropsy das „Theatre du Geste“, eine Theater-Schule in Paris, die 1972 wieder geschlossen wurde. Danach führte sie bewusst keine Schule mehr. Sie unterrichtete u. a. an Akademien wie dem Fritz Perls Institut, an Hochschulen und arbeitete mit freien Gruppen aus Deutschland, Italien, Belgien, aus der Schweiz und mit Gruppen jungianischer Ausrichtung, die sie regelmäßig zu Weiterbildungen einluden. Ihren Bewegungsraum bezeichnete sie als Atelier und Laboratorium, um zu beschreiben, dass künstlerische und theatralische Prozesse auf der „Bühne“ stattfinden und damit verbunden ein stetiger Rollenwechsel zwischen Aktion auf der Bühne und bewusster Zeugenschaft geschieht: „Sometimes we are the public witnessing the artist. At another moment we are the artist giving our body to the witness.“ (Sheleen 1994, 179) Laura selbst war im Zuschauerraum immer in tiefer Resonanz zum Bühnengeschehen und Abb. 1: Laura Sheleen 208 4 | 2021 Martina Peter-Bolaender erwartete dieses disziplinierte und aufmerksame Zuhören und Zuschauen von allen SchülerInnen. Nach dem „Paroli“ der Akteure, dem Versprachlichen der Aktionen und Erfahrungen, waren die ZuschauerInnen gefragt, ihre Beobachtungen und Resonanzen mitzuteilen. Laura interessierte sich für die Ontologie, die Philosophie des Seins. Als eine Antwort auf die ontologische Suche kann das Ritual des Sonnenlaufs betrachtet werden. In diesem Tanz „The Ring“ (in Deutsch oft als „Sonnenlauf“ und in französischer Sprache als „L’anneau“ bezeichnet) bewegen sich acht Personen in acht Rollen auf einer Kreisbahn, wobei alle acht Rollen gleichzeitig im Gesamtbild zu sehen sind. Durch den langsamen Bewegungsfluss kommen alle AkteurInnen nacheinander in alle acht Rollen. Jede Rolle hat eine bestimmte Haltung im Raum und eine zugehörige Funktion. „Their function is to give expression to the ontological quest with which we are all occupied: I will be: I am: I was: I have yet to be: I will no longer be.“ (Sheleen 1994 178) Jede Erfahrung, jede Reflexion und jede Erkenntnis fließt in den nächsten Tanz symbolbildend und strukturbildend mit ein, sodass sich ein sinnlich-leiblicher und geistig-spiritueller Entwicklungsprozess immer weiter fortsetzt. Der Kreislauf ist eine Analogie für den Tages- und Jahresablauf, aber auch für das Zyklische im Leben im Sinne von „Werden und Vergehen“, und er ist bewegender und bewegter Ausdruck für das Symbol des Selbst: „Most of the cosmological symbolism for the RING comes from Egyptian and Christian tradition.“ (Sheleen 1994, 178) Laura untersuchte Symbole aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen und machte sie zum Gegenstand choreografischer Studien. Über Jahre hinweg entwickelte sie mit ihren Gruppen Tanzrituale: eine choreografische Suche, eine Bewegungserforschung über Erprobung, Variationen, Improvisationen, Verdichtungen … bis archetypische Bilder entstehen konnten. Der Sufi-Tanz beruht beispielsweise auf der Meditation der Himmelsrichtungen des Sufi- Meisters Jabrane Mohamed Sebnat, die Laura choreografisch erweiterte und in Gruppen in 32 Orientierungen im Raum tanzen ließ. Sie gestaltete Klangschalen-Rituale (Anleihen aus dem Zen-Buddhismus), eine „Gnostic Ceremony“ (basierend auf der christlichen Ikonografie) und viele andere Choreografien, z. B. zum griechischen Labyrinth und zum chinesischen Yin-Yang-Zeichen des Taoismus. Es gelang Laura immer wieder neu, das Wesentliche aus den Weisheitstraditionen tänzerisch erfahrbar zu machen. Sie bezeichnete sich selbst als Atheistin, ihr war aber bewusst, wie sehr Mythen und Archetypen innere Realitäten des Menschen, im Sinne C. G. Jungs, beeinflussen. Sie verstand die Sehnsucht ihrer SchülerInnen nach transpersonalen Erfahrungen und Zugängen zur Rückbindung, sprich Re-ligio, zum Sakralen, welche in besonderer Weise über die Synchronisierung von Bewegungen und Gesten in der Gruppe auf der Bühne des gemeinsamen Tanzens erlebt werden können. Ihre SchülerInnen wenden die Methoden von Laura Sheleen bis heute im künstlerischen, (theater-)pädagogischen und in therapeutischen Kontexten an und entwickeln sie individuell weiter. So wird Laura im Körpergedächtnis und im Bewusstsein ihrer FreundInnen und SchülerInnen weiterleben. Literatur Moscovici, H. K. (1989): Vor Freude tanzen, vor Jammer halb in Stücke gehen. Pionierinnen der Körpertherapie. Luchterhand Verlag, Frankfurt/ M. Sheleen, L. (1994): The Ring. In: Nervenklinik Berlin-Spandau (Hrsg.): Sammlung der Beiträge zum 1. Internationalen Tanztherapiekongress. Nervenklinik Berlin-Spandau, Berlin, 178-181 Sheleen, L. (1987): Maske und Individuation. Junfermann, Paderborn
