eJournals körper tanz bewegung 10/3

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Aktuelle Studien

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Iris Bräuninger
Vorgestellt werden drei aktuelle Studien zur Wirksamkeit der Tanzbewegungstherapie. Die erste Studie untersucht den Effekt auf Körperbild und Alexithymie bei Menschen mit Essstörung, die zweite Studie vergleicht die Wirkung eines Recovery-Tanzbewegungstherapie-Programms mit einem Standard-Recovery-Programm für Menschen mit SMI, und die dritte Studie untersucht ihre Wirkung auf die Paarbeziehungen von Personen mit ASS.
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Aktuelles aus der Forschung 121 körper-- tanz-- bewegung 10. Jg., S. 121-123 (2022) DOI 10.2378/ ktb2022.art19d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelle Studien Iris Bräuninger V orgestellt werden drei aktuelle Studien zur Wirksamkeit der Tanzbewegungstherapie. Die erste Studie untersucht den Effekt auf Körperbild und Alexithymie bei Menschen mit Essstörung, die zweite Studie vergleicht die Wirkung eines Recovery-Tanzbewegungstherapie-Programms mit einem Standard-Recovery-Programm für Menschen mit SMI, und die dritte Studie untersucht ihre Wirkung auf die Paarbeziehungen von Personen mit ASS. Die Wirksamkeit von Tanzbewegungstherapie auf das Körperbild und auf Alexithymie bei Essstörung Körperbildstörung und Alexithymie werden bei Essstörung (ED) als Hauptaspekte angesehen, dennoch scheinen körperorientierte Techniken bislang nicht zur Standardbehandlung zu zählen. Savidaki, Demirtoka und Rodriguez-Jiménez (2020) führten deshalb einen Quasi-RCT mit 14 Patientinnen mit ED durch (Alter 14 bis 32, M = 20.28, SD = 5.91; BMI zwischen 14.03 und 24.69, M = 18.94, SD = 3.56). Ziel war die Überprüfung der Wirksamkeit von Tanzbewegungstherapie (DMT) auf Körperbild und Alexithymie: Sieben Patientinnen erhielten TAU und nahmen an 12 DMT-Sessions in 14 Wochen teil, fünf Kontrollpatientinnen erhielten lediglich TAU. Der Prä-, Post-Test-Vergleich mit dem Multidimensional Body Self Relations Questionnaire (MBSRQ) und der Toronto Alexithymia Skala (TAS-20) zeigte, dass sich einzelne Subskalen des MBSRQ in der DMT-Interventionsgruppe signifikant verbesserten (Body Areas Satisfaction, Effektgröße: 0.95; Appearance Evaluation, Effektgröße: 1.10) beziehungsweise verringerten (Appearance Orientation, Effektgröße: 1.30). Das Körperbild der Kontrollgruppe verbesserte sich im Vergleich nicht signifikant. Weder in der DMT-Gruppe noch in der Kontrollgruppe konnte eine Verbesserung der Alexithymie nachgewiesen werden. Die Teilnehmerinnen führten am Ende jeder Therapiestunde ein selbstreflektives Tagebuch über ihre Erlebnisse während des Prozesses. Die qualitative Inhaltsanalyse veranschaulichte, dass die Teilnehmerinnen die DMT-Interventionen als positiv erlebten und sie ihre Stimmung und Selbstwahrnehmung als verbessert empfanden. Tanzbewegungstherapie zur Bewältigung schwerer psychischer Erkrankungen im Erwachsenenalter: Eine kontrollierte Studie Bendel-Rozow (2021) vergleicht ein Recovery- Tanzbewegungstherapie-Programm (RODMT) mit einem herkömmlichen Illness-Management- Recovery-Programm (IMR). Die multizentrische Kontrollstudie wurde in gemeindenahen psychiatrischen Rehabilitationsprogrammen in Israel durchgeführt. Fünf Interventionsgruppen wurden mit vier aktiven Kontrollgruppen verglichen, wobei die Struktur und Inhalt der RODMT- 122 3 | 2022 Iris Bräuninger und IMR-Gruppen identisch waren. Alle TeilnehmerInnen (N = 98, 75 % Männer) nahmen an 13 Sitzungen teil. Alle neun Gruppen beschäftigten sich mit den drei Recovery-Themen Entwicklung sozialer Unterstützung, Entwicklung persönlicher Ziele und Stressbewältigung. Die häufigste Diagnose der TeilnehmerInnen mit Serious Mental Illness (SMI) war Schizophrenie (80 %). Die RODMT-Gruppen waren erfahrungsorientiert ausgerichtet und enthielten Bewegung, Musik, Zeichnen und ausdrucksstarke Aktivitäten. Die IMR-Gruppen setzten Module des IMR-Arbeitsbuches um. Die TeilnehmerInnen bewerteten in Prä- und Post-Tests ihre Wahrnehmung der persönlichen Genesung (IMR-Skala) und des persönlichen Engagements (Patient Activation Measure). Das klinische Personal erhob während der gesamten Intervention die Gruppeninhalte und das aus der Gruppe gewonnene Wissen anhand von Fragebögen. Die GruppenteilnehmerInnen waren in den demographischen Variablen vergleichbar, mit Ausnahme des Alters. Die Ergebnisse zeigten keine Unterschiede zwischen den RODMT- und den IMR- Gruppen in Bezug auf die Genesung, das Engagement und das gewonnene Wissen. Die Autorin folgerte daraus, dass sich das Recovery-Tanzbewegungstherapie-Programm für den Genesungsprozess von schwerer psychisch erkrankten TeilnehmerInnen als ebenbürtig zu dem herkömmlichen Illness-Management-Recovery-Programm erweist. Verbesserung der Paarbeziehungen von Personen mit ASS durch Tanzbewegungstherapie Shuper Engelhard und Vulcan (2021) präsentieren einen Überblick über die aktuelle Forschung zu DMT bei Erwachsenen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) und DMT mit Paaren. In ihrem Review stellen sie 14 Studien zu Tanzbewegungstherapie bei Erwachsenen mit ASS und zehn Studien zu Tanzbewegungstherapie mit Paaren vor. Der Überblick zeigt Studiendesigns, Studienziele, Stichproben, Interventionslängen, Interventionselemente, Evaluationsinstrumente, Ergebnisse und Fazit zu jeder Studie. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass DMT das Wohlbefinden und die Qualität des täglichen Lebens von Erwachsenen mit ASS verbessern und die Fähigkeit, Körperempfindungen zu erkennen und auszudrücken und sie mit Emotionen in Verbindung zu bringen, steigern kann. Die Autorinnen folgern daraus, dass diese Verbesserungen den Erwachsenen mit ASS helfen können, intime und sexuelle Beziehungen einzugehen, Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren und sich von anderen angenommen zu fühlen. Ferner ziehen sie die Schlüsse, dass Erwachsene mit ASS ein Bedürfnis nach intimen und sexuellen Beziehungen verspüren, welche sie aufrechterhalten können, trotz Schwierigkeiten in emotionaler Kommunikation, sozialer Interaktion, Reziprozität und verbalem und nonverbalem Ausdruck. Die Autorinnen fordern für die Zukunft eine geeignete Infrastruktur, welche den Aufbau von Interventionsprogrammen und die Möglichkeit für zukünftige Studien fördert, um somit die Lebensqualität und die Autonomie von Erwachsenen mit ASS zu verbessern. Schlussfolgerung Die drei aktuellen Studien weisen auf das Potential und die Grenzen der Tanzbewegungstherapie in der Behandlung von Menschen mit Essstörung, mit schwerer psychischer Erkrankung und mit Autismus-Spektrum-Störung hin. 3 | 2022 123 Aktuelles aus der Forschung Literatur Bendel-Rozow, T. (2021): Recovery-oriented dance movement therapy group with adults coping with severe mental health conditions: A controlled trial. The Arts in Psychotherapy 75 (4), 101830, https: / / doi.org/ 10.1016/ j. aip.2021.101830 Savidaki, M., Demirtoka, S., Rodríguez-Jiménez, R.-M. (2020): Re-inhabiting one’s body: A pilot study on the effects of dance movement therapy on body image and alexithymia in eating disorders. Journal of Eating Disorders 8 (22), https: / / doi.org/ 10.1186/ s40337-020-00296-2 Shuper Engelhard, E., Vulcan, M. (2021): The potential benefits of dance movement therapy in improving couple relations of individuals diagnosed with autism spectrum disorder. A Review. Frontiers in Psychology 12, 619936, https: / / doi. org/ 10.3389/ fpsyg.2021.619936 Dr. Iris Bräuninger Senior Researcher & Co-Leiterin Studiengang Psychomotoriktherapie (Hochschule für Heilpädagogik Zürich IVE), Dozentin M.A. Tanztherapie UAB Barcelona, BTD-Supervisorin / Ausbilderin / Lehrtherapeutin, KMP-Notatorin, Praxis Tanztherapie Supervision Bodensee. ✉ Dr. Iris Bräuninger dancetherapy@mac.com oder iris.braeuninger@hfh.ch