eJournals körper tanz bewegung 11/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2023
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Forum: Nachruf zum Tod von Fe Reichelt

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2023
Astrid Kolter
Jacqueline Mayer-Ostrow
Erika Kletti-Ranacher
Larissa Ranft
Elin Rau
Nadine Streib
Elisabeth Schmitz
Fe Reichelt, eine der wichtigsten Pionierinnen der Tanztherapie in Deutschland, ist von uns gegangen. Unsere tanztherapeutische Gemeinschaft trauert um den Verlust ihres Da-Seins. Das konnte sie gut, sie war da, in all ihrer Lebendigkeit und tänzerischen Schaffenskraft. Sie hat unseren Weg und unser Selbstverständnis als TanztherapeutInnen maßgeblich geebnet.
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79 Forum: Nachruf körper-- tanz-- bewegung 11. Jg., S. 79-81 (2023) DOI 10.2378/ ktb2023.art11d © Ernst Reinhardt Verlag Nachruf zum Tod von Fe Reichelt F e Reichelt, eine der wichtigsten Pionierinnen der Tanztherapie in Deutschland, ist von uns gegangen. Unsere tanztherapeutische Gemeinschaft trauert um den Verlust ihres Da-Seins. Das konnte sie gut, sie war da, in all ihrer Lebendigkeit und tänzerischen Schaffenskraft. Sie hat unseren Weg und unser Selbstverständnis als TanztherapeutInnen maßgeblich geebnet. 1925 in Peking geboren und in China aufgewachsen war sie Meisterschülerin und Pädagogin bei Mary Wigman, sodass sie die Ursprünge der Tanztherapie im Ausdruckstanz und in ihren Tanzerfahrungen in sich trug: die Befreiung des Körpers und der Bewegung von vorgegebenen Bewegungsmustern hin zu einem authentischen Ausdruck. Für ihr Lebenswerk wurde Fe 2011 durch den BTD ausgezeichnet (Bender / Mayer-Ostrow, Zeitschrift für Tanztherapie 32 / 2011). Ihr Leben war geprägt von fast unerschöpflicher kreativer Energie, mit Willenskraft und Elan. So gründete Sie die Tanz- und Theaterwerkstatt in Frankfurt am Main, dann die Fortbildung für Tanztherapie und die Ausbildung für Ausdruckstanz. Sie studierte Heil- und Sonderpädagogik und war im Jahr 1991 Mitbegründerin vom Frankfurter Institut für Tanztherapie FITT e. V. sowie 1995 Gründungsmitglied des Berufsverbandes der TanztherapeutInnen Deutschlands e. V. (BTD). Mit über 70 Jahren ist sie nach Berlin aufgebrochen und gründete dort die Tanztherapiefortbildung, kreierte Tanztheaterstücke und eigene Choreografien. Dem Frankfurter Institut für Tanztherapie war Fe stets aktiv verbunden, ebenso wie sie mit vielen Menschen und Institutionen verbunden war, um die Tanztherapie auf den Weg zu schicken. Fes Vernetzungsarbeit war geprägt durch ihre Präsenz, in der sie Raum einnahm, wenn ihr etwas wichtig war, und zugleich durch ihre Offenheit und Bereitschaft, ihren Mitstreiter- Innen Raum zur Mitgestaltung zu eröffnen. Daher war Fe für uns ein Vorbild in der Gestaltung weiblicher Vernetzung. Sie hatte eine kindliche Freude am Wandel und daran, an nichts zu haften. Wir erleben das Gedicht von Rainer Maria Rilke als Spiegel ihrer Seele und möchten es ihr auf diesem Wege widmen: 80 2 | 2023 Kolter, Mayer-Ostrow, Kletti-Ranacher, Ranft, Rau, Streib, Schmitz Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest. Und lass dir jeden Tag geschehen so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen sich viele Blüten schenken lässt. Sie aufzusammeln und zu sparen, das kommt dem Kind nicht in den Sinn. Es löst sie leise aus den Haaren, drin sie so gern gefangen waren, und hält den lieben jungen Jahren nach neuen seine Hände hin. Fes Bücher geben einen Einblick in ihr Schaffen. 2005 schrieb sie in ihrem Buch Tanz der Wandlungen: „Das Grundphänomen des sich fortwährend wandelnden Lebens, im Sinne von lebendigem Fluss, vollzieht sich stets im Jetzt, im vollen Bewusstsein des Augenblicks“. Fe vermittelte ihren SchülerInnen eine tanztherapeutische Grundhaltung, in der Fehler erlaubt sind und sogar gewünscht, um weiter zu lernen. Und sie ermutigte ihre Mitmenschen, auf ihre Intuition, ihr Gefühl zu vertrauen-- ein Menschenbild, von dem auch kommende PatientInnen und KlientInnen der Tanztherapie profitieren werden. In der Tanztherapie ging es Fe um das Ziel, „Unbewusstes bewusst machen“. So schrieb sie in „Ausdruckstanz und Tanztherapie- - Theoretische Grundlagen und ein Modellversuch“: „Bewußtwerden des Unbewußten-- In dem Moment, wo dem Tanzenden, dem Sich-Hingebenden, dem Sich-Bewegenden, die Bewegungen geschehen, wo er sie ausführt, erlebt er sie passiv und aktiv zugleich, d. h. passiv, indem er sie geschehen läßt (erlebt, erleidet, sich erfreut usw.), und aktiv, indem er sie ausführt. Einmal ist also das seelische Erleben vor der Bewegung da, also ihre Ursache, und dann ist das seelische Erleben direkt in und nach der Bewegung wieder da, also durch die Bewegung selbst nochmals hervorgerufen.“ (Reichelt 2004, 54). Fe wies uns auf die Gefahr der Intellektualisierung hin, und sie machte nicht nur Worte, sondern war selbst das beste Modell für das, was sie vermittelte. Der Atem war ein wesentliches Element in ihrer Erforschung der Gesetzmäßigkeiten des Körpers und Atems auf dem Hintergrund chinesischer Atem- und Heilmethoden. Dieser ist, in Verbindung mit den ganz persönlichen Erlebnissen eines jeden Individuums, eine unendliche Quelle und Ausdruck der menschlichen Lebensenergie. Durch das Spüren und Ertasten wurden nicht nur bei ihr innere Prozesse in Einklang mit den Gesetzmäßigkeiten des Körpers und des Atems gebracht. Dieser ganzheitliche Ansatz ist eine Kostbarkeit und ein großer Reichtum für die Tanztherapie, der durch viele, die mit Fe in Berührung gekommen sind, weiter in die Zukunft getragen wird. Fe hat ihr Leben dem Tanz und der Erforschung der menschlichen Bewegung in vielfältiger Weise gewidmet. Dabei ging es ihr darum, welche Auswirkungen Tanz und Bewegung auf die menschliche Seele haben. Fes besonderer Ansatz war, dass sie Atem, Ausdruckstanz und Therapie zusammengebracht hat. Sie hat viele Menschen berührt, beeinflusst und inspiriert. Es waren ihre Bücher, ihre Vorträge, ihre Tanzaufführungen, aber vor allem sie selbst in ihrem Da-Sein. Jedes Mal, wenn wir Menschen anleiten, ihre Füße auf dem Boden zu spüren und ihre Atmung mit der Bewegung zu verbinden, lebt ihr Ansatz in uns weiter. Jede von uns gibt den tanztherapeutischen Methoden etwas hinzu, und so wächst und wandelt sich die Tanztherapie auch nach dem Tod ihrer Gründerinnen weiter. In Fes sehr bewegtem Leben hat sie vieles und viele bewegt und tat es bis zum Schluss. Ihr Leben stand im Zeichen der Wandlung. Lasst uns ihren Weg weiter gehen und verwandeln. In ihrem Tanz „Traumseelenwandlung“, den Fe im Alter von 85 Jahren in Berlin zeigte, wirkte dieser wie ein Rückblick auf Lichtblicke und freudige Phasen ihres Lebens, aber auch auf Leidensphasen. Er war eine Auseinandersetzung mit dem Altwerden, dem körperlichen Nachruf zum Tod von Fe Reichelt 2 | 2023 81 Verwelken, dem Vergehen, aber er zeigte auch das Vertrauen in die Ur-Lebenskraft, den „inneren Saft“, der weiter pulsiert. Erika Sander beschreibt dies als einen berührenden Tanz, der einen Bezug herstellt zwischen dem Individuum und den Naturgesetzen von Aufblühen und Vergehen, von Leben und Tod, wie im I- Ging, dem chinesischen Buch der Wandlungen, das Fe in ihrem Lebensweg begleitete und hervorhob. Häufig bereicherte Fe tanztherapeutische Ausbildungsgruppen mit Zitaten aus dem I Ging, wie: „Das Holz in der Erde wächst ohne Hast und ohne Rast der Höhe zu, indem es sich fügsam um die Hindernisse herumbiegt. So ist der Edle hingebend in seinem Charakter und ruht nie in seinem Fortschritt“. Fe begegnete Hindernissen mit kreativen Lösungen. Wir sind zutiefst dankbar für die ernsten und die freudigen Momente, die wir miteinander über die Jahre geteilt haben. Als wir mal mit ihr Pflanzen für ihren Balkon in Berlin kaufen fuhren, standen wir vor einer Fuchsie. Eine von uns sagte, die Pflanze sieht aus, wie eine „Überirdische“. Ab da waren „Überirdische“ auf Fes Balkon, von denen sie mit Begeisterung erzählte. Sie hatte eine solch kindliche Freude an Momenten und Begegnungen wie diesen, so dass in dieser kleinen und alltäglichen Situation eine intensive Erinnerung geschaffen wurde. Fe Reichelt wird uns fehlen. Astrid Kolter, Jacqueline Mayer-Ostrow, Erika Kletti-Ranacher, Larissa Ranft, Elin Rau, Nadine Streib und Elisabeth Schmitz